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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




Oktober 2007
Christina Mohr
Gerald Fiebig, Jens Friebe
und Robert Mießner
für satt.org

Never Mind The Jubilee.
Carry On.


Vor 30 Jahren erschien "Never Mind The Bollocks".
Ein Blick zurück auf den Zorn. Für morgen.

Class of 76

Natürlich wissen wir,
dass alles ein Jahr früher anfing.
Oder sogar mit den Stooges,
Velvet Underground oder MC5.
Dazu an anderer Stelle …

Ob die Sex Pistols nun das Kunstprodukt eines in Dadaismus und Situationismus bewanderten Managers, einfach eine wunderbare Chaostruppe oder beides waren, mögen andere entscheiden. Ihr Debüt mit dem legendären Erpresserbrief-Cover von Jamie Reid ist eine der Platten, vor der man noch drei Jahrzehnte später fassungslos und mit Gänsehaut setzt, speziell, wenn sie Jahre nicht mehr auf dem Plattenteller lag. Sie ist vor allem eins nicht, sie ist nicht destruktiv. Sie macht aktiv, streicht durch und hakt ab, ist ein Musik gewordenes Fragezeichen: Du hast ein Problem. Du bist das Problem. Was wirst Du jetzt tun? Christina Mohr, Gerald Fiebig, Jens Friebe und Robert Mießner tun das völlig Unpunkgemäße, rufen laut, sehr laut "Herzlichen Glückwunsch". Sagen, was sonst noch passierte und sind neidisch auf alle die, die diese Musik erst entdecken dürfen. We mean it, man.


The Adverts - Crossing The Red Sea With The Adverts (1978)
Das Rote Meer 1977, 1978 in London war weniger biblisch, mehr irdisch. Langeweile sei das beherrschende Lebensgefühl gewesen, erinnern sich die, die dabei sein durften. "Dürfen" ist eventuell das falsche Wort, ist nachgetragene Nostalgie. Das neuerliche Interesse an Punk Rock kommt auch daher, das im Nachhinein vieles vertraut wirkt: eine hermetisch abgeriegelte Arbeitswelt, wenig Geld, viele Ideen. Tim (TV) Smith, Gaye Advert, Howard Pickup und Laurie Driver setzten der Tristesse 13 furiose, hochmelodiöse Songs entgegen, die nicht verleugnen, dass ihr Songwriter mit Glam Rock und frühem Rock and Roll großgeworden ist. Durch und durch euphorisch stimmend, ohne die Schatten schönzureden. On Wheels ist einer der besten Songs, die das Genre hervorgebracht hat. Und ja, auf dem Reissue ist auch Gary Gilmore’s Eyes wieder drauf. Ein Album wie Quecksilber. (RM)


Alternative TV - The Image Has Cracked (1978)
1976 gründete Mark Perry Sniffin’ Glue, die Mutter aller DIY-Fanzines. Wohl niemand nahm Punk als Gegenöffentlichkeit so ernst wie er. Perry sieht die Punkbewegung als Auftrag zur Zerschlagung der Gesellschaft des Spektakels. Programmatisch beginnt diese Platte mit Alternatives. Auf diesem Live-Cut fordert Perry, über ein monomanes Blues-Riff sprechend, seine Zuhörer auf, die Bühne zu entern und übers Mikrofon zu sagen, was ihnen wichtig ist. "A new kind of free speech" (Greil Marcus) soll es werden, aber wenig Revolutionäres kommt dabei heraus, und bald ist eine Schlägerei im Gange. Perry muss schlichten: "I’m loving you people but I hate you when you act like stupid idiots." (Wer hätte sich das nicht schon mal auf einem Punk-Konzert gedacht?) Schon beim Erscheinen dieser Platte ist Perry klar: Dass die Sex Pistols & Co. ins Mainstream-TV kommen, ist noch keine Revolution. "No way have you won, brother. No way have you won, sister." Aus der Verzweiflung darüber machen ATV eine hochenergetische, weit über den Tellerrand des Song-Schemas hinausweisende Platte. Manische Punkrock-Ausbrüche wechseln ab mit introspektiven Improvisationen, denen man die Einflüsse von Can und vermutlich Televisions Tom Verlaine anhört. (In Viva La Rock’n’Roll singt Perry: "Arthur Rimbaud spoke to me through New York’s new wave!") Wenn Punk schon nicht die Aristokraten an der Laterne aufgeknüpft hat: Der Anspruch auf permanente musikalische Revolution wird hier noch formuliert – und eingelöst! (GF)


Blondie - s/t (1976)
Das erste Album natürlich. Debbie Harry war das prägendste Rolemodel ever, kombinierte tongue-in-cheek-Charme und coole Sexyness. Jeder einzelne der tollen Songs auf diesem Album ist ein Hit. Gelingt niemand mehr, das. (CM)


Buzzcocks - Spiral Scratch EP (1976)
Auf jeden Fall Spiral Scratch von den Buzzcocks! Die vereint auf einmalige Weise Melodiösität und Aggressivität. (JF)


The Clash - s/t (1977)
Rebellion, Attitüde und die Stimme von Joe Strummer. Auch heute noch wirksam, wenn die Welt ihr hässliches Gesicht zeigt. Also immer. (CM)


The Clash - Sandinista (1980) und Combat Rock (1982)
The Clash mochte ich auch immer sehr, aber nicht die erste Platte oder London Calling, die alle immer nennen, sondern Combat Rock. Oder Sandinista!, weil The Clash darauf so viel ausprobieren und zum Teil ja auch grandios scheitern – aber das ist für mich eher Punk als so ein glattes Rockalbum wie London Calling, das in erster Linie für das prägnante Cover berühmt ist. Obwohl Never Mind the Bollocks wahrscheinlich schon die geilste Punkplatte war. Da stimmte einfach alles, angefangen beim Cover über die Texte und den Sound. (JF)


The Cure - Three Imaginary Boys (1979)
Gothic ist heute die Massenbewegung, die Punk nie war. Und immer noch sieht man dem Style die Abkunft von Robert Smiths Frisur und Make-up an. Warum The Cure als Musik immer so viel besser bleiben würden als ihre von wagnerianischen Synthie-Streichern bedröhnten Epigonen, war seit dieser Platte klar. Here’s a chord. Here’s another. Here’s a third. Now form a band – keiner hat diese zentrale Punk-Lektion gründlicher beherzigt als Smith. Manchmal sind es etwas abwegigere Akkorde als bei den Kollegen. Doch das wahre Genie der frühen Cure-Platten liegt in Smiths Mut, auf kleineren Einheiten als Akkorden aufzubauen und bei aller Begrenztheit seiner Gitarrentechnik auch Solo-Lines aus einzelnen Tönen zu spielen – dank eines massiven Bass-Fundaments gelingen dabei fabelhafte Hooklines wie auf Jumping Someone Else’s Train, aber auch überraschend dichte Atmosphären wie auf 10:15 Saturday Night (oder dem Jahrhundertalbum Seventeen Seconds von 1980). Sich nicht von Virtuosen abschrecken lassen, sich auf wenige Mittel konzentrieren, diese genau erforschen und das Maximum an Möglichkeiten herausholen – diese Tugenden beherzigt der große Minimalist Smith auch in seinen Texten. Ohne The Cure die Eleganz gotischer Kathedralen zusprechen wollen – aber aller spätere Gothic-Schwulst, der Entfremdung nur durch Rekurs auf Führer, Volk und finsteres Mittelalter thematisieren kann, wirkt dagegen nicht gotisch, sondern unangenehm barock. (GF)


Dead Kennedys - Fresh Fruit For Rotting Vegetables (1980)
Ein Schlag ins Gesicht des Kapitalismus. (CM)


Gang Of Four - Entertainment! (1979)
Neuere britische Bands wie Kaiser Franz, Clap Your Bloc Say Chief und wie sie alle heißen, zitieren Gang of Four seit Jahren als Einfluss. Vielleicht hat das damit zu tun, dass diese Platte kaum altert. Sicher entstammt sie der britischen Punkbewegung. Doch mit den Londoner Versuchen, den Rock’n’Roll zu revitalisieren, hat diese (immer noch!) einzigartige Mischung aus Pseudo-Funk-Beats, Lärmgewittern experimentell eingesetzter Gitarren (von heute aus eher Sonic Youth als Sex Pistols), antikapitalistischen und gendertheoretischen Montage-Lyrics und einer todtraurigen Melodica herzlich wenig zu tun. Vielleicht hatten Gang of Four im nordenglischen Leeds zwischen Northern-Soul-Club und Industriebrache, zwischen Uni und National-Front-Nazis, die wöchentlich die Stammkneipe überfallen, die entscheidenden paar Minuten mehr Zeit, ihre kompromisslose Musik zu entwickeln, bevor sie ein EMI-Plattenvertrag ereilte. Gang of Four mit ihrem marxistischen Theorie-Background haben sich von allen Punkbands vielleicht am deutlichsten auf eine Tradition linker Ästhetik bezogen. Die collagehaften Brüche in den Texten, aber auch das permanente Sich-selbst-Zerschlagen der musikalischen Strukturen: Alles sagt: "Glotzt nicht so romantisch!" Aus dieser Spannung derartige Intensität zu gewinnen, gelingt vielleicht wirklich nur in besonderen historischen Situationen. Gang of Four stehen Majakowski und den russischen Konstruktivisten da in nichts nach. (GF)


The Pop Group - Y (1979)
Der Bandname ist ein grausamer Scherz, wie ihn Antonin Artaud grausamer nicht hätte machen können. John Cale, einer, der einiges gewohnt war und produzieren sollte, kam mit Mark Stewart, Gareth Sager, Simon Underwood, John Waddington und Bruce Smith nicht zu Rande und gab auf. Das will was heißen. Y ist allerdings wirklich ein Brocken von Album. Die wichtigste Warnung vorab: Auf dieser Platte wird Saxofon gespielt, reichlich sogar. Das Piano aus der Cecil-Taylor-Bar tut ein übriges. The Pop Group, aus ihnen wurden Pigbag, Maximum Joy, Head und Rip Rig & Panic, letztere mit Neneh Cherry, Stieftochter von Ornette Colemans Don Cherry, ließen Punk mit Dub, Funk und Free Jazz kollidieren. Das harmlose Wort "verquirlten" verbietet sich hier. Vor Y erschien She Is Beyond Good And Evil (enthalten auf der jüngsten Wiederveröffentlichung, die endlich das Suchen auf Flohmärkten beendete): "Western values mean nothing to her". Julian Cope zählt Y zu den originellsten und inspirierendsten Alben, die je gemacht worden sind. Recht hat er. Diese Platte ist in der Tat das Ende des Gottesgerichts. (RM)


The Pop Rivets - Live in Germany'79 (1990)
Wem das jetzt anfängt, zu sehr nach Kunst, nach Artschool und Diskurs zu riechen, dem oder der gebe ich dieses archivarische Kleinod der Pop Rivets, Billy Childishs erster Kapelle. Am Bass Bruce Brand, dieser Tage bei den Masonics. Live im Herbst 1979 aufgenommen, ist hier inklusive Beinbruch und Ruf nach dem Krankenwagen alles drauf, was dazugehört. Glorrreicher Primitivismus, charmant und juvenil. Gitarre, Bass und Schlagzeug in einem wilden Galopp, wüst und herzerfrischend. Childish und seine Mitstreiter machen einen Heidenrabatz und haben ungehörig Freude daran. Eine Platte, auf der Jet Boy von den New York Dolls gecovert wird, ist nie verkehrt. "Play this record to your kids" steht auf dem Cover. Tut es in Bälde, wenn ihr nicht wollt, dass sie Popper werden. (RM)


The Raincoats - s/t (1979)
No Elvis, Beatles, or the Rolling Stones in 1977? Na toll. Sind Sex Pistols, Buzzcocks oder The Vibrators besser? Na also. Nun ja: In einer idealen Welt hätte sich ja auch das, was wir Bewohner eines beschädigten Kosmos als The Velvet Underground kennen, in seiner von der Schöpferin gewollten Form offenbart – indem nämlich alle Bandmitglieder so cool gewesen wären wie Maureen Tucker. Aber halt! Wie sich diese ideale Band anhört, durften wir in einem kurzen Augenblick der Gnade hören: Sie inkarnierte sich als die Raincoats in der Besetzung Ana Da Silva (Gesang, Gitarre), Gina Birch (Gesang, Bass), Palmolive (Schlagzeug) und Vicky Aspinall (Violine). Der von elektrischer Geige und genial-minimalistischem Schlagzeug dominierte Sound der Band ist der einzige plausible Beleg für die ansonsten dubiose Behauptung eines Zusammenhangs zwischen Velvet Underground und britischem Punk. Doch weitaus wichtiger ist, wo diese Platte hinführte: direkt zu Bikini Kill, Le Tigre, Sleater-Kinney. Am wichtigsten ist aber, dass dies eine feministische Platte für Menschen jederlei Geschlechts ist. Weil sie nicht Thesen illustriert, sondern musikalisch versteh- und fühlbar macht, wie sich gender trouble anfühlt, das Fragwürdigwerden vermeintlich natürlicher Gefühle. Und sie beharrt darauf, dass eine Kultur, die uns als Identität anbietet: "Join the professionals" (Werde Soldat / Nutte / Profi), doch wohl noch nicht alles sein kann. Sleater-Kinney antworten darauf später: "Culture is what we make it! (yes, it is)!" Schön wär’s. (GF)


Ramones - It’s Alive (1979)
Spät entdeckt: 1982, mit 13 Jahren eine Epiphanie auf Klassenfahrt: Auf einem Hochbett sitzen, heimliches Rauchen, Biertrinken, Knutschen. Aus dem Ghettoblaster dröhnen die Ramones. Mein Dasein wird nie mehr dasselbe sein. Ich weiß nun, was The Human League, die früher in mein Leben traten, mit "Johnny, Joey, Dee Dee, good times" meinen. (CM)


Siouxsie & the Banshees - The Scream (1978)
Bevor es einem Fernsehmoderator die Karriere kosten sollte, dass in seiner Sendung "Fucker" und "Dirty Bastard" gesagt wurde, betrat Susan Janet Dallion (am Abstieg Bill Grundys nicht unbeteiligt) den örtlichen Pub, ihren Freund an einer Hundeleine führend. Für sich bestellte sie Wodka, für ihren Hund eine Schüssel Wasser (wortwörtlich). Schock ist schick und macht Spaß (eine Weile zumindest), keine Szene hat das so verinnerlicht wie Punk. Dabei ist Mrs. Dallion als Siouxsie Sioux, ist den Banshees mit The Scream eine der Platten gelungen, die zeigt, wozu Punk emotional und intellektuell in der Lage war. Geschichten aus der Vorstadthölle, Nervenzusammen- und Gewaltausbrüche. Ihr Auftritt im Londoner 100 Club von 1976 muss eher ein Ereignis denn Musik gewesen sein. Zwei Jahre später ein Album, dass durchdachter und konzentrierter als viele seiner Zeitgenossen ist. Eines, dass auch versteht, wer nicht aus Bromley kommt. (RM)


Tom Robinson Band - Power In The Darkness (1977)
1986/87 lese ich die gesammelten Gedichte und Stücke von Brecht sowie eine Che-Guevara-Biografie, und Cousin Andreas (*1968) leiht mir (*1973) eine Tom-Robinson-LP. Das Rowohlt-Rocklexikon erhellt, dass Tom Robinson mit einer Punk-LP berühmt wurde. Die muss man sich in der BRD damals noch aus England bestellen. Das Cover: Graffiti-Schablonen-Faust in Gelb auf Schwarz, mehr Ton Steine Scherben als Sex Pistols. Die Message: Punk sein heisst links sein. Die Rückseite: bedeckt von zahlreichen klar artikulierten politischen Statements, inklusive Rock Against Racism-Badge. Mit diesem Signing hat sich die EMI angeblich im Sommer 1977 bemüht, schnell einen street credible-Punk-Ersatz für die schmählich zu Virgin getürmten Pistols zu finden (Produktions- und Tontechnik-Credit sind identisch zu Never Mind The Bollocks). Und bei diesem Versuch eine echte Diskurs-Rock-Band eingehandelt. Frenetisch, aber auch sehr artikuliert die Musik: Gitarrensoli, Klavier (!), Orgel (!!) – die haben schon vor Punk das Musizieren gelernt!!! Noch artikulierter die Stimme: bestes BBC-Englisch (Robinson ist heute Radio-6-Moderator). Die Texte: apokalyptische Visionen eines Großbritannien kurz vor der faschistischen Machtergreifung, zugleich eine hymnische Feier der Rebellion. 1979 wird Margaret Thatcher Premierministerin. 1989 kommen die Republikaner in der BRD auf rund 20 Prozent. Für jede Antifa-Demo, auf der ich seither war, ist diese Platte direkt verantwortlich. Und jedes Mal, wenn Wolfgang Schäuble im Fernsehen kommt, lege ich sie wieder auf: "Don't repeat this conversation / Don't let on we've met before / Try and make like I'm a stranger / I'm a man you never saw." (GF)


Public Image Limited - Metal Box (1979)
Nachdem sich Sid Vicious mit seinem archetypischen Rock’n’Roll-Tod uneinholbar als Ikone des Punk etabliert hatte, tat Johnny Rotten das einzig Richtige: Er wurde statt Popstar Künstler und erfand sich neu, bevor der Punk-Hype zur Farce und er zur Selbstparodie mutierte: "Getting rid of the albatross", wie es im Opener heißt. Schon die Wahl des Bandnamens zeugt von einem hohen Maß an Selbstreflexion, und das zweite Album der Band erwies sich schon vor dem Anhören als Konzeptkunstwerk: Die Metal Box war eine runde Filmdose; die beiden LPs steckten so fest drin, dass man sie kaum herausholen konnte, ohne sie zu beschädigen – ein hämischer Kommentar zum Thema Pop als Ware. Zu bezahlbaren Preisen findet man das Album heute als Second Edition im konventionellen Pappcover. Auf den vier Seiten des Doppelalbums erweist sich John Lydon als veritabler Lyriker, der seine Negation des Bestehenden nicht mehr mit plumpen Parolen, sondern mit präzisen Bildern und sardonischem Humor artikuliert. Vorgetragen wird das Ganze in einem artifiziellen Klagegesang zwischen Schamanenritual und Operette, gestützt auf mulchende Bassfundamente, klirrende Hi-Hats, schräge Synthesizerflächen und dissonante Gitarren. Die Struktur des Popsongs wird auf den tracks dieses Albums scheinbar ganz selbstverständlich aufgelöst; ihr Aufbau hat mehr gemeinsam mit den zeitgenössischen Disco-Produktionen als mit Punkrock. Die hörbare Experimentierfreude der Band straft auch die nihilistische Pose der Texte Lügen. "No future" war gestern, mit diesem Album wird dagegen unerschrocken künstlerisches Neuland betreten. (GF)


Wipers - Is This Real? (1979)
Greg Sage, Sänger und Gitarrist der Wipers, debütierte 1971 auf der Platte des Wrestlers Beauregarde. Sich Sage selber im Ring vorzustellen, fällt schwer. Den Durchhaltewillen und Stoizismus hat er allerdings mit seinem Kollegen gemein. Die Wipers, erklärte Helden Kurt Cobains, waren eine der ersten US-amerikanischen Punkbands. Und eine der rätselhaftesten und gesuchtesten. Eine, die sich gerne rar machte und komplett auf das Prinzip Eigenregie setzte. Is This Real? ist angereichert mit Feedback und Texten existenzialistischer Natur. Sage, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung kein Jungspund mehr, singt von der Krankheit der Jugend, die bis ins Erwachsenenalter hinüberreicht. Eine Platte mit wenig Licht, viel Dunkel und dabei voller bestechender Melodien. Danach ging es noch tiefer in den Tunnel, wurde es geradezu klaustrophobisch. Sage lebt immer noch in Portland, Oregon. Wer auf der Suche nach ausverkauften Scheiben ist, kann bei ihm die Raritäten auf CD-ROM bestellen. It ain’t getting more Punk Rock. (RM)


Wire - Pink Flag (1977)
Der Drummer hieß Robert Gotobed (jetzt Grey). Wer dieses Album vor dem Schlafengehen hört, könnte unruhige Träume bekommen. 21 Songs sind auf Pink Flag, einige nicht mal eine Minute lang. Die verknappteste, reduzierteste Variante von Rock, die sich denken lässt. Scharf geschliffene Diamanten sind es, darunter solche Großtaten wie Field Day For the Sundays (0:28), Ex-Lion Tamer (2:19), Lowdown (2:26), Fragile (1:18), Mannequin (2:37) und 12XU (1:55). Auf Strange, dem mit fast vier Minuten längstem Song der Platte, spielt Kate Lukas Flöte, ein Instrument, das nicht unbedingt mit Punk in Verbindung gebracht wird. Es ist wahr, Wire (Colin Newman, Bruce Gilbert, Graham Lewis und der Schlagzeuger mit dem schönen Namen) werden oft zitiert, wenn es darum geht, die Bierbüchsen- und die Kunstfraktion auseinanderzuhalten. Das mag später Sinn gemacht haben. Auf Pink Flag will es sich mir nicht recht erschließen. Das kurzweiligste Dokument, das 1977 hervorgebracht hat. Am Stück zu hören, am besten Montag morgens. Und Woche und / oder Welt werden erträglich. (RM)


X-Ray-Spex - Germ Free Adolescents (1978)
Oh Bondage, Up Yours! Identity! Der ultimative Befreiungsschlag, nicht nur für kleine Mädchen mit Brille. Gibt es ein besseres Schlusswort? (CM)