Frank
(Lenny Abrahamson)
Großbritannien / Irland / USA 2014, Buch: Jon Ronson, Peter Straughan, Vorlage (Zeitungsartikel): Jon Ronson, Kamera: James Mather, Schnitt: Nathan Nugent, Musik: Stephen Rennicks, Kostüme: Suzie Harman, Production Design: Richard Bullock, mit Domnhall Gleeson (Jon), Michael Fassbender (Frank), Maggie Gyllenhaal (Clara), Scoot McNairy (Don), Carla Azar (Nana), François Civil (Baraque), 94 Min., Kinostart: 27. August 2015
Einige Tage, nachdem Frank der Presse gezeigt wurde, fragte mich eine Kollegin, die ich nicht soo häufig sehe, nach meiner Meinung zu dem Film. Sie war offenbar ziemlich begeistert, während ich eher enttäuscht war – auch, wenn ich keine direkten Kritikpunkte am Film geliefert habe oder hier liefern werde. Vermutlich hat es einfach was mit den Erwartungen zu tun. Denn nach den zum Teil euphorischen Kritiken Ende 2014 lauerte ich auf den Film – und rechnete lange Zeit nicht wirklich mit einem deutschen Starttermin. Ich hatte einfach schon eine gewisse Beziehung zum Film aufgebaut, was bei mir mittlerweile nur noch so 2-3 mal im Jahr passiert. Während man sich links und rechts von mir vor Vorfreude über Star Wars Episode VII (ich weiß nicht mal den Titel auswendig) oder ähnlichem fast einen von der Palme wedelt, interessieren mich eher bestimmte Außenseiter-Filme.
Und das vorrangig über die Regisseure. Das ist wie ein Verliebtsein. Man entdeckt jemanden, und ist dann im günstigsten Fall von jedem Film begeisterter als von dem zuvor. Aktuell auf diesem Level bin ich (noch) bei Andrea Arnold, Jeff Nichols oder Steve McQueen. Dann gibt es aber auch diejenigen, die man irgendwie aus den Augen verliert (Eytan Fox, Valeska Grisebach) oder deren Nachfolgefilme es nicht zu deutschen Kinostarts bringen (Richard Ayoade). Die sind wie die Sandkastenlieben, die während der vierten Klasse umgezogen sind. Und am bedrückendsten (und leider auch am häufigsten) sind die, mit denen man einige Jahre sehr glücklich ist (im Kino ist Polygamie glücklicherweise kein moralisches Problem), ehe dann der eine Film kommt, der einen ernüchtert wie ein Saitensprung oder die Erkenntnis, dass die vergötterte Person seit einigen Jahren NPD-Mitglied ist. Das habe ich in letzter Zeit beispielsweise mit Kelly Reichardts Night Moves oder Bong Joon-hos Snowpiercer erlebt: Filme, die von vielen Kollegen noch abgöttisch geliebt werden, für mich aber (unterschiedlich) tiefe Enttäuschungen waren. Am wenigsten kann die Umwelt dies nachvollziehen, wenn sie meine »alten Vertrauten« gerade erst kennenlernt, für die anderen die Liebe also noch frisch ist.
Bildmaterial © Weltkino Filmverleih | Jonathan Hession
Im Fall von Lenny Abrahamson ist das das ganz besonders so. Sein Debüt Adam and Paul, ein ziemlich rücksichtsloser Film über Drogenkonsum, der aber im gleichen Atemzug auch eine liebevolle Hommage and Laurel & Hardy war, lief nur auf der Berlinale, Garage hat über den Peripher-Verleih mit wenigen Kopien auch nicht so viele Zuschauer gefunden, wie man dieser zweiten »verstörenden Komödie« gewünscht hätte, und Abrahamsons Meisterwerk, What Richard did, noch verstörender, aber ohne Komödienelemente, ist hierzulande nur als Import-DVD zu bekommen (und ohne Thomas Backs, zeitlebens einen der größten Fans der Literatur und des Kinos Irlands, hätte ich den wahrscheinlich nie zu sehen bekommen). Der Titel What Richard did impliziert ja bereits, dass es um ein ziemlich dunkles Thema gehen könnte (und da liegt man durchaus richtig), aber wie hier mit subtilen Mitteln ein starker emotionaler Impact gezaubert wird, wird noch deutlicher, wenn man sich den Audiokommentar anhört und die Buchvorlage Bad Day in Blackrock (von Kevin Power) durchliest, die Abrahamson eher als »Inspiration« verwendet und sich ganz zu eigen macht. Wie ich es vielleicht zuletzt bei Atom Egoyans The Sweet Hereafter so genial erlebt habe.
Bildmaterial © Weltkino Filmverleih | Jonathan Hession
Bei Frank habe ich wohl eine ähnliche »Tiefe« erwartet, und nicht nur eine durchaus gelungene Indiekomödie, deren psychologische Abgründe womöglich für viele Leute schon außergewöhnlich wirken … aber in Relation zu den anderen drei Filmen wirkt hier vieles »harmlos«. »Amüsant« ist ein Wort, das vor Frank in der Beschreibung der Filme Abrahamsons einfach nichts zu suchen hatte.
Und so beobachte ich halt, wie sich andere Leute in Frank verlieben, ich aber außen vorbleibe und mich an die früheren Jahre erinnere.
Apropos frühere Jahre: da ich Mitte der 1980 bereits meine Volljährigkeit erreicht habe und mein »jugendliches« Interesse für Musik sich größtenteils zwischen 1985 und 1995 entwickelte, bekam ich auch am Rande was vom Phänomen Frank Sidebottom mit, wenn ich mal wieder den »New Musical Express« oder ähnliches las. Wenn man damals schon Youtube gehabt hätte, hätte ich mir vermutlich auch mal seine Musik angehört, aber in der Glotze oder den Charts habe ich ihn nie gesehen (und selbst Fad Gadget ist 1984 mal bei »Formel Eins« aufgetreten), und meine Neugier war dann doch nicht groß genug, mir einfach mal einen Tonträger zu kaufen.
Bildmaterial © Weltkino Filmverleih | Jonathan Hession
Und auch, wenn ich durch What Richard did ja hätte gewarnt sein können, fand ich es dann irgendwie sehr seltsam, dass die Geschichte von Frank, die ja durch eine reale Person inspiriert wurde, für den Film nicht nur gehörig verändert wurde (hätte ich vermutlich gar nicht gemerkt), sondern nun auch in der Jetztzeit spielt, mit deutlicher Betonung dieses Youtube-Phänomens, das es halt damals noch gar nicht gab. Aber genug Palaver, jetzt ein wenig zum Film.
Jon (Domnhall Gleeson) hält sich für ein musikalisches Talent voller Ideen für Kompositionen, könnte es aber vermutlich nicht mal mit den von Warren Beatty und Dustin Hoffman in Ishtar gespielten Protagonisten aufnehmen. Durch absurd wirkende Ereignisse wird er zum Ersatzkeyboarder der Band Soronprfbs (kein Tippfehler, sondern Konzept), in der schon der Franzose Baraque, der mit Schaufensterpuppen kopulierende Don oder die herrische Thereminspielerin Clara (Maggie Gyllenhaal) absonderlich wirken würden, wenn sie nicht durch den Tag und Nacht einen Pappmaché-Kopf tragenden Bandleader Frank (Michael Fassbender) in jeder Hinsicht überschattet werden würden.
Bildmaterial © Weltkino Filmverleih | Jonathan Hession
Bei den endlos wirkenden Aufnahmen zum nächsten Album lernt man die Bandmitglieder besser kennen, wohnt der Rivalität zwischen Jon und Clara bei, die beide die Nähe Franks suchen – und aus der anfänglichen Witzfigur Jon wird tatsächlich ein Mensch mit Facetten und Kapazitäten. Aber Titelstar Frank konzentriert das Interesse des Zuschauers: mal genial, dann Depressiv, dann wieder eine Cartoon-Figur mit Hang zu Slapstick. Hier erkennt man am deutlichsten die Handschrift des Regisseurs. Aber, so mein Eindruck, manche der Gags am Rande haben hier schlicht nicht die Fallhöhe der Figuren aus Garage und Adam und Paul, bei denen jede Pointe existenzbedrohend wirkte.
Sicher, vieles am Film ist beeindruckend: Der kontinuierliche Einsatz von diegetischer Musik, die live eingespielt wurde (zwei der Bandmitglieder sind Vollblutmusiker) und dadurch sehr authentisch wirkt; der clevere Handlungsbogen, der die Figuren Jon und Frank verbindet; und last but not least natürlich Fassbender in seiner »gesichtlosen« Rolle, die an Claude Rains in The Invisible Man oder Hugo Weaving in V for Vendetta erinnert – aber Fassbender steckt in seine Darstellung viel mehr Herzblut.
Aber mein Herz hat der Film dennoch nicht in so einem Maße erreicht wie die früheren Filme des Regisseurs. Und viele, die mich deshalb als Snob empfinden, würde ich sogar beneiden. Insbesondere, wenn sie Garage, Adam and Paul und What Richard did erst noch entdecken dürfen.