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1. Dezember 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)
Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)
Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)
Bildmaterial © 2010 Concorde Filmverleih GmbH
Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)
Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)
Ich sehe den Mann deiner Träume (R: Woody Allen)


Ich sehe den
Mann deiner Träume
(R: Woody Allen)

Originaltitel: You Will Meet a Tall Dark Stranger, USA / Spanien 2010, Buch: Woody Allen, Kamera: Vilmos Zsigmond, Schnitt: Alisa Lepselter, mit Naomi Watts (Sally), Josh Brolin (Roy), Anthony Hopkins (Alfie), Gemma Jones (Helena), Antonio Banderas (Greg), Lucy Punch (Charmaine), Freida Pinto (Dia), Pauline Collins (Cristal), Ewen Bremner (Henry Strangler), Neil Jackson (Alan), Anupam Kher, Meera Syal (Dia’s Parents), Celia Imrie (Enid Wicklow), Anna Friel (Iris), Zak Orth (Narrator), 98 Min., Kinostart: 2. Dezember 2010

Eine Punktlandung: Am 1. Dezember 1935 wurde Allen Stewart Konigsberg in Brooklyn geboren, einen Tag nach seinem 75. Geburtstag startet Woody Allens neuer Film in den deutschen Kinos. Seit den 1970ern kommt jedes Jahr ein neuer Woody (Hollywood Ending von 2002 hatte infamerweise keinen deutschen Kinostart, und echte Woody-Fans verzweifeln darob immer noch), und mich persönlich erinnert das ein wenig an die animierten Disney-Spielfilme (Tangled startet nächste Woche). Man hat ein gewisses Qualitätsniveau (das die Disney-Studios eher mal unterschreiten als Woody), aber selbst bei den Fans stellt sich mitunter ein Ermüdungseffekt ein, auch wenn dann hin und wieder die Rede von einer Renaissance oder einem Neuanfang kommt (z. B. nach Zelig, Husbands and Wives, Sweet and Lowdown oder Match Point). Sich immer wieder neu zu erfinden und dabei gleichzeitig den Fans das zu geben, worauf sie sich eingestellt haben, ist nicht einfach. Das hat M. Night Shyamalan bereits nach drei oder vier Filmen erfahren müssen.

Beim Vergleich Woody / Disney hat Woody aber einen Nachteil: Bei seinen Fans kommt mittlerweile kaum mehr Nachwuchs dazu. Die Kids lesen vielleicht nicht mehr soviel Micky Maus, aber dafür werden sie im Fernsehen mit Hannah Montana etc. gehirngewaschen und sammeln auch noch fleißig Prinzessinnen-Sticker von Panini. Woody hingegen ist ein Dinosaurier, das kann man nicht schönreden.

Früher habe ich gedacht, dass man für Woody Allen nur ein gewisses intellektuelles Niveau braucht, und wer darunter bleibt, kann halt mit den ganzen Freud-Scherzen etc. wenig anfangen. Sozusagen umgedreht wie bei Jean-Claude van Damme oder Hannah Montana. Doch mittlerweile klinken sich auch die jungen Intellektuellen immer mehr bei Woody aus, weil sie ihn halt nicht in seiner besten Zeit kennenlernten, sondern als er mehr mit Scheidungskriegen und Gerichtsverhandlungen beschäftigt war. Früher war Woody ein Gesamtkunstwerk mit Comicstrip und Kurzgeschichtensammlungen (natürlich hatte man zumindest letztere komplett), und seine Filme verband bereits die Besetzung (Woody selbst, und natürlich Diane Keaton, später Mia Farrow - und dann wieder Diane Keaton). Das mit der Besetzung wurde mit Scarlett Johansson im Grunde auch noch mal probiert, aber wer nie den Schauspieler Woody kennenlernte (ist ja heutzutage eher die Ausnahme, wenn er mal in seinen Filmen auftaucht), der hatte wahrscheinlich auch nicht so viel Spaß daran, ihn in seinen diversen Platzhaltern Kenneth Branagh, Jason Biggs, Will Ferrell oder Larry David wiederzuerkennen. Und Woody ist auch - ebenfalls kaum zu kaschieren - nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit. Seine Starbesetzungen übernehmen offensichtlich andere Leute (immer wieder hörte man in den letzten Jahren in Interviews, dass ihm seine Hauptdarsteller wie Hugh Jackman vor den Dreharbeiten gänzlich unbekannt waren), sein Name-Dropping ist noch auf dem Stand der 1980er, seine Musikauswahl war auch schon mal interessanter und mittlerweile tauchen gewisse Handlungselemente immer öfter auf.

Und so beginnt (und endet) You Will Meet a Tall Dark Stranger mit dem Song When you wish upon a Star (passend zur astrologisch unterfütterten Suche nach dem neuen Lebensabschnittpartner) und einem geringfügig geänderten Zitat aus Macbeth (»Life is full of sound and fury, signifying nothing.«). Allen hätte es auch geradeheraus sagen können, dass er gemeinsam mit den meisten seiner Figuren der Meinung ist, dass Astrologie keine Bedeutung hat. Hier ist es eine Seherin aus der Nachbarschaft mit Namen Cristal (!!), die nicht etwa aus Tarotkarten, sondern aus einem schnöden Blatt Spielkarten allerlei unverbindliche Klischees entnimmt und damit der kürzlich von ihrem Gatten Alfie (Anthony Hopkins) verlassenen Helena (Gemma Jones) neuen Lebensmut einflößt, während man sich gegenseitig auch lieber mit Scotch als Sherry die Lippen befeuchtet. »Maybe she's channeling the wrong spirits« lautet der passende Kommentar darauf.

Auch Sally (Naomi Watts), die gemeinsame Tochter, steht mit ihrem Gatten Roy (Josh Brolin), einem erfolglosen Schriftsteller, am Scheideweg, und so ergibt sich daraus das übliche Bäumchen-wechsel-Dich-Spiel in zwei Generationen. Alfie probiert es mit Viagra (»I need three more minutes«) und der viel jüngeren »Schauspielerin« Charmaine (Lucy Punch hat aus Hot Fuzz und Dinner for Schmucks bereits Erfahrungen mit der Rolle, die in früheren Woody-Filmen Mira Sorvino und Evan Rachel Wood übernahmen), Sally interessiert sich für ihren Boss (Antonio Banderas), und Roy findet Gefallen an einer Nachbarin (Freida Pinto aus Slumdog Millionaire).

Damit die Geschichte auf für den Autor unkomplizierte Weise ein gewisses Tempo ereicht, bedient sich Woody wie schon bei Vicky Cristina Barcelona einer etwas uninspirierten Erzählerstimme. Für mich als Woody-Fan, der sich des (oben beschriebenen) Problems bewusst ist, waren es unterhaltsame anderthalb Stunden, aber eine neue Fangemeinde kann man damit wohl kaum rekrutieren. Woody versammelt einige gern gesehene Schauspieler, erzählt seine Geschichten, und nächstes Jahr wird er es wieder tun, das spannendste Detail ist momentan, wo der Film jeweils spielt und welches europäische Land sich geehrt fühlt, ein paar Fördergelder locker zu machen.

Daran kann man jetzt rummäkeln, aber für mich persönlich ist der jährliche Woody-Allen-Film immer noch eine Tradition, die mich mit mehr Freude erfüllt als beispielsweise die ebenfalls recht regelmäßig erscheinenden Filme von Steven Soderbergh, Kevin Smith, Steven Spielberg oder Ridley Scott. Verglichen mit diesen zwei bis vier Jahrzehnten jüngeren Herren ist Woody dann doch noch ein Hoffnungsträger für das Kino des nächsten Jahrzehnts.

Alles Gute, Woody!