Love lies bleeding
(Rose Glass)
Originaltitel: Love lies bleeding, UK / USA 2023, Buch: Rose Glass, Weronika Tofilska, Kamera: Ben Fordesman, Schnitt: Mark Towns, Musik: Clint Mansell, Kostüme: Olga Mill, Szenenbild: Katie Hickman, mit Kristen Stewart (Louise »Lou« Langston), Katy M. O'Brian (Jacqueline »Jacky« Cleaver), Anna Baryshnikov (Daisy), Jena Malone (Bethany »Beth« Langston), Ed Harris (Lou Langston Sr.), Dave Franco (JJ), Eldon Jones (Billy), 104 Min., Kinostart: 18. Juli 2024
Nach Drive-Away Dolls eine weitere intensive Love Story zwischen zwei Frauen, bei der Gewalt abermals eine Rolle spielt. Love lies bleeding erinnert an Thelma and Louise oder Bonnie and Clyde, und man ist ähnlich sicher, dass ein Happy End schwer umzusetzen ist, weil die Gewalt immer unkontrollierbarer eskaliert. Und das in den 1980ern, laut Regisseurin Rose Glass dem »ultimativen Jahrzehnt des Exzesses«. Ein Road Movie ist der Film trotz gewisser Reiseelemente nicht, eher geht es um eine Art She-Hulk und eine außergewöhnliche Anti-Nikotin-Therapie. Aber ich will vorn anfangen.
Lou (Kristen Stewart, bekannt als Kinderstar an der Seite von Jodie Foster in Panic Room, aus einer sehr bekannten Glitzervampir-Schmonzette in vier Teilen und mehreren Filmen von Olivier Assayas) ist hauptverantwortlich bei der Führung eines Gyms, hat aber wenig Spaß daran, sich mit homophoben Muskelmännern abzugeben oder mal wieder die verstopfte Toilette zu reparieren. Wenn sie es sich nicht zur Aufgabe gemacht hätte, auf ihre ältere Schwester Beth (Jena Malone) aufzupassen, wäre sie vermutlich längst verschwunden. Ihre festgefahrene Affäre mit der reichlich simpel gestrickten Daisy (Anna Baryshnikov aus Wiener Dog, Manchester by the Sea oder der Sitcom Superior Donuts, mit viel Mut, ihre Figur im ungünstigen Licht erscheinen zu lassen) wird auch nur noch aus Bequemlichkeit und fehlenden Alternativen aufrecht erhalten.
Leicht versetzt, aber schon noch parallel mit Lous Vorstellung lernen wir auch Jacky (Katy M. O'Brian) kennen - beim Sex mit einem nicht sehr sympathischen Kerl, der ihr dafür einen Job auf einer Shooting Ranch besorgen will. Es dauert nicht lang, da verschaut sich Lou in Jacky (die auf beide Geschlechter steht) und eine große Romanze beginnt.
© Anna Kooris
Bis sich zeigt, dass Jackys Vokuhila-Stecher von Beginn JJ (Dave Franco) ist, der zu unkontrollierten Wutanfällen neigende Verlobte von Beth. Und dessen Chef, der nicht nur die Shooting Ranch führt, sondern als lokaler Gangsterboss die Polizei im Griff hat und Konkurrenten und andere unliebsame Zeitgenossen gern verschwinden lässt, ist der Vater von Beth und Lou, Lou Sr.
Lou Sr. bekommt einen eigenen Absatz, weil er von Ed Harris gespielt wird. Harris startete seine Hollywood-Karriere in den 1980ern, als er selbst in seinen 30ern war. Mit Ausnahme vielleicht von seinen frühen Filmen wie The Right Stuff (1983) oder The Abyss (1989) war Harris für mich gefühlt nie wirklich jung, und er rutschte erstaunlich fix in die Nebenrollen-Nische, konnte sich dort aber über Jahrzehnte im Geschäft halten. Man kennt ihn aus Filmen wie Apollo 13, The Truman Show oder The Hours, wo er in vergleichsweise kleinen Rollen meist gezielt durch seine Präsenz glänzte. Zwischendurch spielte er auch mal wieder die Titelrolle im Künstler-Biopic Pollock (wo er auch Regie führte), aber Ed Harris ist für mich (und man verzeihe die allzu naheliegende Analogie) wie ein kleiner intensiver Farbfleck, der so manchen Film zum Strahlen bringt (oder zumindest dabei unterstützt). Und in dieser Hinsicht bringt es der Ed noch mit 72/73 Jahren!
© Anna Kooris
Diese fünf bis sechs Personen würden schon für reichlich Konfliktpotential sorgen, aber der Film überzeugt nicht nur als spannende Kriminalgeschichte mit einer love story im Zentrum, auch visuell und bei der Umsetzung der Geschichte hat man Ambitionen. Vor zwei Wochen habe ich ja Hit Man vorgestellt und mich darüber aufgeregt, dass der Film im Dienste seiner Liebesgeschichte einige moralische Grenzen allzu leichtfüßig überwindet. Love lies bleeding (an dieser Stelle erlaube ich mir einen kleinen Hinweis auch die Doppeldeutigkeit des Verbs im Zentrum des Titels) sorgt zwar auch für einige Leichen, die nicht alle vorbildliche Gerichtsfälle durchlebt haben, aber hier gibt es Fälle, wo die Figuren gute oder schlechte Entscheidungen fällen - und das führt dann a) zu Konsequenzen und b) zu Aussagen, die man als ZuschauerIn gutheißen kann oder nicht - die einem aber nicht für eine möglichst geradlinig verlaufende Liebesgeschichte untergejubelt werden.
Auf dem Plakat zum Film werden ja drei Filme genannt, in deren »Tradition« Love lies bleeding vermeintlich gehalten sei. Ich muss zugebene, dass es mal eine Zeit gab, in der ich Drive abgefeiert habe, aber dieser Zustand hat sich nicht gehalten. Und True Romance sowie Natural Born Killers teilen sich zwei Charakteristika: die Drehbücher stammen von Quentin Tarantino ... und ich finde sie beide hochgradig überbewertet.
© Anna Kooris
Was die drei Filme und Love lies bleeding aber tatsächlich verbindet (und das gilt auch für die zwei von mir im ersten Absatz genannten Vergleichsfilme): Jeweils (bei True Romance etwas weniger) wird ziemlich klar, dass die Protagonisten keine »Helden mit weißer Weste« sind - und den Kinobesuchern wird einigermaßen freigestellt, wie sie damit umgehen.
Zwar sind die Figuren jeweils positiv gezeichnet (selbst wenn sie de facto Massenmörder sind), aber die Filme hinterfragen ihre Figuren (wenn auch unterschiedlich stark*). Zwar spielt auch immer ein gewisser Reiz der »bad boys & girls« eine Rolle, aber es ist zumindest möglich selbst bei starker Abneigung gegen Gewaltverherrlichung die Filme als (zum Teil?) gelungen einzustufen.
Was mir bei Hit Man leider gar nicht möglich war.
© Courtesy of A24
Auch bei Love lies bleeding gibt es Passagen, die mir unterschiedlich gut gefallen haben. Einiges war durchaus zwiespältig, aber bei fast jeder künstlerischen Entscheidung innerhalb des Films konnte ich einen roten Faden in der Inszenierung entdecken. Und die Regisseurin für ihren Mut und Stilwillen feiern (und die Darstellerinnen sowieso - vermutlich ist dies sogar der beste Kristen-Stewart-Film, den ich kenne... und Zathura und Personal Shopper sind schon nicht von schlechten Eltern...)
Schade, dass man im vierten Szenenbild die Frisuren von Lou und Lou Sr. allenfalls erahnen kann. Wenn es für Frisuren einen eigenen Oscar gäbe (»Hair & Make-up« ist einfach nicht dasselbe), wäre meiner bescheidenen Meinung nach das Rennen augenblicklich gelaufen gewesen...
* Nachtrag zu weiter oben: Ich befürchte, dass es durchaus Leute gibt, die True Romance 1:1 als positiv konnotierte Liebesgeschichte auffassen. Aber es gehört schon ein bisschen was dazu, die triefende Ironie im Filmtitel ebenso zu ignorieren wie die Groschenheft-Romantik, gegen die der fortgesetzte plakative Trend bei Pulp Fiction schon fast wieder nuanciert wirkt.