USA 2011, Buch: Grant Heslov, Beau Willimon, George Clooney, Lit. Vorlage: Beau Willimon, Kamera: Phedon Papamichale, Schnitt: Stephen Mirrione, Musik: Alexandre Desplat, Casting: Ellen Chenoweth, mit Ryan Gosling (Stephen Meyers), George Clooney (Governor Mike Morris), Evan Rachel Wood (Molly Stearns), Philip Seymour Hoffman (Paul Zara), Paul Giamatti (Tom Duffy), Marisa Tomei (Ida Horowicz), Max Minghella (Ben Harpen), Jeffrey Wright (Senator Thompson), Gregory Itzin (Jack Stearns), Jennifer Ehle (Cindy Morris), Michael Mantell (Senator Pullman), Hayley Meyers (Jill Morris), Robert Mervak (Piano Player), Lauren Wainwright (Student #1), Kris Reilly (Student #2), Lauren Mae Shafer (Morris’s Make-up Lady), Robert Braun (Himself), Rachel Maddow (Herself), Chris Matthews (Himself), Charlie Rose (Himself), 101 Min., Kinostart: 22. Dezember 2011
Spätestens nach The Ides of March kann man George Clooney auch als Regisseur ernstnehmen. Bisher hat er erstaunlich regelmäßig alle drei Jahre eine Regiearbeit abgeliefert (die erste Hälfte einer zehnteiligen Fernsehserie nicht mal mitgezählt), und dabei eine erstaunliche Bandbreite gezeigt. Bei Confessions of a Dangerous Mind dachte man noch, ein Charlie-Kaufman-Script trägt sich fast von allein, die inszenatorischen Spielereien waren größtenteils direkt durch das Drehbuch erforderlich. Good Night, and Good Luck. betont stärker das politische Interesse, dass Clooney offenbar in allen seinen Regiearbeiten einfließen lässt (bei The Ides of March natürlich am offensichtlichsten). Die Screwball Comedy Leatherheads war dann ein kleiner Dämpfer, womöglich weil Clooney erstmals auch die Hauptrolle in einem seiner Filme spielte (auch, wenn er dabei nicht die selben Probleme hat wie Robert Redford, der nur dann als Regisseur was taugt, wenn er im Film nicht mitspielt).
Wie das Plakatmotiv es überbetont, hat Clooney nun mit Ryan Gosling ein alter ego gefunden, das für ihn den Film trägt (Clooneys Rolle ist ungeachtet des Plakats eher überschaubar), und bevor ich auf den Film eingehe, will ich nicht unterschlagen, dass Ryan Gosling auf dem besten Weg ist, ein Filmstar auf dem Niveau eines Clooneys (oder sogar darüberhinaus?) zu werden. Ich habe Gosling wahrscheinlich erstmals in Marc Forsters Stay (2005) wahrgenommen, doch schon bei Half Nelson (2006) wurde er insbesondere durch die Oscarnominierung ins Scheinwerferlicht gestoßen. In Lars and the Real Girl spielte der eigentlich durchaus attraktive Gosling einen Sonderling mit nahezu entstellendem Schnurrbart, es gelang ihm aber dennoch, zum veritablen Sympathieträger und »Schnuckelchen« des Films zu werden. Blue Valentine war dann ein weiterer großer Schlag (wenn auch nur seine Kollegin Michelle Williams für den Oscar nominiert wurde). Und im US-Filmjahr 2011 hat man offenbar eine große Offensive angeleiert, die sogar zu zwei Golden-Globe-Nominierungen führte. Die RomCom Crazy, Stupid, Love. lief bereits etwas besser als die Erwartungen, The Ides of March ist meines Erachtens ein Film, den niemand verpassen sollte, und Anfang nächsten Jahres läuft dann auch in Deutschland Drive an, eine Independent-Überraschung, bei dem Gosling an seiner Seite Carey Mulligan hat – zwei Darsteller, die diesem Jahrzehnt noch ihren Stempel aufdrücken werden, wie in den 1980ern vielleicht William Hurt und Kathleen Turner.
Genug Schwärmerei über den eigentlich sehr unauffäligen Gosling, der in The Ides of march eigentlich auch nur das Helferchen im Schatten einer großen Wahlinitiative spielt. Gleich zu Beginn gibt es eine Mikrofon-Probe, die an den großen Fauxpas von Ronald Reagan erinnert, doch schnell stellt sich heraus, dass dieselbe Rede, die Gosling als Stephen Meyers perfide dekonstruiert, aus dem Munde des angehenden Präsidentschaftskandidaten Mike Morris (Clooney) die Massen zu überzeugen weiß.
Mit solchen Nuancen und Sinnverschiebungen spielt der Film mehrfach, offensichtlich funktioniert der komplette Wahlkampf wie ein Drahtseilakt, bei dem schon ein Windhauch einen Kandidaten ins Straucheln bringen kann - und hier schmeißen die beiden PR-Teams sich lieber gegenseitig Stöcke zwischen die Beine.
Der Film erzählt seine Geschichte auf mehreren Ebenen, die auch die Hierarchie symbolisieren. Hierbei hat Regisseur Clooney mal wieder ein Ensemble versammelt, das man kaum toppen kann. Allein schon Philip Seymour Hoffman und Paul Giamatti als konkurrierende Wahlkampfleiter der zwei Teams könnten mehrere Filme tragen. VollblutschauspielerInnen wie Mariso Tomei oder Jeffrey Wright unterstützen den Film mit kleinen, aber wichtigen Szenen, und neben Ryan Gosling ist die Zukunft Hollywoods noch durch Evan Rachel Wood (Thirteen) und Max Minghella (Agora) vertreten.
Der Film gestaltet sich wie ein Tauziehen mit diversen verknüpften Seilen: Zum einen arbeitet (fast) jeder für »seinen« Kandidat, doch innerbetrieblich (und auch übergreifend) gibt es jede Menge persönliche Zielsetzungen, von denen der Aufstieg auf der karriereleiter noch der offensichtlichste ist. Und entsprechend des u. a. in Shakespeares Julius Caesar vorkommenden Filmtitels geht es natürlich um die versteckten Dolche, die man sich gegenseitig in den Rücken drückt. Ryan Gosling als Stephen Meyers ist der aufstrebende PR-Experte, der die Höhen und Tiefen seines Jobs hier durchlebt, und er ist einer von vielen Figuren dieses Films, die im Verlauf des Films Fragen über Integrität und Loyalität zu beantworten haben. Am Schluss des Films steht Stephen wieder vor einem Mikrofon, und allein dafür, wie er zwei Sekunden in die Kamera schaut, hat er schon einen Oscar verdient. Im Verlauf des Films wird aus einem cleveren, aber letztendlich doch noch naiven jungen Mann einer, der nicht nur Befehle ausführt, sondern »mitspielt«. Er wirkt dann wie ein junger Christoph Waltz - oder ein junger Yul Brynner à la Westworld.
Und das großartige an dem Film ist, dass es eben nicht nur um die Figur Stephen Meyers oder den Schauspieler Ryan Gosling geht, sondern um viele Figuren, denen der Film allen gerecht wird: Die Frau des Kandidaten, einige Praktikantinnen, Jeffrey Wright als vermeintlich »böser« Gegenspieler, Giamatti vs. Hoffman, Mariso Tomei als Journalistin, Max Minghella als ebenfalls aufstrebender Assistent mit eigenen Prioritäten. Und Clooney erzählt diese Geschichte (er arbeitete erstmals auch offiziell am Drehbuch mit) mit soviel Geist, mit soviel Cleverness, mit Mut zu Ellipsen, aber auch Mut, seinen Darstellern noch das letzte kleine Detail abzuverlangen. Es gibt viele Filme über Politik, Wahlen, Präsidenten und solchen, die es werden wollen – The Ides of March ist einer der besten.