Nocturnal Animals
(Tom Ford)
USA 2016, Buch: Tom Ford, Lit. Vorlage: Austin Wright, Kamera: Seamus McGarvey, Schnitt: Joan Sobel, Musik: Abel Korzeniowski, Kostüme: Arianne Phillips, Production Design: Shane Valentino, Art Direction: Christopher Brown, mit Jake Gyllenhaal (Tony Hastings / Edward Sheffield), Amy Adams (Susan Morrow), Aaron Taylor-Johnson (Ray Marcus), Michael Shannon (Bobby Andes), Karl Glusman (Lou), Robert Aramayo (Turk), Isla Fisher (Laura Hastings), Ellie Bamber (India Hastings), Laura Linney (Anne Sutton), Armie Hammer (Hutton Morrow), Andrea Riseborough (Alessia), Michael Sheen (Carlos), Jena Malone (Sage Ross), India Menuez (Samantha Morrow), Graham Beckel (Lieutenant Graves), Beth Ditto (TV Woman Voice #2), 117 Min., Kinostart: 22. Dezember 2016
Hinweis: Meistens gebe ich mir Mühe, nicht zu viel über einen Film auszuplaudern. In diesem Fall handelt es sich aber eher um eine nach dem Film zu lesende Kritik (auch, wenn ich die eine oder andere zentrale Stelle natürlich etwas schwammig umschreibe). Als vor dem Film zu lesende Kritik kann ich folgendes vor allem dann empfehlen, wenn man noch ein paar gute Gründe braucht, den Film eher zu meiden.
Wogendes weibliches Fleisch unter einer Menge nackter Haut. Vor einem roten Samtvorhang tanzen nacheinander verschieden(e) übergewichtige Frauen, mit einem Tambourine-Stab, als wollten sie eine aus Elefanten bestehende Marschkapelle anführen. Durch die Zeitlupenaufnahmen und einen gewissen Eindruck der Schwerelosigkeit wird der Glibberbibb*-Effekt noch verstärkt, gegenüber diesen abschreckenden Beispielen der US-Nahrungsmittelindustrie fühlt man sich noch mit drei Zentnern Eigengewicht unterernährt.
© 2016 Universal Pictures International. All Rights Reserved
Die Vorspanntänzerinnen offenbaren sich dann als eine Videoinstallation, weitere, wohl aus Statikgründen liegend hindrapierte Statuen vervollkommnen eine gediegene Ausstellungseröffnung, die aus einem Kubrick- oder Fellinifilm stammen könnte. Die Chefin hinter dem Kunstbetrieb, Susan (Amy Adams), fährt frühzeitig nach Haus, Stilbewusstsein und unübersehbarer Reichtum werden kurz vorgeführt, aber Glück sieht anders aus. Ihr Mann, der später mal als »dashing« umschriebene Hutton (Armie Hammer), scheint offensichtlich nur noch wenig Interesse an ihr zu haben, seine Ausflüchte geben sich nicht einmal mehr den Anschein, mehr als obligate Alibi-Bemerkungen zu sein. Etwas später wird Susan sich mit einer Bekannten unterhalten, die betont, dass es gar nicht so schlecht sei, mit einem schwulen Mann verheiratet zu sein (Winzrolle für Michael Sheen, mit zentraler Aussage: »Our world is a lot less painful than the real world.«). Die Parallele ist deutlich: der Ehemann ist hier kaum mehr als ein repräsentatives Schleifchen.
Doch der Film dreht sich auch weitaus mehr um Susans ersten Gatten (rein rechnerisch scheint es nur zwei gegeben zu haben, aber in den Gesprächen fällt auf, dass die Ordnungszahl betont wird, als sei sie mittlerweile bei der 3 oder 4 angelangt), zu dem sie 19 Jahre lang keinen Kontakt hatte: Edward (Jake Gyllenhaal) hat sich jetzt aber zurückgemeldet, mit einem Romanmanuskript, an dessen Verpackung sich Susan gleich erst mal einen paper cut einfängt. Auch der Titel klingt gefährlich, Nocturnal Animals, und die Widmung »For Susan« ist ein dräuender Vorbote eines Alptraums irgendwo zwischen David Lynch und True Detective.
Der komplette Film springt zwischen drei Erzählfäden hin und her, die immer wieder deutlich durch Parallelmontage, match cuts und thematische Verbindungen miteinander verwoben werden (hat mich teilweise an eine dunkle Variation von Pillow Talk erinnert, es fehlte eigentlich nur noch die Splitscreen als Montagemöglichkeit). Was anfänglich sogar einigermaßen clever wirkt. Die eine Story zeigt Susan, die das Buch ihres Ex liest. Nach der oben geschilderten Intro passiert hier nur noch sehr wenig, abgesehen davon, dass sie erstaunlich häufig badet, was spätestens im Nachhinein allzu deutlich auf eine Lady-Macbeth-Parallele hindeutet - nur, dass es ihr eigenes Blut ist, das sie nicht in der Lage ist abzuwaschen (der paper cut lässt grüßen).
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Dann ist der Romaninhalt ebenfalls wie ein Film inszeniert. Keine eingeblendeten Textpassagen, keine Voiceover, einfach straight film narration, was hier und da etwas seltsam wirkt (vermutlich gibt es auch einen Interpretationsansatz, bei dem der komplette Edward und / oder sein Roman nur in der Fantasie Susans existiert, aber damit habe ich mich jetzt nicht abgegeben, weil es dafür dann doch zu wenige direkte Hinweise gibt). Als dritte Ebene kommen später noch Flashbacks der jungen Liebe dazu, die alles zusammenführen. Diese Liebe hat aber - schon rein chronologisch - nie eine Chance, erinnert eher an das letzte Fünftel von François Ozons 5x2.
Die Infos, die man über Edward erhält (eine Angestellte Susans wusste nicht, dass es ihn gab, der Ehemann fragt mal »Edward who?«, als hätte er ihn komplett verdrängt), kommen eigentlich nur aus den Flashbacks, aber da die Hauptfigur des Romans, Tony, ebenfalls von Jake Gyllenhaal gespielt wird, erkennt man die autobiographische Komponente des Romans überdeutlich. Nicht zuletzt auch dadurch, dass Tony eine rothaarige Frau (Isla Fisher) und Tochter (Ellie Bamber) hat - und Susan und deren durchaus ins 19-Jahr-Zeitfenster passende Tochter ebenfalls rote Haare haben. Der gesamte Roman wirkt wie eine Art Alternativleben (man denke auch an die knoblistischen* Autobahnzufahrten zu beginn des Films, die wie ein Wollknäul aus Ariadnefäden aussehen), bei dem nur Tony und seine Frau ungeachtet der hier vielleicht eher 15- oder 16jährigen Tochter (»She's just a kid!«) deutlich jünger wirken als die in der Jetztzeit schon etwas auf mittelalt geschminkte Amy Adams, die mit einer talgigen Halspartie und einem offenbar extra ausgeleuchteten Damenbartansatz klar von der Weichzeichner-Flashback-Amy zu unterscheiden ist, während man bei den zwei Jakes nur anfänglich einen Vollbart zur Unterscheidung liefert, von dem man sich dann aber trennt, sobald klar ist, dass der Zuschauer die drei Zeitebenen klar unterscheiden kann (der Bart hat außerdem noch etwas mit einer Zäsur der Romanfigur zu tun).
Über den Romantitel erfahren wir später auch mal, dass Edward Susan einst so nannte, im Dialog des Romans gibt es auch mal die Stelle, wo jemand auf die Frage »Who?« mit »Hoo? What are you, an owl?« antwortet, aber auch, wenn man zum Filmtitel auf den Plakaten immer Amy oder Jake sieht, bezieht sich diese Bezeichnung am deutlichsten auf einige Texaner, die abermals direkt aus einem David-Lynch-Film zu stammen scheinen (nur ein bisschen angerührt mit Hanekes Funny Games). Denn Tony fährt mit Frau und Tochter durchs texanische Niemandsland (mitten in der Nacht, mit dem Standard-Anfangsbild der Straßenbemalung im Scheinwerferlicht aus Lost Highway), und irgendwann blockieren zwei etwas langsam fahrendere Autos, die nebeneinander fahren wie radfahrende Teenies auf dem Schulweg, den Weg von Tonys Mercedes. Ich musste dabei sofort an diesen modernen Mythos denken, wo einem Autofahrer nachts ein unbeleuchtetes Auto entgegenkommt, und wenn er die Lichthupe betätigt, um den Fahrer auf seine vermeintliche Unachtsamkeit hinzuweisen, hat er quasi schon sein eigenes Todesurteil unterzeichnet. Ich bilde mir sogar ein, dass auch das mal Teil eines Lynch-Films war, bin aber zu faul, das jetzt rauszuknobeln. Macht ja auch keinen wirklichen Unterschied.
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Anyway, es kommt zu einer Auseinandersetzung mit den drei oder vier Männern (ich habe das Gefühl, Ford hat hier unsauber erzählt - oder ich habe im Dunklen ebenso den Überblick verloren wie Tony, der später vor der Polizei nicht einmal genau weiß, wer jetzt wann mit seinem Auto fuhr) und die unterschwellige Bedrohung, die immer deutlicher wird (ich fühlte mich auch an eine Szene des zu Unrecht fast vergessenen Grand Canyon von Lawrence Kasdan erinnert), ist abgesehen von der komplexen Verflechtung der drei Ebenen wohl das Gelungenste an diesem Film.
Der wohl widerlichste Moment des Films (nicht ästhetisch, sondern thematisch) ist ein Match-Cut zwischen einer zentralen Szene der Romanhandlung (rotes Sofa) und einer winzigen Szene, in der mal kurz Susans Tochter ins Spiel kommt. Zu diesem Zeitpunkt weiß man noch nicht, wie dieser Moment später narrativ und psychologisch aufgeladen wird. Denn im Nachhinein kann man den Film auf einige wenige Adjektive herunterbrechen, die man überdeutlich zuordnen kann. Und dabei schwingt eine Entscheidung Tom Fords, die an sich völlig in Ordnung ist, mit einem bitteren Beigeschmack mit: Er mag halt lieber Männer. Aber wie in diesem Film Frauen behandelt und dargestellt werden, ist schon ziemlich untragbar.
Susan, die in jungen Jahren auf keinen Fall so werden will wie ihre Mutter, wird irgendwo zwischen den drei Ebenen zu einer Art Monster hochstilisiert. Nach ihrer Entscheidung, dass sie und Edward nicht zusammenpassen, greift sie fast genau die Worte ihrer Mutter auf: Edward ist »sensitive« und »romantic« (das »weak« wollte sie eigentlich unterschlagen, aber irgendwann rutscht es ihr doch heraus), Susan indes ist »cynical« und »a realist« (ihre Art von Romantik besteht eher aus Selbstaussagen wie »Texas debutantes are sluts«). Das bedeutet übersetzt zum einen, dass die reiche Susan sich nicht auf Dauer mit dem armen Edward abgeben kann (exakt, wie ihr es die Mutter prophezeite, die von Edward übrigens als durchaus sympathisch eingestuft wird). Zum anderen kann man das aber auch so zurecht brechen: Männer (oder zumindest manche Männer) sind sensibel, romantisch und ungeheuer kreativ - auch, wenn es darum geht, sich für ein lang zurückliegendes Verbrechen zu rächen. Frauen indes, die sich selbst als zynisch und realistisch einstufen, sind das absolute Gegenteil der Kreativität: Sie glauben nicht an den Erfolg, sie glauben nicht an die persönliche, autobiographische Note, die Edward in seinen frühen Kurzgeschichten einbringt. Und letztendlich zerstören sie lieber als etwas zu erschaffen. Und somit stehen die nächtlichen Raubtiere, die einer harmlosen, jungen glücklichen Familie irgendwo in einer unwirtlichen Gegend auflauern, als eine Metapher für die Frau, die Edward zu hassen gelernt hat und an der er sich irgendwie rächen will (Zentrale Zitate: »I'm gonna live to regret this, I regret it now!« bzw. »It's fun to kill people?«).
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Man könnte jetzt zur Verteidigung noch aufbringen, dass Susan gegen Ende des Films zumindest einen Funken Romantik in sich wiederentdeckt und dass ihr Verzicht auf Lippenstift auch etwas damit zu tun hat, dass sie tief in sich die junge Frau, die sie einst war, noch nicht ganz verloren hat (auch, wenn die letzten drei Einstellungen - Auge / Gesicht / Schwarzblende - dagegen sprechen), aber letztendlich könnte man den Film dennoch auf einen Satz herunterbrechen (und ich formuliere diesen gezielt überspitzt und provokant): Männer (zumindest die sensiblen und romantischen) werden nur dann herzlos und gemein (hier passen noch etliche weitere Adjektive wie widerlich usw.), wenn sie von Frauen (insbesondere den realistischen, zynischen, den Nocturnal Animals) dazu getrieben werden. Das ist jetzt so gar nicht das Fazit, dass ich mir ausgerechnet von Tom Ford unterjubeln lassen will, den ich ungeachtet seines weitaus gelungeneren Filmdebüts A Single Man nicht als den romantischsten Herrn auf Erden einstufen würde.
Ford tut mit diesem Film niemandem einen Gefallen. Wirklich niemandem. Nicht einmal Jake Gyllenhaal, dessen letzte Szene im Film das Adjektiv »weak« noch mal symptomatisch repräsentiert. Und seine Figur (Tony, nicht Edward) dastehen bzw. daliegen lässt wie den hinterletzten Trottel.
Man könnte jetzt auch noch stundenlang über Michael Shannon und die Schwachstellen im Roman im Film schreiben (und sollen die noch etwas über Edward, den Autor, aussagen?), einen Polizisten namens »Graves«, oder über die Parallelen einer auf der Veranda angebrachten Toilettenschüssel mit dem kommerzialisierten Kunstbetrieb (eine Peinlichkeit, bei der man gezwungen wird, hinzuschauen), aber letztlich reicht es eigentlich, dass der Film provokant beginnt, dann ein starkes erstes Drittel vorlegt, aber letztlich immer schwächer wird. Nocturnal Animals ist weit entfernt davon, einer der schlechtesten Filme des ausgehenden Filmjahrs zu sein. Aber er ist einer der ärgerlichsten! Und auch, wenn ich Ostern als Feiertag weitaus mehr schätze als Weihnachten: Der Starttermin ist auch irgendwie ziemlich deplaziert.
Gibt es eigentlich noch diese uralte Filmeinstufung als &187;feiertagsfrei« oder nicht? Dieser Film wäre beinahe ein Grund, sie wieder einzuführen. Das mag altbacken und verkalkt klingen, aber das nehme ich gerne in Kauf. Es geht mir ja nicht um irgendwelche Schockwerte, sondern um die ungesunde Verbindung von Ästhetik und sehr fragwürdigen Aussagen. Im direkten Vergleich weiß ich hier selbst The Neon Demon eine Spur mehr zu schätzen. Lieber hier und da ein bisschen doof (aber faszinierend) als diese Frauenfeindlichkeit, die unter der gelackten Oberfläche wabert wie in Blue Velvet das Gewürm unter dem akkuraten Vorstadtrasen.
*Glibberbibb und Knoblismus sind donaldistische Fachbegriffe, die ich als besonderen Service hier noch kurz erklären werde:
Glibberbibb ist eine Wackelpudding-Marke, den man als Strafe bei bestimmten Entenhausener TV-Spielshows fässerweise über die Kandidaten stülpt. »Diese köstliche Nachspeise bibbert und glibbert in 10 verschiedenen appetitlichen Farben.« (vgl. WDC 99, »Geld oder Ware«) Das ist übrigens nicht jene Entenhausener Quizshow, bei der eine Frage lautet »Welches Tier kann im Dunkeln sehen und fängt Mäuse?« - was vorzüglich zum Filmtitel passen würde (WDC 152, »Die Quiz-Sendung«)
Der Knoblismus ist eine sektenähnlich verbreitete Philosophie, die darauf aufbaut, sämtliche wichtigen Entscheidungen des Lebens durch einen Münzwurf zu fällen. Ein berühmtes Barks-Panel zeigt die Familie Duck in ihrem Kleinwagen vor einer einem Schlangennest ähnelnden Vielfach-Autobahnkreuzung, die eine halbe Comicseite ausfüllt. (WDC 149, »Wappen oder Zahl?«)