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9. Oktober 2014 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||||||
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USA 2014, Regie: Danny Cannon, Buch: Bruno Heller, mit Ben McKenzie (Detective James Gordon), Donal Logue (Detective Harvey Bullock), Robin Taylor (Oswald Cobblepot), David Mazouz (Bruce Wayne), Camren Bicondova (Selina Kyle), Sean Pertwee (Alfred Pennyworth), Jada Pinkett Smith (Fish Mooney), Erin Richards (Barbara Kean), Victoria Cartagan (Renee Montoya), Andrew Stewart-Jones (Crispus Allen), John Doman (Carmine Falcone), Zabryna Guevara (Captain Sarah Essen), Cory Michael Smith (Edward Nygma), Drew Powell (Butch Gilzean), Jon Beavers (Comedian), Richard Kind (Mayor Aubrey James), Grayson McCouch (Thomas Wayne), Clare Foley (Ivy Pepper), ca. 44 Min.
Nicht erst seit der Zerstörung eines gewissen Planeten habe ich mit »Reboots« so meine Probleme. Einfach alles vergessen und bei Null anfangen? Warum? Weil man vom geneigten (spätgeborenen) Publikum nicht erwarten kann, sich Jahrzehnte der Continuity nachträglich anzueignen? Und das im Zeitalter von Google und Wikipedia, vom am Körper angewachsenen Smartphone? Wohl kaum.
Das Interessante an Gotham ist wohl, dass der junge Bruce Wayne, der hier im Pilotfilm zum Waisenkind wird, vermutlich nie innerhalb der Serie zum Batman werden wird. Dazu wären wohl acht oder neun Staffeln oder ein erkennbarer Zeitsprung notwendig. Und somit wird hier auch eine andere Geschichte erzählt. Zwar eine Geschichte, die einem dauernd irgendwie bekannt vorkommt, weil man (zumindest als Comicleser) mit Figuren wie James Gordon, Oswald Cobblepot, Harvey Bullock, Selina Kyle, Edward Nygma, Carmine Falcone, Renée Montoya und Alfred Pennyworth eben schon viel Zeit verbracht hat – auch, wenn man halt an allen Ecken und Ende umdenken muss. Dass Renée Montoya ca. zehn Jahre älter ist als Bruce Wayne und dieser etwa in den 1990ern geboren sein muss (auch wenn Gotham City hier bis auf ein paar Handys, Gesichtstattoos à la Mike Tyson und afroamerikanische Frauenfiguren in Machtpositionen hier wirkt wie in den Siebzigern), sind nur einige dieser umgestellten Eckpfosten, die plötzlich die gesamte Topographie verändern.
In der Serie geht es offenbar vor allem um zwei unfreiwillige Partner im korrupten Polizeiapparat einer vor der steigenden Kriminalität zu resignieren drohenden Metropole namens »Gotham City«. Der Neue, voller Ideale, heißt James Gordon (Ben McKenzie, der in der animierten Version von Batman: Year One den Batman sprechen durfte), der bis ins Mark korrupte Kollege Harvey Bullock (Donal Logue, dem man den früheren witzigen Sidekick in diversen Filmen fast nicht mehr ansieht). Und diese beiden sollen gemeinsam den Doppelmord an Thomas und Martha Wayne aufklären. Dies ist aber vor allem ein Vorwand, um die Paardynamik zwischen den beiden interessanter zu gestalten, denn schon im Pilotfilm geht es um einen Unschuldigen, dem falsche Beweisstücke untergeschoben wurden und der in Notwehr erschossen werden muss (seine frühpubertäre Tochter heißt »Ivy« – nicht Pamela! – und interessiert sich offenbar für Pflanzen) – und Gordon muss trotz all seines Idealismus nicht nur diesen Polizeifehler und die dahinter steckende Verschwörung geheimhalten, sondern auch noch – aus reinem Selbsterhaltungstrieb – einen Mord begehen. Dass er wie einst der Jäger bei Schneewittchen diesen Mord nur vortäuscht, entwickelt sich schnell zur tragischen Ironie der Serie, denn der so Verschonte hat keine solche Verklemmungen und tötet kurz darauf bereits für ein Sandwich.
Die Frage bei Gotham wird sein, wie lange man als Zuschauer sein Interesse an den veränderten Handlungssträngen aufrecht erhalten kann. Am Machtkampf zwischen Carmine Falcone und dem kriminellen Emporkömmling Fish Mooney (neue Figur! Paraderolle für Jada Pinkett Smith). An den weiteren Machtkämpfen zwischen den guten und bösen Cops. Und vielleicht auch am angedeuteten Kampf um das Wohlergehen von Gordons Verlobter Barbara Kean (Erin Richards), denn seine neue Kollegin Montoya (Victoria Cartegan) ist nicht nur davon überzeugt, dass Gordon korrupt bis gefährlich ist, sie kennt Barbara auch »von früher« – und vermutlich recht gut...
Was der Serienschöpfer Bruno Heller hier zusammengebastelt hat, hat durchaus Potential, doch für den Comic-Fan in mir ist mit am interessantesten, wie man hier nicht nur Batman: Year One und Gotham Central miteinander verwoben hat (zwei der besten DC-Mainstream-Comics, die Batman jeweils in ein fast realistisches urbanes Crime-Setting versetzen), sondern man bei der visuellen Umsetzung teilweise sehr nahe an den Vorbildern bleibt. Gleich in der zweiten Einstellung kommt etwa eine sehr junge Selina Kyle (Camren Bicondova) ins Bild, die quasi direkt der Feder Darwyn Cookes entsprungen scheint. Und wenn sich in der vierten Minute die bekannteste Originstory der Comicgeschichte durch zwei Pistolenschüsse vollzieht, fehlen weder mehrere Inserts der auf den Asphalt prallenden Perlen Martha Waynes (auch wenn später behauptet wird, der Täter hätte die Perlenkette gestohlen ... naja, vielleicht Teile davon) noch die Einstellung des jungen Bruce inmitten der Leichen seiner Eltern, wie man sie von David Mazzucchelli und dem Cover von Batman #404 kennt.
Das andauernde Namedropping nervt teilweise etwas, aber teilweise hält man sich auch zurück. Um den farbigen weiblichen Polizeicaptain als Sarah Essen (bei Miller / Mazzucchelli sehr blond und kaukasisch) zu erkennen, muss man schon aufmerksam auf die Büroeinrichtung achten, und Selina Kyle wird jetzt auch nicht namentlich vorgestellt – aber man erkennt sie halt ... und das erste, was sie klaut, ist eine Flasche Milch. Einerseits fängt man bei Null an, andererseits erwartet man auch vieles an Vorwissen. Dass Alfred Pennyworth der Butler der Familie Wayne ist, wird beispielsweise nicht einmal ansatzweise erklärt. Während die Polizisten sich noch wundern »Who the hell is that?«, stellt er sich Gordon gegenüber mit Namen vor und nimmt dann das Waisenkind Bruce einfach mal mit. Ein Jugendamt oder eine gesunde Skepsis scheint es in Gotham nicht zu geben, wenn eine ausbleibende Erklärung Probleme einfacher auflöst.
Die Dialoge sind teilweise etwas theatralisch, aber das ist natürlich der Vorlage verpflichtet (»criminals are a cowardly superstitious lot«). Oft wirkt die omnipräsente Skyline der Stadt etwas zu computergeneriert, aber die Begräbnisszene, in der die Wolkenkratzer quasi aus den Grabsteinen »herauswachsen«, zeugt davon, dass das Visuelle nicht nur Blendwerk ist, sondern mitunter auch durchdacht. Eine meiner Lieblingsszenen des Pilotfilms dreht sich um die Audition eines Komikers, der offenbar (noch?) keine wiederkehrende Rolle ausfüllt. Ich mag mich ja irren, aber seine Punchline ist so bitterböse und zynisch, dass ich das Gefühl habe, dass er später noch mal auftauchen könnte ...
USA 2014, Originaltitel: The Giver, Buch: Michael Mitnick, Robert B. Weide, Lit. Vorlage: Lois Lowry, Kamera: Ross Emery, Schnitt: Barry Alexander Brown, Musik: Marco Beltrami, Kostüme: Diana Cilliers, Production Design: Ed Verreaux, Supervising Art Director: Shira Hockman, mit Brenton Thwaites (Jonas), Jeff Bridges (The Giver), Meryl Streep (Chief Elder), Odeya Rush (Fiona), Alexander Skarsgård (Father), Katie Holmes (Mother), Cameron Monaghan (Asher), Taylor Swift (Rosemary), Emma Tremblay (Lilly), Alexander & James Jillings (Gabriel, 12 months), Saige Fernandes (Gabriel, 6 months), Jordan Nicholas Smal (Gabriel, 3 months), Renate Stuurman (Dinah), 97 Min., Kinostart: 2. Oktober 2014
Auf der Suche nach dem nächsten Hit, der die weiblichen Teenager ins Kino locken soll, fand man einen Social-Fiction-Roman für junge Leser, der in den 20 Jahren seit seinem Erscheinen immerhin einige Leser fand, und machte aus den dort 12jährigen Protagonisten gleich mal 16- bzw. 18jährige (hier variiert das Pressematerial und auch aus dem Film kann man die Altersangabe nicht zweifelsfrei extrahieren), um den Knutschi-Schmusi-Aspekt stärker zu betonen.
Die naheliegende Idee, die vermeintlich »perfekte« Gemeinschaft ohne Streit und ohne Sorgen, aber auch ohne geschichtliches Bewusstsein oder Liebe, mit Schwarzweißbildern zu visualisieren, war das Element, das mich in diesen Film lockte, denn ich habe gleich zwei Hauptseminarsarbeiten während meines Studiums der Filmwissenschaft über Farbe und Schwarzweiß verfasst, über Edgar Reitz' Heimat und The Wizard of Oz. Hier beruhigt man die Menschen über eine tägliche Psychopharmaka-Injektion, nur unser vermeintlicher Held Jonas (Brenton Thwaites) sieht hin und wieder etwas »mehr«. Das setzt man im Film zunächst über einige leicht farbige Freezeframes um, die zumeist den Himmel durch einige verwischte Bäume zeigen. Später kommt dann die Haarfarbe von Fiona (Odeya Rush) dazu, bei der aber eine (beabsichtigte?) Verwirrung zwischen rot und braun vorliegt. Und dann schaltet der Film auch schon sehr schnell komplett auf Farbe um, teilweise sogar in Einstellungen, die offensichtlich die Perspektive anderer Personen einnehmen. Aber darüber sehe ich mal geflissentlich hinweg.
Im Roman ist es übrigens erstmals ein Apfel, der irgendwie anders aussieht (als das Phänomen erstmals erwähnt wird, gibt es keinen konkreten Hinweis auf die Farbe – leider habe ich es nicht geschafft, den Roman rechtzeitig zu Ende zu lesen). Interessant ist hier natürlich der naheliegende Bezug zum biblischen »Baum der Erkenntnis« mit nachfolgender »Vertreibung aus dem Paradies« usw. bla bla.
Der Film stützt sich leider sehr auf seine Stars (Meryl Streep ist wie üblich noch in ihrer Verachtenswürdigkeit liebenswert, Jeff Bridges indes grummelt sich etwas in den Bart, als hätte er wie einst Marlon Brando eine Serviette im Mund), und wirkt dadurch etwas uneins, denn falls man sich nicht in seiner Aufmerksamkeit ganz auf das Wunder der jungen Liebe konzentriert oder darauf lauert, dass Streep und Bridges auch mal eine gemeinsame Szene haben, plätschert die eigentliche Geschichte mit einigem an politischem Brennstoff nur so nebenbei daher. Jonas erlebt (für ihn) Ungeahntes, er träumt von Schnee, Elefanten, Farben, Musik und Krieg, versucht zögerlich, diese Erfahrungen zu teilen, doch ehe man sich versieht, wandelt sich der Film, der zunächst noch wie eine Twilight-Version von Soylent Green oder Logan's Run daherkommt, plötzlich und unerwartet in eine Märchenschmonzette mit Weihnachtslied und komplett blödsinnigem Optimismus-Ende, das womöglich der Herkunft aus einem »Kinderbuch« entspricht, hier aber alle positiven Aspekte aus der ersten Hälfte des Films quasi wie eine rosa Seifenblase verpuffen lässt.
Dabei hat der Film so viele interessante Ansätze oder Elemente in der Inszenierung, über die man zumindest nachdenken könnte. Allein das Thema der Sprache mit obsoleten Begriffen wie »Liebe« und Euphemismen für alles unerfreuliche, insbesondere die staatlich verordnete Euthanasie. Oder die Bild-Entscheidungen bei den Träumen, die die »Geschichte« der Menschheit repräsentieren sollen: Warum wird der Vietnamkrieg in diesen »Träumen« wie grobkörniges Filmmaterial mit sichtbaren Makeln dargestellt?
Aber durch den in keiner Weise befriedigenden Filmschluss (selbst, wenn man sich daraus irgendwie eine Halluzination zurechtinterpretiert, wird es nicht besser) hat man letztlich auch keine Lust mehr, über die gelungeneren Aspekte zu sprechen.
Oder über Details wie eine dunkelhäutige Krankenschwester (Rollenname Dinah), die innerhalb der US-Gesellschaft der Kinogänger eine ethnische Alibi-Funktion erfüllt, deren Auftritt aber die Logik der Gesellschaft innerhalb des Films mit Füßen tritt.
Der Eindruck des Films ist so, dass man annimmt, dass Romanautorin, Regisseur und Drehbuchautoren anfänglich viele gute Ideen hatten, sie dann aber so ziemlich jeden blöden Kompromiss eingingen, der aus akzeptabler Filmkunst so etwas wie ein (schlecht) auf den Markt abgestimmtes Produkt macht. Ein bisschen Schmachterei für die Mädchen, ein bisschen billige CGI-Action für die Jungs, ein paar Stars für die Älteren – und im Endeffekt bleibt nichts, woran man sich später erinnert. Da sehnt man sich zurück in die 1970er, wo es zwar auch oft ein aufgesetztes Hollywood-Ende gab, aber selbst diese Filme (beispielsweise Logan's Run, an den man oft denken muss) waren selbst in ihren naivsten Momenten nie so schlichtweg blöd und beliebig wie The Giver.
Deutschland / Frankreich / Polen / Türkei / Kanada / Russland / Italien 2014, Buch: Fatih Akin, Mardik Martin, Kamera: Rainer Klausmann, Schnitt: Andrew Bird, Musik: Alexander Hacke, Production Design: Allan Starski, mit Tahar Rahim (Nazaret Manoogian), Simon Abkarian (Krikor), Makram Khoury (Omar Nasreddin), Hindi Zahra (Rakel), Kevork Malikyan (Hagob Nakashian), Bartu Küçükçaglayan (Mehmet), Zein Fakhoury (Arsinée), Dina Fakhoury (Lucinée), Trine Dyrholm (Orphanage Headmistress), Arsinée Khanjian (Mrs. Nakashian), Akin Gazi (Hrant), Shubham Saraf (Levon), George Georgiou (Vahan), Arevik Martirosyan (Ani), Lara Heller (Lucine), Moritz Bleibtreu (Peter Edelman), 138 Min. Kinostart: 16. Oktober 2014
Zunächst räumen wir mal mit dem größten Missverständnis auf: Dies ist kein Politikum, keine (mutige?) Schuldzuweisung, die den Völkermord an den Armeniern kritisiert. Dazu müsste der Film klar Stellung beziehen, Missstände aufweisen, vielleicht sogar Vorwürfe aussprechen. Doch hier wird kein Völkermord gezeigt, denn es geht quasi nur um ein einziges Dorf und einige nur vage miteinander verknüpfte Vergehen an einer nicht genau definierten Menschengruppe. Den eigentlichen Vorwurf, wie ihn beispielsweise Ararat von Atom Egoyan weitaus deutlicher formulierte, kann man nur auf das Filmgeschehen projizieren und von dort aus extrapolieren, das tragische Einzelschicksal steht zu keinem Zeitpunkt für klar definierte konzertierte Übergriffe.
Womit wir gleich beim zweiten Missstand werden, denn die zu Herzen gehende, reichlich dramatische Geschichte eines von seiner Heimat vertriebenen Vaters auf der Suche nach seiner Familie (und letztendlich seinen Töchtern), ist leider nicht ganz so zu Herzen gehend, wie sie wohl sein sollte. Der Kunstgriff, die Hauptfigur durch eine Messerverletzung (streng genommen kein Schnitt, sondern ein Stich, wodurch schon der Titel des Films nicht mehr zutreffend wirkt) zu einem stummen und vermeintlich hilflosen Opfer zu machen, somit quasi den Aufschrei eines Volkes verstummen zu lassen, wirkt ein wenig akademisch – und hilfloser als der Protagonist selbst.
Akin erzählt seinen bisher mit Abstand epischsten Film, der Jahrzehnte und Kontinente umspannt, die Koproduktion von sieben Ländern darstellt und Schauspieler wie Simon Abkarian, Trine Dyrholm, Moritz Bleibtreu und Arsinée Khanjian vor die Kamera zerrt. Und er hebt dabei zwar an, als wolle er Lawrence of Arabia und Dead Man nacheifern (wobei Alexander Hacke aber einfach nicht Neil Young ist), geht dabei aber viel zu betulich und leidenschaftslos an die Sache.
Wenn im Film überhaupt mal Herzblut fließt, dann nicht bei den Greueltaten oder der Familiengeschichte, sondern wenn der stumme, mittellos umherirrende Nazaret (Tahar Rahim) an einer Stelle mal ein neumodisches, als »Teufelswerk« verschrienes Kuriosum einem Bordellbesuch vorzieht und deshalb den großen Stummfilmstar Charles Chaplin in einem seiner emotionalsten Frühwerke, The Kid von 1921, erlebt. Hier ist offenkundig, dass Akin sich stärker für das Kino als für die Geschichte interessiert. Zumindest lässt er die Stummfilmzeit wieder aufleben. Später sieht man prominent ein weiteres Chaplin-Plakat (zu The Champ) an einer Säule kleben, und der kleine Auftritt von Moritz Bleibtreu (dem vermutlich prominentesten Weggefährten Akins), ist auf unaufdringliche Weise eine Hommage an die nonverbale Erzählkunst des Kinos. Doch diese drei Szenen nehmen zusammen vielleicht fünf Prozent der Lauflänge des sich wie unterkühlter Honig dahinziehenden Films ein.
Die aus meiner Sicht verheerendste Entscheidung des Filmemachers war es, den Film größtenteils auf Englisch zu drehen. Das zeugt natürlich davon, dass man auf ein Weltpublikum hofft (wer spricht schon Armenisch?), aber das wirkt aus heutiger Sicht (vor allem, wenn man in einen Film von Fatih Akin geht, an dessen Kino man einige Ansprüche knüpft) einfach rückständig. Insbesondere natürlich, wenn die verschiedenen ethnischen und religiösen Hintergründe der Figuren sehr wichtig für die Geschichte sind, man aber als Zuschauer durch das für mehrere Sprachen »stellvertretende« Englisch manche Zusammenhänge nicht sofort erkennen kann. Wer hier mit wem kommunizieren kann oder nicht – und aus welchen Gründen! – geht in der künstlichen Homogenität der englischen Sprache mitunter unter. Ein amerikanisches Mainstream-Publikum (das m.E. wohl kaum mit dem Film in Kontakt kommen wird) mag das so wenig stören wie hierzulande die bedauernswerten Kreaturen, die immer alles nur in einer synchronisierten Fassung sehen, aber wer Filmkunst und kulturelle Diversität mag, scheitert schlichtweg an den markttechnischen Ansprüchen, die ein (zu) hohes Budget mit sich bringt. Für Fatih Akin mag es ja toll sein, dass sein Kumpel und großes Vorbild Martin Scorsese diesen Film sehr mag, aber der hat selbst zuletzt bei After Hours – also vor fast dreißig Jahren – bewiesen, dass gerade visionäre und kompromisslose Regisseure mit kleinen Budgets oft viel tollere Filme drehen können als mit Stars und Studios (ich persönlich würde jedenfalls jeden der Scorsese-Speilfilme seiner Spätphase – die Zäsur verorte ich bei Gangs of New York, der ersten einer nicht enden zu wollenden Reihe von Zusammenarbeiten mit Leonardo di Caprio – gegen etwas wie After Hours tauschen). Eine Einsicht, die nach dem Debakel mit The Cut nun auch Fatih Akin erreicht, der nun wieder kleinere Brötchen backt. Die aber vermutlich besser schmecken.
Österreich 2014, Buch: Johannes Holzhausen, Constantin Wulff, Kamera: Joerg Burger, Attila Boa, Schnitt: Dieter Pichler, 94 Min., Kinostart: 16. Oktober 2014
»Ein Mann fährt, verfolgt von einer wunderbar dahingleitenden Kamera, auf einem Tretroller durch die endlosen Gänge des Kunsthistorischen Museums Wien – und stoppt vor einem Kopierer. Sinnlicher kann man den Spagat zwischen Kultur und Bürokratie kaum visualisieren. Und der Film ist voll solch ironisch gebrochener Anspielungen, liebenswert gezeichneter Protagonisten, die mit Herzblut Kunstobjekte bewahren. Dem Regisseur gelingt ein informativ-witzig-intelligenter Blick hinter die Kulissen eines großen Museums, das sich im internationalen Wettbewerb behaupten muss.«
So lautete die Begründung der Jury, die dem Film auf der diesjährigen Berlinale den Caligari-Filmpreis übergab.
Interessant ist es, im Presseheft das Interview mit dem Regisseur zu lesen, der einerseits seine hehren Ziele und tollen Konzepte schildert, dann aber auch erwähnt, an welchen Stellen er diese selbstaufgestellten Regeln gleich wieder gebrochen hat: »Das Theatermuseum habe ich ausgeklammert, mit einer Ausnahme: auf den Kasperl wollte ich nicht verzichten.« Und so wollte er auch die Kunstwerke nur im Kontext der musealen Arbeit zeigen – bis auf die letzte Viertelstunde des Films, wo die Kamera dann doch noch mal diverse Sammlungen (und hier und da ein Archiv mit Personalakten) abfährt, um damit eine abschließende Aussage zu treffen, die aber für manche Betrachter (mich eingeschlossen) ohne Erklärung etwas beliebig und langatmig wirkt.
Der Film hat einige gute Ansätze und gute Ideen, wirkte auf mich aber in seiner universellen Herangehensweise zunehmend redundant. Auf dem Papier mag es hochinteressant wirken, wenn der Protest einer Putzkraft auf der Betriebsversammlung mit dem hohen Besuch vom Bundespräsident in Kontrast gesetzt wird und eine Pensionierung »unbedingt« mit in den Film musste, doch die Ansprüche des Films konnten für mich dramaturgisch nicht umgesetzt werden, das Gesamtwerk wirkt wie eine unregelmäßige Loseblattsammlung, in die man so einiges »unbedingt« noch mit reinquetschen musste. So geht es um Corporate Branding, Budgets, ausgestopfte fechtende Frösche, die Acquirierung von Uniformen und die Bedeutung der Habsburger Porträtgalerie, und gleich nach der komplizierten Bestückung eines Ausstellungsraumes geht es beispielsweise um ein altes Eisbeerenfell und die streng bürokratische Auswertung der Mottenfallen.
Bei Museum Hours habe ich den Museumsfreund in mir wiederentdeckt, bei Das grosse Museum indes war mein Eindruck nach einer anfänglichen Euphorie, dass 94 Minuten auch verdammt lang sein können. Deshalb würde ich in diesem Fall lieber zum »wirklichen« Museumsbesuch raten, man muss schon ein immenses Interesse an den Vorgängen »hinter den Kulissen« haben, um die Superlative der Laudatio oben (allein diese Adjektive!) als zutreffend aufzufassen.
USA 2014, Buch: Adam J. Braff, Zach Braff, Kamera: Lawrence Sher, Schnitt: Myron I. Kerstein, Musik: Rob Simonsen, mit Zach Braff (Aidan Bloom), Kate Hudson (Sarah Bloom), Mandy Patinkin (Gabe), Josh Gad (Noah Bloom), Joey King (Grace Bloom), Pierce Gagnon (Tucker Bloom), Ashley Greene (Janine), Michael Weston (Jerry), Allan Rich (Rabbi Twersky), Alexander Chaplin (Rabbi Rosenberg), Jim Parsons (Paul), Donald Faison (Anthony), James Avery (Audition Actor #2), Charlie (Kugel), 106 Min., Kinostart: 9. Oktober 2014
Ich habe schon Garden State, Zach Braffs Regiedebüt, als völlig überschätzt abgetan, und bei seinem zweiten Ausflug ins Regiefach hat er nicht wirklich viel dazugelernt. Worin er neben dem Casting offensichtlich echtes Talent zeigt, ist es, dem Publikum vorzutäuschen, dass sein Film nicht nur clever und witzig ist, sondern dass man viele Lektionen über Leben und Tod, Liebe und Religion miterlebt, um am Ende geläutert zu sein, tief berührt, aber auch irgendwie glücklich.
Bei wem das klappt, dem kann ich nur gratulieren. Für mich lief der Film größtenteils so ab, dass ich mir den Co-Autor und Regisseur Braff als Strippenzieher hinter den Kulissen vorstellte, wie er beispielsweise die große Sterbeszene von Mandy Patinkin (dieser tolle Schauspieler ist vielleicht der einzige Grund, sich den Film anzuschauen) von langer Hand vorbereitete, um das Nonplusultra an Emotionalität aus der Szene zu quetschen. Und so baut sich für mich der ganze Film zusammen: da hat man schon im Vorspann altertümliche Zwischentitel wie in einem Stummfilm, nur um dann rasant in eine Szene wie aus einem Sci-Fi-Fantasy-Blockbuster zu stolpern, mit jeder Menge superbunter Fake-Flares. Braff präsentiert einem also schon in den ersten paar Minuten die gesamte Bandbreite der Filmgeschichte und gaukelt einem das Gefühl vor, er beherrsche sein Metier – und das mit schwindelerregendem Selbstbewusstsein. Dummerweise ist der Film aber ein riesiger großer oberflächlicher Bluff, der einem gerade in den besonders artifiziellen Momenten tierisch auf den Sack gehen kann. Die Ausflüge in eine Special-Effects-Scheinwelt sind ja fast noch charmant, aber die Handlungsbögen, die die frühpubertäre Grace (Joey King aus der Fernsehserie Fargo) und der Supernerd Noah (Josh Gad, die Stimme von Olav aus Frozen) ertragen müssen, bauen fast ausschließlich auf visuellen Gags auf (Cosplay-Kostüme bzw. zwei offenbar von Natalie Portman inspirierte grellbunte Perücken) und bieten darüber hinaus wenig, allenfalls komplett unglaubwürdige und im wahrsten Sinne an den Haaren herbeigezogene Entwicklungen, die dann in ihrer Klischeehaftigkeit auch noch haarsträubend sind. Besonders schlimm ist hier der dauerhafte Zeitlupeneinsatz, um klarzumachen, dass die zwei Kinder jetzt tierisch glücklich sind (Lektion 2 in jeder Fernsehakademie: Sonnenschein, lachende Kinder, Klimpermusik und Zeitlupe ergeben Glück). Denn die kleine Grace wollte sich zuvor ernsthaft und fleißig mit dem Judentum befassen, darf nun aber mit ihrem ersten Badeanzug am Schwimmunterricht teilnehmen, den auch der nette Mitschüler frequentiert.
Und wie in einer ausgewalzten Scrubs-Episode gibt es zwar traurige Momente, aber jeder wächst ein wenig über sich heraus, erkennt Dinge und wird zum besseren Menschen. Das muss ja alles per se nicht falsch sein, aber in diesem Film wirkt das alles besonders verlogen, weil man zu Beginn des Films den Eindruck bekommt, man wolle sich von einer herkömmlichen Standard-Dramaturgie distanzieren, nur um dann im letzten Drittel wirklich noch dem kleinsten und unwichtigsten Topf einen Deckel überzustülpen.
Hier und da ist aber immerhin noch Potential zu erkennen, man muss aber verdammt genau aufpassen. Der vielleicht beste Gag des Films ist ein Plexiglas-Aufsteller in einer ärztlichen Beratungsstelle, auf dem ein Aufkleber prangt: »This pamphlet could save your life«. Die Ironie besteht darin, dass der Prospekthalter leer ist. Eigentlich ohne direkten Bezug, aber assoziativ noch im Gedächtnis taucht später dann tatsächlich mal ein Handzettel auf, der in der Wahl seines Titels unter Bezugnahme auf die frühere Szene fast subversiv wirkt: »So you're dying«. Diese somit aufgelöste falsche Versprechung, die wie ein Tritt in die Weichteile wirkt, sagt aus meiner Sicht wirklich etwas über die Themen des Films aus: Nur eben ohne den lebensbejahenden kitschbunten künstlichen Zuckerguss, der den Streifen verkleistert.
Originaltitel: I Origins, USA 2014, Buch, Schnitt: Mike Cahill, Kamera: Markus Förderer, Musik: Will Bates, Phil Mossman, mit Michael Pitt (Dr. Ian Gray), Astrid Bergès-Frisbey (Sofi Elisondo), Brit Marling (Karen), Steven Yeun (Kenny), Archie Panjabi (Priya Varma), Kashish (Salomina), Cara Seymour (Dr. Jane Simmons), William Mapother (Darryl), Crystal Anne Dickinson (Julie Dairy), Venida Evans (Helen Dairy), Rhonda Ayers (Waitress), 113 Min., Kinostart: 25. September 2014
Von Another Earth, dem ersten Spielfilm dieses Regisseurs, haben mir damals diverse Kollegen vorgeschwärmt, aber ich habe es noch nicht geschafft, den nachzuholen. Offenbar gibt es zahlreiche Themen, die in beiden Filmen sehr präsent sind, und die auch nicht alle generell negativ einzustufen sind. Eine Low-Budget-Science-Fiction-Geschichte um Wissenschaftler, Liebe, Tod und Grenzerfahrungen. Wobei das letzte Wort zumindest in diesem Fall der ultimative Euphemismus ist. Man könnte stattdessen auch »saublöden Mumpitz« schreiben.
Der reichlich seltsame Titel (inklusive des umständlichen deutschen Zusatztitels, der sozusagen das schnell offensichtliche Wortspiel erklärt) bereitet einen schon auf einiges vor. Molekularbiologe Dr. Ian Gray (Michael Pitt) ist auch außerhalb seines Labors fasziniert von Augen, die er hundertfach fotografiert und archiviert. Von einer schnellen Sex-Begegnung auf einer Party hat er nur ein Bild der Augen (sie trug Maske), anhand derer er sie als Modell einer Plakataktion wiedererkennt und ausfindig macht (»These eyes changed my life«) – und die fast überirdisch wirkende Liebesgeschichte führt schnell dazu, dass Sofi (Astrid Bergès-Frisbey) und Ian beim Standesamt landen und einen auf »glücklichstes Paar der Welt« machen. Das ist soweit noch ganz nett (bis auf die nie im Film erklärte Kiste mit der schicksalshaften Nummer 11) und selbst ein weiteres Beispiel die in diesem Jahr so grassierende Flut von Terrence-Malick-Epigonen hätte ich mir gefallen lassen, weil trotz des etwas behäbig wirkenden Michael Pitt die Love-Story eine Zeitlang unrealistisch und dick aufgetragen, aber dennoch mitreißend ist.
Doch dann beginnt die eigentliche Geschichte über eine bedeutsame Entdeckung, die Ian zusammen mit seiner Laborassistentin Karen (Brit Marling, war schon in Another Earth die Hauptdarstellerin) macht. Und daraus entwickelt sich dann eine seltsame Dreiecksgeschichte, dessen schnell unübersehbares SciFi-Element reichlich umständlich die Geschichte vorantreibt, ehe es dann zum Pay-Off kommt, der spätestens bei der sich bis in den Nachspann ziehenden Verschwörungstheorie zur Lachnummer wird, für die man den Film, der letztlich nur auf diesen Schlussgag hin inszeniert ist, wirklich abgrundtief hassen kann.
Ich habe generell öfters Probleme mit (im weitesten Sinne) religiösen Themen, aber richtig schlimm wird es, wenn man den Zuschauer für dumm verkauft und eine Story, die anfänglich wirklich Potential hat, erst jeglichen Impetus verlieren lässt, man alles, was an der Handlung interessant wirkt, im Hintergrund auf Sparflamme köcheln lässt und dann mit einem Schlussgag kommt, der quasi den gesamten Sci-Fi-Inhalt auf ein (wissenschaftlich unterfüttertes) Mumpitz-Niveau runterschraubt, das vor hundert Jahren, zur Zeit von H.G. Wells, Arthur Conan Doyle und Edgar Rice Burroughs, noch akzeptabel gewesen wäre (und im historischen Kontext immer noch als lesenswert durchgehen könnte), aber heutzutage einfach lachhaft wirkt – auch und insbesondere in Bezug auf evolutionäre (falls dieser Begriff überhaupt fasst) Schwarz-Weiß-Zeichnung. Verglichen damit wirken selbst die Räubergeschichten von Ira Levin (The Boys from Brazil, Rosemary's Baby, The Stepford Wives), deren Pointen sich längst herumgesprochen haben, noch in der dritten Verfilmung »thought-provoking« statt einfach nur ärgerlich und dumm.
Es ist wohl so, dass manche Zuschauer (das Internet ist Zeuge) gewisse Implikationen des Films der Kategorie »Philosophie« zuordnen und sich diese staunende Blauäugigkeit angesichts des »Clous« des Films bewahren konnten, aber sorry: Spätestens, wenn der Nachspann einem die (durch die Filmhandlung revolutionierte) Welt erklären will wie eine Kindergärtnerin den Weihnachtsmann, kriegt man doch einen Wutkrmpf (der eine Buchstabe fehlt hier mit Absicht, um das Gefühl noch deutlicher zu illustrieren). Und in meinem Fall war es so, dass ich ansatzweise nach einem Drittel des Films (wegen der aufdringlichen Augenkiste), spätestens aber nach der Hälfte (wegen der »großen Liebe«, der auffällig ignorierten Kollegin und der Fahrstuhl-Szene, die schlampig umgesetzt ist, dabei aber besonders clever rüberkommen soll) immer mehr auf Distanz ging, und Mr. Cahill immerhin das Kunststück vollbringt, dass der Film immer noch eine Spur hanebüchener wird – bis dann zum Nachspann. Übrigens bin ich mir in diesem Fall nicht einmal sicher, ob die Leute, die nicht genug Respekt vor dem Medium haben, den Abspann auszusitzen (zugegebenerweise werden die Generationen seit 1990 durch die veränderte Fernsehrealität aber auch auf eine minimalisierte Aufmerksamkeitsspanne dressiert), hier durch einen kleinen Epilog, der die Rezeption des Films stark verändert (ich muss zugeben, ich möchte den Nachspann noch einmal auf DVD in Einzelbildschaltung sehen, um mich wirklich über die innewohnende Dummheit des Films aufzuregen), dem Film fast noch eine Chance geben, erträglich zu bleiben. Aber dann muss ich sagen, dass der Aufreger des Films im Endeffekt auch seine einzige Existenzberechtigung ist, quasi wie bei einem umgestülpten M. Night Shyamalan oder einem Darren Aronofsky ohne Bodenhaftung.
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