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Huhn mit Pflaumen
(Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud)
Originaltitel: Poulet aux prunes, Frankreich / Deutschland / Belgien 2011, Buch: Marjane Satrapi, Vincent Paronnaud, Comic-Vorlage: Marjane Satrapi, Kamera: Christophe Beaucarne, Schnitt: Stéphane Roche, Musik: Olivier Bernet, Production Design: Udo Kramer, mit Mathieu Amalric (Nasser-Ali Khan), Edouard Baer (Azraël), Maria de Medeiros (Faringuisse), Golshifteh Farahani (Irâne), Eric Caravaca (Abdi), Chiara Mastroianni (Lili, erwachsen), Mathis Bour (Cyrus), Enna Balland (Lili), Didier Flamand (Le maître de musique), Serge Avedikian (Le père d'Irâne), Rona Hartner (Soudabeh), Jamel Debbouze (Houshang / Le mendiant), Isabella Rossellini (Parvine), Fred Saurel (Mirza), Christian Friedel (Cyrus, 22), 93 Min., Kinostart: 5. Januar 2012
Nach dem überwältigenden Erfolg der (animierten) Comic-Verfilmung Persepolis hat die Künstlerin Marjane Satrapi nun einen weiteren ihrer Comics verfilmt. Wieder zusammen mit dem Co-Regisseur Vincent Paronnaud, der unter dem Namen Winshluss ebenfalls ein bekannter Comiczeichner ist (Pinocchio). Doch bei aller Comic-Prominenz ist Poulet aux prunes diesmal eine Realverfilmung. Zumindest größtenteils, hin und wieder gibt es auch verspielte kleine Animationssequenzen zwischendurch.
Nach dem autobiographischen Persepolis widmet sich Poulet aux prunes der Biographie des Großvaters der Künstlerin. Nasser-Ali Khan (Matthieu Amalric) ist ein begnadeter Violinist, doch als seine Frau (Maria de Medeiros) bei einem Streit sein Instrument zerschlägt, will er nicht mehr weiterleben. Der Film schildert die letzte Woche seines Lebens, zunächst als eine eher humoristische Abfolge von möglichen Selbstmordmethoden, bei der sogar Azrael, der Engel des Todes auftaucht, doch dann entwickelt sich aus dieser Prämisse ein Geflecht von Rückblenden und Ausblicken in die Zukunft (wodurch auch Marjane Satrapi kurz als Kind im Film zu sehen ist).
Für einen Film ist die dramaturgische Konstruktion manchmal fast zu kompliziert (im Comic kann man ja hin- und zurückblättern, wenn man kurzfristig den Überblick verliert), doch wie furchtlos die Umsetzung ist, lässt mögliche Einwände schnell verblassen. Mal erkennt man (auch ohne Kenntnis der Vorlage) die Panels quasi in der Szenenauflösung wieder oder mutmaßt, dass das Spiel mit Silhouetten sich ähnlich auch in der Vorlage fand, aber oft benutzt Satrapi rein filmische Mittel, etwa Zigarettenrauch für Überblendungen und andere Zwecke (»Der Rauch nährt das Leben«) oder eine extrem lange Kamerafahrt durch drei Zimmer (die architektonisch wenig Sinn ergibt) als Entsprechung einer Comicseite, die das komplette Haus in Panels aufteilt (wie mir ein Kollege erklärte, der den Comic kennt). Die Liebe zum Kino selbst spielt eine große Rolle im Film. Und wie nebenbei spielt man mit den Genres, der Film gebiert sich mal wie eine Sitcom, dann wie ein Kaspertheater - aber es funktioniert. Die letzte Comicverfilmung, die vergleichbar experimentierfreudig und visuell schwelgerisch war, war der (etwas verunglückte) Monkeybone von Henry Selick, der ebenfalls Realfilm mit Ausstattungsüberfluss und Animationen verband. Doch der Regisseur, der im Geiste Frau Satrapi am ähnlichsten ist, dürfte Michel Gondry (Eternal Sunshine of the Spotless Mind, The Science of Sleep) sein - nur mit dem klitzekleinen Unterschied, dass der noch mit keinem seiner eigenen Drehbücher einen so überzeugenden Film fabrizierte, wie es Satrapi hier mit ihrem Realfilmdebüt gelang.
Außerdem rechne ich es dem Film hoch an, dass ich nun weiß, was Zuckerwatte auf Französisch heißt!