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12. April 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Cocaine Bear (Elizabeth Banks)


Cocaine Bear
(Elizabeth Banks)

USA 2023, Buch: Jimmy Warden, Kamera: John Guleserian, Schnitt: Joel Negron, Musik: Mark Mothersbaugh, Daily Prosthetics Supervisor: Matthew Smith, mit Keri Russell (Sari), Alden Ehrenreich (Eddie), O'Shea Jackson Jr. (Daveed), Isiah Whitlock Jr. (Bob), Margo Martindale (Ranger Liz), Ray Liotta (Syd), Brooklynn Prince (Dee Dee), Christian Convery (Henry), Aaron Holliday (Stache), Jesse Tyler Ferguson (Peter), Ayoola Smart (Officer Reba), Scott Seiss (Medic Tom), Kahyun Kim (Medic Beth), Kristofer Hivju (Kristoffer), Hannah Hoekstra (Elsa), J.B. Moore (»Vest«), Leo Hanna (»Ponytail«), Matthew Rhys (Andrew Thornton), New York / Paris (Rosette), Allan Henry (Bear Performer), 95 Min., Kinostart: 13. April 2023

In der Post-Corona-Zeit gehe ich nur noch 12-13 mal im Jahr ins Kino, und meine Filmauswahl wird zu großem Teil von meinen Arbeitszeiten diktiert. Bei 25 Wochenstunden kann man noch so ca. 4-6 Pressevorführungen die Woche wahrnehmen, ohne viel mit Kollegen über Hin- und Herschieberei von Schichten zu palavern, ich muss nicht mehr jeden interessant klingenden Film sehen, will aber auch nicht ins Kino, wenn ich schon erwarte, kein Vergnügen dabei zu haben. Dies führte auch zu meiner ersten Filmauswahl in diesem Jahr, M3gan. Ich mag Horror, war interessiert und schaute mir den Trailer an. Ich war überzeugt. Das Hauptproblem am Film war: im Trailer hatte man schon gefühlt 75% der wirklich guten Szenen gesehen, und die großartige Hintergrund-Musik war nur für den Trailer ausgewählt und kam nirgends im Film vor. Bei Cocaine Bear erwartete ich ähnliches. Auf imdb hat so ein Möchtegern-Experte den Film so zusammengefasst: »A horror comedy that's not funny and not frightening.« Nach Sichtung des Trailers kann man sich gut vorstellen, dass dies zutreffen könnte. Einige gut ausgewählte Dialogsätze (»We have such good luck in nature...«, »The forest is a dangerous place.«, »Let's see what kind of effect it has on it.«) könnten sich, über den ganzen Film ausgebreitet, als Langweiler erweisen, und der geniale Hintergrund-Song White Lines mit dem »Get higher, baby!« zu einer Szene, wo der Bär auf einen Baum klettert, lebt in seiner Genialität sehr davon, wie sehr er auf die Trailer-Montage zugeschnitten ist, das ganze Unterfangen könnte also schnell in die Hose gehen...

Aber ich verließ mich zum einen auf die für solch einen Film auffallend vielversprechende Besetzung. Keri Russell (Austenland, Waitress, Bedtime Stories), Alden Ehrenreich (Solo: A Star Wars Story), Brooklynn Prince (The Florida Project), Jesse Tyler Ferguson (der Vorzeige-Schwule aus Modern Family) sowie natürlich Margo Martindale (seit Rocketeer vor gut 30 Jahren eine meiner liebsten Nebendarstellerinnen, und das nicht nur in Million Dollar Baby, bei Alexander Paynes Paris je t'aime-Episode oder als Ma Cox in Walk Hard). Dazu kommt Regisseurin Elizabeth Banks (federführend bei Charlie's Angels oder Pitch Perfect 2 und über ihre Rolle in Slither auch mit seltsamem 80er-Jahre-Retro-Fun-Splatter durchaus vertraut) sowie das Produzenten-Team Lord/Miller, die man auch als Regisseure von Cloudy with a Chance of Meatballs, 22 Jump Street oder The Lego Movie kennt.

Cocaine Bear (Elizabeth Banks)

© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.

Für die Leute, die keine Trailer schauen wollen, denen aber auch der Filmtitel Cocaine Bear nicht als Inhaltsangabe ausreicht: die Inspiration zu dem Film war ein Fall im Jahre 1986, wo eine Schmuggelfracht in einem Kleinflugzeug dazu führte, dass ein Amerikanischr Schwarzbär (Ursus americanus, Grüße an meine Mutter, die »kleine Bärin«) im US-Bundesstaat Georgia an einer Überdosis Koks verstarb. Der Bär steht jetzt ausgestopft in einem Museum und hat sich seinen Spitznamen »Pablo EscoBear« meines Erachtens redlich verdient. Da war es nur eine Frage der Zeit, bevor aus diesem Stoff ein Film wurde, der für die Leinwand (Spoiler Alert!) um zahlreiche fiktive Story-Ideen bereichert wurde (ich glaube, der eigentliche »Problem-Bär« hatte damals nur höchstselbst ein Problem, für den Film braucht man natürlich ein bisschen Blut und Gekröse und hinreichend Protagonisten für den body count (zweistellig oder nicht? Zählt selber mit...). Für jemanden wie mich, der mit zwölf zwar in den ab 16 freigegebenen Alien reinkam, aber den ab 18 freien Grizzly erst 15-20 Jahre später in der Glotze nachholen konnte (und da als langweilig abtat), reicht schon die Prämisse, um zumindest interessiert zu sein.

Der eigentliche Film fasziniert bzw. unterhält eigentlich von Anfang an. Bevor man in »grizzligen« Achtziger-TV-Bildern über den Hintergrund informiert wird (und damalige Promis wie Pee Wee Herman und Nancy Reagan kurz über Drogengefahren aufklären), sieht man erstmal den Drogenschmuggler, der aus dem Flugzeug sporttaschenweise seine Ware abwirft. Und dabei auffällig ekstatisch wirkt. Noch besser als der Hinweis »based on true events« ist aber die Texteinblendung, die anachronistisch jene (angeblichen) Hinweise auf Wikipedia abbildet, wie man am erfolgversprechendsten bei dem Aufeinandertreffen mit einem Bären in freier Wildbahn agiert. (Ich hab's mal interessehalber recherchiert, und offenbar ist das wichtigste bei solch einem Zusammentreffen, dass die mitgeführte Schusswaffe ein korrektes Kaliber hat.) Nach dem Hinweis auf Wiki heulte schon mal das ganze Kino vor Vorfreude auf. Ich will jetzt nicht darüber sinnieren, inwiefern wikipedieren hier hilfreich wäre. Über das Verhalten vollgekokster Bären findet man da auch eher wenig, nehme ich an.

Cocaine Bear (Elizabeth Banks)

© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.

Um mal zurückzukommen auf meinen Ansatz mit dem Trailer-Film-Vergleich: Bei Cocaine Bear kennt man nicht schon alles aus dem Trailer, und der Film ist auch nicht einfach die siebzehnmal längere Version des Trailers (auch, wenn es kleine Probleme in der Spannungsdramaturgie gibt, aber darum ging es mir zu keinem Zeitpunkt während des Films). Nein, der Film baut auf die Höhepunkte des Trailers auf und bietet oft noch zusätzliche Gags und Einstellungen, die das Vergnügen noch steigern. Nimmt man etwa die Passage, wo der Bär dem Krankenwagen hinterherläuft und dann in Zeitlupe in den rückwärtigen Eingang zu springen scheint: Nicht nur gibt es noch eine tolle halbe Szene im Blockhaus, als der eine Sanitäter den Bären entdeckt und nach seiner Kollegin ruft. Auch hat der Showdown im und um den Rettungswagen noch mindestens eine kleine Einstellung, die mich noch mehr beeindruckt hat als die Zeitlupe. Und das Ganze ist mit dem passenden Klassiker aus der Vince-Clarke-Phase von Depeche Mode unterlegt, was fast mit Grandmaster Melle Mel mit seinen gewollten Drogenanspielungen konkurrieren kann, aber zumindest mit den Synthie-Klängen die slapstickartige Gewalt unterstützt.

Monetäre Zwänge führten dazu, dass der Bär als laufender Spezialeffekt nicht in jeder Szene vorkommen kann. Also geht es auch um die ersten Drogenerfahrungen von Kindern, die verschlungenen Pfade von Cops und Kriminellen, male bonding (Newcomer Aaron Holliday als Aushilfs-Billy-Idol hat ein paar tolle Szenen) und eine behutsam ins Drehbuch eingearbeitete message, die man aber schon von weitem daherstampfen sieht. Dass Cocaine Bear sich selbst nicht ernst nimmt, gehört zu seinem Charme, hier indes übertreibt man es mit dem unangebrachten »Anspruch«. Ich mag ja closure am Ende eines ansonsten trashigen Horrorstreifen, etwa den Spiegelmoment bei House of Wax, aber hier ist zu vieles auf den Endmoment hin drapiert, der dann auch noch unter dem Einbruch der Nacht und der nachlassenden Qualität der Effekte leidet. Man kann sich vorstellen, dass die Verantwortlichen stolz waren auf die Außenansicht der Bärenhöhle unter einem Wasserfall, aber ab der Stelle war einfach die Präsenz der Filmemacher und ihrer logistischen Probleme kaum mehr ausblendbar.

Cocaine Bear (Elizabeth Banks)

© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.

Vielleicht ist es eine persönliche Vorliebe, aber für mich war es in Filmen mit einer gewissen Sterblichkeitsrate immer wichtig, dass auch mal jemand stirbt, mit dessem Ableben man nicht gerechnet hat (Psycho, Scream, die viertletzte Folge der ersten Staffel von TNG) - und dafür jemand anders überlebt (»Wer tötet Humperdinck?«). Von dieser »Trennungsunschärfe« vermisse ich hier etwas. Man hält sich zwar an das ungeschriebene Gesetz »ernstzunehmender« Zombiefilme, dass die Monster nicht die einzigen Gefahren sein dürfen, sondern man in Extremsituationen auch mit »friendly fire« rechnen muss. Aber man hat einfach nicht diese Unsicherheit, die in einem Horrorfilm selbst dann vorhanden sein sollte, wenn man sich lieb Kind mit einem großen Publikum machen will.

Noch ein paar Lieblingsszenen:

  • »You gotta dust the beaver here, ranger!« --- »Yeah, I'm working on this...«
  • Einfallsreiche Verwendung eines Stethoskops
  • Henry »marking our territory«
  • »How can you know it's not blood?«
  • »Are they dead?« --- »The one that stabbed me might be dead.«
  • »Reba, be careful when you cuff these guys, they're kinda shifty...«
  • Die typisch amerikanische Benennung zweier skandinavischer Figuren als Elsa und Christoffer
  • The gazebo - Gespräche darum und davor
  • Drei Dinge fallen nacheinander von einem Baum
  • »Fuck, man! My fucking jersey, man!«
  • »You left a dog in a car!?«

Cocaine Bear (Elizabeth Banks)

© 2023 Universal Studios. All Rights Reserved.

Wer den Film mit nur geringfügigem Aufwand noch lustiger machen will... Stellt euch einfach in jeder Szene von Alden Ehrenreich einen jungen Harrison Ford an seiner Stelle vor! (ich hoffe mal, ich muss den Grund dafür nicht extra erklären...) Nicht zuletzt funktioniert das auch bei der Szene im letzten Filmbild ziemlich gut... (and this is not about Chewie)

Wie wenig das Filmthema trotz all meiner gegensätzlichen Beteuerungen mit meinem Leben zu tun hat, erkannte ich übrigens daran, dass ich nach fast drei Tagen Beschäftigung mit dem Koks-Zottel eher zufällig begriff, dass der etwas flapsige Spruch »Zieh's dir rein« auf dem deutschen Filmplakat eine nich eben versteckte zweite Bedeutung in sich trägt, so wie auch das Plakat-Motiv (»Schwarz-Weiß? Interessante Stilwahl!«) ein wenig wirkt, als hätte man es auch aus weißem Pulver kreieren können...

»It kinda feels like the thing that stays with a man forever...«