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17. August 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Nope (Jordan Peele)


Nope
(Jordan Peele)

Originaltitel: Nope, USA 2022, Buch: Jordan Peele, Kamera: Hoyte van Hoytema, Schnitt: Nicholas Monsour, Musik: Michael Abels, Kostüme: Alex Bovaird, Production Design: Ruth De Jong, Art Direction: Samantha Englender, Set Decoration: Gene Serdena, mit Daniel Kaluuya (Otis »O.J.« Haywood Jr.), Keke Palmer (Emerald »Em« Haywood), Brandon Perea (Angel Torres), Steven Yeun (Ricky »Jupe« Park), Michael Wincott (Antlers Holst), Terry Notary (Gordy), Wrenn Schmidt (Amber Park), Keith David (Otis Haywood Sr.), Osgood Perkins (Fynn Bachman), Eddie Jemison (Buster), Barbie Ferrera (Nessie), Devon Graye (Ryder Muybridge), Donna Mills (Bonnie Clayton), Jacob Kim (Young Ricky »Jupe« Park), Sophia Coto (Mary Jo Elliott), Jennifer Lafleur (Phyllis Mayberry / Margaret Houston), Andrew Patrick Ralston (Tom Bogan / Brett Houston), Alex Hyde-White (Grizz), Netty Chang (Herself), 130 Min., Kinostart: 11. August 2022

Bei der Kombination der drei Begriffe »Sitcom«, »Außerirdischer« und »Tier namens Lucky« dürften viele Landsleute meiner Generation die Stimme von Tommi Piper im Ohr haben, und daran wird Nope trotz des Versuchs einer Neuverortung nicht wirklich etwas ändern. Zum Schluss des Films erfährt man, dass die spektakulärste Kulisse des Films ab sofort Teil der Universal Studios Tour sein soll, aber ich würde mein erstgeborenes Kind wetten, dass der dritte Film von Jordan Peele (Get Out, Us) 50 Jahre nach dem Kinostart auch nur ansatzweise noch so bekannt sein wird wie beispielsweise Hitchcocks Psycho oder Spielbergs Jaws (um zwei prominente, aber nicht »klassische*« Horrorfilme des Studios zu nennen)

*Die klassischen Universal-Horror-Filme sind Schwarzweißstreifen wie Frankenstein, Dracula (die Version mit Bela Lugosi), The Wolf Man, The Mummy, The Invisible Man oder The Creature from the Black Lagoon, also jeweils Filme mit einem übernatürlichen Monster. Und ich rutsche hier kurzzeitig in die Rolle eines Lehrers im Bereich Filmgeschichte, weil Jordan Peele das bei Nope auch macht.

Nope (Jordan Peele)

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Bekannt ist Peele für seine dezidiert um Themenkomplexe der black community drapierten Gruselfilme, bei denen passenderweise auch schwarzer Humor eine nicht geringe Rolle spielt. In Nope hängt er sich auch an den grassierenden diversity-Trend und bevölkert sein Figurenensemble vorrangig mit Minderheiten, neben der schwarzen Familie Haywood, die sich als Nachfahren des schwarzen Jockeys auf der berühmten Muybridge-Bewegungsstudie eines galoppierenden Pferds präsentieren (Filmgeschichte, die erste) gibt es hier die Familie eines ehemaligen koreanischen Kinderstars und einen Elektrofachverkäufer, der offenbar lateinamerikanische Wurzeln hat. Die früher standardmäßigen Kaukasier sind in diesem Film erstaunlich dünn gestreut, aber man vermisst sie auch nicht wirklich.

Worum geht's in Nope? Wie bei den Filmen von M. Night Shyamalan (aber nicht ganz so schlimm auf einen Schlusstwist fixiert) sollte man am besten nicht zu viel über die Handlung wissen. Ich verrate mal, wie es auch das Filmplakat nahelegt, dass es um ein UAP, also ein Unexplained Aerial Phenomenon geht (das Akronym UFO ist wohl nicht mehr so angesagt, aber streng genommen werden hier auch zwei unterschiedliche Sachen beschrieben). Ich weiß nicht genau, woher Jordan Peele seine Inspirationen für die ziemlich ausschweifende Handlung seines Films hat, aber mich erinnerten Teilaspekte des Films ziemlich stark an die Novellensammlung Strange Weather von Joe Hill, dem nicht völlig aus der Art geschlagenen Literatensohn von Stephen King.

Das größte Problem von Nope ist, dass nicht jeder Kinozuschauer sich mit dem Thema des Films anfreunden wird. Wer bei den X-Files oder Star Trek-Episoden, in denen man mit einer völlig neuartigen Lebensform konfrontiert wird, eher umschalten, könnten auch bei Nope der meinung sein, dass es eher um überzogenen Unsinn geht. Aber wer kann in einer Welt, wo Millionen Menschen als Lieblings-Filmgenre »Marvel-Filme« benennen und die letzten wirklich populären Fernsehserien The Walking Dead und Game of Thrones hießen, auf solche Details noch Rücksicht nehmen? Für etwas, was nahe an der Realität ist, geht kaum noch jemand ins Kino...

Nope (Jordan Peele)

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Lässt man sich aber auf die ziemlich abgedrehte Story ein, gibt es vieles zu entdecken. Irgendwie erinnert mich Jordan Peele an Quentin Tarantino. Nicht an die naheliegenden Manierismen (auch, wenn es hier einen wunderbaren blutigen Moment nichtchronologischen Erzählens gibt), sondern eher daran, wie man sich unbeirrbar an den eigenen Stärken orientiert. Wenn man die Handlung des Films seziert, stellt man schnell fest, dass Peele einige Zeit gebastelt haben muss, bis die einzelnen Puzzleteile zueinander fanden. Mein liebstes Detail im Film ist das Logo von »Haywood's Hollywood Horses«, wobei die drei Hs aus einem zusammenhängenden Zelluloidstreifen bestehen, der einen historischen Bogen zur bereits erwähnten Muybridge-Pferdestudie schlägt. Ähnlich baut Peele die zu den Zeiten der Dreharbeiten noch existierende Elektromarkt-Kette »Fry's« mit in die Geschichte ein, der umfassende Hintergrund des fiktiven Films Kid Sheriff hält den Film zusammen wie nur irgendwas ... und diese kleinen, sehr sorgsam bedachten Details zeichnen den Film aus.

In Horrorfilmen arbeitet man ja auch gern mit solchen scares (vermutlich gibt es einen Fachbegriff, der mir gerade nicht einfällt). Wenn der Zuschauer einen Killer mit einem Messer, einen Werwolf oder was auch immer erwartet, so kann man ihn immer mal wieder mit einer harmlosen Überraschung auf der Kante des Kinosessels bannen. In Ridley Scotts Klassiker Alien taucht in ungünstigen Momenten immer mal wieder die Katze Jones auf, in einem der Jahrzehnte später entstandenen Sequel / Spin-Off, in denen die Aliens gegen die Predators antreten mussten, erinnert man ein wenig daran, wenn in einem Polargebiet zu gruseliger nächtlicher Stunde keine Katze auftaucht, sondern ein Pinguin - ein in die speziellen Gefilde passendes Tier, wie es kaum possierlicher sein könnte... außer, wenn man alle Nase damit rechnet, auf tödliche Außerirdische zu stoßen.

Nope (Jordan Peele)

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Von diesen scares gibt es in Nope auch ein paar, und wenn man sich die Zeit nimmt, darüber nachzudenken, so wird man feststellen, dass diese Momente neben der dramaturgischen Funktion immer auch zur Handlung beitragen. Und das zeugt einfach von der Liebe, die Peele für das filmische Handwerk empfindet. Und wie einen im Nachhinein harmlose Dinge für kurze Momente den Puls hochschnellen lassen, so zieht Peele auch aus scheinbar harmlosen Objekten den größten Schrecken in seinem Film. Wenn sie nämlich plötzlich mal nicht mehr harmlos sind - oder sie auf eine komödiantische Art die Spannung erhöhen. Ich denk mir mal fix ein Beispiel aus, wie ich das beschreiben kann...

Das beste Beispiel, das mir dazu auf die Schnelle einfällt, ist der Marshmallow Man aus Ghostbusters. Im eigentlichen Film wird das Prinzip gar nicht mal über Gebühr thematisiert, aber in einem anderen Kontext als als riesiges Kaiju-Monster, das eine Stadt zu zerstören droht, ist so eine freundliche und gutschmeckende Cartoon-Figur natürlich das absolute Gegenteil einer Gefahr, und auf diese Art kann man sich unzählige harmlose Alltagsgegenstände vorstellen, die in einem beliebigen Teil der Final Destination-Franchise zu einem vorzeitigen Abgang führen können. Aus irgendwelchen Gründen fällt mir hierbei gerade das Mikrowellen-Popcorn aus Scream ein, an dem man sich womöglich durch eine ungeschickte Fügung des Schicksals bösartig verbrennen könnte. Andererseits ist so ein Mikrowellenherd im Kampf gegen garstige Gremlins in den Händen einer Hausfrau eine ähnlich tödliche Waffe wie ein Mixer. Und mit vergleichbaren Gegensätzen spielt auch Jordan Peele, dessen seltsam abgedrehter, realitätsferner Grusel den einen Zuschauer einfach nur nerven könnte (»Boah, was für ein Schwachfug!«), während andere darin vielleicht »the thinking man's horror movie« entdecken. Ich muss eingestehen, ich befinde mich hier etwa in der Mitte zwischen den Extremen: Nope ist gut durchdacht und funktioniert auch als Film ... aber einiges ist auch reichlich zu fett aufgetragen.

Nope (Jordan Peele)

© Universal Studios. All Rights Reserved.

Aber es ist offensichtlich, dass Jordan Peele es exakt so möchte, und das ist auch sein gutes Recht. Und vielleicht sein größtes Talent.

Wer seine bisherigen Filme begleitet hat, wird diesmal auch feststellen, dass er auf die große Botschaft im historischen Mit- und Gegeneinander der hell- und dunkelhäutigen Teile der Gesellschaft diesmal eher verzichtet. Aber, um noch mal M. Night Shyamalan ins Spiel zu bringen: Mitunter ist es durchaus von Vorteil, wenn man sich frühzeitig aus der Schublade verabschiedet, in die man sich schnell hineinmanövrieren kann.

Es gibt noch viele Aspekte des Films, über die ich mich gerne unterhalten würde, mit jemandem, der den Film kennt. Lesenden, die den Film erst noch erleben müssen, tut man mit diesen Themen aber keinen Gefallen. Die eine Sache, die ich aber noch erwähnen kann, ohne irgendetwas zu spoilern: In Nope gibt es ca. 700 visual effects shots, aber sicher zwei Drittel davon wird man kaum wahrnehmen, wenn man nicht deutlich aufmerksamer Filme schaut, als ich es tue. Ich frage mich, ob ich den Film ein zweites (oder gar drittes) Mal schauen sollte, um ganz auf diese Details zu achten. Und es würde mich auch sehr interessieren, wie andere Zuschauer auf diese Fragestellung reagieren würden.

'Nuff said.