Three Billboards outside Ebbing, Missouri
(Martin McDonagh)
UK / USA 2017, Buch: Martin McDonagh, Kamera: Ben David, Schnitt: John Gregory, Musik: Carter Burwell, Kostüme: Melissa Toth, Production Design: Inbal Weinberg, mit Frances McDormand (Mildred Hayes), Woody Harrelson (William Willoughby), Sam Rockwell (Jason Dixon), Peter Dinklage (James), Lucas Hedges (Robbie Hayes), Abbie Cornish (Anne Willoughby), Darrell Britt-Gibson (Jerome), Clarke Peters (Abercrombie), Sandy Martin (Momma Dixon), Zeljko Ivanek (Desk Sergeant Cedric Connolly), John Hawkes (Charlie), Samara Weaving (Penelope), Caleb Landry Jones (Red Welby), Kerry Condon (Pamela), Michael Aaron Milligan (Pal), Amanda Warren (Denise), Kathryn Newton (Angela Hayes), Malaya Rivera Drew (Reporter Gabriella), Jerry Winsett (Dentist Geoffrey), Nick Searcy (Father Montgomery), Riya May Atwood (Polly Willoughby), Selah Atwood (Jane Willoughby), 115 Min., Kinostart: 25. Januar 2018
Die ersten beiden wirklich guten Filme des neuen Jahres ähneln sich insofern, dass ich in beiden Fällen die früheren Filme der Regisseure kannte (und mochte), aber nicht im entferntesten damit gerechnet habe, dass sie sich so zum Vorteil verändern würden. Noch stärker trifft dies auf Joachim Triers Thelma zu, aber spätestens die vier Golden Globes für den besten Film (Drama), das beste Drehbuch und die Darsteller Frances McDormand und Sam Rockwell unterstreichen dies bei Three Billboards outside Ebbing, Missouri natürlich ebenso.
Martin McDonagh (bitte nicht verwechseln mit seinem Bruder John Michael McDonagh, der Filme wie The Guard, Calvary und War on Everyone drehte) begann einst als playwright, also Theaterautor, und seinen damals reichlich vorhandenen (und typisch irischen) Zorn auf die Kirche findet man auch in (ich verwende hier einen Kurztitel) Billboards wieder. Vom Tonfall erinnern seltsamerweise eher die ersten beiden Filme seines Bruders an Martins Stücke (zufälligerweise kenne ich zumindest drei davon). Martins erste Filmarbeiten In Bruges (dt.: Brügge sehen... und sterben?) und 7 Psychopaths waren indes durchaus unterhaltsam und für eine Kinokarriere »ausbaubar«, ließen aber diese karge kompromisslose Fatalität vermissen, die man aus seinen Stücken kannte, und machten eher aus einem gewalttätigen Plot massentaugliche, aber nicht sehr tiefschürfende schwarze Komödien. So ein bisschen wie die Frühwerke von Guy Ritchie, aber ohne dessen Homophobie und auch mit weniger Machoallüren.
© 2017 Twentieth Century Fox
Billboards ist zwar ebenfalls immens witzig, aber es geht hier um erfahrbare Konsequenz und echte moralische Fragen, nicht nur um die Frage »Wer überlebt?«, die Martins ersten beiden Filme prägte.
Man spürt hier, wie McDonagh als Drehbuchautor gereift ist und nach seinen eher schwach besiedelten Theaterstücken (soll heißen: mit wenigen Figuren versehen) den richtigen Stoff für ein größeres Ensemble fand.
Womöglich verstärkt die Zusammenarbeit mit Frances McDormand und Komponist Carter Burwell den Eindruck, aber Billboards wirkt wie ein Film der Coen-Brothers. Ein wirklich guter Film der Coen-Brothers, denn auf dem weniger überzeugenden zynischen Gewalttrip mit geringer Wertschätzung für ihre Figuren waren die Brüder Joel und Ethan ganz wie Martin McDonagh (und Bruder John Michael mit seinem War on Everyone) schon öfters unterwegs.
© 2017 Twentieth Century Fox
Zur Feier der Inhaltsprämisse müssen wir den Filmtitel noch mal in seiner gesamten Länge ausschreiben: Three Billboards outside Ebbing, Missouri. Wenn man nichts über den Film weiß, klingt das sehr umständlich und klobig. Wenn man ihn einmal gesehen hat, wird man ihn anhand des Titels jederzeit wiedererkennen. In einer Kleinstadt in Missouri informiert sich Mildred Hayes (Frances McDormand) bei der »Ebbing Advertising Company« über drei heruntergekommene Plakatwände entlang einer wenig befahrenen Ortseinfahrt. Kann man die mieten? Was kostet das? Und gibt es legale Einschränkung, was man darauf plakatieren kann?
Nachdem sie diese Punkte geklärt hat, werden in schwarzer Schrift auf nahezu blutrotem Hintergrund drei aufeinander aufbauende Textnachrichten angebracht, die für einige Kontroversen sorgen. Mildreds Beweggrund: Vor einiger Zeit wurde ihre Tochter vergewaltigt, verbrannt und ermordet (nicht unbedingt in der naheliegendsten Reihenfolge) - aber es wirkt nicht unbedingt so, als wäre die örtliche Polizei sehr erpicht auf eine Auflösung des Falls. Weshalb sie ihn so in Erinnerung rufen will. Dass Polizeichef Willoughby (Woody Harrelson als eine der am positivsten gezeichneten und besonnensten Figuren) schwer krebskrank ist, ist Mildred übrigens bekannt, wie sie ihm in einem Gespräch offenbart (»And you still put up these billboards?« - »Well, they wouldn't be effective after you croaked, eh?«).
© 2017 Twentieth Century Fox
Die Gangart des Films ist ähnlich hart wie in McDonaghs früheren Filmen, wie spätestens bei einem Zahnarztbesuch klar wird. Das Erstaunliche aber ist, wie man hier zahlreiche unerfreuliche gesellschaftliche Themen (vor allem geht es um die Benachteiligung diverser schwächerer Gruppen) mit einem handfesten Humor vermischt, aber dabei dennoch die Figuren (selbst die negativ gezeichneten) nicht einfach zu Witzfiguren macht, sondern eigentlich jedem eine Chance gibt. Hier geht es nicht um Gut und Böse, sondern diverse Grauschattierungen.
So erfährt man etwa im Verlauf des Films das Mildred nicht einfach nur für die Gerechtigkeit kämpft, sondern sich mitschuldig fühlt. Oder dass der mal wieder hervorragende Sam Rockwell (bekannt aus Filmen wie Moon oder Confessions of a Dangerous Mind) nicht einfach nur ein dummes Muttersöhnchen ist, dass unter dem Deckmantel seines Polizeijobs auch schon rassistische Folterungen durchführte, sondern auch er Gefühle hat und versucht, frühere Vergehen wiedergutzumachen (auch, wenn es beim Drehbuch schon darum geht, gegensätzliche Figuren öfters mal miteinander zu konfrontieren, um Reaktionen zu erzwingen).
© 2017 Twentieth Century Fox
Ich möchte so wenig wie möglich über den Storyverlauf verraten (weil eine Menge passiert), aber der Film strotzt nur so von guten Ideen und detailliert ausgearbeiteten Nebenfiguren, bei denen es größtenteils eine Freude, sie miteinander agieren zu sehen - solange nicht wieder mal etwas gehörig aus dem Ruder läuft und die Gewalt Einzug nimmt.
Zu meinen wenigen Kritikpunkten (Jammern auf hohem Niveau) gehört, dass man inmitten einer rückständigen Gesellschaft, wo gerade die Männer mit vielem durchkommen (Mildred beschreibt ihren Ex-Mann als »ex, ex-cop, ex-wifebeater«), aber die größtenteils herzensguten, jungen und attraktiven Frauen sich das nicht nur offenbar gefallen lassen (man hat sich scheinbar ans Patriarchat gewöhnt), sondern auch in Beziehungen mit deutlich älteren und auch nicht unbedingt äußerlich oder innerlich attraktiven Männern geraten. Nur Frances McDormand in ihrer Rolle scheint diesem uralten Hollywood-Klischee nicht zu entsprechen. McDonagh soll ihr die Rolle ja auf den Leib geschrieben haben, aber warum war da kein Raum für eine zweite Frau, die nicht nur jung, hübsch und begehrenswert ist, während die Männer das gesamte Spektrum von gefährlich, borniert, rassistisch, verknittert, lächerlich usw. abstecken. Die einzige »auffällige« Frauenfigur neben Mildred und einer schwarzen Fotografin, die aber kaum screen time bekommt ist, die sehr junge neue Freundin von Mildreds Exmann, deren hervorstechendes Merkmal Dummheit zu sein scheint (aber immerhin spielt Samara Weaving das hingebungsvoll).
Ein intelligenter Film zum Nachdenken, mit ambivalenten Figuren, erstaunlichen Entwicklungen, einem durchdachten Finale - und nebenbei wird man auch noch überdurchschnittlich gut unterhalten.