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Mutter veröffentlichten vordergründig harmonische Popsongs wie „Die Erde wird der schönste Platz im All“, um Sekunden später mit brachialen Noise-Attacken zu verstören. Ihre Alben („Du bist nicht mein Bruder“, „Hauptsache Musik“, „Europa vs. Amerika“, „Das ganze Spektrum des Nichts“) begeistern Spex-Leser und -Redakteure, eigneten sich aber nie für ein breiteres Publikum. Müllers Soloalben „Max Müller“ (1995), „Endlich tot“ (1999) und „Filmmusik“ (2004) genauso wenig: kontrapunktisch zwischen aggressiver Punk-Attitüde und minimalistischem Synthieegedaddel angesiedelt, erschloss sich Müllers Werk nur wenigen. Seine neue Platte, die auf dem österreichischen Label Angelika Köhlermann erscheint, verdient nicht nur einen Preis für den tollsten Titel des Jahres. Die Songs auf „Die Nostalgie...“ funktionieren auf verschiedenen Ebenen: Müller spielt uns zum Teil zugänglichen, sanft instrumentierten, ja, Pop vor, bastelt mit Gitarre, Computer und Orgel Miniaturen von großer dunkler Schönheit, und dann, quasi durch die Hintertür kommend, mit raunender Stimme Texte auspackt, die man erstmal verdauen muß. Müllers Oma, die die Platte per Anrufbeantworterspruch eröffnet, erzeugt nur für einen kurzen Moment das Gefühl heimelig-familiärer Geborgenheit. Nach einem klassisch anmutenden Klavierinstrumental („Träumerei / Neurosen“) kommt der Texter Müller ins Spiel, dessen Blick auf die Welt nicht als Zynismus oder Ironie mißverstanden werden sollte – Müller ist auf bestürzende Weise ernst, auch wenn Song- und Plattentitel in eine vermeintlich humoristische Richtung deuten. In „Heimatmusik“ widmet er sich samstagabendlichen Volksmusiksendungen: „die Welt zu heilen ist mein Auftrag / genesen ist mein Wesen / der Schlüssel heißt „Grüß Gott“ / nur hier ist Heimat, darf Heimat Heimat sein...“. In „Frauenkrieg“ singt Müller zu einem der berührendsten Saxofonsoli, die man seit langer Zeit hören konnte, „für eine bessere Welt / in der die Frauen die Kriege alleine führen / für eine schönere Welt / in der die Männer überhaupt nichts tun müssen...“, um dann im folgenden Song vor Menschen zu warnen, „die ihren Namen als Gürtelschnalle tragen / die sich Profimusiker nennen...“. Stücke wie „Der letzte Mann“, „Die Welt hasst Euch“ oder „Zwei einsame Schizoide“ sind durch die Kombination aus erschütterndem Fatalismus, prophetischem Weitblick und knarziger Eigenbrötelei selbstredend keine charttaugliche Popmusik. Wahrscheinlich wird auch dieses Müller-Album nur von einer winzigen Zahl aufmerksamer Menschen gehört werden, und ziemlich sicher ist auch, dass Max Müller weiterhin ein „Geheimtipp“ (gruseliges Unwort) bleibt. Aber man trüge Eulen nach Athen, behauptete man, dass dies das Schicksal aller relevanten Künstler sei. Üblicherweise entsteht bei Interviews das Problem, dass insgesamt alles zu lang, zu ausführlich und zu verschwafelt gerät. Meistens heißt es der Lesbarkeit zuliebe also kürzen – streichen – straffen. Nicht so bei Max Müller, der sich im E-Mail-Interview als wortkarger Grantler präsentiert (vielleicht fand er auch einfach unsere Fragen doof). Lest hier das – garantiert ungekürzte – Interview mit Max Müller:
Christina Mohr: Bezieht sich der Albumtitel auf den Mutter-Song "Früher (ist alles immer schöner als es heute werden kann)"? Max Müller: Nein, er bezieht sich auf den Film Butch Cassidy und Sundance Kid. CM: Ist der Song "Frauenkrieg" deine Antwort auf die Eva-Herman-und-der-Feminismus-Debatte? MM: Nein, meine Lieder geben keine Antworten, sie spiegeln eher meine Sicht der Dinge. CM: Songs wie "Gürtelschnalle" klingt unverhohlen misanthropisch - ist das so? Würdest du dieses Lied deinen Kindern als "Warnung" vor den Menschen vorspielen? Hast du Kinder? MM: Ja, habe ich, das Lied würde ich ihnen auch vorspielen, aber nicht als Warnung, sondern einfach so zum anhören. CM: "Heimatmusik" könnte sowas wie das Anti-EM-Lied werden - magst du Fußball? Oder hat der Song gar nichts mit Fußball zu tun? MM: Ja, könnte es. Ja, ich mag Fussball. Nein, er hat nichts mit Fussball zu tun. CM: Ist "Der letzte Mann" autobiographisch gemeint? MM: Nein. CM: Wie entstehen deine Songs? Die Musik auf dem neuen Album klingt so smooth und eingängig, die Texte hauen heftig in die Magengrube - ist dieser Effekt Absicht oder kannst du gar nicht anders? MM: Der einzige Effekt, auf den ich achte, ist, dass alles schön klingt. Das hat nichts mit nicht „anders können“ zu tun. Würdest du Picasso das auch fragen? (Herr Picasso! Eine Frage: Malen sie extra so oder können sie gar nicht anders?!!) * CM: Wenn man über Dich liest, steht da meistens, dass du das vierte Mitglied der Ärzte werden solltest, dass das Mutter-Album "Europa gegen Amerika" unter einem schlechten Stern stand (11.9.) und dass Mutter zwar eine wegweisende, aber leider wenig berühmte Band ist. Paßt dir das Image des Zuspätgekommenen, des "Verlierers" oder geht dir das auf den Wecker? Findest du überhaupt selbst, dass irgendwas hätte anders laufen können oder sollen? Hast Du Kontakt zu den Ärzten? MM: Ich sehe mich eher als zu früh gekommenen Gewinnertypen. Nein zu den Ärzten habe ich keinen Kontakt.
CM: Viele deutschsprachige Musiker beziehen sich auf Camping Sex, die Honkas, Mutter (siehe auch der Film) und sind durch Dich/Euch beeinflußt worden - wer beeinflußt Dich, wen/was magst du? MM: Fernsehen, Bücher, Musik, Bilder, Menschen, Essen, Reisen, Getränke, Videospiele, Mode. CM: Der Mutter-Film hat viele Leute überhaupt erst auf die Band aufmerksam gemacht - hat sich dadurch für Euch etwas geändert? MM: Nein CM: Du lebst in Berlin - ist die Stadt (immer noch) interessant für Künstler? Spielt Berlin für deine Arbeit eine Rolle? MM: Weiß ich nicht, ob sie für Künstler interessant ist, ich kenne keine. Nur solche, die sich so nennen. Ja.
» www.muttermusik.de
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