The Bikeriders
(Jeff Nichols)
Originaltitel: The Bikeriders, USA 2024, Buch: Jeff Nichols, Inspiration (Fotobuch): Danny Lyon, Kamera: Adam Stone, Schnitt: Julie Monroe, Musik: David Wingo, Kostüme: Erin Benach, Szenenbild: Chad Keith, mit Jodie Comer (Kathy), Austin Butler (Benny), Tom Hardy (Jonny), Michael Shannon (Zipco), Mike Faist (Danny), Boyd Holbrook (Cal), Damon Herriman (Brucie), Beau Knapp (Wahoo), Emory Cohen (Cockroach), Karl Glusman (Corky), Toby Wallace (The Kid), Norman Reedus (Funny Sonny), Happy Anderson (Big Jack), Paul Sparky (Gary Rogue Leader), Will Oldham (Bartender), 117 Min., Kinostart: 20. Juni 2024
Jeff Nichols ist einer dieser Regisseure, deren Karriere sich 1:1 in der Zeit meiner (noch nicht ganz beendeten) Affäre mit dem Filmjournalismus entwickelt hat. Seinen Debütfilm Shotgun Stories (2007) habe ich seinerzeit bei meinem damals erklärten Lieblingsverleih, dem fugu Filmverleih, entdeckt und sogleich abgefeiert. Beim bereits im vollen Scheinwerferlicht der Filmbranche stehenden Nachfolger Take Shelter (2011) wurde nicht nur der in jedem Nichols-Film auftauchende Michael Shannon zu einem Schauspielstar, der leider zu oft Bösewichte wie den General Zod in Zack Snyders Man of Steel spielte, jedermann konnte auch bereits attestieren, dass Nichols bildgewaltig etwas zu erzählen hatte.
Sein nächster Film mit dem noch nicht ganz den Superstar-Status erreichenden Matthew McConaughey, Mud (2014), erlebte in Deutschland leider nur einen DVD-Start, verzückte mich aber dennoch.
Wie es oft mit aufstrebenden Filmemachern so ist, kommt man mitunter in Bereiche, wo mehr Produktionsgelder auch größere Einspielergebnisse fordern, und da bleibt auch schon mal jemand auf der Strecke beim Spagat zwischen Kommerz und künstlerischem Anspruch. Bei Jeff Nichols war das wohl der im Berlinale-Wettbewerb startende Midnight Special (2016), der leichte SciFi-Einschläge hatte, was für Nichols weder die naheliegendste noch die gelungenste Richtung war. Dennoch folgte mit Loving (2017) innerhalb kürzester Zeit ein reifes, aufgeräumtes Werk, das auch das Potential für ein großes Publikum hatte. Nur war 2017 einfach nicht mehr die Zeit für solche Filme, die ein wichtiges Thema mit der Sensibilität für ein erwachsenes Publikum behandelt. Wie es dann genau weiterging, und welche Rolle Corona dabei spielte, weiß ich nicht (das würde auch zu weit führen), aber Jeff Nichols arbeitete unter anderem an einer Fernseh-Miniserie, und als dann die Einladung zur Pressevorführung seines neuen Kinofilms, sah ich mich genötigt, erstmal bei imdb nachzuschauen, warum er so gänzlich meiner Aufmerksamkeit entglitten war in den letzten sieben Jahren.
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Blöderweise konnte ich durch Erfordernisse bei meinem Brotjob die erste Pressevorführung gar nicht wahrnehmen (der Nichols-Film war das für mich verlockendste Angebot seit der Vor-Corona-Zeit, ins Kino zu pilgern), aber ich hatte Glück und es gab noch eine zweite Vorführung, die ich mir nicht entgehen ließ. Und es war eine irgendwie ironisch-poetische Fügung (aber auch ein gutes Omen), in der ersten Reihe im Delphi saß dann außer mir nur Christian Suhren, den ich aus dem fsk am Oranienplatz ganz gut kenne (auch, wenn ich nur selten mehr als drei Sätze mit ihm gewechselt hatte). Christians vier Jahre ältere Schwester Barbara hatte nach dem gemeinsam aufgebauten Peripher Verleih wohl den »Trend zum Zweitbuch« gespürt und mit einer anderen Partnerin den bereits erwähnten fugu Filmverleih gegründet. »Um die Ecke« war Christian also quasi mitverantwortlich, dass ich Jeff Nichols schon ganz zu Beginn seiner Regiekarriere kennenlernen durfte. Nicht Auge in Auge, aber über seinen Debütfilm. Aber ich will keine Kinobegegnungen nacherzählen, sondern die Kurve zu dem bekommen, was auf der Leinwand passierte.
The Bikeriders ist inspiriert von einem gleichnamigen Fotobuch, und in Unkenntnis dieses Buches, in dem der Fotograf Danny Lyon auch Interviews mit seinen »ProtagonistInnen« abdruckte, habe ich das Gefühl, dass Jeff Nichols in seinem Drehbuch die Filmhandlung sehr geschickt mit den Recherche-Bemühungen des auch im Film (dargestellt) auftauchenden Fotografen verwebt hat.
In meiner Rezeption ist die Hauptfigur des Films Kathy (Jodie Comer), die hier in der Rolle der gern in Filmen verwendeten Figur der Außenseiterin fungiert, mit der zusammen wir als Zuschauer in eine fremde Welt eingeführt werden. In den Interviews mit Danny nimmt uns Kathy an die Hand, und ihre Stimme, die oft aus dem Off die Handlung vorantreibt, ist für uns oft wie ein Fels in der rauhen Brandung.
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So wie Kathy bei einer Verabredung mit einer Freundin plötzlich in einer Motorradfahrer-Kneipe landet und am liebsten sofort wegrennen würde, so lernen wie in einer quasi-parallelen Szene ihren späteren Mann kennen, Benny (Austin Butler, durch seine Rolle als Elvis und als Bösewicht im ebenfalls sehr erfolgreichen Dune 2 sicherlich der Star dieses Films, daran kann auch Tom Hardy nicht rütteln). Benny sitzt mit der Kutte seines Motorradclubs, der »Chicago Vandals« friedlich in einer Bar, doch zwei lokale Jungs, die finden, er habe hier in diesem Aufzug nichts zu suchen, weisen ihn nicht übermäßig freundlich darauf hin, er solle »seine Farben ablegen«. Man setzt sich ja auch nicht mit einer Schalke-Jacke in eine Dortmunder Fußball-Kneipe...
Benny entspricht dem Wunsch nicht, stellt klar »You'd have to kill me to get this jacket off!« - was wiederum den Diskurs nicht beendet, sondern zu nonverbalen Aktionen führt. Und zu einem der effektivsten Freeze Frames, das ich in den letzten zehn Jahren gesehen habe: Benny konnte sich gegen den einen Angreifer mit drastischen Mitteln durchsetzen, übersieht dabei aber, dass der andere sich bei Straßenarbeitern eine Schaufel ausgeborgt hat, und man sieht in einer Nahaufnahme des Oberkörpers (medium close up), wie Benny sich über seinen Teilerfolg freut (die »Freude« kann man angesichts seiner gerade gezeigten Brutalität durchaus negativ auffassen), während man hinter seinem Kopf die durch die schnelle Bewegung verwischte Schaufel kurz vorm Auftreffen auf seinen Hinterkopf sieht.
Zwei Dinge machen diese Stelle noch effektiver. Zum einen Kathys auf die in der Chronologie des Filmes noch bevorstehende* Beziehung gemünzten Sätze wie »I've never felt so out of place in my life« oder »I've seen nothing but trouble since I've met Benny.« Diese Sätze nehmen manchmal etwas vorweg, bauen oft Spannung auf, werden aber manchmal auch ironisch eingesetzt, wenn sie von einer Sache spricht, wir aber etwas anderes sehen. Die andere Sache ist: wir warten zunächst vielleicht 8-10 Minuten auf das Auftreffen der Schaufel auf Bennys Schädel, doch das war nur ein Vorgeschmack auf eine Stelle kurz darauf im Kampf, wo selbst ich (und ich bin reichlich...) kurz zusammenzuckte.
*(Zu Beginn springt man etwa in der Handlung vor und zurück, das ist ohne Problem verständlich, aber es hier schriftlich aufzudröseln, würde zu weit führen...)
Dieses Umfeld des Freeze Frames, das halt zur Erzählung gehört, macht so im Nachhinein einen überhöhten Moment daraus, so eine Perle der Filmkunst. Allein dafür hat der Film sich schon einen kleinen Platz in der Filmgeschichte verdient.
Foto: Kyle Kaplan / Focus Features. © 2024 Focus Features. All rights reserved.
Zurück zu Kathy in der Biker-Bar: Sie will so schnell wie möglich raus hier - »And then I saw Benny!« Ich glaube nicht an Liebe auf den ersten Blick, aber wie das hier erzählt wird, ist schon kolossal. Kathy informiert sich »Who's that handsome looking guy at the pool table?«, wird (natürlich!) gewarnt, und dann kommt er auch schon vorbeigeschlendert, sagt »Hello, I'm Benny.« und wie sie an der Stelle auf keinen Fall lächeln will, aber es nicht unterdrücken kann, ist subtil, aber schon toll gemacht. Es gibt noch andere kleine Szenen in der Bar, die Kathys Kollision mit einer anderen Welt zeigen (Cockroach!) oder auf spätere Handlungsverläufe vorbereiten, aber wer sich als ZuschauerIn nicht auf diese love story einlässt, der hätte gleich zuhause bleiben sollen.
Wie gesagt habe ich den Film komplett aus der Perspektive von Kathy erlebt (auch, weil ihr Verhalten besser nachzuvollziehen ist), aber auch Benny hat dann einen echten hero moment, zu dem mir als filmhistorischem Vergleich nur die Sache mit der Boom Box und den Simple Minds einfällt. Wie er hier Kathys boyfriend (nicht meine Schuld, dass ich den zuvor nicht erwähnt habe) konfrontiert, das ist ebenfalls voller Kinomagie, die zumindest ich in diesem Fall so nicht erwartet hatte.
Foto: Kyle Kaplan / Focus Features. © 2024 Focus Features. All rights reserved.
Ich will nicht den ganzen Film nacherzählen. Über die Interviewsituation erfährt man viel über Einzelschicksale, aber auch die Gründung des Clubs, weil LKW-Fahrer Jonny (Tom Hardy) im Fernsehen (!) einen Biker-Film mit Marlon Brando sah und sich gern mit anderen Bikern treffen wollte. Johnny, eigentlich aus geregelten Verhältnissen, führt den Club auch lange Zeit mit guten Entscheidungen, aber wie die Szene mit der Schaufel schon recht gut deutlich machte, sind Machogehabe und Alkohol nicht die besten Begleitumstände im »Vereinsleben« und so erzählt der Film auch von einer Zeitenwende, die immer noch andauert. Wie Nichols hier mit Original-Motorrädern Authentizität schafft, ging komplett an mir vorbei, weil ich mich halt nicht für so was interessiere. Ich fand viel spannender, wie man sich um die einzelnen Figuren kümmert, unterschiedliche Beweggründe und Einstellungen oft in zwei Einstellungen und drei Sätzen gut skizziert. Dann wie bei den Hooligans oder den Neonazis sind halt auch hier nicht alle Mitglieder (und solche, die es werden wollen) gleich gestrickt.
Unbedingt erwähnen will ich noch Will Oldham in einer kleinen Rolle als Barkeeper. Er tritt auf mit einem Bleistift hinterm Ohr, wirkt wie ein in die Jahre gekommener Buchhalter, und erklärt seine Agenda: »I don't want any kind of trouble in here!« Selbst so eine Figur behandelt der Film mit Respekt, selbst wenn die anderen Figuren nicht aus ihrer Haut können. (»What about the bar?« --- »Burn it down!«)
Und so eskaliert die Gewalt zunehmend, wird aber nicht unnötig heroisiert. Hier mag mir mancher widersprechen und mit der ersten Szene mit Benny kommen, aber aus meiner Sicht war auch sein Verhalten von Anfang an sehr fragwürdig. Selbst als Schalke-Fan kann man ja auch im Hintergrund bleiben und muss ja nicht jeden anderen an das festgezurrte Feindbild erinnern. Und die Art und Weise, wie er den Konflikt »auflöst« ... Hmmm, wer da an die Worte von Montgomery C. Burns denkt (»Gewaltlosigkeit ist keine Lösung«), sollte dabei die Ironie nicht übersehen.
Wer mit Gewalt und dramatischen Situationen nicht so klarkommt, wird in diesem Film ab und zu schweißnasse Hände bekommen, und auch nicht jede Figur wird mit einem Happy End belohnt, aber alles in allem kriegt Jeff Nichols hier auch ziemlich gut die Kurve zwischen mainstreamtauglichem Actionfilm und ambitionierter Milieuschilderung. Das Filmthema wird nicht jeden ins Kino pilgern lassen, und vielleicht lockt es auch mal die falschen Leute an, aber ich habe das Kino sehr zufrieden verlassen.