Green Room
(Jeremy Saulnier)
USA 2016, Buch: Jeremy Saulnier, Kamera: Sean Porter, Schnitt: Julia Bloch, Musik: Brooke Blair, Will Blair, Kostüme: Amanda Needham, mit Anton Yelchin (Pat), Imogen Poots (Amber), Patrick Stewart (Darcy), Alia Shawkat (Sam), Joe Cole (Reece), Callum Turner (Tiger), Mark Webber (Daniel), Eric Edelstein (Big Justin), Macon Blair (Gabe), Kai Lennox (Clark), Brownie, Grimm (Featured Dogs), 97 Min., Kinostart: 2. Juni 2016
Die bei ihrer Tour vom Pech verfolgte Punkbank »The Ain't Rights« offenbart ihren modus operandi gleich zu Beginn des Films: Wenn das Kleingeld mal wieder nicht stimmt, saugt man mit kleinkrimineller Routine halt auf dem nächsten Parkplatz halt einen Tank ab.
Dennoch braucht man bezahlte Gigs, und so geht man auf das Angebot an, einen kurzfristig ausgefallenen Auftritt mit einer weit vom Schuss liegenden Veranstaltung zu ersetzen. Die Anreise verläuft dabei wie eine minimalisierte Backwoods-Situation, und als man sich mit einem martialischen, aus Skinheads und Neonazis bestehenden Publikum konfrontiert sieht, zeigt man Chuzpe mit dem Opener »Nazi Punks Fuck Off«, wobei man als ultimative Beleidigung noch ergänzt, dass der Song eben eine Cover-Version war (als würden die Idioten im Publikum einen der bekanntesten Songs der Dead Kennedys nicht kennen).
Bildmaterial: © Universum Film GmbH
Auf die Authentizität wird in Green Room Wert gelegt, das sieht man schon, wenn an der Credibility eines Journalisten mit Recht gezweifelt wird und sich daraus einer der schönsten running gags des Films entfaltet. Auch eine von Kreativität und Punk-Mentalität durchzogene Szene: Man legt eine krachige Vinylscheibe auf, der brachiale Sound setzt ein - und der Schnitt überspringt einfach die komplette Scheibe und zeigt die Veränderung, die eine halbe Stunde und ein paar konsumierte Drogen bringen.
Doch Green Room ist keine Musik-Doku, sondern ein ziemlich harter, auf Realismus bauender Horrorfilm. Denn nachdem der Auftritt erstaunlich glimpflich ausgegangen ist und man gerade verschwinden will, führt ein vergessenes Handy dazu, dass man als Zeugen eines Todesfalls, der sich durch die äußeren Umstände schnell als mehr als nur ein Unfall oder Totschlag erweist, festgehalten wird, während - so die ursprüngliche Version - man »auf die Polizei wartet«.
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Doch mit jeder verstreichenden Minute wird deutlicher, dass die Freiheitsberaubung unter Waffengewalt nur das Anfangsphase einer mörderischen Nacht ist, und die Bandmitglieder um Anton Yelchin (der Chekov aus dem Abrams-Star-Trek-Reboot) und Alia Shawkat (Juno) kämpfen zunächst mit dem psychologischen Problem, ob man sich auf die Beschwichtigungen der Skins einlässt und ein »freundliches« aber oppressives Klima aufrechterhält - oder sich konkret zur Wehr setzt, dadurch aber die Situation noch verschärft. Das langsame aber unaufhaltsam wirkende Umkippen der Sachlage ist schon beängstigend genug - ehe dann die physische Gewalt einsetzt.
Es sei dahingestellt, ob man es hübsch aus dem Presseheft abgeschrieben hat oder die Kollegen selbst auf die Idee gekommen sind, aber John Carpenters Assault on Precinct 13 ist der Film, der mit schöner Regelmäßigkeit als Referenz und Vergleich in den Kritiken auftaucht. Die Belagerungssituation ist zwar die gleiche, aber der deutliche Unterschied ist, dass man bei Carpenter immer nur die »Gefangenen« beobachtet, während die Angreifer eine gesichtslose Masse bleiben ohne wiedererkennbare Einzelfiguren mit individuellen Zügen. Deshalb wurde Assault, der ja ein inoffizielles Remake von Howard Hawks' Western Rio Bravo ist, damals auch gern mit Zombie- oder Indianerfilmen verglichen, bei denen die Angreifer ohne lange Diskussion über den Haufen geschossen werden können.
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Saulnier lässt seine Protagonisten zwar auch nicht gerade zimperlich mit den skrupellos mordenden Skins umgehen, aber das Perfide an dem Film ist, dass man die Situation von beiden Seiten sieht und erlebt, wie den Glatzen die Situation langsam entgleitet, sie aber mit unbarmherziger Härte und einem Plan Marke »Endlösung« die Sache durchziehen, wobei Patrick Stewart als Mastermind gar nicht unbedingt wie das »ultimative Böse« auftritt, sondern fast wie der Captain oder der Mutantenanführer aus seinen bekanntesten Rollen - nur, dass die Schraube eins, zwei Mal überdreht wurde und sich dadurch ein zwar effizienter, aber von allen humanistischen Gesichtspunkten entfremdeter Antagonist offenbart.
Ganz nebenbei erfährt man auch von der Hierarchie (rote Schnürsenkel) oder anderen Details aus dem Lager der Skins. Dazu gehört nicht zuletzt der »Hundeführer«, der seine auf Kehle dressierten Lieblinge natürlich stilgerecht mit deutschen Kommandos anleitet (»Nimm Futter!«). Aber bei Gabe (Macon Blair, der schon in den beiden früheren Spielfilmen des Regisseurs mitwirkte), der in einem Videospiel so was wie ein »zweithöchster Endgegner« wäre, sieht man eben auch, dass hinter den Killern auch Menschen versteckt sind, was den Film auch soziologisch interessant macht, denn es geht hier nicht nur um die Frage des Überlebens der Punks, sondern auch darum, wie sehr man sich in Nazigefügen verstricken kann, und dass sich die Frage, die sich ähnlich vielleicht auch unsere Großväter gestellt haben (Werde ich »Mitglied« oder vielleicht das nächste Opfer?), immer wieder aufs neue stellen kann.
Bildmaterial: © Universum Film GmbH
Aus der Sicht des Horror-Fans ist sehr zu begrüßen, dass der Film mit einer kompromisslosen Härte vorgeht. Bedrohliche Verletzungen werden mit duct tape »behandelt«, wenn keine Kettensäge zur Hand ist, kann auch ein Teppichmesser knallharte Splattereffekte erzeugen. Auch Anton Yelchin und Imogen Poots, seine Kollegin aus Fright Night, die hier (wenn auch ohne Glatze) ein Mädchen aus den Reihen der Skins spielt, das aber in die selbe Notlage gerät, werden nicht zum konventionellen Liebespaar, sondern sind einfach brothers in arms, die trotz der Herkunft aus unterschiedlichen Lagern zusammenhalten (auch wenn das jetzt doch wieder an Assault erinnert, wo sich der Sheriff und der abzuliefernde Kriminelle zusammenrotten).
Am Rande interessant ist auch, dass der mittlerweile als Horror-Regisseur etablierte Saulnier (Blue Ruin) einst der Kameramann des Independent-Erneuerers Matt Porterfield (Putty Hill, I Used to be Darker) war. Da fragt man sich augenblicklich, ob ihm der elegische Tonfall nicht zusagte und er lieber handfeste Filme drehen wollte. Doch es ist wohl eher so, dass auch die Produktionsfirma von Green Room nicht zwanghaft zwischen Genre und Arthaus unterscheidet. Immerhin hat Filmscience auch Werke von Joe Swanberg oder Kelly Reichardt (Wendy & Lucy) betreut. Und weil Saulnier eben nicht nur auf Horror abonniert ist, ist sein Film auch eine Spur besser als reine Genre-Kost.