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9. August 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Der dunkle Turm (Nikolaj Arcel)


Der dunkle Turm
(Nikolaj Arcel)

Originaltitel: The Dark Tower, USA 2017, Buch: Akiva Goldsman & Jeff Pinkner, Anders Thomas Jensen & Nikolaj Arcel, Lit. Vorlage: Stephen King, Kamera: Rasmus Videbæk, Schnitt: Alan Edward Bell, Dan Zimmerman, Musik: Junkie XL, Kostüme: Trish Summerville, Production Design: Christopher Glass , Supervising Art Director: Guy Potgieter, mit Tom Taylor (Jake Chambers), Idris Elba (Roland Deschain / The Gunslinger), Matthew McConaughey (Man in Black / Walter), Katheryn Winnick (Laurie Chambers), Nicholas Pauling (Lon), Jackie Earle Haley (Sayre), Dennis Haysbert (Steven Deschain), Claudia Kim (Arra Champignon), Abbey Lee (Tirana), Ella Gabriel (Rose), Robbie McLean (Toby), Fran Kranz (Pimli), Karl Thaning (Elmer Chambers), José Zúñiga (Dr. Hotchkiss), Michael Barbieri (Timmy), Nicholas Hamilton (Lucas Hanson), Lara Adine Lipschitz (Nurse), Bill Walters (Homeless Man), Adison Eisenberg (Daughter), 95 Min., Kinostart: 10. August 2017

Diese Kritik wendet sich an die Leser der Buchreihe von Stephen King. Ich kann nicht beurteilen, wie man den Film wahrnimmt, wenn man keinen Schimmer von nichts hat. Enttäuscht ist man aber vermutlich so oder so.

Der Film wirkte auf mich wie eine Mischung aus einem Superhelden-Film oder The Matrix (die Showdowns ähneln sich sehr, nur auf die bullet time hat man verzichtet), vermischt mit einer Young-Adult-Story à la The Sorcerer's Apprentice oder Percy Jackson: Gutaussehender Knabe mit gewissen Problemen gerät in eine ihm fremde Welt, wo ihm ein erfahrener Begleiter zur Seite steht, während er Abenteuer besteht. So kann man auch aus einer Buchreihe, in der bereits im allerersten Kapitel die Titelfigur diverse Male Sex hat (inkl. eines sehr phallischen Einsatzes seiner Schusswaffe) und ein ganze Ortschaft nebst Frauen und Kindern über den Haufen ballert, einen Film mit FSK-Freigabe »ab 12« basteln.

A small boy squirmed at him and made the only deep cut, across the bulge of his calf. The gunslinger blew his head off. (S. 88)
He had shot and killed thirty-nine men, fourteen women, and five children. He had shot and killed everyone in Tull. (S. 89)

Im mittlerweile eher unwahrscheinlichen Fall, dass The Dark Tower zum Kassenschlager wird, soll dann die eigentliche Geschichte der Bücher als Fernsehserie umgesetzt werden, Idris Elba ist wohl schon gecastet.

Der dunkle Turm (Nikolaj Arcel)

© 2017 Sony Pictures Releasing

Die Geschichte des Films soll wohl eine Art Sequel sein, dass mit teilweise den Figuren der Buchreihe (vorrangig dem Ensemble aus The Gunslinger, also Roland, Jake und dem Man in Black, aber auch mit halbvergessenen und hier umgedeuteten oder ausgeschmückten Nebenfiguren von irgendwoher aus der Buchreihe, wie Sayre, Pimli, Arra oder Dr. Hotchkiss) eine Variation der bekannten Geschichte erzählt, bei der Hardcore-Fans, die auch darauf achten, was mal vor einem Jahr auf Stephen Kings Twitter-Account passierte, vor allem dem im Film kaum ins Gewicht fallenden »Horn of Eld« eine besondere Bedeutung zumessen.

Irgendwann spricht der Man in Black im Film mal von Rolands gunslinger friends, damit ist vermutlich das ka-tet gemeint, das dann in der Fernsehserie auftauchen wird, die - wegen des unsympathischen Einstiegs Rolands in The Gunslinger, erst in Band 4, Wizard and Glass, einsteigen soll. Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht.

Hier mal eine Zusammenfassung der Geschichte, wie sie im Film erzählt wird: Der 14jährige New Yorker Knabe Jake (Tom Taylor) wird von Visionen / Alpträumen geplagt, in denen der Man in Black (Matthew McConaughey) mit der Hilfe begabter und gekidnappter Kinder den dunklen Turm angreift, der im Zentrum des Universums steht und alle Welten stützt. Fällt der Turm, ist überall Schicht im Schacht. Weil die Ereignisse auf fremden Welten auch ein Echo auf andere Welten haben, wird New York schon seit längerem von Erdbeben heimgesucht.

Dummerweise glaubt keiner dem Jungen, der zu einem »Therapielager« geschickt werden soll, das genau jenes Kindergefängnis mit den »breakers« zu sein scheint, von dem Jake immer träumt. Er reißt aus und schafft es, nach Midworld zu geraten, die Welt des Gunslingers Roland (Idris Elba). Da beginnt dann die Freundschaft zwischen Jake und Roland scheinbar neu (mit Aussparung jenes wichtigen Details, das im Buch einen Schatten auf die Beziehung wirft), Teile davon erinnern an Band 1 (ein Hase wird geschossen und verzehrt) oder Band 5-7 (Überfall auf das Manni-Dorf, Entdeckung diverser Portale, Showdown im Dixie-Pig), aber das meiste ist komplett neu zusammengeschmissen.

Die ganze Sequel-Kiste wird noch komplexer dadurch, dass auch die Vorgeschichte der Hauptfiguren verändert wird (was implizit Alternativwelten beschwört). Eine nur auf den ersten Blick clevere Idee der Drehbuchautoren besteht darin, dass die im Film auffallend häufig zitierte schlimmstmögliche Sünde »das Gesicht des Vaters zu vergessen« eine neue zusätzliche Gravitas bekommt, weil sowohl Roland als auch Jake im Film eine deutlich innigere Beziehung zu ihren Vätern haben als in der Buchreihe. Im Film wird über Jakes Familie (inkl. eines Stiefvaters) eine halbherzige und reichlich klischierte emotionale Bindung gebastelt, die aber auch nicht recht fruchtet.

Der dunkle Turm (Nikolaj Arcel)

© 2017 Sony Pictures Releasing

Die Filmgeschichte ist sehr geradlinig, hängt sich aber auch sehr am Young-Adult-Haken auf, der eher die Geschichte von Ted Brautigan und Bobby Garfield in Low Men in Yellow Coats erzählt (für Leute, die lieber Filme schauen als Bücher lesen: Anthony Hopkins und Anton Yelchin in Hearts in Atlantis). Also einem Handlungspunkt, der erst in den letzten Büchern der Reihe ins Spiel kommt (aber den Knaben Jake besser in den Mittelpunkt rückt, ohne ihn mehrfach zu töten, was zwölfjährige Zuschauer vermutlich nicht so begeistert).

Am schlimmsten bei der kindgerechten Uminterpretierung ist die Heldentat Jakes, der sich ein bisschen in ein gleichaltriges Mädchen im Manni-Dorf verschaut, das er dann rettet, wobei man aber nicht mal ihren Namen erfährt. Auch dies eine Variation aus Wolves of the Calla (Band 5), nur dass es dort um eine Freundschaft zu einem Jungen geht, der man einige Wochen zum Reifen gibt, wo es im Film nur für ca. drei Blickwechsel reicht.

Für Kinobesucher, die nicht jeden Band der Dark-Tower-Serie auswendig kennen, aber zumindest schon mal irgendwas von Stephen King gehört haben, gibt es diverse Anspielungen, die wohl das Äquivalent zu den Querverweisen in ca. 20 Romanen Kings sein sollen. Deshalb hat Jake jetzt eine ausgeprägte psychische Fähigkeit, die shine heißt (in den dt. Untertiteln der OmU-Fassung einfach mal in »Shining« umgedichtet, damit es auch jeder kapiert), es geht mal um Rolands final stand (der hier eher an den US-amerikanischen Bürgerkrieg erinnert), vor einer ganz blöden Monsterszene in einem Wald sieht man einen Jahrmarkt-mäßigen Schriftzug »Pennywise« mit einer Clownfigur und Luftballons ... und als ich mal geblinzelt habe, soll auch noch ein Cujo-ähnlicher Hund durchs Bild gelaufen sein.

Gemeinsam mit den mühsam in die Exposition gequälten Hinweisen auf die King'sche Mammut-Mythologie (King Arthur wird erwähnt, in einem Kino laufen Spaghetti-Western, eine gewisse Parallele zu 9-11 wird zumindest angedeutet) kann der uneingeweihte Zuschauer über diese easter eggs zumindest erahnen, was der Dark-Tower-Zyklus in Buch, Comic oder vielleicht bald Fernsehserie noch so »in petto« hat. Aber von einem einigermaßen major motion picture erwartet man mehr als Appetithäppchen - und hat meines Erachtens auch ein Anrecht darauf.

Der dunkle Turm (Nikolaj Arcel)

© 2017 Sony Pictures Releasing

Ärgerlicher als das Scheitern als King-Adaption ist aber der Umstand, dass der Film als solches nicht ansatzweise überzeugt. Die Schauspielleistungen sind in Ordnung, insbesondere Matthew McConaughey, der die besten Dialogzeilen bekommt (»Stop breathing!«), macht Spaß, und bei den fish-out-of-water-Sequenzen von Roland in New York hinterlassen einige nette Gags eigentlich den besten Eindruck des ganzen Films (auch, wenn sie zum restlichen Tonfall so gar nicht passen). Aber das Kernstück des Films, der Kampf zwischen den beiden Männern, wirkt wie der Showdown eines mittelprächtigen Marvel-Films. Idris Elba schießt und Matthew McConaughey fängt die Kugeln auf oder lenkt sie ab, als sei er Doctor Strange. Und während die visuelle Umsetzung von Rolands schnellem Nachladen wirklich gut gelungen ist, wird er zum Schluss zu einer Witzfigur, deren ungeahnt Fähigkeiten selbst Lucky Lukes »er schießt schneller als sein Schatten« physikalisch bestens durchdacht erscheinen lassen. Was für ein Schmarrn!

Regisseur und Co-Autor Nikolaj Arcel (En kongelig affære / Die Königin und der Leibarzt) soll seit Teenagerzeiten ein großer Stephen-King-Fan sein. Mit diesem Film erweist er King und den Fans der Buchreihe einen Bärendienst, der nur geringfügig weniger peinlich geriet als Frank Millers The Spirit, nach wie vor die »Ehrerweisung«, die am deutlichsten einer Grabschändung gleicht. The Dark Tower wirkt verglichen damit »nur« wie jemand, der in einem Taucheranzug zu einer Beerdigung geht. Aber Stephen King wird das Ganze überleben und noch ein bisschen mehr Kohle für seine Kindeskinder zur Seite legen können.

Bevor ich mir die Fernsehserie anschaue, muss aber schon etwas ganz Bedeutendes passieren. Da lese ich lieber die Bücher zum dritten oder vierten Mal.

Ach ja, das Beste am Film: er geht nur 95 Minuten. Was eine Gnade ist, aber vermutlich eher finanzielle Gründe hat.