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18. Mai 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


  X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)


X-Men: Apocalypse
(Bryan Singer)

USA 2016, Buch: Simon Kinberg, Kamera: Newton Thomas Sigel, Schnitt: Michael Louis Hill, John Ottman, Musik: John Ottman, Kostüme: Louise Mingenbach, Production Design: Grant Major, Supervising Art Director: Michèle Laliberté, Set Decoration: Anne Kuljian, mit James McAvoy (Charles Xavier), Michael Fassbender (Erik Lehnsherr / Magneto), Jennifer Lawrence (Raven Darkholm / Mystique), Oscar Isaac (En Sabah Nur / Apocalypse), Sophie Turner (Jean Grey), Tye Sheridan (Scott Summers / Cyclops), Kodi Smit-McPhee (Kurt Wagner / Nightcrawler), Evan Peters (Peter Maximoff / Quicksilver), Nicholas Hoult (Hank McCoy / Beast), Lucas Till (Alex Summers / Havok), Alexandra Shipp (Ororo Munroe / Storm), Rose Byrne (Moira McTaggert), Ben Hardy (Angel / Archangel), Olivia Munn (Psylocke), Josh Helman (William Stryker), Tómas Lemarquis (Caliban), Carolina Bartczak (Magda), T.J. McGibbon (Nina), Hugh Jackman (Logan), Lana Condor (Jubilation Lee / Jubilee), Stan Lee, Joanie Lee (Themselves), James Malloch (Mystery Man), Danielle Dury (Fish Bowl Girl), Tauntaun (Pizza Dog), 144 Min., Kinostart: 19. Mai 2016

»The third one is always the worst« - So das einigermaßen einhellige Urteil einiger junger Mutanten, als man aus dem brandneuen Star-Wars-Film The Return of the Jedi kommt. Als Zuschauer überträgt man das augenblicklich auf den dritten X-Men-Film The Last Stand (den ersten ohne Bryan Singer im Regiestuhl), aber letztlich trifft es auch auf X-Men: Apocalypse zu, den dritten Film der »zweiten Trilogie«, also jener Filme, in denen James McAvoy und Michael Fassbender die Rollen von Professor X und Magneto übernommen haben. In dieser Zeitschiene hat übrigens Hugh Jackman als Logan wie schon 1962 in First Class einen kurzen Gastauftritt - wodurch er in dem für nächstes Jahr geplanten Wolverine-Film von James Mangold schon zum neunten Mal diese Figur in einem Film spielen wird.

Ob Marvel oder DC, bei monatlich gut 50 Heften wird die Geschichte alle Nase umgeschrieben, und diesmal geht es um das Retro-Fitting der ersten Mutanten des Marvel-Universums schon 3600 v. Chr. Der Super-Bösewicht Apocalypso (Oscar Isaac mit schwerem Make-Up und bearbeiteter Stimme) klaut sich als Pharao Superkräfte zusammen und schanghait alle Nase lang junge Körper, um nicht zu runzelig auszusehen. Bis bei einem spektakulären Putsch gleich die ganze Pyramide über ihm zusammenbricht und auch seine getreuen Four Horsemen, an die man sich kaum gewöhnen kann in der rasanten Einstiegsszene, das Attentat nicht verhindern können, das ihn zumindest für beinahe 6000 Jahre von der Szene verschwinden lässt.

X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)

© 2016 Twentieth Century Fox

Dann folgt als Vorspann eine abgedrehte Zeitreise, die einem vor allem eines vor Augen führt: eine Pyramidenspitze von oben betrachtet sie aus wie jener letzte Buchstabe des Filmstudios 20th Century Fox, der zu Beginn der X-Men-Filme immer etwas länger leuchtet - und dieses Symbol wird noch beim von Jesus huckepack getragenen Kreuz sowie dem Hakenkreuz der Nazis wiederaufgenommen. Von Anfang an wirkt der neue (und vorerst letzte?) X-Men-Film wie die ganz große Endzusammenfassung, die alle sechs Filme nebst Wolverine-Spinoffs halbwegs »in sich geschlossen« erscheinen lassen soll. Das wird vor allem dadurch betont, dass in kurzen Flashbacks oder handlungstechnischen Anknüpfungspunkten Zusammenhänge entstehen. So ist bei der Wiedergeburt Apocalypsos nicht nur Dr. Moira MacTaggert (winzige Cameo in Film 3, Love Story mit Xavier in der 4, die zwanzig Jahre, die sie inzwischen älter sein müsste, sieht man ihr nicht an) mit dabei, als ersten neuen Reiter der Apocalypse wählt der selbsternannte Weltenzerstörer auch mit Storm jene Figur, die man in der ersten Trilogie von Halle Berry spielen ließ (neue Besetzung: Alexandra Shipp).

Zum nicht geringen Auschwitz-Trauma von Magneto (ebenfalls in Flashbacks und Tatortbesichtigung wieder dabei) gesellt sich nun auch noch eine dramatische, aber reichlich vorhersehbare Wende in der Chronologie von Eric Lehnsherr (Magneto / Fassbender), der Undercover in Polen eine kleine Familie gegründet hat, die in einer hochemotionalen, aber etwas schwammig inszenierten Szene mal wieder à la Lethal Weapon die Rache-Motivation abgeben muss. Detail am Rande: die Gattin heißt Magda, was auch mal wieder halbwegs in die Marvel-Chronologie passt. Aber irgendwie auch nicht so richtig...

X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)

© 2016 Twentieth Century Fox

Beim Betrachten des Trailers hatte ich ja große Furcht, dass gerade der Superbösewicht mit seinen kaum zu bändigenden Fähigkeiten ein großes Problem darstellen wird. Aber bis auf den etwas doofen Showdown hat Singer das mit seinem Drehbuchautoren Simon Kinberg ganz gut hinbekommen. Auch wenn man McAvoy, Fassbender und Jennifer Lawrence (zum dritten mal als Raven) ausreichend kleine Szenen zur Verfügung stellte (und es ist offensichtlich, dass Jennifer Lawrence mittlerweile in einer Hollywood-Liga spielt, in der man sich nicht mehr täglich in einen blauen Latex-Anzug quält), bleibt doch genügend Zeit, um die neuen Figuren vorzustellen - zumindest einige davon. Kody Smit-McPhee als neuer Nightcrawler überzeugt eigentlich durchgehend (nur der Spielort Ost-Berlin wirkt reichlich banal und einigermaßen weit weg von der realen Situation im Jahre 1983), noch besser (eingebunden) sind allerdings Sophie Turner als Jean Grey und Tye Sheridan als Cyclops. Und Evan Peters als etwas rotziger und überheblicher Quicksilver bekommt diesmal eine Szene, die noch spektakulärer ausfällt als in Days of Future Past.

Wie man hier mit fast zwanzig nicht unwichtigen Figuren eine Story aufbaut, der man auch als Neuling in Unkenntnis einigermaßen folgen kann, ist schon beeindruckend - aber letztlich überzeugten die letzten beiden Filme storymäßig stärker. Die Szene, die mir am stärksten missfiel, zeigt zunächst die Quasi-Allmacht von Apocalypso, der mal wie nebenbei sämtliche Atomraketen der Welt auf die Reise schickt ... nur damit man dann unter fadenscheiniger Begründung diesen Angriff wieder abwehren kann. Man erliegt der Möglichkeit des Darstellbaren, lässt dabei aber die Stringenz der Handlung außen vor. Ähnlich blöd fand ich auch die Atombombe in Indiana Jones 4. Wer selbst zumindest die Endphase des kalten Kriegs miterlebt hat (1983 war ja die Blütezeit der Filme über den bevorstehenden Atomkrieg wie War Games oder The Day After), kann über solche müden und konsequenzlosen Scherze nicht immer lachen. Und im Grunde geht die Quicksilver-Sequenz in die selbe Richtung. Wenn es um die Rettung diverser Leben geht, ist das nicht unbedingt der beste Zeitpunkt für diverse Sparwitze und ein wenig überzeugendes Überangebot an Spezialeffekten, bei dem dann die Logik oder Wahrscheinlichkeit auf der Strecke bleibt. Aber diese und ähnliche Einwände sind im heutigen Blockbuster-Kino beinahe dauerpräsent, denn es geht ja größtenteils vorrangig darum, dass alles immer schneller, lauter, größer und bombastischer werden muss. Und weil der emotionale Gehalt eines Films nicht im gleichen Maß entsprechend dieser Adjektive aufgeblasen werden kann, bleibt quasi zwangsmäßig etwas auf der Strecke.

X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)

© 2016 Twentieth Century Fox

Als Superman sich noch als Ersatzgleis für einen Zug zur Verfügung stellte, war das ein echter Knaller. Aber wenn man dann ganze Flugzeuge auffängt wie einen Medizinball oder U-Boote aus dem Wasser hebt wie ein Dreijähriger in der Badewanne, sollte den Verantwortlichen (und den Zuschauern!) irgendwann klar werden, dass man die Latte nicht alle drei Monate höher legen kann. Manchmal kann das klappen (wie bei der Quicksilver-Sequenz), aber solche Kleinigkeiten Logik, Figurenentwicklung oder emotionale Anbindung des Zuschauers sind letztlich doch wichtiger. Und selbst, wenn der Größenwahn von Apocalypse einigermaßen gut erklärt wird: Was mit der Figur passiert, interessiert doch letztlich niemanden. Und da ähnelt der Film den letzten beiden Kino-Abenteuern der Mutantengang, in denen Kevin Bacon und diese CGI-Sentinels einem letzlich auch am Arsch vorbeigingen. Wobei Kevin Bacon immerhin noch den Vorteil hatte, dass man sich für seine pure Darstellerleistung interessieren konnte. Von Oscar Isaac ist dafür einfach zu wenig Menschliches zu sehen, und das mag ja toll sein, im Presseheft davon zu lesen, wie viele Stunden man für das Make-Up brauchte, wie sein Kühlanzug funktioniert oder auf welche Art man seine Stimme verfremdete - aber während man im Kinosessel sitzt, macht das eigentlich keinen Unterschied.

X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)

© 2016 Twentieth Century Fox

Im Fall Apocalypse war es übrigens auch so, dass das 3D-Bild bei der Pressevorführung zum einen suboptimal war (wenn man ein Auge schließt und man sieht trotzdem noch das zweite Bild durchscheinen, liegt das ja nicht am Zuschauer), und zum anderen auch eher wenig zusätzliche Erfahrungen brachte. Vielleicht lag's auch am Kino, aber wenn der Verleih solche Dinge nicht mal bei den paar Pressevorführungen im Griff hat, kann man dann wohl davon ausgehen, dass die Qualitätskontrolle für das normalsterbliche Publikum auch nicht viel besser ist. Und nun noch ein letzter Rat: Statt am Wochenende ins Imax zu pilgern oder zu einem besonders ausgezeichneten Dolby-Kino: Stattdessen lieber zwei oder drei günstige Vorstellungen »normaler« Filme am Kinotag besuchen. Mit etwas Glück und der richtigen Filmauswahl kann man sich daran auch noch drei Jahre später erinnern. Bei diesen Superheldenknallern ist das nämlich nicht unbedingt so.

X-Men: Apocalypse (Bryan Singer)

© 2016 Twentieth Century Fox