Vorwärts immer!
(Franziska Meletzky)
Deutschland 2017, Buch: Markus Thebe, Kamera: Bella Halben, Schnitt: Zaz Montana, Kostüme: Esther Amuser, Production Design: Thomas Stammer, mit Jörg Schüttauf (Otto Wolf / Erich Honecker), Josephine Preuß (Anne Wolf), Marc Benjamin (Matti Stein), Jacob Matschenz (August Weiss), Hedi Kriegeskotte (Margot Honecker), Devid Striesow (Harry Stein), Andre Jung (Hans Götze / Erich Mielke), Alexander Schubert (Egbert Rauch / Egon Krenz), Steffen Scheumann (Boris Kelm), Stephan Grossmann (Theodor Dombrich, Regisseur), Samia Muriel Chancrin (Stasifrau Birgit Müller), Johannes Richard Voelkel (Thomas Wittke, Stasimann 1), Tom Keune (Wolf-Dieter Seifert, Stasimann 2), Christoph Glaubacker (Stefan Schäfer), Fritz Roth (Günter Schabowski), Damir Cosic (Sasha Kurlensky), Anabel Möbius (Nora Wolf), 90 Min., Kinostart: 12. Oktober 2017
»Genosse Mielcke, Erich hat wieder Herzrasen!« - Der Tonfall erinnert anfänglich an Helmut Dietls Schtonk! (1992), doch die wahre Inspiration der neuesten Ostalgie-Komödie offenbart sich sehr schnell, denn die erste Szene des Films erweist sich als Theaterprobe, der Erich Honecker ist so falsch wie einst der Hitler in Ernst Lubitschs To Be Or Not To Be (1942).
Die Theaterdarsteller müssen hüben wie drüben die Mächtigen fürchten, trauen sich aber zunächst an eine Satire (hier mit Titel »Vorwärts immer«), die ihnen den Job kosten könnte (bei Lubitsch eher den Kopf), ehe sie dann aus bestimmten Gründen in die »Höhle des Löwen«, also die hohen Regierungsstuben, eintreten und dort im Angesicht des real deal beweisen müssen, ob ihre schmierenkomödiantischen Talente ihnen das Leben retten können.
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In Vorwärts immer! sind die Schauspieler etwas prominenter als einst der selbstverliebte Joseph Tura, immerhin sind sie teilweise mit staatlichen Preisen ausgezeichnet. Zwischen zweien der Schauspieler, Otto Wolf (Jörg Schüttauf, Berlin is in Germany, Der Staat gegen Fritz Bauer) und Harry Stein (Devid Striesow, Yella, Ich bin dann mal weg, eine eher kleine Rolle) gibt es somit auch einen Dauertwist (beide wollen die Honecker-Rolle), weil Wolf dem systemkonformeren Stein unterstellt, dass dieser vor allem deshalb zum Günstling der staatlichen Theaterlobby wurde, weil er opportuner sei. Was im Grunde meinen gesamten letzten Absatz mit den »ausgezeichneten« Darstellern gleich wieder zurücknimmt. Im Film formuliert der Theater-Darsteller des Erich Mielcke (Andre Jung) das so: »Ich frage mich nur, ob ich meinen Hals für ein systemkritisches Stück riskieren will, wenn wir uns auf diesem künstlerischen Niveau befinden.« Fazit: ein bisschen verdreht, aber klar am Lubitsch-Vorbild orientiert.
Nicht bei Lubitsch gibt es den klar umrissenen historisch entscheidenden Zeitpunkt. Zwei Tage nach den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR geht es um die Leipziger Demonstrationen vom 9. Oktober 1989, bei denen alles danach aussieht, als würden sie von der Staatsmacht niedergeknüppelt werden. Im Film erfährt man dann, woran dies gelegen haben könnte (also quasi eine alternative Geschichtsinterpretation).
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Auch nicht bei Lubitsch, weil das Kino-Zielpublikum damals als noch viel älter angesetzt wurde: ein Dreieck aus drei jungen Menschen, bei dem eine Konstellation à la Romeo & Juliet angestrebt wird: Anna (Josephine Preuß, Türkisch für Anfänger) ist schwanger von Matti (Marc Benjamin, Vaterfreuden, High Society), doch die Beziehung steht unter einem schlechten Stern, denn es handelt sich ausgerechnet um die Sprößlinge der verfeindeten Schauspielgrößen. Der dritte junge Darsteller ist Jacob Matschenz (Renn, wenn du kannst, Jack), damit die Streitgkeiten in diesem Teil des Films etwas größer ausfallen können.
Zwischen Anna und ihrem Vater kommt es zu einem Streit, sie landet nach einigen Verwicklungen in Leipzig, natürlich will sie mitdemonstrieren, und schließlich soll Vater Otto in seiner Honecker-Verkleidung den Schussbefehl der »chinesischen Lösung« revidieren, was ihn in allerlei unterschiedlich ulkige Situationen bringt, von einem vermeintlichen Techtelmechtel hinter einem Vorhang bis hin zum gemeinsamen Heim mit Margot (Hedi Kriegeskotte), wo unter anderem auch das alte Versteck Kleiderschrank ins Spiel kommt (ich war übrigens ganz verliebt in die Ausstattung des Treppenhauses der Honeckers [nicht das im Bild unten], mit einem hübschen Wechsel von Familienfotos und Kleingeweihen).
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Die Idee an sich ist sehr charmant, ungeachtet des Bayrischen Filmpreises für die Regisseurin (an dieser Stelle bitte keine Parallelen zu früheren Äußerungen über Staatspreise ziehen!) muss ich aber sagen, dass es hier und da eindeutig zu klamaukig wird. Die hochdramatische Flucht auf einen Leipziger Mauervorsprung wirkt nicht nur wie das Standardrepertoire gewisser Komödien, die Demonstration ist auch einfach suboptimal inszeniert. Und der Umstand, dass sich die Theaterversionen und ihre politischen Vorbilder immer bis aufs Haar gleichen (und natürlich von den selben Darstellern gespielt werden) wirkte auf mich auch wie eine allzu gefällige Lösung. Der Morphing-Gag ganz zum Schluss (nach einer Ankunft im Westen, die wirkt wie ein Ausflug nach Disneyland) ist dann aber der ultimative Schlag unter die Niveau-Gürtelschnalle.
Nichtsdestotrotz, der Film hat genügend nette Ideen, um über die kleinen Schwächen hinwegzusehen. Wenn man seit Jahren mal endlich wieder eine Banane essen will, darf die auch eine matschige Stelle haben.
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Aus unterschiedlichen Gründen sehr erfreut haben mich übrigens die Auftritte von Alexander Schubert (Heute-Show, Bullyparade - Der Film) als Egon Krenz bzw. seinem Theaterdarsteller (physiognomisch übertrieben wie eine Karikatur, aber hier funktioniert es) und Fritz Roth (Mucksmäuschenstill, Komm näher) als Günter Schabowski (Mini-Auftritt).