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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




12. April 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 166:
Geschichtsstunden



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  The Founder (John Lee Hancock)

The Founder
(John Lee Hancock)

USA 2016, Buch: Robert Siegel, Kamera: John Schwartzman, Schnitt: Robert Frazen, Musik: Carter Burwell, Kostüme: Daniel Orlandi, Production Design: Michael Corenblith, Set Decoration: Susan Benjamin, mit Michael Keaton (Ray Kroc), Nick Offerman (Dick McDonald), John Carroll Lynch (Mac McDonald), Laura Dern (Ethel Kroc), Justin Randell Brooke (Fred Turner), Linda Cardellini (Joan Smith), Patrick Wilson (Rollie Smith), B.J. Novak (Harry J. Sonneborn), Kate Kneeland (June Martino), Griff Furst (Jim Zien), Wilbur Fitzgerald (Jerry Cullen), Andrew Benator (Leonard Rosenblatt), Cara Mantella (Myra Rosenblatt), David de Vries (Jack Horford), 115 Min., Kinostart: 20. April 2017

»Increase the supply and the demand will follow.« Mit irgendwelchen Binsenweisheiten kennt sich der eingeschränkt erfolgreiche und nicht mehr ganz junge Handelsvertreter Ray Kroc (Michael Keaton) aus. Er zitiert in seinem später zugeordneten Off-Kommentar gern bedeutungsschwanger Ralph Waldo Emerson (»A man is what he thinks about all day long«), nur um sich dann einen ordentlichen Hieb aus seinem Flachmann zu gönnen. Man sieht auch, wie die Ehe (mit Laura Dern) Probleme hat, aber Michael Keaton hat es einfach drauf, dass man diesen mitunter recht aufdringlichen und letztlich zutiefst suspekten Kerl doch irgendwie ... nun ja, vielleicht nicht sympathisch nennen würde - aber man investiert gerne zwei Stunden in seine Abenteuer. Sonst würde dieser Film auch überhaupt nicht funktionieren, Hut ab für Michael Keaton dafür!

Als er für einen einzelnen Betrieb in Kalifornien die Bestellung von gleich sechs Mixern entgegen nimmt, wird Ray neugierig. Ray kommt herum und weiß, woran es vielen Diners, Drive-Ins und Burgerbuden Anfang der 1950er fehlte. Aber als er dann sieht, dass der nach seinen Gründern »McDonald's« genannte Betrieb kaum Sitzmöglichkeiten bietet und von seinen Kunden erwartet, dass sie sich am Counter anstellen und die Ware selbst abholen, ist Ray sehr skeptisch. Doch als er seinen Burger dann in Rekordzeit bekommt und der auch noch schmeckt, merkt er sofort, dass hier großes Geld zu machen ist.

Und die gutmütigen Brüder (Nick Offerman und John Carroll Lynch, für den allein man sich immer einen Film anschauen kann) geben ihm auch gleich eine Führung und erklären ihm einige ihrer logistischen Errungenschaften.

Eine der tollsten Szenen des Films zeigt, wie bei einer spielplatzmäßig mit Kreidestrichen aufgezeichneten Grund-Innenarchitektur eines solchen Ladens mithilfe einer Stopuhr und einer Leiter (um alles im Blick zu haben) alltägliche Abläufe von den Brüdern immer wieder optimalisiert werden, bis nicht mehr jeder dem anderen im Weg steht und die Burgerverpflegung Hand in Hand geht.

Im Film wird jetzt beschrieben, wie Ray die Brüder bekniet, aus dem Betrieb ein Franchise zu machen. Doch die haben damit schlechte Erfahrungen, weil die Pächter das Prinzip einfach nicht zu kapieren scheinen und andere Produkte anbieten, nicht den erwünschten Standard erreichen usw.

Und dann trägt Ray seinen Beitrag dazu bei, dass das Prinzip McDonald's funktioniert - und nebenbei kommt es zu einem Rechtsstreit mit den Brüdern, Ray wirbt ganz gezielt die Frau eines Geschäftskollegen ab und serviert dafür sein älteres Modell ab - und trotz allem bleibt nicht nur Ray ein zwar schmieriger, aber irgendwie auch bewundernswerter Vertreter des amerikanischen Traums - und sogar die Fastfood-Ikone McDonald's erscheint in erstaunlich positivem Licht (inklusive der notwendigen Erwähnung, dass die Milchshakes inzwischen nicht mehr aus Pulver mit Wasserzugabe gefertigt werden).

Eine solche Erfolgsgeschichte (Regisseur John Lee Hancock drehte zuletzt Saving Mr. Banks über die ebenfalls sehr amerikanische und dadurch auch supekte Disney-Verfilmung von Mary Poppins, sein Drehbuchautor schrieb u.a. The Wrestler und Turbo) müsste normalerweise schwer zu schlucken sein, aber die Euphorie des Films ist bei allen Vorbehalten schon mitreißend. Ob das burger ballet auf dem Tenniscourt (das ein wenig an Dogville erinnert), die Erfindung und Weiterführung der golden arches oder auch nur eine komplett absurde Feststellung wie »the fries are five per cent too crispy!« - man schaut so fasziniert zu wie bei einem Autounfall.

Der Satz, der für mich den ganzen Film in seiner widerlichen Faszination zusammenfasst, lautet »If you don't want a franchise for yourself, that's okay. Do it for your country!« Und entsprechend bekam Amerika den Meckes und den Film, den es verdient. Und wir gleich mit. Meinen Handschlag drauf!


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  Shalom Italia (Tamar Tal Anati)

Shalom Italia
(Tamar Tal Anati)

Israel / Deutschland 2016, Buch: Tamar Tal Anati, Kamera: Emmanuelle Mayer, Tamar Tal Anati, Schnitt: Boaz Lion, Musik: Kobi Vitman, 71 Min., Kinostart: 4. Mai 2017

Mit Life in Stills hat sich die israelische Regisseurin Tamar Tal in mein Herz geschlichen, in ihrem neuen Film erforscht sie abermals anhand von alten Menschen in einer intimen Atmosphäre die Geschichte. Der größte Unterschied liegt diesmal darin, dass ihre Protagonisten Familienmitglieder sind, drei jüdische Brüder, die die italienische Toscana besuchen, um dort unter anderem nach einem Versteck zu suchen, in dem sie sich während des Holocaust als Kinder versteckten.

Reuven alias »Bubi« (der Schwiegervater der Regisseurin) war damals, vor 70 Jahren erst 4 und damit der Kleinste, seine Brüder Emmanuel (84) und Andrea (82) haben etwas deutlichere Erinnerungen, obwohl nach so vielen Jahren die persönliche Färbung des Gedächtnisses auch zu deutlichen Widersprüchen führt - Hatten wir Wertsachen oder nicht? Haben wir gehungert oder nicht?

Im Film geht es nicht zentral um die »Oral History«, die Regisseurin verlässt sich lieber auf ihre drei Protagonisten, derer Unterhaltsamkeit sie sich gewiss war.

Bewegte Erinnerungsbilder, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie nachgestellt sind (vieles spricht dafür, aber es gibt keine Schauspielercredits im Nachspann, und da die Familie vor der Judenverfolgung durchaus wohlhabend war, hatte man womöglich auch eine Filmkamera), werden hier bei Autofahrten gern zu den passenden Off-Kommentaren auf die Fensterscheiben gelegt, was dem eigentlich spartanisch wirkendem Film ein gewisses Flair verschafft.

Ich muss sagen, dass der Film für mich nicht so recht funktionierte, wie er es sollte. Zum einen habe ich kein besonderes Faible für die Landschaft der Toskana, die manchen Zuschauern den Film sehr versüßen wird.

Schlimmer war aber mein Kritikerdasein. Die Regisseurin gibt sich viel Mühe, bei der Tour der drei Brüder unsichtbar zu sein. Es wirkt, als agieren sie gänzlich ohne ihr Zutun, im Presseheft liest man auch, dass sie die Idee für die Tour alleine hatten und die Regisseurin sich dem Trio nur anschloss. Aber wenn die alten Herren, die zwar noch recht fit sind (insbesondere auch im Kopf), aber eben keine Springinsfelde mehr, sich da durch einen unwegsamen Wald mit teilweise großen Steigungen quälen, dann wirken die Kameraeinstellungen, die ganz bewusst nie ein Kamerateam zeigen (weshalb man davon ausgeht, dass man mit einer Kamera arbeitete), so auf eine Inszenierung hin bedacht, dass man das Gefühl bekommt, dass die drei Herren aufgrund des Films ca. dreimal solange im Wald herumirren. Und das machte mich ein wenig grimmig. Auch bei den Autofahrten wechselt die Kamera bewusst sogar den Standpunkt (mal Beifahrer, mal Rückbank) und als »normaler« Zuschauer, der sich auch nicht wundert, wenn in einer Scripted-Reality-Show auf RTL die vermeintlich echten Menschen ihre Überraschung über Besucher zeigen, obwohl sich die Kamera offensichtlich schon in der Wohnung befindet, nimmt man das alles gar nicht wahr (und hat somit auch keinen Grund, Groll zu empfinden).

Für mich färbte dieser Eindruck jedenfalls die Sichtung, und wenn man in einem kurzen Epilog erneut durch Italien pilgert, wirkte das Anbringen einer Gedenktafel für mich fast wie die touristische Erschließung der zuvor versteckten Natur, was ich in Kombination mit einer Art Slapstick-Handlung (die aber tatsächlich dokumentarisch war) irgendwie sehr seltsam fand.

Kurzer Film, kurze Kritik. War durchaus charmant und interessant, aber es funkte bei mir nicht so recht. Der größte Lacher des Films war für mich übrigens eine Untertitelung. Obwohl man als aufmerksamer Beobachter längst hätte mitbekommen sollen, dass die Brüder Anati heißen (deswegen hat ja auch die Regisseurin diesen Namen für den Film an den ihrigen herangehängt), aber weil das Italienisch mit hebräischem Einschlag manchmal wohl nicht so superleicht zu verstehen war, sieht man den Namen mal als »Gnaggnati« oder so untertitelt. ;-)


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  Der traumhafte Weg (Angela Schanelec)

Der traumhafte Weg
(Angela Schanelec)

Deutschland 2016, Buch: Angela Schanelec, Kamera: Reinhold Vorschneider, Schnitt: Angela Schanelec, Maja Tennstedt, mit Miriam Jakob (Theres), Thorbjörn Björnsson (Kenneth), Maren Eggert (Ariane), Phil Hayes (David), Alan Williams (Kenneths Vater), Petra Trenkel (Theres' Mutter), Michel Drobnik (Thomas als Kind), Benjamin Hassmann (Thomas), Miriam Horwitz (Maklerin), Louis Schanelec (Junger Mann Bibliothek), Nicolas Wackerbarth (Schauspieler Filmteam), 87 Min., Kinostart: 27. April 2017

Eigentlich hatte ich mich nach ca. zwei Dritteln dieses Films entschieden, ihn in die selten bemühte Kategorie der Filme einzuordnen, über die ich trotz regulär besuchter Pressevorführung nicht schreiben will (passiert, wenn man abgebrochene Sichtungen nicht mitzählt, ca. anderthalb mal im Jahr, hängt dann aber oft auch damit zusammen, dass ein Kinostart ewig auf die lange Bank geschoben wird oder ganz ausfällt).

Aber nachdem ich dann im Presseheft geblättert hatte und dort nachlesen konnte, was ich alles nicht ohne weiteres diesem sehr rätselhaften und von Ellipsen durchzogenen Film entnehmen hätte entnehmen sollen, flammte zusätzliche Entrüstung in mir auf und ich werde mich - etwas energischer bis rabiater als normal - damit befassen.

Ich will gar nicht die angedeutete Geschichte des Films nacherzählen (den Titel Der traumhafte Weg sollte man vermutlich tatsächlich als Programm verstehen), sondern eher meine umfassende Verwunderung schildern.

Es beginnt eigentlich ganz harmlos und verständlich. Ein Paar zieht durch Griechenland (das Alphabet kann man ja gut zuordnen) und finanziert die Reise als Straßenmusiker. Dann bekommt er einen Anruf, dass seine Mutter verunglückt ist und packt den Koffer, was teilweise mit wirklich hübschen, aber etwas aufgesetzt wirkenden Kadragen erzählt wird.

Weil man dann im englischsprachigen Fernsehen von der Flucht der DDR-Bürger über Ungarn hört, kann man abermals auftrumpfen im heiteren Ort- und Zeiträtsel, dass den Film prägt wie nichts anderes. Wenn man besonders gut ist (oder Zugriff zum Presseheft hat), erkennt man auch noch, dass die Griechenland-Szenen kurz vor einer Europawahl stattgefunden haben müssen, was zumindest implizieren könnte, dass Kenneths Mutter seit fünf Jahren im Koma liegt. Der Name Kenneth bestärkt auch den Verdacht, dass es sich hier um einen Engländer handeln soll, auch, wenn er einen seltsamen Akzent hat (Darsteller Thorbjörn Björnsson ist kein Bilderbuch-Brite) und teilweise seltsame Vokabeln benutzt (wenn ich mich nicht komplett verhört habe, geht es mal um die Existenz Gottes mit den Worten »either it doesn't give him«).

Im Nachhinein kann man das vielleicht sogar irgendwie mit der »Traumhaftigkeit« zusammenfriemeln, womöglich kann der Träumende ja nicht besonders gut Englisch oder so ... aber abgesehen vom Filmtitel gab es für mich keine deutlichen Indizien dafür, die Handlung nicht 1:1 als gegeben hinzunehmen. Das seltsame Grab im Wald mit dem sehr adretten (und zu vielen) Sand habe ich einfach als Regieschludrigkeit hingenommen und der Zeitsprung ging komplett vorbei an mir. Und dass Theres (die andere vom Griechenland-Paar) einen ca. fünfjährigen Sohn hat, verwunderte mich zwar durchaus, aber dass dieser, wie man dem Presseheft entnehmen kann, neun Monate nach einer letzten Nacht zwischen den beiden geboren wurde (hier wird die Ellipse schon reichlich ausgeschmückt), ist ein Detail, das sich mir komplett entzogen hat. Erst im Nachhinein erklärte mir ein Kollege, das neben den europolitischen Eckdaten (die er auch nicht hätte exakt zuordnen können) ja auch das Detail, dass Theres in der einen Szene ein Studium zur Lehrerin beginnen will und in der anderen Szene für ein Referendariat antritt, zumindest diesen Zeitsprung andeutet - ich indes achtete beim Amtsschreiben auf das Datum und war einfach nur verblüfft. Und als sie kurz darauf einen fünfjährigen Sohn hat, war ich noch verblüffter. Aber die Frau Schanelec macht es einem schon unnötig schwer, den Überblick zu behalten.

Im Normalfall ist es etwa nicht so, dass Leute über diverse Jahrzehnte nicht altern und immer exakt die selben Klamotten tragen. Aber wenn man nicht mitbekommt, dass zwischendurch mal eben zehn Jahre vergangen sind, stellt man so was auch nicht unbedingt in Frage.

Dann taucht plötzlich und unvermittelt eine Kleinfamilie mit einem vielleicht zehnjährigen Mädchen auf, das zu den wenigen Personen in diesem Film gehört, die im Dialog einen Namen zugewiesen bekommen. Diese Rollennamen findet man als Hilfestellung nicht einmal im Abspann des Films, sie stehen aber fein aufgelistet alle im Presseheft - und ich war dann auch frohen Mutes, dass ich mit meiner Arbeitsthese richtig lag, dass der eine Arzt oder Pfleger vielleicht Theres' Sohn Thomas war, der als einziger im Film auch altert - was das über seine Beziehung zu einem etwaigen Träumer aussagt, weiß ich nicht.

Wohlgemerkt, als diese Person (der nicht beim Namen genannte ältere Thomas) im Film auftaucht, hatte ich längst aufgegeben, noch irgendeinen Sinn in dieses Puzzle zu bringen, bei dem unzählige Teile fehlen. Ich habe es einfach dabei belassen, dass Angela Schanelec (meine persönlichen Lieblingsfilme: Nachmittag und Marseille) auch mal so was wie L'année dernière à Marienbad drehen wollte und quittierte es mit den drei Buchstaben WTF.

Meine letzte noch halbwegs clever daherkommende Arbeitsthese war nämlich, dass Mutter und Tochter in der zweiten Hälfte des Films (man wusste noch nicht, dass die Tochter Fanny heißt) Theres und deren Mutter aus der ersten Hälfte sein könnten, eine gewisse Grundähnlichkeit war gegeben und als Fannys Vater mal mit gepacktem Koffer geht, passte es dazu, dass man den Vater der erwachsenen Theres auch nie zu Gesicht bekommt.

Aber dann fiel mir doch auf, dass Berlin mittlerweile einen neuen Hauptbahnhof hat, man Smartphones benutzt oder ein Buch aus dem Jahr 2008 stammt. Dass die beiden Geschichten, die eigentlich in keinerlei Beziehung zueinander stehen, dann hier und da verwoben werden, erzählt in meinen Augen weder eine tolle Liebesgeschichte, noch ergibt das ganze Zeug plötzlich mehr Sinn als vorher. Ganz im Gegenteil.

Im Presseheft habe ich dann auch aus einem Interview erfahren, dass man »Füße nicht inszenieren kann«, wie Angela Schanelec von sich selbst sagt. Umso fataler, wenn man diese Schuhe (die durchaus etwas ausdrücken können) dann für die emotionalsten (aber leider nicht besten) Einstellungen des Films nutzt.

Im Nachhinein lässt sich durch die Traumausflucht natürlich alles erklären, aber im Gegensatz zu manchen Filmen von David Lynch hätte man dies vielleicht deutlicher markieren sollen, dann hätte ich nicht vergeblich nach einem Sinn gesucht, der dann letztlich auch deutlicher als in jedem Traum, den ich jemals hatte, zurechtgelegt wurde. Nur leider nicht für Kinozuschauer, sondern für Leute, die danach im Presseheft nachlesen, was sie alles nicht begriffen haben. Und in meinen Augen sollte ein Film für sich stehen können, was hier aber nur über die Traumebene (oder eine gottgegebene Unterscheidungskraft zwischen wichtigen Details und - nicht wenigen - Instanzen von Regieschludrigkeit) halbwegs funktioniert.

Marienbad hat für mich bei der ersten Sichtung weitaus besser funktioniert und meine am besten passende Umschreibung des Filmgeschehens bezieht sich auf eine Filmfigur, die ich noch gar nicht erwähnt habe:

Die Situation des Zuschauers ist wie die des Blinden, der nur Schemen erkennt.


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  The Birth of a Nation - Aufstand zur Freiheit (Nate Parker)

The Birth of a Nation - Aufstand zur Freiheit
(Nate Parker)

Originaltitel: The Birth of a Nation, USA 2016, Buch: Nate Parker, Kamera: Elliot Davis, Schnitt: Steven Rosenblum, Musik: Henry Jackman, Kostüme: Francine Jamison-Tanchuck, Production Design: Geoffrey Kirkland, Set Decoration: James Edward Ferrell Jr., mit Nate Parker (Nat Turner), Armie Hammer (Samuel Turner), Aja Naomi King (Cherry-Ann), Jackie Earle Haley (Raymond Cobb), Penelope Ann Miller (Elizabeth Turner), Mark Boone Jr (Reverend Walhall), Colman Domingo (Hark), Aunjanue Ellis (Nancy), Dwight Henry (Isaac Turner), Esther Scott (Bridget), Roger Guenveur Smith (Isaiah), Gabrielle Union (Esther), Tony Espinosa (Young Nat Turner), Jayson Warner Smith (Earl Fowler), Jason Stuart (Joseph Randall), Chiké Okonkwo (Will), Katie Garfield (Catherine Turner), Kai Norris (Jasper), Chris Greene (Nelson), Kelvin Harrison Jr. (Simon), Steve Coulter (General Childs), Jeryl Prescott (Janice) Allen Scott (Abner), Justin M. Smith (Jethro), Dan Cox (Sheriff), Danny Vinson (Benjamin Turner), Ryan Mulkay (Jesse), Chief Olaitan (Ezekiel), Alkoya Brunson (Young Hark), Griffin Freeman (Young Samuel Turner), 120 Min., Kinostarts: 13. April 2017

Anfang 2016 soll es in Sundance Begeisterungsstürme ob dieses Films gegeben haben, und erst als Regisseur (Autor / Produzent / Hauptdarsteller) Nate Parker wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs zu Uni-Zeiten in ein unschönes Licht getaucht wurde, wurde der Film dann zur sauren Gurke der Saison.

Das Privatleben eines Regisseurs (und davon spricht man in den Medien immer nur, wenn es um Skandale, moralische Vorwürfe und eine Schlammschlacht geht, nie, wenn die Person bspw. gerne angelt oder Briefmarken sammelt) hängt ja nur in wenigen Fällen in einem direkten Zusammenhang mit seiner Arbeitsleistung zusammen.

Ein Steuerbetrüger oder jemand, der die eigene Adoptivtochter heiratet, kann manchmal tolle filmische Visionen haben. Genau wie ein Typ, der nur idiotische Filme dreht, beim gemeinsamen Grillabend vielleicht super-sympathisch ist.

Die Frage, die sich mir bei The Birth of a Nation stellt, ist die offensichtliche: Wie kam man in Sundance darauf, dass dieser Film so toll sein soll?

Okay, die Idee, quasi zur Hundertjahrfeier den Titel eines David-Wark-Griffith-Filmklassikers, der heutzutage fast nur noch für seine äußerst suspekte Darstellung des Ku-Klux-Klan bekannt ist, umzudeuten und die Geburt einer »anderen Nation« zu schildern, ist clever und macht neugierig.

Auch der Umstand, dass die Geschichte Nat Turners bisher nicht wie die anderer historischer Persönlichkeiten (Lincoln, Kennedy, Nixon, Hitler, Sissi, Cleopatra usw.) diverse Male als Filmstoff genutzt wurde, hilft dem Film natürlich ebenso wie die zu Sundance-Zeiten geführte Diskussionen um die bei den Oscar-Nominierungen ignorierten Minderheiten (was man im Moonlight-Jahr schnell wieder vergessen hat).

Im Presseheft wird der Regisseur zu seiner Hauptfigur zitiert: »His story demands to be told honestly«. Und gerade diese Ehrlichkeit vermisse ich im Film, der seine Hauptfigur aufbereitet wie den Messias persönlich. Zu einem späten Zeitpunkt des Films raunte ich meinem Sitznachbar zu: »Jetzt fehlt nur noch, dass er gekreuzigt wird«. Und quasi exakt in diesem Moment lehnte sich Nat Turner dann so ans Gitter seines Gefängnisses, dass zumindest die Pose dazu ziemlich deutlich nachgestellt wurde.

Es gibt zwar auch gelungene Szenen im Film (die verräterisch wegrollende Dose, die zwei wirklich schönen Überblendungen, die den Verlauf der Zeit visualisieren), aber ich will mich diesmal mal vor allem auf die Stellen konzentrieren, die mich sehr geärgert haben - auch und vor allem, weil ich da die »Ehrlichkeit« sehr vermisst habe. Ich bin übrigens kein Nat-Turner-Experte, habe mir aber nach dem Film den Wikipedia-Beitrag »gegengelesen« und noch mal die Comic-Adaption des umstrittenen ersten Buchs zum Thema, eines von einem Weißen protokollierten »Geständnisses«, durchgelesen. Und ich muss sagen, Kyle Baker, der neben seinen eher humoristischen Arbeiten (Plastic Man, The Bakers) auch für die afroamerikanische Problemaufarbeitung (sein Captain America war der erste, der seine dunkle Hautfarbe mit ihm teilte) oder biblische Themen (King David) bekannt ist, liefert hier die klar überzeugendere und auch »ehrlich« wirkendere Version des Stoffs.

Aber zurück zu Nate Parker. Ein zentraler dramaturgischer Punkt seines Films ist es, dass »sein« Nat Turner lange Zeit nicht das volle Ausmaß der Greuel gegen die Sklaven erlebt, weil sein Besitzer unverhältnismäßig nett zu seinen Sklaven ist. Mit Samuel (Armie Hammer) teilt sich Nat nicht nur den Nachnamen (was nie erklärt wird, aber auch historisch ein kleines Mysterium zu sein scheint), man sieht die beiden auch als Kinder gemeinsam spielen. Im Verlauf des Films führt implizit diese »Nettigkeit« auch dazu, dass Sam später finanzielle Probleme bekommt. Und auch, wenn der Film sich um die Gründe dafür nicht wirklich schert, fragt man sich als Betrachter schon mehrfach, wie man bis an den Horizont reichende Baumwollfelder bewirtschaften will, wenn man dafür nur ein gutes Dutzend Arbeitskräfte hat, die sich dabei schon mal hübsch blutige Finger holen (die Bilder sind dem Regisseur fast immer wichtiger als die Geschichte), die man aber im Gegensatz zu meinen Eindrücken von der Sklavenhaltung häufig und ausgedehnt bei deren Freizeit beobachtet. Natürlich kann man die zu erzählende Handlung des Films nur eingeschränkt während der Arbeitszeit vorantreiben und in vielen Filmen wird die Arbeit des Helden nur eher aus Alibi-Gründen mal erwähnt, aber das kann man definitiv cleverer umsetzen. Auf mich wirkte es so, als sei die Nostalgie der Bilder des US-amerikanischen Südens à la Gone with the Wind (man beachte auch das unrealistisch knallweiße Herrschaftshaus mit den typischen Säulen) ein Aspekt, der für die Filmemacher viel wichtiger war als »Ehrlichkeit«.

Das sieht man auch beim ersten Auftritt von Cherry-Ann aka Madison Hayne (Aja Naomi King), der »reinen«, »puren« Liebe, die Nat Turners Leben mit bestimmt. Von Anfang an wird es so dargestellt, als sei Nat ihr »Retter« und die gemeinsame Liebe quasi vorbestimmt (und aus seiner Sicht ganz klar »auf den ersten Blick«). Ein Sklavenhändler präsentiert die »comely wench« und es gibt dazu überdeutliche Zwischenschnitte auf den Unterleib einiger potentieller Kunden, die sie offensichtlich nur für eine »Arbeit«/»Nutzung« in Betracht ziehen. Der reine, anständige Nat Turner (und an dieser Stelle muss man quasi zwangsläufig auch an Nate Parkers Sexvergangenheit denken) überredet stattdessen, fast gleichberechtigt neben seinem Besitzer sitzend, diesen, die weitere Arbeiterin zu kaufen, und zeigt sich auch ansonsten sehr sensibel und als perfekter Gentleman. Wenn es dann viel später zur Hochzeitsnacht kommt, die wie direkt aus dem Poesiealbum zu stammen scheint (das aufgeregte Paar steht sich implizit - und dezent umgesetzt - erstmals nackt gegenüber, während sich auf dem Fenstersims zwei unschuldige Kerzen aneinander lehnen und ein gemeinsames gesittetes Feuer abbrennen), dann wirkt das so »ehrlich« wie eine geringfügig aktualisierte Schmonzette aus den 1950ern.

Etwas später kommt es dann zum zentralen Konflikt des Films. Zur Unterstützung (eigentlich Rettung) der verschuldeten Farm soll der autodidaktische Bibelkenner Nat rebellische Sklaven auf Nachbarhöfen mit der Macht des Wort Gottes auf den rechten, also dem weißen Besitzer passenden Pfad führen.

Dabei gibt es einige etwas drastischere Bilder, in deren Zentrum erneut der zum Hauptbösewicht erkorene Sklavenjäger Jackie Earle Haley gerückt wird, dessen gesamte Figur offensichtlich gar nichts mit irgendwelchen historischen Vorbildern zu tun hat, sondern pure - und schlechte - Filmdramaturgie personifiziert. Der fiese Möpp, der schon zentral mitschuldig am Schicksal von Nats Vater war, wird somit auch auf dem Höhepunkt der Sklavenrevolte von Nat getötet. Und Nate Parker inszeniert das so, als hänge der ganze Konflikt, das ganze Gehaue, Gesteche und Massaker, mit diesem einen Paar zusammen. Was einfach bad hollywood ist und keine Vision einer endlich »ehrlich« gedeuteten Geschichte.

Es gab im Film genügend Momente, die mir sehr sauer aufstießen, aber nur wenige, die ich wirklich gelungen fand. Gerade auch Nats religiöse Visionen nervten mich sehr, wirkten aufgesetzt und ließen mich nachhaken, warum der schwarze Engel jetzt eigentlich weiße Flügel haben muss. Das wäre wirklich innovativ und auf seine Art revolutionär gewesen, wenn man das (nicht nur in Menschenrechtsfragen) negativ aufgeladene Schwarz irgendwie so hätte inszenieren können, dass man diese Vision dennoch als »positive« Motivation verstanden hätte. Aber Nate Parker denkt leider in alten Bildern.

In der zentralen Gegenüberstellung von Kyle Baker und Nate Parker überzeugte mich bei Baker übrigens die tatsächlich »ehrlich« wirkende Darstellung des eigentlichen Aufstands, mit ironisch gebrochenen »Revolutionären«, die auf brutale Weise Frauen und Kinder töten und sich nebenbei an den geplünderten Alkoholvorräten der getöteten Sklavenhändler laben. Ganz zentral finde ich hier die Stelle, wo ein schwarzer Holzfäller ein freudig auf ihn zulaufendes Kind, das ihm immer gern bei der Arbeit zuschaute, mit einer behenden Aktion mal eben nebenbei köpft. Die entsprechende Szene bei Nate Parker (und ich muss hier einfach mal davon ausgehen, dass er den Comic kennt, wenn er ein wenig recherchiert hat) wirkt wie ein schlechter Witz. Und natürlich wird nicht einmal ansatzweise im Bild angedeutet, dass auch dies zum »Aufstand zur Freiheit« gehört.

Trotzdem betont Baker auch den Umstand, dass Nat Turner nur einen einzigen Todesfall konkret auf seine Kappe nahm, während bei Nate Parker alles von vorne bis hinten hübsch adrett geschönt wirkt, auf ein großes Publikum hin zurecht geschnitten und letztlich so überflüssig wie ärgerlich.


Bald in Cinemania 167:
Rezensionen zu In Zeiten des abnehmenden Lichtes (Matti Geschonneck), Song to Song (Terrence Malick) und anderen, noch zu sichtenden Filmen.