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Januar 2008
Stefan Pannor
für satt.org

Hideo Azuma: Der Ausreißer

Hideo Azuma: Der Ausreißer

Sind autobiografische Comics meist ernst? Seltsam, dass man diese Frage fast aus dem Stand mit „Ja“ beantworten möchte. Es ist der große Schatten von selbsterlebten Dramen wie Craig Thompsons „Blankets“, Marjanne Satrapis „Persepolis“ oder (etwas weiter gedehnt) Art Spiegelmans „Maus“, der den Blick auf die vielen originär komischen Autobiografien verdeckt, die von Comiczeichnern in den letzten vierzig Jahren produziert wurden.

Das reicht vom relativ harmlosen Eigenwitz a la Zep („Scheibchenweise“) bis zur brillant funkelnden Selbstreflexion (Trondheims „Approximate Continuum Comics“ und „Ausser Dienst“) oder der gallig-fröhlichen Dekonstruktion des eigenen Seins, wie Joe Matt sie in „That Poor Bastard“ betreibt. Von den alten Großmeistern wie Robert Crumb oder Harvey Pekar ganz zu schweigen - gerade ersterer betrieb ja die komische Darstellung seiner Obsessionen und Fetische mit im Wortsinne lustvoller Hingabe. Der autobiografische Comic, so könnte man sagen, ist eines der eigentlich komischsten aller Comic-Genres. Vielleicht, weil Humor die einzige Methode ist, die oft schmerzhafte Arbeit des Erinnerns durchzustehen.

Hideo Azuma: Der Ausreißer

Und hier kommt Hideo Azuma ins Spiel. Ein hierzulande völlig unbekannter Mangaka, der - und da müssen wir uns auf die Angaben des Verlags verlassen - in Japan Kultstatus geniesst für seine Arbeiten im Magical-Girl-Bereich und später im Soft- und Hardcore-Genre.

Azuma erzählt, wie er, schwer gestresst und alkoholabhängig, alles hinschmeisst und beschliesst, als Penner im Park und vor der Stadt zu leben. Ohne Geld, ohne Papiere, ohne Rückzugsmöglichkeit. Azuma lebt von Müll, geklautem Essen, gefundenem Kleingeld und billigstem Fusel. Monatelang.

Nebenbei flechtet er Erinnerungen an seine Zeit als erfolgreicher Mangaka in die Erzählung ein - ein angenehm offenherziger Einblick in Japans Fliessband-Bildergeschichten-Kultur, die den Zeichner zum Erfüllungsgehilfen der Verlage macht.

Das könnte ein Drama sein. Weil aber Azuma seine Geschichte im klischeehaft typischsten aller Manga-Stile verarbeitet (grosse Augen, kleine Nasen und kaugummiartig elastische Figuren), möchte die Tragik des Geschehens nicht richtig einklicken. Und das ist gut so. „Der Ausreißer“ schildert einen der schlimmst-denkbaren Niedergänge in der westlichen, auf Arbeit und Leistung orientierten Kultur. Nur durch die gigantische Fallhöhe aus ernstem Erleben und komischer Schilderung wird das Buch erträglich. Das Azumas Lebensdrama keine wirkliche Auflösung erfährt, ist der bittere Schlußpunkt einer beunruhigend unterhaltsamen Erzählung.



Hideo Azuma: Der Ausreißer
Schreiber & Leser; 192 S.; € 14,95;
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