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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




8. August 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org

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Collateral Clownfish


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  Wolfskinder (Rick Ostermann)


Wolfskinder
(Rick Ostermann)

Deutschland 2013, Buch: Rick Ostermann, Kamera: Leah Striker, Schnitt: Stefan Blau, Antje Lass, Musik: Christoph Kaiser, Julian Maas, mit Levin Liam (Hans), Helena Phil (Christel), Jördis Triebel (Mutti), Patrick Lorenczat (Fritz), Vibien Ciskowska (Asta), Willow Voges-Fernandes (Karl), Til-Niklas Theinert (Paul), 91 Min., Kinostart: 28. August 2014

Wolfskinder – ein geheimnisvoller Begriff. Man denkt an Truffauts L'enfant sauvage, an Hanekes Le temps du loup, vielleicht auch an den von Wölfen großgezogenen Mowgli bei Kipling oder Reithermann. Das Spielfilmdebüt Rick Ostermanns kombiniert vor allem die ersten beiden Beispiele in seiner Nutzung der historisch abgedeckten Einordnung der bettelnd und stehlend herumirrenden deutschstämmigen Kinder, die nach 1945 vor allem in Litauen einen Unterschlupf suchen und dafür auch ihren Namen verleugnen. Wie ein Endzeitdrama (der historische Zusammenhang war zwar Inspiration, soll aber der eigentlichen Geschichte nicht im Weg stehen) erzählt der Film vom Überlebenskampf der Kinder, der oft wie ein abruptes Erwachen aus einem behüteten Traum wirkt.

»Hans, wach auf, Mutti ist tot!« So nüchtern pragmatisch und oft erbarmungslos wie sein jüngerer Bruder Fritz muss Hans im Verlauf des Films erst werden, die Zeiten des Pferdestreichelns sind für den naturverliebten Jungen vorbei, und das Versprechen an die Mutter, sich um »Fritzchen« zu kümmern, kann er schon bei einer dramatischen Überquerung der Memel nicht aufrechterhalten.

Der Film konfrontiert die Kinder (die Namen spielen im dialogarmen Geschehen keine große Rolle, oft erfährt man erst, wie ein Kind hieß, nachdem es sich bereits aus der Filmhandlung verabschiedet hat) mit Situationen, mit denen selbst Erwachsene oft überfordert werden. Und das besonders gern, wenn man es gerade so geschafft hat, trotz knurrenden Magens und durchnässter Klamotten einzuschlafen. Wie ein Schlag ins Gesicht scheint hier die Kindheit zuende – auch wenn man sich beim Streifen durch die idyllische Wildnis nach dem Pflücken von Blaubeeren immer noch die Zunge rausstreckt, weil man ausnahmsweise »beweisen« kann, dass man dem Tod durch Verhungern ein weiteres Mal entgangen ist. Rohes Huhn scheint lecker, Dosenfleisch mit Maden akzeptabel, und was die Kinder mit den toten Fröschen machen, spart der Film netterweise aus.

Die größte Schwäche des Films ist auch eine seiner Stärken. Ob es nun Russen waren oder andere, die ein Butterfass umschmissen und noch unerfreulichere Anblicke für die Kinder (und den Zuschauer) hinterließen, ist letztlich sekundär, es geht hier nicht um die Täter, sondern um die Opfer, die leider dabei auch oft zu Tätern werden.

Wichtig ist, dass der Film mehr richtig macht als er verbockt. Das angestrengt humpelnde Kerlchen, das durch sein Stöhnen auf der Tonspur sehr präsent ist, nervt über Gebühr, doch durch kluge Auslassungen kann man aus den Kinderdarstellern eine fatalistische Schwere locken, die tatsächlich mit Haneke oder Cormac McCarthy mithalten kann. Ausnahmsweise will ich hier nicht darüber jammern, was man alles hätte anders machen können, sondern loben, wie Ostermann seine Vision und seinen »Auftrag« (offenbar gibt es persönliche familiäre Beziehungen zum Schicksal einiger »Wolfskinder«) umgesetzt hat – nüchtern und pragmatisch wie Fritzchen, nur nicht ganz so erbarmungslos.

Mein liebster Moment im Film ist die stumme Szene im Haus einer kleinen Familie, die plötzlich statt eines fünf Kinder durchfüttern soll. Vier davon dreckig und ohne nennenswerte Hoffnungen und Besitztümer. Und dann schaut das »leibliche« Kind verzückt auf eine verdreckte Puppe, die die kleine Luise wie eine letzte Erinnerung an die Kindheit mit sich schleppt. Und statt die Suppe herüberzureichen, wirft der ansonsten freundlich wirkende Bauer einen stummen Blick auf die Puppe. Die Opfer, die die Kinder im Film auf sich nehmen, werden noch weitaus tragreicher (insbesondere für Luise), aber das ist Kino, wie es sein soll. Für einen Moment habe ich fast an Chaplin gedacht, der in Sachen Hungerleiden das Medium prägte.

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  Lucy (Luc Besson)


Lucy
(Luc Besson)

Frankreich 2014, Buch: Luc Besson, Kamera: Thierry Arbogast, Musik: Eric Serra, mit Scarlett Johansson (Lucy), Morgan Freeman (Professor Norman), Choi Min-sik (Mr. Jang), Amr Waked (Pierre Del Rio), Julian Rhind-Tut (The Limey), Pilou Asbæk (Richard), Analeigh Tipton (Caroline), Nicolas Phongpheth (Jii), Laura D'Arista (Stimme von Lucys Mutter), Jan Oliver Schroeder (French Mule), Luca Angeletti (Italian Mule), Loïc Brabant, Pierre Grammont, Pierre Poirot, Bertrand Quoniam (Professors), Pascal Loison (Drug Addict), Sandra Abouav (Prehistoric Lucy), 90 Min., Kinostart: 14. August 2014

In den Filmen von Luc Besson (ob als Regisseur oder als Produzent) geht es oft um die Zerreißprobe zwischen Professionalität (bevorzugt in einem Beruf, der für Actionfilme taugt) und Emotionalität. Also etwa den Profikiller Leon, der sich plötzlich in einer Quasi-Vaterrolle wiederfindet, oder den »Transporter«, der seinen unterdrückten Gerechtigkeitssinn (oft in Kombination mit einer scharfen »damsell in distress«) über seine selbstverfassten Berufsregeln stellt. Außerdem hat Besson ein Faible für visuelle Reizüberflutung, Grenzerfahrungen, Wunderähnliches und starke Frauenfiguren (Beispiele wären Subway, Le Grand Bleu, Nikita, The Fifth Element, Joan of Arc, Angel-A, danach habe ich mich ausgeklinkt, inwiefern man jetzt die Minimoys, die Comic-Verfilmung um Tardis Adele, The Lady oder Malavita in dieses Schema drücken kann, soll jemand entscheiden, der womöglich auch noch die ganzen Taxi-Filme und was nicht alles gesichtet hat).

Anyway, mit Scarlett Johansson in der Titelrolle fährt Lucy jetzt abermals eine »schöne Frau, die interessante Dinge macht« auf. Und sämtliche Merkmale für Besson-Filme kann man wiedererkennen, inklusive eines teilweise recht packenden Soundtracks von Eric Serra, der schon in den ersten Einstellungen dieses mit Imax-Kamera gedrehten Films ganz auf einen Aha-Effekt baut. Erst wabern die Titel eigentümlich, dann wird man Zeuge einer sehr farbenfrohen Zellteilung, die aber gleich ziemlich weit weg von der Realität scheint, und eher eine Art CGI-Lavalampe mit stampfendem Disco-Beat auf die Leinwand zaubert als Aufnahmen aus einem Elektronenmikroskop. Der oft akzentuierte Wissenschaftsbezug von Imax-Filmen (Biologen und Archäologen laden den Zuschauer für 50 Minuten in ihre Welt ein) prägt auch Bessons Film, der vermutlich nicht ganz zufällig knapp 90 Minuten geht und somit die Programmplanung eines üblichen Imax-Kinos nicht unnötig durcheinander bringt.

Lucy ist zu Beginn des Film eine eher unbedarfte junge Frau, die sich von ihrem »boyfriend of the week« Richard in eine lebensgefährliche Kofferübergabe mit dem gerne selbst Hand anlegenden koreanischen Gangsterboss Mr. Jang (Choi »Oldboy« Min-sik) verwickeln lässt. Die synthetisch hergestellte Droge CPH4, von der Natur von Frauen in der sechsten Schwangerschaftswoche in winzigen Mengen erstellt, um dem Foetus bei der komplexen Zellbildung von Knochen beizustehen, richtet über eine unglückliche Verknüpfung von Ereignissen als Überdosis in Lucys Körper einige Veränderungen an, und Bessons Film gefällt sich darin, die knapp inszenierten Action-Szenen jeweils mit Auszügen der Vorlesung eines Neuronen-Experten (Morgan Freeman) abzuwechseln, der uns eine Menge über die unausgeschöpften Fähigkeiten des menschlichen Gehirns erzählt, was durch einige wissenschaftliche Fakten gestützt schnell in wilde L. Ron Hubbard-Fantasien abdriftet. Auch, wenn die Freeman-Figur Professor »Norman« (Drehbuch-Verkürzung eines »normalen Mannes«) immer wieder betont, dass alles, was über die Sonarfähigkeiten von Delphinen hinausgeht (nutzen mit 20% Gehirn-Kapazität doppelt so viel wie durchschnittliche Menschen), reine Spekulation bleibt. Doch durch die Filmhandlung, die noch für die wildeste Fantasterei den vermeintlichen »Beweis« liefert, wird der quasi-wissenschaftliche Humbug schnell in ein veritables Wissenserlebnis verwandelt, so dass sich unbedarfte Zuschauer zu solchen Aussagen wie »ein Film für Intellektuelle« oder »If you didn't like it, you just 'didn't get it'« (beides auf aus imdb-Kommentaren) hinreißen lassen.

Diese »Wissenschaftlichkeit« des Films ist das größte Ärgernis eines manchmal immerhin sehr unterhaltsamen und lange Zeit schnörkellos inszenierten Streifens, der sich auf seine »Imaxität« schon sehr stützt. Wenn Lucy erstmals ahnt, dass Richard sie in Gefahr bringen könnte, visualisiert der Film ihre Gedankengänge durch eine Maus vor einer gespannten und gefüllten Mausfalle (übrigens vor einem schwarzen Hintergrund, als wäre es ein Werbefilm oder ein Experiment). Etwas später gibt es eine ausgedehnte Parallelmontage, die Lucys Interaktion mit den asiatischen Gangstern mit typischen Imax-Bildern von Geparden und Gazellen parallelisiert – mit dem Ergebnis »leblose Gazelle wird von Gepard weggeschleppt«. Der vermeintliche evolutionäre Sprung von der Maus zur Gazelle findet seine Entsprechung in der Veränderung Lucys, die von »1%« (genutzter Gehirnkapazität) schnell zu Zehnerschritten übergeht und aus ihrer anfänglichen Opferrolle blitzschnell an den Kopf der Nahrungskette wechselt, wobei mit Verlassen der menschlichen Gefilde (Lucy beamt sich in den Bereich Supermensch und mehr) auch die Menschlichkeit und Empathie verloren gehen können.

Und hier sind wir wieder bei der Emotionalität, die bei ähnlichen Figuren wie Data oder dem Terminator selbst in kleinsten Dosen von großer Bedeutung sein kann. Auch Lucy zeigt hier und dort mal ihre Menschlichkeit. Sie telefoniert mit ihrer Mutter, bedankt sich für die Tausende von Küsse, an die sie sich nun – durch den unabsichtlichen »Upgrade« – wieder erinnern kann wie an »the taste of your milk in my mouth«. Und lässt dabei exakt zwei Tränen ihr Gesicht herunterlaufen. Bei ihrer besten Freundin Caroline (Analeigh Tipton), die dem Betrachter einen guten Einblick verschafft, wie sehr Lucy sich in wenigen Stunden verändert hat, diagnostiziert sie durch eine kurze Umarmung Nieren- und Leberprobleme, sie lernt mal eben schnell Chinesisch und besorgt ihr zum Abschied die medizinische Möglichkeit, ihr Leben zu retten.

So nett ist Lucy, der menschliche Regungen schnell abgehen (»I don't feel pain, fear, desire. It's like everything that's making us human is fading away« – und an der Stelle ist sie erst bei 28%), längst nicht immer. Dass sie mit den Gangstern kurzen Prozess macht, ist noch reiner Selbsterhaltungstrieb, und dass sie für einen lebensnotwendigen chirurgischen Eingriff einen bereits narkotisierten Patienten einfach erschießt und vom OP-Tisch schubst, wird damit gerechtfertigt, dass sie durch kurzen Blick auf seine Röntgenbilder erkennen konnte, dass er eh keine Chance mehr hatte. Doch einen Taxifahrer zu erschießen, weil er kein Englisch spricht, das ist die typische »coole« Härte eines Actionfilms (»Voll witzig, da hat sie den einfach erschossen, bäng!«), die hier die angebliche Intelligenz der Hauptfigur (und des Films) hintergeht. Selbst Arnold hätte ihm nur in die Kniescheibe geschossen. Und rein auf der Actionebene ist der Film Lucy spätestens in der zweiten Hälfte weit entfernt davon, besonders intelligent zu sein. So hat Lucy etwa die Fähigkeit, mit einer kurzen Handbewegung (»the world is her touchpad«) ein Dutzend Polizisten in Ohnmacht fallen zu lassen. Wenn sie aber Mr. Jang gegenübersteht oder seinen Schergen, dann ist es für den Film wichtiger, dass man immer neue Auflösungen solcher Konflikte findet. Dann entstehen unsichtbare Wände, Schlägertypen sehen sich mit Schwerelosigkeit konfrontiert und die gesichtslosen Dutzende von Gangstern und Polizisten dürfen sich gegenseitig über den Haufen schießen (und nebenbei die Sorbonne perforieren), solange sie nur Lucys »Konzentration« nicht stören. Oder, anders ausgedrückt: Mr. Jang darf überleben, obwohl Richards Blut an seinen Händen klebt, weil wir den noch für den Schluss-Showdown brauchen. Menschlichkeit und Logik sind für den Film wichtig, aber unerwartete Gags und vermeintlich interessante Bilder sind wichtiger. Und am wichtigsten ist ein Drehbuch, das »superschlau« wirken soll, gegen Ende aber nur Versatzstücke von 2001, The Matrix oder Bruce Almighty (diesmal ist Morgan Freeman nicht Gott) aneinanderreiht, ohne eigene Bilder zu finden. Der 2001-Ripoff funktioniert zusammengestutzt etwas so: Lucy trifft ihre Namensvetterin (die prähistorisch erste Frau) in der Vergangenheit (man ist längst über Konzepte wie Raum und Zeit hinaus), es gibt eine in ihrer Bedeutung etwas vage ausgelegte Berührung der Fingerspitzen wie einst bei DaVinci, und zurück in der Gegenwart entsteht ein Supercomputer mit einem sehr an Kubricks Monolithen erinnernden USB-Stick, der aber nicht schwarz ist, sondern wie ein Blick auf den Sternenhimmel wirkt. Lucys gesamtes Wissen wirkt wie ein Universum, und man erinnert sich bei diesem visuell aufgepumpten, aber erstaunlich herkömmlich wirkenden Stick (damit noch der hinterletzte Zuschauer begreift, dass dies ein Speichermedium sein soll) an eine Umschreibung aus dem Film, den Morgan Freeman im Vorlesungssaal benutzte, um seinen beschränkten Wissensstand zu visualisieren: ein Hund, der zum Mond blickt (übrigens hat der Menschenaffe mit dem evolutionären Schritt nach vorne bei Kubrick den Rollennamen »Moonwatcher«). Leider kommt Besson über diesen Hundestatus auch nicht weit hinaus. Er ist nur ein Hund, der gut dressiert ist, rudelstarke Unterstützung hat (Scarlett macht ihre Sache schon ziemlich gut, das muss man anerkennen), und anderen Hunden mit bunten Bildern, fetziger Musik und anderen Bluffs vormacht, er hätte etwas Profundes über das Thema Intelligenz zu bellen. Doch, um jetzt mal nicht dauernd auf unseren vierbeinigen Freunden herumzuhacken: Wenn man einen x-beliebigen Straßenköter mit ins Imax nehmen dürfte, würde dieser die »Bedeutung« dieses Films weitaus schneller durchschauen als mancher Mensch. Ist ja alles ganz hübsch, aber man kann es nicht essen oder pimpern, und man kommt auch irgendwie schlecht an die Leinwand, um dort einen passenden Kommentar zu hinterlassen.

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  Night Moves (Kelly Reichardt)


Night Moves
(Kelly Reichardt)

USA 2013, Buch: Jonathan Raymond, Kelly Reichardt, Kamera: Christopher Blauvelt, Schnitt: Kelly Reichardt, Musik: Jeff Grace, mit Jesse Eisenberg (Josh Stamos / Joseph Macca), Dakota Fanning (Dena Brauer / Cary Tyler), Peter Sarsgaard (Harmon / Edward), Alia Shawkat (Surprise), Logan Miller (Dylan), Kai Lennox (Sean), Katherine Waterston (Anne), Jennifer Snook (Cop), James Le Gros (Feed Factory Clerk), Traber Burns (Felix), Autumn Nidalmia (Mable), Clara Mamet (Activist Filmmaker), Matt Malloy (Boat Owner), Barry Del Sherman (Corser), Jason Rojas, Mikey Kampmann (Activists), Lew Temple (Wandering Camper), Jackie Apodaca (Women at Spa), 112 Min., Kinostart: 14. August 2014

Ken Loach, Mike Leigh, Kelly Reichardt – drei RegisseurInnen, die leider (noch?) nicht so bekannt sind, wie ihr Werk und ihre Fähigkeiten es verdienen würden. Leider aber auch drei Regisseure, deren neueste Filme mich reichlich kalt ließen. Manche Filmjournalisten lassen sich in solchen Fällen davon leiten, dass man ja für die Anerkennung der »guten« Filmemacher kämpfen muss, auch wenn sie mal ein unterdurchschnittliches Werk abliefern (und was für einen einzelnen Regisseur unterdurchschnittlich ist, kann, auf das gesamte Kino-Output gesehen, manchmal zu den besten 20 oder gar 10% gehören). Für mich ist es aber so, dass ich der persönlichen Enttäuschung auch ein Ventil verschaffen muss. Und wenn ein Meisterkoch mal etwas Angebranntes auf den Teller legt, mag das besser sein als alles, was jemals bei einem beliebigen Schnellbeschiss über die Theke ging. Aber ich möchte das dennoch in Relation sehen. Den Sternekoch auch mal tadeln, wenn er etwas versalzen hat – und das seltene essbare Fastfood-Produkt als Hoffnungsschimmer interpretieren – auch dann, wenn ich selbst die Hoffnung längst aufgegeben habe.

Vielleicht sind meine Erwartungen an Kelly Reichardt auch zu hoch, weil ich ihre letzten beiden Filme, Wendy and Lucy sowie Meek's Cutoff, schon ziemlich großartig fand. Reichardt erzählt kleine Geschichten mit geringen Mitteln – ist dabei aber eine der scharfsinnigsten Chronistinnen der US-amerikanischen Gesellschaft. All dies macht sie auch in Night Moves (der übrigens nichts zu tun hat mit dem gleichnamigen Arthur-Penn-Krimi mit Gene Hackman von 1975), und auch, wenn ihr neuer Film auf den ersten Blick weitaus »politischer« wirkt, wird Reichardt hier auch nicht zur »Predigerin«, die Probleme liegen an anderer Stelle.

Die Geschichte (die Reichardt mit dem ihr eigenen Tempo erzählt) klingt ähnlich simpel, aber packend wie die der Frau, die ihren Hund sucht, und nach einem ganz persönlichen Western könnte jetzt ein handfester Öko-Thriller folgen. Drei Umwelt-Aktivisten, denen es nicht mehr genügt, in Kommunen Bio-Gemüse anzubauen, wollen einen Damm sprengen, um ein »Zeichen zu setzen«. Der Film beobachtet sie bei den Vorbereitungen, wobei vom Kauf eines Motorbootes bis zu einer größeren Menge Dünger alles immer sehr unauffällig vonstatten gehen muss und man als Zuschauer wie einst bei Hitchcock zum Komplizen gemacht wird, der hofft, dass alles »gut geht«.

Schon früh deutet sich an, dass es wohl zu einem moralischen Dilemma kommen wird, dass auch der »harmloseste« Terrorismus immer auch Opfer fordern wird. Dies setzen Kelly und ihr Standard-Co-Autor Jon Raymond mit einer nächtlichen Wildwechsel-Szene um. Josh (Jesse Eisenberg) und Dena (Dakota Fanning) inspizieren ein angefahrenes Reh und stellen fest, dass im Bauch des trächtigen Tieres das Ungeborene noch lebt, weshalb die bereits tote Rehmutter noch »warm« ist. Bei aller Tierliebe ist Josh dann aber doch Pragmatiker, und das leicht »schlürfende« Geräusch, mit dem er das unschuldige Zivilisationsopfer die Böschung runterrutschen lässt, ist bereits ein Indiz dafür, wie verstörend dieser Film werden wird.

Doch bei allen Gesprächen über »Golfplätze in der Wüste«, der Beziehung zwischen Mensch und Fisch (»You should go fishing some time, before it's all gone«!) und den mannigfaltigen Ambivalenzen des Film, bei der sexuellen Spannung innerhalb der Gruppe, bei den Vorwürfen zu Denas »rich daddy« und bei dem minimalistisch aufgebauten Suspense der Geschichte lag für mich das große Problem des Films darin, dass ich mich für keine der drei Hauptfiguren (Peter Sarsgaard ergänzt das Trio) zu keinem Zeitpunkt wirklich interessiert habe. Ich fühlte mich selbst wie der seltsam erregte / angeekelte »Gaffer«, der langsam an einem Autounfall vorbeifährt, aber keinerlei Beziehung zu den Figuren auf der Leinwand aufbauen konnte. Dakota Fanning nervte mich immens, und das lag auch an der Rolle, die sie spielte. Jesse Eisenberg, den ich eigentlich schätze, wirkt hier selbst für seine Verhältnisse extrem gefühlskalt, und Sarsgaard bekommt mit seinen vermutlich zwei oder drei Drehtagen gar keine richtige Chance, hier etwas zu retten.

Wo sich die früheren Filme Reichardts irgendwie langsam aber dynamisch entwickelten, wirkt hier vieles wie »Malen nach Zahlen«, jede noch so kleine Szene wird gleich in ein wertneutrales, aber von Moralfragen bestimmtes Gewebe eingeflochten. Hierbei fällt besonders auf, dass es sich oft um Definitionsfragen dreht, die zu Missverständnissen führen. Wie nah ist »close«, in Längeneinheiten ausgedrückt? Was genau versteht man unter »no one«, was macht einen »accident« aus? Und wenn jemand unter der Situation leidet, so kann das reichlich unterschiedlich ausfallen – aus dem Begriff »taking it hard« wird hier die vielsagende Dialogzeile »There's hard and there's hard«.

Und statt im Verlauf des Films zunehmend in die Geschichte involviert zu werden, wird man immer mehr entfremdet vom Geschehen. Denas psychisch verursachter Hautausschlag wirkt schon reichlich platt in seiner Ausführung, und die unaufdringliche leichte Thriller-Atmosphäre kippt dann irgendwann um in ein fatalistisches Drama irgendwo zwischen Hitchcock und Dostojewski, dabei mit einer inszenatorischen Distanz zum Geschehen umgesetzt, die einen allerspätestens komplett raushaut. Vielleicht ist es ja sogar so, dass das, was mich an dem Film so enttäuschte, von Reichardt und Raymond exakt so beabsichtigt war, selbst noch bei der letzten Szene hatte ich das Gefühl, genau zu wissen, was die beiden bezwecken wollen, aber ich nahm es auf einer komplett analytischen Ebene wahr, die Empathie war längst ausgeschaltet.

Selbst bei diversen Genreproduktionen (Kinderfilm, RomCom, Horror usw.), die nach bestimmten Schemata aufgebaut sind, weiß man zwar ziemlich genau, wie die Filmemacher auf der Klaviatur der Emotionen spielen, aber man lässt sich darauf ein. In beinahe jedem Horrorfilm taucht irgendwann eine nächtliche Katze auf, die einen erschreckt, und natürlich stirbt Baloo in The Jungle Book nicht. Aber es funktioniert, oft noch beim zehnten Mal! Und bei Night Moves funktioniert es leider gar nicht. Statt involviert zu werden, ist man ziemlich schnell so teilnahmslos wie Jesse Eisenberg, der als Mark Zuckerberg in The Social Network zwar auch so seine emotionalen Probleme hatte, aber dabei immens faszinierte. In diesem Fall leider komplette Fehlanzeige, und wenn das alles so beabsichtigt ist, dann wird es aus meiner Sicht dadurch auch nicht besser.

Aufgrund der Suspense-Szenen (und der Besetzung) wirkt es zwischenzeitig so, als versuche Reichardt, ein größeres Publikum zu finden, doch so, wie sie einen hier vor den Kopf stößt, wird sie es sich eher mit ihren »alten« Zuschauern verderben als neue dazuzugewinnen.

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  Jimmy's Hall (Ken Loach)


Jimmy's Hall
(Ken Loach)

UK / Irland / Frankreich 2014, Buch: Paul Laverty, Lit. Vorlage: Donal O'Kelly, Kamera: Robbie Ryan, Schnitt: Jonathan Morris, Musik: George Fenton, mit Barry Ward (James »Jimmy« Gralton), Simone Kirby (Oonagh), Jim Norton (Father Sheridan), Andrew Scott (Father Seamus), Aileen Henry (Alice Gralton), Francis Magee (Mossy), Aisling Franciosi (Maria O'Keefe), Karl Geary (Seán), Shane O'Brien (Finn), Martin Lucey (Dezzie), Brian F. O'Byrne (O'Keefe), Rebecca O'Mara (Nora O'Keefe), Donal O'Kelly (Cian), 109 Min., Kinostart: 14. August 2014

Jimmy's Hall ist historisch gesehen quasi ein Sequel zu The Wind that Shakes the Barley, wobei der mittlerweile 78jährige Vorzeige-Sozialfilmer Ken Loach sich hier in einer nostalgischen Altersmilde übt, die den Keim des politisch aufgeklärten Irlands im Ränkespiel intriganter Mächte (vor allem Kirche und Polizei) zeigt, wobei Titelheld James »Jimmy« Gralton (Barry Ward) zum Märtyrer aufgebauscht wird. Hierbei erscheint im Kontext der Filmhandlung seine politische Ausprägung weitaus unbedeutsamer als sein Bestreben, ein glückliches Leben zu führen und dies auch seinen Nachbarn zu ermöglichen. Der Kampf um eine sittlich verwerfliche Tanzhalle führt einerseits zu einer »Hexenjagd«, die an die McCarthy-Ära erinnert (man schreibt Namen auf und denunziert öffentlich), andererseits ist der Film nach Desert Dancer bereits die zweite politisch geringfügig aufgeladene Variation von Footloose in diesem Kino-Jahr. Größtenteils atmosphärisch an die Fernsehserie Unsere kleine Farm erinnernd – viel zu harmlos und pittoresk.

Zu Beginn des Films erschlagen den Betrachter historische Schrifteinblendungen, die die politische Situation verdeutlichen sollen, fast gleichzeitig wird man dabei aber durch eine unnötig verwirrende Rückblenden-Struktur gefordert. An dieser ambitionierten Kombination störe ich mich deshalb besonders, weil der Film zu keinem Zeitpunkt auch nur annäherungsweise die Komplexität und Tragweite erreicht, auf die einen die erste Viertelstunde vorbereitet. Im Grunde ist Jimmy's Hall nämlich eine locker-flockige Komödie, garniert mit ein paar Schicksalsschlägen. Wenn man hier für die eigenen Rechte oder die anderer kämpft, bekommt man auch als Frau schon mal ein blaues Auge. Oder eine unangemessen blutige Tracht Prügel vom »Erziehungsberechtigten«. Aber wenn man trotz Ehe und Familiengründung noch einer alten Liebe hinterherschwärmt, darf man sich der Sympathie des Publikums sicher sein. Und wenn man ohne rechtliche Grundlage aus der Heimat vertrieben wird, bleibt immer noch genug Zeit, die Polizeikräfte wie Mack Sennetts Keystone Kops aus der Slapstick-Zeit lächerlich zu machen. Von der grimmigen Verdrossenheit, die Loach in seiner Frühzeit kennzeichnete, erkennt man hier, wie schon in vielen seiner Filme der letzten anderthalb Jahrzehnte, kaum mehr etwas.

Die vermutlich interessanteste Figur des Films ist Father Sheridan (Jim Norton), der einerseits ein bösartiger Heuchler ist, aber ansatzweise auch ein ambivalentes Potential zur Veränderung zeigt, wenn er in der Abgeschiedenheit seiner Kammer selbst dem Hochprozentigen zuspricht oder sich an der Musik einer farbigen Jazzsängerin erfreut, wo doch diese »Dschungelmusik« mit ihren »pelvic thrusts« das ultimative Feindbild darstellt. Leider beschränkt sich diese Ambivalenz fast nur auf diese eine Szene, und die wird auch umständlich und von langer Hand vorbereitet.

Der Kern der Ungerechtigkeit dieses Films liegt in der Unverhältnismäßigkeit zwischen der Existenz des Tanzschuppens als »Crime« und der historisch einzigartigen Verbannung Graltons als »Punishment«. Nur gelingt es dem Film nicht, dies herauszuarbeiten. Was wie ein Affront wirken müsste, kommt wie ein »ferner liefen« daher, abgemindert durch die lächerliche Zurschaustellung der verbohrten Idiotie von Staat und Kirche und den nostalgischen Gute-Laune-Tonfall. Wie die spanische Inquisition als Kasperletheater. Gerade angesichts der politischen Überzeugung Loachs, die im Film überdeutlich mitschwingt, ist dies eine Enttäuschung.

Ich weiß, ich soll mich nicht immer über Kleinigkeiten aufregen, aber eine bestimmte Szene im Film gab mir auch das Gefühl, dass Regisseur und / oder Drehbuchautor (Paul Laverty, eigentlich einer der »Guten«) den Zuschauer auch behandeln wie jemanden, der dauernd aufgeregt »Vorsicht, Seppl, hinter dir ist das Krokodil!« ruft. Eben noch sah man, wie Jimmy und seine betagte Mutter Alice ohne erkennbares Ziel oder Eile durch die Heide streifen, da taucht ein halbes Dutzend Polizisten auf und will Jimmy verhaften (»no hearing, just deportation«). Die Mutter bittet inständig, dass ihr Junge sich zumindest umziehen darf, das dauert doch nur zwei Minuten, sie lädt die Polizisten mit in ihr kleines Haus und hat augenblicklich diverse hübsche Becher frisch abgebrühten Tees bereit. Der schnellste Tee der Geschichte trifft auf die dümmsten Polizisten Irlands, und es fällt schwer, über die folgende Szene (die Polizisten klettern durch ein viel zu kleines Fenster, weil Jimmy völlig überraschend eine Möglichkeit zur Flucht ergriffen hat) zu lachen, denn nicht nur die Polizisten sind dumm wie Brot, wer eine solche Szene »frisst«, der sollte lieber Til-Schweiger-Filme besuchen, denn eines Ken Loach ist so etwas unwürdig und bringt das böse Wort »Senilität« ins Rennen. Wie hier Politik und »Gute Laune« Hand in Hand des Weges schlendern, das wirkt eher wie ein FDP-Wahlwerbespot als die Arbeit des Regisseurs, den man nach wie vor an Kes (1969) misst, obwohl er über die Jahre zunehmend plakativer wurde. Bei Jimmy's Hall mag man in den Bauten und Kostümen eine fast dokumentarische Authentizität erreichen, vielleicht trifft man sogar die damalige Mentalität (Loach hat es ja im Gegensatz zu mir fast noch selbst erlebt). Doch die Inszenierung selbst hat keine klare Aussage mehr. Selbst mit einem Film wie The Angels' Share verglichen stinkt Jimmy's Hall gewaltig ab. Und wem es hier genügt, sich an den erzählten Schicksalen der »einfachen Menschen« vorbehaltlos zu erfreuen, den beneide ich fast. Ignorance is bliss.

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  Doktorspiele (Marco Petry)


Doktorspiele
(Marco Petry)

Deutschland 2014, Buch: Jan Ehlert, Marco Petry, Lit. Vorlage: Jaromir Konecny, Kamera: Jo Heim, Schnitt: Georg Söring, Musik: Peter Horn, Andrej Melita, mit Merlin Rose (Andi), Lisa Vicari (Lilli), Max von der Groeben (Harry), Ella-Maria Gollmer (Katja), Jannis Niewöhner (Bobby), Christiane Paul (Claudia), Oliver Korittke (Tom), Olga von Luckwald (Bea), Daan Lennard Liebrenz (Andi 6 Jahre alt), Selma Louise Cossham (Lilli 6 Jahre alt), Zoe Löhmann (Kleines Mädchen), Lars Wellings (Herr Zimmermann), Kathrin-Marén Enders (Frau Zimmermann), ca. 90 Min., Kinostart: 28. August 2014

Die ersten Gehversuche von Marco Petry, Schule und das Sequel Die Klasse von '99, waren durchaus vielversprechend. Bei deutschen Komödien ist man ja schon dankbar, wenn der Fremdschämfaktor sich in Grenzen hält, und diese beiden Filmchen waren durchaus unterhaltsam und hatten auch eine gewisse Aussage. Dann folgten vor allem Fernseharbeiten und Petrys Rückkehr auf die Kinoleinwand, Heiter bis wolkig, kam teilweise sehr gut an.

Sein neuer Film mit dem vielsagenden Titel Doktorspiele ist zwar eine Rückkehr in den pubertierenden RomCom-Bereich, aber diesmal geht es weitaus zotiger zur Sache. Die Highschool-Komödie der »versauteren« Ausprägung ist ja so ein Phänomen der Filmgeschichte, an dem sich jede neue Generation abreagieren kann, sei es Eis am Stiel, Porky's oder American Pie. Und so dreht sich auch hier alles um das »erste Mal«, Pornos, Masturbation, Dildos und alle erdenklichen Peinlichkeiten, die daraus resultieren können.

Die Figurenkonstellation wirkt indes richtig klassisch, wie aus Shakespeares Sommernachtstraum: Andi ist verschossen in Katja, die aber für Bobby schwärmt. Da Bobby kein Interesse an Katja hat, sondern sich mehr für die »Neue«, Lilli, interessiert, die hingegen auf ihre Sandkastenliebe Andi schwört, haben wir ein heterosexuelles Quadrat von Begierlichkeiten und Desinteresse, bei dem gleich zwei der Involvierten auf die Idee kommen, sich mit dem abzugeben, für den sie sich eigentlich kaum interessieren, um dadurch das Objekt der Begierde eifersüchtig zu machen. Hierbei wirkt Hauptfigur Andi (Merlin Rose) zwar zunächst wie der Gewinner, weil Katja, die ihn zuvor nicht beachtetet, ihn nun extrem aggressiv anflirtet, aber natürlich dreht sich der Film darum, dass Andi kapiert, dass Lilli (Lisa Vicari) die Richtige für ihn ist. Dass sie zehn Jahre zuvor (also mit sieben) bei den besagten Doktorspielen mal Andis bestes Stück als winzig verlachte und Bobby sich im Duschraum als besonders gut bestückt erwies, problematisiert die Sache noch ein wenig.

Das Interessanteste an diesem Film ist, dass sich Andi und sein bester Freund Harry (ein wahrer Ober-Checker, wie schon Weisheiten wie »Wer ficken will, muss freundlich sein« bezeugen) zwar sehr zielgerichtet und heterosexuell verhalten, aber dabei ganz eigentümliche Verhaltensformen an den Tag legen. Nicht nur im Duschraum checken sie die Konkurrenz aus, auch beim Porno-Schauen scheint es gänzlich um exorbitante Pimmel zu gehen, weibliche Geschlechtsorgane werden kaum mal erwähnt oder beachtet, nur für einen gut geformten Hintern macht man mal eine Ausnahme. Lange Zeit nehmen die beiden auch ausschließlich weiße Flüssigkeiten zu sich, etwa den »Döner Daiquiri«, einen Cocktail mit extra viel Knoblauch (super clever beim Anbändeln auf einer Party). Ach ja, und die Klingeltöne der beiden (einer wird auf einen Fremdhandy installiert) variieren zwischen »Mach mir den Hengst« aus Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh und Pferdewiehern, was meines Erachtens nicht unbedingt typisch für junge Männer wirkt. Vielleicht liegt es ja an mir, aber bei den Pferden muss ich auch gleich wieder an Riesenschwänze denken. Und ich kriege hierbei sogar den Schwenker zurück zu Shakespeare, denn Jan Kott sah vor 50 Jahren in Shakespeare Our Contemporary im Eselkopf des einen unglücklich Verliebten in A Midsummer Night's Comedy eine besondere Bedeutung, denn der Esel (okay, also nicht das Pferd, sorry!) »among all quadrupeds was supposed to have the longest and hardest phallus« (S. 220, wenigstens etwas aus dem Anglistikstudium ist hängengeblieben).

Doktorspiele hat aber trotz all der unterschwelligen Homophilie keine überraschende Erkenntnis für Andi und Harry in petto, die beiden sind viel zu festgefahren in ihren heterosexuellen Verhaltensmustern. Selbst wenn Katja sich vor Andi frei macht, um ihre Intimfrisur zu präsentieren (die Farrelly-Brüder haben das Wesen der Komödie wirklich weitreichend verändert), törnt ihn das zwar nur ab (»Ich kann das nicht«), aber das liegt scheinbar nicht daran, dass Katja zum für ihn falschen Geschlecht gehört, sie ist halt nur nicht die »Richtige«. Auf irgendeiner Ebene bleibt der Film aber subversiv, was die Sexualität angeht, denn auch, wenn man bei den Shakespeare-Entlehnungen natürlich auch schnell auf das Nonplusultra-Idealpaar Romeo & Julia kommt (allerdings in der »zeitgemäßeren« Baz-Luhrmann-Version inklusive Aquarium und Pool), so entsteht aus diesen Luhrmann-Szenen jeweils nur ein weiteres Debakel. Heterosexualität kann so grausam sein.

Ein kurzer Exkurs zu den Farrellys. In Sachen Körperflüssigkeiten versucht Doktorspiele schon einiges abzudecken. In angetrunkenem Zustand wird uriniert und sich erbrochen, es gibt Spermawitze, das Blutvergießen bleibt netterweise ohne sexuellen Bezug, dafür möchte sich jemand einen Pickel auf dem Hintern ausdrücken. »Dafür werden Filme gemacht« heißt es ja in einer Kinowerbung.

Ich habe irgendwie das Gefühl, dass ich die komplette unterschwellige Message des Films noch nicht ganz durchdrungen habe, es kann aber auch sein, dass dies nicht meine Schuld ist, sondern, dass sie einfach nicht klar genug rüberkommt. Außerhalb von Pornofilmen (also in der Realität) ist aggressive weibliche Sexualität hier ein Abtörner, Andi hat in seinem Zimmer sogar ein Schild »Handle with Care«. Doch wie passen diese, ich sag' mal »Mimosenhaftigkeit« und der männliche Penisneid damit zusammen, dass Andi beim Masturbieren auf dem Rand der Badewanne balanciert, offenbar um sich selbst im Spiegel zu betrachten? Und dann gibt es da dieses kleine Mädchen, das wie ein Phantom durch den Film spukt und Andi (und den Zuschauer) wiederholt an die Sandkastenbeleidigung Lillis erinnert, indem es scheinbar grundlos über ihn lacht. Ist es reiner Zufall, dass das Mädchen (»Kindermund tut Wahrheit kund«) fast ganz zum Schluss des Film zu Andi sagt »Ich dachte, Du bist schwul ...«?

Auf jeden Fall ist aus meiner Sicht dieser verque(e)re Interpretationsansatz das Einzige, was den Film für mich rettet.

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  Ein Augenblick Liebe (Lisa Azuelos)


Ein Augenblick Liebe
(Lisa Azuelos)

Originaltitel: Une rencontre, Frankreich 2014, Buch: Lisa Azuelos, Kamera: Alain Duplantier, Schnitt: Stan Collet, Production Design: Anne Seibel, mit Sophie Marceau (Elsa), François Cluzet (Pierre), Lisa Azuelos (Anne), Alexandre Astier (Éric), Arthur Benzaquen (Julien), Jonathan Cohen (Marc), Niels Schneider (Hugo), Stéphanie Murat (Valérie), Olivia Côte (Caro), Lily Taieb (Lily), Syrus Shahidi (Un ami de Julien), Jules Benchetrit (Louis), Tatiana Khayat (Lola), Stylane Lecaille (Ben), Thaïs Alessandrin (Jeanne), Emily Butterfield (Jille), 81 Min., Kinostart: 7. August 2014

Nachdem Lisa Azuelos mit LOL nicht ganz unschuldig daran war, dass Sophie Marceau nach einigen Jahr(zehnt)en Unterbeschäftigung (außer Braveheart und den einen Bond-Film habe ich persönlich alles verdrängt) an ihre großen Zeiten anknüpfen konnte, wirkte es vielversprechend, dass Regisseurin und Hauptdarstellerin erneut zusammenarbeiten.

Offensichtlich ist der Film der Marceau einigermaßen auf den Leib geschrieben, ähnlich wie in Un bonheur n'arrive jamais seul haben wir es wieder mit einer Liebeskomödie zu tun, nur dass es diesmal thematisch etwas ernster wird, weil die größtenteils alleinstehende Schriftstellerin Elsa (Marceau) auf einer Party (streng genommen ist es ein Empfang) den seit 15 Jahren glücklich verheirateten Strafverteidiger Pierre (François Cluzet, durch Ziemlich beste Freunde plötzlich auch zum Star avanciert) kennenlernt und sich quasi der gesamte Film darum dreht, ob die beiden, die sich auf Anhieb sympathisch sind, jetzt etwas miteinander anfangen oder sich »im Griff« haben.

Wenn man jetzt nicht das Glück hat, von der Liebesgeschichte komplett gefangen zu sein, entwickelt sich der Film trotz erfreulicher Kürze schnell zum Ärgernis, weil die Inszenierung sich größtenteils in einer realitätsfernen Werbeästhetik erschöpft, inklusive extensiv genutzter Montagesequenzen und es dabei eigentlich recht wenig gibt, was der Film einem zu vermitteln hat. Der thematisch ähnliche Take this Waltz (ebenfalls von einer Regisseurin) konnte das Dilemma einer Person zwischen einer funktionierenden Beziehung und einer aufregenden neuen »Möglichkeit« weitaus packender umsetzen. Hier indes muss man sich schon damit zufrieden geben, wenn der Film hin und wieder ein paar putzige Ideen hat, die sich aber auch allesamt an der Oberfläche abstrampeln.

So öffnet Elsa einmal ihren Kleiderschrank und tritt durch ihn (nun natürlich passend gekleidet) direkt in einen Mädelsabend ein (als Darstellerin einer der zwei besten Freundinnen Elsas ist die Regisseurin übrigens fast noch blasser und nichtssagender als hinter der Kamera). Oder »er« liegt neben seiner Gattin im Bett und Elsa als Fantasie besteigt ihn. Die Grenzen zwischen Film und Realität sind hier durchlässig, nur hat der Film mit der Realität so gut wie nichts zu tun. Und als Zuschauer wird man durch das Spiel mit den vermeintlichen »Ebenen« (eigentlich ein Begriff, der viel zu »wichtig« klingt) auch nicht eben überfordert. Das ist wie gesagt manchmal ganz hübsch, aber längst nicht abendfüllend. Irgendwie bezeichnend ist die Stelle, an der sich der Film verhält wie ein Internet-Stream, der angesichts der Datenübertragung kapituliert und sich »aufhängt« (als Entsprechung der nicht mehr einwandfrei funktionierenden Ehe). Man fühlt sich hierbei wie in einem narrativen Hamsterrad, sieht Bilder einer heilen Welt und bekommt einen typischen Soundtrack mit Klimpermusik und Schmusesongs von »Happy Together« bis Robbie Williams, aber die ganzen »Zufallsbegegnungen«, der »Magnetismus« und die »Selbstkontrolle« nerven zunehmend.

Die beiden Hauptfiguren werden vor allem über ihre Gemeinsamkeiten in Szene gesetzt. Beide müssen sich von den Teenager-Töchtern sagen lassen, dass sie »nerven«, es gibt jeweils eine Szene, wo sie jemanden streicheln, aber offenbar aneinander denken. Und eine reichlich blöde Parallelmontage, wo sie im Auto bzw. auf dem Motorrad den selben Song trällern. Als wenn das jetzt eine tiefschürfende Bedeutung hätte. An einer anderen Stelle sind es dann Elsa und seine Gattin, die auf dem Laptop den selben Film schauen, vermutlich aber nur, damit man den Zuschauer mit einem unerwarteten Ortswechsel wach halten kann.

Während man bei der inhaltlichen Umsetzung der Liebesgeschichte nicht über ein Bitterorange-Parfüm hinauskommt, vertändelt man sich in die Inszenierung immer mehr. Eine unnötig umständliche und komplexe Splitscreen-Szene und ein Film über das Golfen bringen dann den vermeintlichen »Clou« des Films ins Spiel (an dieser Stelle ein kleiner Spoiler-Alert für diejenigen, die sich das wirklich antun wollen) und man landet sozusagen in der Folge von Star Trek The Next Generation, die »Parallels« heißt und in der es für etwa vier bis fünf Minuten darum geht, dass Worf und Deanna in einem Paralleluniversum liiert sind. Was bei TNG mit geringen Mitteln einen wirklichen emotionalen Eindruck hinterlässt, der noch in späteren Episoden (und einem Roman von Peter David) zu spüren ist, wird bei Une rencontre nur insofern zu einem fast erträglichen Abschluss das ganzen Gedöns, weil der Film durch diese »Schlusspointe« (abermals greift der Begriff nicht) seine eigene Überflüssigkeit zum Thema macht. Das kann nichts mehr retten, gibt einem aber zumindest das Gefühl, dass es sich jetzt fast gelohnt hat, das Filmchen bis zum Ende zu durchleiden, weil »Pimpern oder nicht Pimpern« als Fazit niemals befriedigend gewesen wären, und man so das Ganze als »Schrödingers Schäferstündchen« ad acta legen kann.

Aber wirklich froh wird man auch damit nicht. Die beste Analogie, die mir dazu einfällt, ist folgende: Man sitzt 81 Minuten lang mit einer sehr gesprächsfreudigen Person in einem Zugabteil, ehe man endlich aussteigen kann. Und bevor man aus der Tür kommt, holt der »Weggefährte« aus einem Aktenkoffer einen riesig wirkenden Stempel nebst Kissen und haut ihn sich auf die Stirn, wo jetzt in tiefem Purpur »Schwätzer« steht. Für einen Moment freut man sich über die Selbsteinsicht der Nervensäge, aber die 81 Minuten bekommt man doch nie zurück, und wenn man die Geschichte jemandem erzählt, wird einem keiner glauben.

Demnächst in Cinemania 119:
Lola auf der Erbse (Thomas Heinemann), Mit ganzer Kraft – Hürden gibt es nur im Kopf (Nils Tavernier), A Most Wanted Man (Anton Corbijn), Phoenix (Christian Petzold), Shirley – Visionen der Realität (Gustav Deutsch), SuperMensch – Wer ist Shep Gordon? (Mike Myers).