Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




2. Mai 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Guardians of the Galaxy Vol. 3 (James Gunn)


Guardians of the Galaxy Vol. 3
(James Gunn)

USA 2023, Buch: James Gunn, Comic-Vorlage: Dan Abnett, Andy Lanning, Kamera: Henry Braham, Schnitt: Fred Raskin, Greg D'Auria, Musik: John Murphy, Kostüme: Judianna Makovsky, Production Design: Beth Mickle, Supervising Art Director: Alan Hook, David Scott, mit Chris Pratt (Peter Quill), Dave Bautista (Drax the Destroyer), Pom Klementieff (Mantis), Karen Gillan (Nebula), Zoe Saldana (Gamora), Sean Gunn (Kraglin), Chukwudi Iwuji (The High Evolutionary), Will Poulter (Adam Warlock), Elizabeth Debicki (Ayesha), Sylvester Stallone (Stakar Ogord), Nathan Fillion (Meany in a Bodysuit), Michael Rooker (Yondu Udonta), Daniela Melchior, Lloyd Kaufman und den Originalstimmen von Bradley Cooper (Rocket), Vin Diesel (Groot), Maria Bakalova (Cosmo the Spacedog), Mikaela Hoover (Floor), 150 Min., Kinostart: 3. Mai 2023

Volle sechs Jahre sind vergangen seit Guardians of the Galaxy Vol. 2 und es ist müßig, nochmal zu rekapitulieren, warum Regisseur James Gunn einst untragbar war für den Disney-Konzern, man ihn dann aber wieder mit Kusshand empfing. Sagen wir einfach, dass die Fans auch mitzureden haben. Oder zumindest ihr monetärer Beitrag. Dass Gunn sich in der Zwischenzeit ausgerechnet beim »distinguished competitor« und dessen Sonstwas-Versum engagierte, unterstreicht nur seine Macht, die man einst, als sich über alte Tweets aufgeregt wurde, deutlich geringer einschätzte. Für mich persönlich ist Guardians Vol. 3 abgesehen von den Taika-Waititi-Spielereien der erste Marvel-Film seit längerem, auf den ich mich wirklich freuen konnte. Und das kann man nicht komplett mit meiner tiefempfundenen Vorliebe für Karen Gillan und Dave Bautista erklären. Auch wenn Vol. 2 weit entfernt war von dem, was »Vol. 1« (und natürlich hieß der Film nie so) einst mit uns euphorisierten Fanboys (und -girls) anstellte. Das war ein Phänomen, das man auch nicht flugs mal eben so wiederholen kann. Da kannste genausogut versuchen, das Rad neu zu erfinden. Läuft einfach nicht.

Was bei Vol. 3 aber schon mal clever ist, ist die eigentliche Story. Die Guardians (inklusive diverser Randbegleiter wie den »Ravagers« um Figuren wie den vom Regisseurs-Bruder Sean Gunn gespielten Kraglin oder »Cosmo the Space Dog«) leben jetzt auf »Knowhere«, dem »Guardians of the Galaxy HQ«, wo man zu Beginn des Films zum Beispiel eine Leuchtreklame anbringt, die dem bekannten Logo der Guardians sehr ähnlich ist, nur mit irgendwelchen Alien-Schriftzeichen (echte Fanboys wissen vermutlich sogar, welcher Spezies die Buchstaben entsprechen, bei diversen Comics hat man ja für das hierzulande bekannte Alphabet abgewandelte Schriftzeichen zum »übersetzen« eingebaut, die für besonders neugierige Lesende etwas »Mehrwert« liefern, etwa auf der Insel Krakoa, in der Zukunft der »Legion of Super-Heroes« oder bei Doop - bei dem bin ich mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht doch einfach Gekrickel ist).

Knowhere scheint eine Art fehlbares Utopia, eine Zuflucht für paramilitärische Frühpensionäre, wo man ein entspanntes Leben führt und Gravitations-Stiefel oder von früheren Kollegen übernommene telekinetische Waffen testet. Oder, wie im Falle von Peter Quill, im Guardians-Saloon bis an die Grenze zum selbstvergessenen Koma dem Alkoholismus fröhnt. In diese beschauliche Welt knallt jetzt zu Beginn des Films der ziemlich irregeleitete, durch die Besetzung mit Will Poulter (Son of Rambow, Detroit, Midsommar) etwas pausbäckig und stumpf wirkende Adam Warlock und der schlägt erstmal ziemlich ungebremst einige der liebgewonnenen Figuren aus den ersten zwei Filmen zu Klump, wobei eine Figur lebensbedrohlich verletzt wird, und der Rest der bunten Schar (inklusive dem aus seinem Rausch befreiten »Star-Lord«) hat jetzt 48 Stunden, das Leben der Figur zu retten, wobei man mit einer bisher verschwiegenen secret origin und neuen Superschurken wie dem »High Evolutionary« (Chukwudi Iwuji) konfrontiet wird. Um ein Leben zu retten, muss man diesmal also quasi en passant ganze Zivilisationen, die dem Untergang gewidmet waren, weil der durchgedrehte Schurke nicht weniger als seine ganz persönliche Utopie basteln will (wohlgemerkt ohne Rücksicht auf Verluste) ... wo war ich im Satz stehengeblieben? Ah ja, retten.

Guardians of the Galaxy Vol. 3 (James Gunn)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Es ist ein bisschen kindisch, dass ich mich entschieden habe, nicht zu sagen, wessen Leben hier dringend gerettet werden muss, weil man es im Kinosaal eh allerspätestens nach zwanzig Minuten raushat, aber das standardmäßige Spoiler-Gelaber im Presseheft bürstet mich halt gegen den Strich. Aber ich finde diesen Weg ganz interessant, weil ich von den wenigsten der Guardians aus meiner bewegten Marvel-Lektüre eine umfassende Chronologie bescheinigen kann, und im konkreten Fall finde ich es durchaus interessant, wie Figuren, die mir komplett neu waren, tatsächlich mal irgendwann zwischen 1966 und 85 ganz konkrete Heft-Vorbilder haben, deren Eigenschaften und Historien James Gunn für den Film doch ganz hübsch neuinterpretiert hat. (Meiner Ansicht nach definitiv Gunns bisher beste Drehbuch-Arbeit!) Nach ein paar Wikipedia-Recherchen hatte ich doch tatsächlich Lust, einiger der alten Hefte habhaft zu werden, auch, wenn ich mir verdammt sicher bin, dass das meiste in der Gunn-schen Neuinterpretation deutlich gelungener ist als in irgendwelchen abstrusen Miniserien oder Handlungssträngen im Umfeld der Avengers, Thor oder Hulk.

Wobei die aktuellen Bemühungen, Figur X zu retten, ziemlich geschmeidig mit diversen Flashbacks der Figur in einer jüngeren Version kombiniert werden, wobei beispielsweise das Thema Freundschaft (so ausgelutscht disneymäßig das auch klingen mag) sehr raffiniert eingearbeitet wird. (»It really is good to have friends.«) Und grenzgenial finde ich es, wie eine doch reichlich umgearbeitete Marvelfigur nun einen neuen Namen erhält, der mehr als nur ein Kopfnicken in Richtung der klassischen Disney-Historie ist.

Guardians of the Galaxy Vol. 3 (James Gunn)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Die ganze durchaus komplexe Handlung mit den diversen Verweisen auf die Marvelgeschichte mag manchen interessieren, aber auch, wenn man die einfach zu 95% ignoriert und nur den Abenteuern der zusammengewürfelten Gruppe der Guardians folgt, wird man einen immens unterhaltsamen Kinoabend erfahren. Man wird ja nach der Pressevorführung gern von der betreuenden Agentur befragt, wie man den Film fand, und ich sagte glaube ich »War schon geil. Und eindeutig der beste Marvel-Film der letzten fünf, sechs Jahre!« Wobei mein Protokollant natürlich nicht erkannte, dass das meine Art war, meine nach wie vor umfassende Ablehnung des ach so kolossalen Endpunkts der ersten Marvel-Rutsche, das von mir immer noch boykottierte »Endgame«, abzustrafen.

Auch in Guardians of the Galaxy Vol. 3 geht es am Rand um Infinity-Gedöns, Thanos und die mir jetzt noch fremdere Figur des Adam Warlock, aber man kann den ganzen Kladderadatsch einfach bestens ausblenden und sich auf die Guardians konzentrieren, ihre Synergien und Probleme.

Guardians of the Galaxy Vol. 3 (James Gunn)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Im Film gibt es auch eine zögerliche Wiederaufnahme der Beziehung zwischen Peter Quill und Gamora. Letztere war in Vol. 2 verstorben, und offenbar tauchte dann in einem Marvel-Film, auf den ich verzichtet habe, eine alternative Version der Figur auf, die keine Erinnerung an dieses Techtelmechtel hat. In meiner absoluten Lieblingsszene des Films, die viele Themen prägt, offenbart sich Peter Gamora, und alle Umherstehenden (oder -schwebenden), die in ihren Raumanzügen ungewollt Zeugen des Gesprächs werden, ereifern sich darin, erklären zu wollen, wie das zunächst selbsterklärend wirkende außerirdische Kommunikationssystem funktioniert.

Peter: »How was I supposed to know all this?«

Drax: »It's intuitive.«

Intuitive, my ass! Im weiteren Verlauf des Films gibt es zahlreiche Beispiele dafür, wie man »intuitiv« eine neue Situation meistert oder eben nicht. Wie öffnet man eine Autotür? Gibt es einen klar zu definierenden Unterschied zwischen der pantomimischen Darstellung der Begriffe »dying« und »dumbass«? Wo findet man die Trennlinie zwischen »higher life forms« und jenen, die sich nicht oder nicht mehr qualifizieren? Wie reagiert man, wenn die übrigen Personen im Raum plötzlich einen group hug ausführen? Ist es sinnvoll für die Ernährung einer Spezies, wenn man fünf wie bei einer Matroschka ineinander befindliche Mäuler mit scharfen Zahnreihen hat? And how do you show someone you 'mean business'?

Insbesondere zwischen Peter und Gamora findet dauerhaft ein (gefährliches) Spiel statt, welches die geeignete Art ist, mit Situationen umzugehen. Peter vertraut eher auf seinen Charme, Gamora auf brutale Waffengewalt. Und wie man schon aus dem Trailer weiß, wollen die Guardians davon weg, immer nur alle (oft lebendigen) »obstacles« plattzumachen, sondern auf ganz unterschiedliche Mentalitäten einzugehen. Es wird zwar trotzdem noch rumgeballert wie sonstwas, aber eine friedfertige Herangehensweise überhaupt mal zum Thema zu machen, ist ja schon eine positive Entwicklung.

Und allein schon dieses Filmthema und die unterschiedlichen, gern diskutierten Standpunkte der Hauptfiguren dazu sind pure, teilweise fast anspruchsvolle Unterhaltung. Die Einbindung der oft unterschiedlichen Mentalitäten der Marvelfiguren waren oft (gerade in den Avengers-Filmen) ein Thema, diesmal geht es dabei glücklicherwesie fast nie darum, kompliziertes Infinity-Gauntlet-Gedöns zu erklären, sondern es geht um die kleinen Details des täglichen Lebens, die man meistens mit nur sehr geringer Transferleistung auf das eigene Dasein übertragen kann.

Guardians of the Galaxy Vol. 3 (James Gunn)

© Marvel. Alle Rechte vorbehalten

Ein Filmthema von vergleichsweise geringer Bedeutung sind indes Augenfarben...

»This isn't my color. It crashes with my eyes.«

◊ ◊ ◊

»I never noticed how black your eyes are.«

»They were replaced by my father as a manner of torture.«

»He picked a pretty set.«

Ein Aspekt, der auch in früheren Filmen der Serie eine wichtige Rolle spielte, ist auch diesmal wieder sehr präsent: die Musik. Falls in Vol. 2 auch schon von Filmfiguren mitgesungen wurde, habe ich das verdrängt, ich glaube, dass war eher ein Zugeständnis an den Karrierenverlauf des Darstellers. Zwar stammt die Songauswahl nicht mehr bevorzugt aus den 1970ern, aber da ich auch eher ein (musikalisches) Kind der 80er und 90er bin, wird man da keine Beschwerde von mir vernehmen. 'I will dare' von den Replacements kam leider erst beim Nachspann, und 'Creep' von Radiohead (in einer Akkustikversion) hat den Nachteil, dass das Lied einfach zu sehr durchgenudelt wurde in den letzten drei Jahrzehnten. Aber bei 'This is the Day' von The The (an einer Stelle hart editiert) hätte ich am liebsten laut mitgesungen, aber auch 'Do you realize?' von den Flaming Lips erfüllte mich mit Nostalgie.

Hot shit. 'Nuff said.