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April 2008
Christopher Pramstaller
für satt.org

Joe Matt: Peepshow

Peepshow
von Joe Matt

Dass Comic-Autoren einen Hang zu autobiographischen Themen zeigen ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Frederik Peeters, Craig Thompson, Manuel Fior, Flix und Killoffer sind nur einige der Autoren, die uns in den letzten Jahren Einblicke in ihren Alltag gewährt haben. Die Art und Weise der Aufarbeitung des eigenen Lebens ist dabei stets ganz individuell, wodurch Handschrift und Persönlichkeit des Zeichners deutlich hervortreten. Nicht nur durch den Zeichenstil, sondern auch durch die Wahl des Sujets und weiter durch den Grad an Intimität, der dem Leser gewährt wird. So finden wir einerseits Werke in denen Wert auf Authentizität gelegt wird, andererseits, und hier ist wohl der Großteil der Veröffentlichungen zu verorten, arbeiten die Autoren ihr Leben mit viel Humor und Selbstironie auf und nehmen sich und ihr Leben nicht allzu ernst. Selbstironie scheint dabei in vielen Fällen fast schon zum Berufsethos zu gehören und auch Joe Matt bringt viel davon auf den 168 Seiten seiner „Peepshow“ auf.

Joe erscheint als Loser und tragische Figur des Alltags (der englische Orginaltitel heißt so auch „The Poor Bastard“), dem es an Egomanie und Neurosen nicht mangelt. Chronisch pleite lebt er in einer Bruchbude in Toronto und träumt von nichts sehnlicher als von Frauen – von perfekten Frauen wohlgemerkt! Schlank, dunkelhaarig, exotisch, mit großen Augen, vollen Lippen, schnell gehend und nicht rauchend. Wittert er auch nur den Hauch eines Makels, so verliert jede Frau sofort ihren Reiz! Die Sehnsucht nach durchweg perfekten Frauen wird zum bestimmenden Element in Joes Alltag. Da er allerdings viel zu schüchtern ist um Frauen anzusprechen, wird diese Sehnsucht gleichzeitig zur immer fortwährenden Qual. Als Ersatz müssen Porno-Videos herhalten.


Lesen Sie auch das große Interview mit Joe Matt auf satt.org.

So humorvoll die Darstellung seines Alter Ego im Comic auch ist - die Art und Weise seiner Seelenentblößung, die er in seiner bereits seit 1992 bestehenden Serie betreibt, sucht in der Comicwelt ihresgleichen. Derart radikal und schamlos ist wohl nur selten an die Darstellung der eigenen Person herangegangen worden. Joe Matt geht es in keiner Weise darum Defizite auszublenden, zu verstecken oder zu beschönigen. Gerade die Makel seiner selbst spielen in „Peepshow“ eine zentrale Rolle. In der radikalen Darstellung seiner Person findet er wohl aktuell höchstens in Killoffers Werk „Sechshundertsechsundsiebzig Erscheinungen von Killoffer“ (Reprodukt 2007) eine annähernd vergleichbare Entsprechung. Während wir den Franzosen Killoffer und seine multiplen Persönlichkeiten jedoch lediglich auf einer kurzen Reise nach Montreal begleiten dürfen, lässt uns Joe Matt über Jahre hinweg tief in sein Innerstes blicken. Der bereits 2007 bei der Edition 52 erschienene Comic stellt die Zusammenfassung der ersten sechs Hefte seiner von 1992-1994 im Original bei Drawn & Quarterly erschienenen „Peephsow“-Serie dar. Und da er mit dem Zeichnen seither nicht aufgehört hat, warten noch weitere, ebenfalls von D&Q auf Englisch publizierte Ausgaben aus den Jahren 1995-2006 auf uns. „Peepshow“ ermöglicht es uns das Leben Joe Matts über Jahre hinweg schamlos voyeuristisch zu begleiten und ihn in zahlreichen Alltagssituation zu begleiten. Beim Treffen mit Freunden, gelangweilt zu hause, beim Rendezvous oder auch einfach beim Masturbieren.

Joe Matt: Peeshow

Wie sehr pornografische Sehnsuchtsphantasie und Wirklichkeit für Joe Matt verschwimmen, zeigt sich auch in seinem Paneling: Die Umrandung bleibt konstant. Lediglich der Orgasmus wird durch die Umrandung hervorgehoben.
Peepshow © Joe Matt

So lernt man Joe zu lieben, mit ihm zu fühlen, ihn zu bemitleiden und bisweilen auch abgrundtief zu hassen. Denn von einem Mangel an Persönlichkeitsproblemen kann man sicherlich nicht sprechen. Das Gefühlsleben seiner Mitmenschchen schlichtweg ignorieren zu können zählt dabei zu einem seiner größten Talente. Begleitet wird Joe Matt von seinen beiden besten Freunden, die ebenfalls als Comic-Autoren in Erscheinung getretenen Chester Brown („The Playboy-Sories“, Jochen Enterprises 1992) und Seth („Eigentlich ist das Leben schön“, Edition 52 2004), denen er sein Leid mitteilt und sein Herz ausschüttet. Dass im Comic immer wieder Figuren auftauchen, die Joes schon veröffentlichte Bände der „Peepshow“-Serie gelesen haben und ihn im Comic darauf ansprechen, ist ein gelungener Kunstgriff und ein sehr schöner Umgang mit dem Medium Comic.

Joe Matt wirkt in „Peepshow“ keineswegs durchweg sympathisch. Und gerade weil dies so ist, wirkt seine Figur menschlich und echt. Wer auf den 168 Seiten mit ihm fühlen, leiden und lachen will, dem sei „Peepshow“ ans Herz gelegt. So schnell wird man nicht mehr derart tief und hautnah in das Leben eines Comic-Autors eintauchen können. Der Comic macht Lust die nächsten Ausgaben der „Peepshow“-Serie, um zu erfahren, wie Joe Matts Leben weitergeht.



Joe Matt: Peepshow
Edition 52, 168 Seiten, 17€
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