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8. Februar 2011 | Thomas Vorwerk für satt.org | |||
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Knerten war in Norwegen ein riesiger Erfolg und 2010 bei der Generation Kplus ein kleiner Geheimtip, ausnahmsweise mal ein Film, der wirklich vor allem für Kinder gedacht ist, aber auch Erwachsenen viel Spaß bereitete. Mit einiger Verspätung kommt der Film jetzt im März auch in die deutschen Kinos (dt. Titel: Mein Freund Knerten). Das Sequel (über 400.000 verkaufte Tickets in Norwegen) läuft nun im Folgejahr erneut bei der Generation, und da der dritte Film der Serie bereits im Herbst 2011 in Norwegen starten soll, stehen die Zeichen eigentlich gut, dass man bereits einen Film für die Generation Kplus 2012 sicher hat.
Das komplette Cast fand sich wieder, und die Geschichte ist noch um einiges komplexer geworden, man könnte fast von einem kleinen Thriller sprechen, denn der kleine Lillebror hat den Verdacht, dass der Fahrradunfall seiner Mutter mit einer perfiden Fahrerflucht zu tun hat, und so sucht er mithilfe eines Indizienbeweises (ein zerbrochene Verschalung eines Autoblinkers) nach dem Schuldigen, einer Person, die man offensichtlich zu den »Schlimmen« zählen muss, während Lillebror und sein Assistent, die Holzpuppe Knerten, als (nahezu) unerschrockene Ermittler natürlich klar auf die Seite der »Guten« gehören.
Die Aufteilung der Weltbevölkerung in »Gute« und »Schlimme« ist das Hauptthema des Film, und ein neu zugezogener Junge namens Karsten, dem seine Mutter das rote Fahrrad kaufen soll, für das Lillebror noch eine Zeitlang sparen wollte, wird natürlich aufgrund seines antagonistischen Verhalten gleich als »schlimm« konnotiert - und der Film macht sich den Spaß, die beiden immer wieder wie Kontrahenten in einem Western zu inszenieren, für die der Ort (und insbesondere der kleine Tante-Emma-Laden, in dem Lillebrors Mutter arbeitet) einfach nicht groß genug ist. Ob Vorschulkinder diese Genrezitate eines ihnen womöglich eher unbekannten Genres erkennen, ist fraglich - hier können dann die erwachsenen Begleiter nach dem Film mit ihrem profunden Filmwissen auftrumpfen und beispielsweise Details wie eine Mundharmonika oder den unumgänglichen Showdown zur Mittagszeit kindgerecht erklären - und vielleicht sogar erwähnen, dass der Eröffnungsfilm der »Berlinale für die Großen« dieses Jahr auch ein Western ist - und dass es solche Filme heutzutage nur sehr selten gibt (wie auch im Kinderprogramm Science Fiction und Superhelden die Western längst verdrängt haben).
Demokratische Republik Kongo / Frankreich / Belgien 2010, Buch: Djo Munga, Kamera: Antoine Roch, Schnitt: Yves Langlois, Pascal Latil, Production Design: Philippe van Herwijnen, mit Patsha Bay (Riva), Manie Malone (Nora), Hoji Fortuna (Cesar), Marlene Longange, Alex Herabo, Diplòme Amekindra, Alex Herabo, Angelique Mbumb, Nzita Tumba, Davly Ilunga, Romain Ndomba, Tomas Bie, 96 Min.
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Der aus dem Kongo stammende Regisseur Djo Munga hat in Belgien Film studiert, bevor er in seine Heimat zurückkehrte, um mit der Sensibilität des modernen Weltkinos das Leben in der Hauptstadt Kinshasa zu beschreiben.
Gleich in den ersten Szenen des Spielfilms wechseln sich quasi-dokumentarische Totalen des Stadtlebens mit Close-Ups des typischen Alltags ab, was schnell Filme wie Cidade de Deus oder Amores perros evoziert. Während Kinshasa an einer Benzinknappheit zu zerbrechen droht, verfolgt der Film den Aufstieg des Benzinschmugglers Riva (charismatisch: Patsha Bay) im organisierten Verbrechen. Auch dieser ist (wie der Regisseur) ein Heimkehrer und trifft zunächst einmal seinen alten Kumpel J.M., dessen Gattin der verbindung sehr skeptisch gegenübersteht.
Schon zu Beginn wird geklärt, dass die Benzinfässer in Angola vermisst werden, und der dort zuständige Gangsterboss Cesar verfolgt Riva auf der Suche nach seiner Ware, was lange Zeit zu zwei parallelen Handlungssträngen führt, während der rücksichtslose (und auf makellose Kleidung bedachte) Cesar Riva immer näher kommt.
Riva schert das wenig, und in Kinshasa macht er sich weitere Feinde, weil er zum Beispiel die gelangweilte Trophäenbraut des ansässigen Gangsterbosses Azor umgarnt. Die rothaarige (und dadurch exotische) Madame Nora tanzt aufreizend, Riva beobachtet sie sowohl dabei als auch beim Open-Air-Urinieren später. Soviel Unverschämtheit (auch angesichts des üblichen Schicksals von Herren, die sich zu sehr für die Gattin des Gangsterbosses interessiert) scheint Nora zu beeindrucken, auch, wenn sie sich dies erstmal nicht zu deutlich anmerken lässt (»I’ve had guys beaten up for less than this.«).
Cesar macht sich unterdessen eine an der Grenze tätige Kommandantin zur Komplizin, indem er sie über ihre Schwester Rosie, eine Prostituierte in Not, erpresst. Doch der Befehlshaber der Soldatin versucht zunächst einmal, mithilfe seines Status möglichst viel Geld aus dem Gangster herauszupressen, was zu einem kleinen Massaker führt, weswegen die Soldatin jetzt auch noch polizeilich gesucht wird. Für etwas Geld will Malou, eine Bekannte (und nebenbei auch eine Prostituierte, die aber nebenbei noch eine lesbische Beziehung mit der Kommandantin hat), helfen, und man ahnt schnell, dass kaum jemand, dessen Weg den von Cesar kreuzt, dadurch besondere Vorteile hat.
Alltag in der Luxusvilla von Azor: Azor schaut Pornos und ermahnt seine Gattin, beim Shoppen nicht zu viel Geld auszugeben. In dieser Nacherzählung erinnert vieles an der Geschichte an The Devil’s Double (auch in dieser Nummer besprochen), doch in Viva Riva! interessiert man sich für die Geschicke zumindest einiger der Protagonisten, und mit weitaus bescheideneren Mitteln weiß der Film eine sehr viel komplexere Geschichte strigenter und spannender zu erzählen. Als Azors Bodyguards wegen alter Schulden (und zu erwartenden Scherereien) nicht in seine Lieblingsdisco eingelassen werden, reißt er kurzerhand seiner Frau einen Ohrring (an dem ihr viel liegt) ab, und nutzt diesen als Sicherheit. Riva macht währenddessen mit Unerschrockenheit und einer Schampus-Lokalrunde weiterhin Eindruck auf Nora, und über eine Connection bekommt er Noras Ohrring wieder, mit dem er sich endgültig ins Herz (oder die Hose) Noras vorstößt.
Diese (noch verhältnismäßig unschuldige) Liebesgeschichte erinnert ein wenig an Luhrmans Romeo + Juliet, und der gesamte Film (von dem hier vielleicht das erste Drittel wiedergegeben ist) zeigt eine sympathischere Version von Al Pacinos Scarface (aber ohne Narbe) inmitten einer großen Tragödie fast Shakespeare’schen Ausmaßes (Nicht nur Macbeth kann man bekanntlich ohne viele Veränderungen in einer Gangstergeschichte verwandeln).
»You know, Riva, money’s like poison. At the very end, it always kills you, it always kills you.« In Viva Riva! geht es zumindest vordergründig immer um Geld (es funktioniert aber auch ein wenig wie ein MacGuffin), und die Vergiftung durch die immer griffbereiten Bündel im Angesicht des umgebenden Elends ist unübersichtlich. Die »etwas sympathischeren« Gangster um Riva herum zeichnen sich aber auch immer dadurch aus, dass sie viel Druck auf der Hose haben und deshalb mehrfach auf Prostituierte zurückgreifen müssen. Doch die (durchaus auch unterschiedlichen und nicht immer käuflichen) Frauenfiguren spielen sich ganz unversehens in den Vordergrund, und selbst wenn die lesbische Soldatin sich mal als Nonne verkleidet, werden die Figuren hier nicht so stark zur lustigen Nummernrevue wie etwa in Rodriguez’ Machete.
Letztendlich ist Viva Riva! vor allem reinrassiges Genrekino, und einige Elemente sind hierbei durchaus kritisch zu betrachten, aber gerade während der Berlinale will man auch zwischendurch einfach ein bißchen Action - und ein Gangsterfilm aus dem Kongo ist eben doch etwas anderes als nur die 71. Version derselben Geschichte im westlichen Mainstream-Kino. Immerhin hat der Film noch Ideen - und daran mangelt es zu oft.
Belgien 2010, Buch: Michael Thomas, Kamera: Sam McCurdy, Schnitt: Luis Carballar, Musik: Christian Henson, mit Dominic Cooper (Latif Yahia / Uday Hussein), Ludivine Sagnier (Sarrab), Raad Rawi (Munem), Mem Ferda (Kamel Hannah), Dar Salim (Azzam Al-Tikriti), Khalid Laith (Yassem Al-Helou), Pano Masti (Said Kammuneh), Nasser Memarzia (Latifs Vater), Philip Quast (Saddam Hussein), 108 Min.
Der Vorspann wird über Archivbilder vom Krieg gelegt, dann folgen bereits viel zu hübsche Bilder aus viel zu glanzpolierten Mercedessen (oder wie immer die Mehrzahl lautet). In The Devil’s Double werden solche Statussymbole (später auch mindestens ein Porsche) immer wie in Werbefilmen vorgeführt, die antiseptisch den Wüstensand abweisen und in ihrer eigenen kleinen Welt existieren. Das lässt sich auch auf Ludivine Sagnier ausweiten, die selbst bei Ozon niemals so wie ein Ausstellungsstück in Szene gesetzt wurde (dauerweichgezeichnet oder mit zuviel Puder zu einer Porzellanpuppe verwandelt), eine Zelluloid (bzw. Digitalmedium) gewordene Fantasie, die durch den Film schwebt, ohne anzuecken, allerdings auch, ohne einen Eindruck zu hinterlassen.
Die Hauptfigur des Films, Latif Yahia, auf dessen Memoiren der Film auch beruhen soll, wird früh durch die Rückblende einer traumatischen Explosion eingeführt, ehe er Uday Hussein trifft, den Sohn Saddam Husseins (der Film spielt in den 1980ern), für den er einen Doppelgänger spielen soll. Ansonsten wandert Latif in den Knast und seiner Familie ergeht es noch schlimmer. Schließlich ergibt sich Latif diesem Schicksal, es wird chirurgisch etwas nachgeholfen (die Ärzte wurden extra aus der DDR herbeigeschafft), dann zeigt man ihm - wohl zur Konditionierung - einige Foltervideos. Vergewaltigung, ein Schlagbohrer in die Wange, Elektroschocks, Waterboarding, business as usual. Schließlich wird er Saddam vorgeführt, der zufrieden ist (»God is great, he gave me two sons. Now I have three. Make sure you don’t give me reason to be angry at you.«).
Der Film dreht sich um den Widerspruch des eigentlich herzensguten Latif zum bitterbösen Uday, und durch die zwischen den zwei Männern stehende Sarrab (Ludivine Sagnier) erschwert sich die Situation für Latif und Sarrab noch, was durchaus brisant und spannend sein könnte.
Dummerweise stößt einen der Film in vielfältiger Weise ab, so dass man sich nicht wirklich für seine Geschichte (die auch noch sehr holprig und unglaubwürdig erzählt ist) erwärmen kann. Da ist zum einen der durchweg präsente Widerspruch zwischen Archivbildern und Reklameaufnahmen, zwischen Luxus und unmenschlichen Widerwärtigkeiten. Das hört sich so wiedergegeben wie von der Inszenierung gewollt an, doch die Beliebigkeit der Low-Def-Archivaufnahmen, die Gelacktheit der Werbeästhetik, die unterschwellige Lust an fleischgewordenen Machtfantasien und die gänzlich an der Oberfläche bleibenden Darstellungen zerreissen den Film, geben einem das Gefühl, dass selbst Uwe Boll diesen Stoff besser inszeniert hätte.
Die politische Schwarz-Weiß-Malerei wird noch schlimmer durch ein kleines Detail, dass den Zuschauer ratlos dem Phänomen gegenübersteht, dass dieser Film es nicht nur ins Programm der Berlinale geschafft hat, sondern ausgerechnet in die Panorama-Sektion, sogar ins »Panorama Special«. Gründe dafür sind sicher der politische Zündstoff, der immerhin Diskussionen anregen wird, und die Darstellung von Domenic Cooper in einer Doppelrolle als Latif und Uday. Domenic Cooper ist hierzulande noch größtenteils unbekannt, er hat aber insbesondere sein Komödientalent bereits mehrfach in mittelgroßen Rollen in britischen Filmen wie Tamara Drewe, Mamma Mia!, oder An Education bewiesen. Hier brilliert er nun vor allem als der selbstverliebte sadistische Uday, der innerhalb eines Sekundenbruchteils vom Spaßvogel zum Schlächter (und wieder zurück) wechseln kann. Und von diesem durchaus noch positiven Aspekt des Films (dem einzigen) kommen wir zur etwas unterschwelligen, aber für geschulte Betrachter unübersehbaren Schwulenfeindlichkeit des Films. Wohlgemerkt, im ganzen Film kommt kein Schwuler vor, ab und zu wird nur mal jemand als »faggot« o.ä. beschimpft, was aber bekanntlich oft auch unreflektiert passiert. Doch Uday tänzelt nicht nur wie Freddie Mercury in Glitzerhemdchen durch den Film, die Figur wird auch erstaunlich oft mit schwulen Subtexten unterfüttert, die fast durchgehend noch unterstreichen, dass diese Person verdammenswert ist. Und an dieser Stelle interessiert es mich nicht im geringsten, welche sexuelle Gesinnung der echte Uday gehabt hat, Memoirenschreiber, Drehbuchautor und Regisseur entscheiden ja jeweils für sich, wie stark manche Details betont werden, und wie man dadurch - gänzlich losgelöst von der Realität - die Protagonisten darstellt. Die nachfolgende Aufzählung von Details dürfte manchem zu »detailliert« (oder »graphisch«) erscheinen, aber für Zuschauer, die es sonst vielleicht nicht gemerkt hätten (und für Leser, die sich diesen Film lieber sparen), will ich es mal ganz ausführlich schildern. Der erste Moment, der mir bemerkenswert erschien, war der Kommentar eines Untergebenen über Uday »that boy - he wears me out« (kein weitergehender Kommentar). Dann geht es weiter mit einem Uday, der sich gar nicht sattsehen kann an Aufnahmen seines duschenden Doppelgängers-in-spe, wobei ausgerechnet dessen Kehrseite (ein Teil der menschlichen Anatomie, das wir ja ohne Hilfsmittel nicht genau inspizieren können) den »selbstverliebten« Uday zu faszinieren scheint. Das kommentiert auch seine Dauerfreundin, die an dieser Stelle auch anmerkt »He doesn’t even look like you - his cock’s too big« (und man bekommt im Verlauf des Films den Eindruck, dass dies auch der Hauptgrund ist, warum sie sich für latif interessiert).
Uday proklamiert zwar immer wieder seine Heterosexualität (»I love cunt. I love my country«), wird aber mindestens einmal als Schwuler beschimpft (»He doesn’t take orders from faggots«), wofür der Schuldige dann halt mitten in einer Party (und während Udays Vergewaltigung einer von Bagdads Straßen weggeklaubten Schülerin - die kurzfristig unterbrochen wird) von Uday getötet wird (übrigens mit einem sehr graphischen CGI-Specialeffekt, der für einen Sekundenbruchteil den Schnitt in die Gedärme zeigt). Sex und Mord gehen hier oft Hand in Hand, und das Geschlecht des (zumeist unfreiwilligen) Sexpartners Udays spielt eigentlich keine Rolle. Denn (und hier mag ich mich irren) alle heterosexuellen Geschlechtsakte finden immer »a tergo« statt, und wenn Uday beispielsweise eine Braut während ihrer Hochzeit schändet (sie wählt danach den Freitod und stürzt in die eigenen Hochzeitsfeierlichkeiten), scherzt er zuvor noch mit seinen (noch) Getreuen »You think she’ll let me stick my finger up her ass?«
Und selbst, wenn Uday mal eine Party zur (halb erzwungenen) gemischtgeschlechtlichen Orgie verwandelt, hört man dazu aus den Lautsprechern der Disco Relax von Frankie goes to Hollywood, einen Song, der seinerzeit wegen seiner textlichen Nähe zum Analsex ein mittlerer Skandal war. Und diese Disco-Szene spielt ca. 1990, als der Song längst nicht mehr aktuell war. Und so wird Uday als »verkappter Schwuler« dargestellt, der seine Gelüste abgesehen von der Trophäenbraut Ludivine (die offenbar durch den vermeintlich dauergeilen durchaus nicht ihre sexuelle Befriedigung erfährt) bevorzugt durch die Entführung, Vergewaltigung und Entsorgung minderjähriger Mädchen kompensiert. Ich bin kein Experte, aber das schreit nach langer Zeit mal wieder nach einem Schmäh-Teddy. Doch da die homophoben Tendenzen Hand in Hand gehen mit den politisch vereinfachten Darstellungen, bin ich mir noch nicht einmal sicher, ob ein »Schmäh-Teddy« nicht noch als positive Auszeichnung fehlgedeutet wird. Dass Regisseur Lee Tamahori einst Once Were Warriors, ein Plädoyer für Völkerverständigung, drehte, erscheint angesichts dieses Films unvorstellbar.
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