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17. Oktober 2012
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Felix Giesa
für satt.org |
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Im Zusammenhang mit dem mittlerweile etablierten Erfolg der Comics als Graphic Novels wird gelegentlich zu Recht betont, dass dieser Erfolg unmittelbar mit der Art des Erzählens in diesen Geschichten verwoben ist. Ein anspruchsvolleres, ernsteres Erzählen habe sich – weitestens – um die Jahrtausendwende in einigen, vornehmlich us-amerikanischen Comics herausgebildet. Die Comics der Brüder Hernandez werden hier genauso genannt, wie etwa Jason Lutes Berlin und viele andere. Diese Entwicklung, das Erzählen (wieder) stärker in den Mittelpunkt der Comicgeschichte zu rücken, darf nicht isoliert am Gegenstand Comic betrachtet werden. Sie hat ihre Ankündigung in der erzählenden Literatur der 1980er Jahre genauso wie im Autorenfilm der späten 1980er, frühen 1990er Jahre. Um das Jahr 2000 herum, und der Millenniumswahn dieser Zeit dürfte hierfür mit verantwortlich gewesen sein, entdeckten junge Autoren das Erzählen als ein Erzählen von sich selbst für ihre Prosa. Das (post-)adoleszente Sujet dieser Prosatexte findet seine Fortschreibung schließlich in den häufig autobiographisch geprägten Comics junger Comiczeichner. Es ist gerade der Erfolg dieser doch sehr persönlichen Comicgeschichten, die dem Comic um die Mitte der Nullerjahre Aufmerksamkeit und Anerkennung entgegenbrachten. Bei vielen Berichten über Graphic Novels wird diese Entwicklung zumeist gar nicht (an)erkannt. Doch die zeitgenössische Graphic Novel ist häufig, wenn nicht meistens, figürlich von einem erlebenden und erzählenden Ich geprägt, was sich nicht zuletzt in der Bearbeitungen literarischer Stoffe zeigt, die plötzlich eine Ich-Perspektive erhalten (etwa in Die drei Musketiere). Das heißt nun nicht, dass Graphic Novels allesamt Erzählungen über Heranwachsende von jungen Zeichnern sind. Das sicher nicht. Aber die schiere Zahl solcher Arbeiten, national wie international, spricht doch eine beeindruckende Sprache. Eine Momentaufnahme soll das verdeutlichen.
Sicherlich am eindeutigsten kann man heute noch die Verbindung dieses Erzählens vom Leben der Twenty- und Thirtysomethings in der Tradition der Heftchen- und Fanzinecomics bei Jule K. sehen, die häufig etwas zu unrecht übergangen wird. Seit mittlerweile mehr als zehn Jahren macht sie nun mit ihren Girls-Comics auf sich aufmerksam. Ende letzten Jahres erschien bei der Wuppertaler Edition 52 wieder ein Abenteuer um die etwas ‚strangen girls’ ihres Figurenkosmos. Knapp 90 Seiten hat Love Rehab und damit deutlich mehr Umfang als manch vollmundig angepriesene Graphic Novel. Jule K.’s Comics haben ein bißchen etwas von Superheldencomics. Die Figuren haben einen eher übermenschlichen Körperbau und die Bekleidung erinnert in ihrer Aufgetragenheit eher an Kostüme denn an Alltagskleidung. Eine frühere Geschichte, Cherry Blossom Girl, war sogar eindeutig so angelegt. In diesem und auch im neuesten Comic sind die Themen fast identisch: Scheißkerle, auf die die Mädels reinfallen, Feiern bis zum Umfallen und die unbedingte Freundschaft unter Mädchen. Wie auch die Superheldengeschichten, die sich doch fast immer um den Kampf zwischen Gut und Böse drehen, thematisch eingeschränkt sind, gelingt es diesen doch immer wieder, die selbe Geschichte neu zu erzählen. Jule K.’s superheldenhaften Mädchencomix gelingt das nach mehr als zehn Jahre auch immer noch wunderbar, wie man sich in Love Rehab vergewissern kann.
Ein vollkommen anderes Mädchenbild entwirft Aisha Franz in Alien, das als Abschlussarbeit bei Hendrik Dorgarthen an der Kunsthochschule Kassel entstand. Die erzählten Themen, die Handlungen und Orte in Alien sind keineswegs neu, auch nicht im Comic. So erinnern etwa die zerrüttete familiäre Konstellation und die räumliche Situation einer langweiligen Kleinstadt in Franz’ Comic an Acht Neun Zehn von Arne Bellstorff. Aber es erinnert eben nur daran und ist so ein Anzeichen für das generationenübergreifende der geschilderten Situation. Im vorliegenden Comic ist dies die totale Entfremdung einer ‚Restfamilie’, in der die Mutter und ihre beiden Töchter schlichtweg versuchen zu leben. Während die ältere Tochter merken muss, dass Heranwachsen neben Freuden auch einen Sack voll Leiden und Unverstandensein beinhaltet, leidet die Mutter Alltagsqualen einer kleinbürgerlichen Angestelltenseele. Für das jüngere Mädchen, das von allen Familienmitgliedern auch schlicht so genannt wird, manifestiert sich die gesamte familiäre Spannung in einem kleinen Alien, den sie in den umliegenden Feldern gefunden hat. Und dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein reales Wesen handelt oder um einen eingebildeten Freund – auf der Comicseite ist die Figur allemal real. Zwischen diesen Problempolen entspinnt sich also die Geschichte. Während sich die Mutter vorstellt, wie es in ihrem Leben ohne Kinder aussähe, entflieht die ältere Tochter dem eignen sexuellen Erwachen in ehemalige Kindheitsaktivitäten. Bei soviel Realitätsflucht um sie herum, gerät das ‚Mädchen’ regelrecht in ein Hintertreffen. Die Ansprache als das Mädchen, also die Betonung des Kreatürlichen ihres Seins, das Leben an einem Wendepunkt zwischen Kindheit und Pubertät und das damit einhergehende Unverständnis für sich selbst, haben ihren Ausdruck in dem fremden Doppelgänger – nirgends wird das so deutlich, wie in der Abbildung auf dem Buchumschlag, wenn sich das Mädchen als Alien in der Fensterscheibe spiegelt. Am anderen Körper, der ja ebenso fremd ist, wie ihr eigener, kann sie erkunden und ausprobieren. Das Aushalten und Zweifeln grundsätzliche Erfahrungen nicht nur des Heranwachsens, sondern des gesamten Lebens sind, wird von Aisha Franz sehr eindringlich geschildert. Das ein ‚Überleben’ zumindest möglich scheint, wird immerhin angedeutet. Für dieses Prozesshafte, welches das Leben als einen nie abgeschlossenen Vorgang begreift, ist der gewählte Zeichenstil die gelungene Entsprechung. Die Bleistiftzeichnungen lassen die einzelnen Striche erkennen und machen so den Zeichenprozess ebenfalls nachvollziehbar. Die Anordnung der Panels als vier-mal-drei-Gitter ohne Zwischenräume unterstreicht die Enge im familiären Kontext, die Abhängigkeiten voneinander. Das die Geschichte nicht zur pessimistischen Nabelschau verkommt, ist dabei dem lakonischen Humor zu verdanken. Alien, das kann man getrost sagen, ist eines der stärksten Comicdebüts der letzten Jahre. Zeitgleich mit Alien erschien bei Reprodukt noch ein weiterer Debütcomic: rpm ist Martina Lenzins erste Buchpublikation. Zuvor hatte sie mit ihrem Comicfanzine Two Fast Colour bereits für Aufmerksamkeit gesorgt. Die Heftreihe zeichnete sich von Anfang an durch eine durchaus sympathische do-it-yourself-Attitüde aus und reihte sich eher in den Kontext von Punkheftchen, als – institutionalisierter – Comickunst. Diesen biographischen Punkt im Kopf, versteht man schnell die Begeisterung der Zeichnerin für das Thema ihres Comics: die aufkommende d.i.y.-Bewegung in den späten 1970er Jahren. Lenzin entwirft einen kleinen erzählerischen Rahmen in den sie ihre eigentliche Erzählung in Form von sich abwechselnden Interviewsequenzen und Comics über ihre Protagonisten des Post-Punk einbettet. Es ist zum einen diese Anlage, dieses Changieren zwischen erzählendem Portrait und Dokucomic, die eine Lektüre, zumal für den uneingeweihten Leser, erschweren. Zum anderen ist es Lenzins fehlende Distanz zu ihrem Gegenstand. Und wenn sich das nun nach soziologischer Analyse anhört, dann liegt dies daran, dass besonders die Interviewsequenzen genau einen solchen Eindruck vermitteln. Ihr Ansatz, die Vergangenheit einer Subkultur vom heutigen Standpunkt aus abzubilden, hat durchaus ihren Reiz. Doch fehlt hier der Rückbezug auf die heutige Szene des musikalischen Undergrounds, der musikalischen und künstlerischen Kollektive, von denen Lenzin ja ebenfalls ein Teil als Musikerin und Künstlerin ist. Aus den Ansätzen und vermeintlichen Fehlern der Vergangenheit Rückschlüsse für das ‚Jetzt‘ zu ziehen, hätten der Einbettung des Themas und sicherlich auch der Erzählfreude des Bändchens sehr gut getan und wäre eine erfreuliche Erweiterung aktueller Zeitanalysen à la Der kommende Aufstand geworden. So ergeht sich die Autorin – und spricht wie ihr Held Tin – in Zitaten. Das ist schade, denn Martina Lenzin ist, das konnte man schon in Two Fast Colour sehen, eine vielversprechende Comiczeichnerin, deren filigranen Zeichnungen wunderbar die Leichtigkeit, aber auch die Vergänglichkeit des Aufbruchs einer Subkultur und ihres Soundtracks in Bildern wiederzugeben vermag. In gewisser Weise, könnte man meinen, handelt auch Kati Rickenbachs lang erwartetes Zweitwerk (nach Filmriss aus dem Jahr 2007) von einer Subkultur: von der Subkultur der Comiczeichnerszene. In Teilen stimmt das sogar, aber eben nur in Teilen. Jetzt kommt später verknüpft zwei Aufenthalte Rickenbachs in Hamburg zu einer feinfühligen und überraschend unterhaltenden Erzählung über die Feststellung, auf einmal erwachsen geworden zu sein. Dabei entsteht der größte Unterhaltungswert ihrer Erzählung aus der Kontrastierung der beiden besagten Zeitebenen. Einmal ist die Zeichnerin im Jahr 2004 für ein Semester in Hamburg und zum zweiten Mal fünf Jahre später gemeinsam mit ihrem Freund. Die Gegenüberstellung genau dieser beiden Zeitabschnitte aus Rickenbachs Leben sind es gerade, welche dem Leser die Verwunderung über die Reife der Zeichnerin vor Augen führen. Die noch jugendliche, ungebundene Studentin hat sich für ihr Auslandssemester vorgenommen, zu keinem Angebot „nein“ zu sagen und lebt frei in den Tag hinein. Die ältere Kati hingegen ist den Zwängen des Arbeitslebens und dem Einpassen in eine Beziehung unterworfen. Das konstante Reflektieren über die eigene Situation im Jahr 2009 und das nachträgliche Bewerten des eigenen Handelns fünf Jahre zuvor (und darüber hinaus auch das Bewerten der Situation im Jahr 2009 während des Fertigstellens im darauf folgenden Jahr), machen Jetzt kommt später zu einem überzeugend authentischen Stück Comicautobiographie. Darüber hinaus wächst dem Band aber auch Bedeutung für die Comiclandschaft als solche zu, wenn Kati Rickenbach immer wieder die Hamburger Comicszene, in der sie verkehrt, abbildet und ein, teilweise, schonungsloses Bild einzelner Personen zeichnet. Das erinnert streckenweise, und das ist wahrlich nichts Schlechtes, an Lewis Trondheims Approximate Continuum Comics, in welchem die l’Association eine zentrale Rolle spielt und der ebenfalls regelmäßig über die Parameter des autobiographischen Erzählens nachdenkt. Damit füllt Jetzt kommt später schon beinahe eine gewisse Lücke in Sachen Comicberichterstattung: Die Betonung der Hamburger Comicanthologie Orang bzw. der eigenen Arbeit an einem Beitrag für die Nummer 4 führen exemplarisch sehr klar vor Augen, wie sich hier ein Brutbecken für die jetzt erfolgreichen Comiczeichner herausbilden konnte. Es ist schließlich genau diese Nummer der Reihe, die erstmals die Fanzine-Nische verließ und überregional beachtet wurde. Was einer Vielzahl der dort veröffentlichten Comiczeichner umgehend zu einer breiteren Wahrnehmung verhalf. Diesen Prozess kenntlich zu machen, ist nicht der letzte Verdienst von Jetzt kommt später. Ebenfalls klassisch autobiographisch ist der soeben auch auf Englisch erschienene Bericht Reunion Pascal Girards über sein zehnjähriges High School-Nachtreffen und besonders seine neurotischen Erwartungen im Vorfeld. Girard, der mit Bigfoot Ende letzten Jahres eine der sensibelsten und gelungensten teenage angst-Stories der letzten Zeit vorgelegt hat, ist ein schonungsloser und genauer Beobachter seiner selbst, der, und das scheint einen Großteil der autobiographischen Comiczeichner zu einen, so gar keine Skrupel hat, seine intimsten Erlebnisse mitzuteilen. Diese sind teilweise grotesk, zumeist versetzen sie den Leser in eine grinsende Schadenfreude. Das es sich dabei um kaum gefilterte Erlebnisse handelt, wird zum einen durch eine knappe visuelle Umsetzung, die etwa auch auf Panels verzichtet, und zum anderen durch den Umstand veranschaulicht, dass sich Pascal immer wieder hinter seinem Skizzenbuch verkriecht und das aktuelle Geschehen festhält. Die Comicgeschichte erweckt so den Anschein, als sei sie eine direkte Momentaufnahme. Für einen Vergleich hätte man sich dieses eine Mal auch einen Skizzenanhang gewünscht. Einen jugendlichen Befreiungsschlag in der Rückschau eines Erwachsenen auf sein eigenes Leben hingegen bietet Matthias Gnehms Bekehrung. Als Mann mittleren Alters muss Kurt beruflich in sein Heimatdorf zurück. Ausgelöst durch ein Treffen am Bahnhof, wird bei Kurt ein Erinnerungsprozess an eine eindringliche Phase seiner Jugend in Gang gesetzt. Bereits an der graphischen Einleitung dieser Erinnerung offenbart sich dem Leser das erzählerische Talent Gnehms: Seine Figur Kurt sitzt gedankenverloren im Zug und schaut aus dem Fenster, im nächsten Panel erscheint vor dem Hintergrund der verschwommenen Landschaft das Gesicht eines Mädchens und bereits im dritten Panel sind wir mitten in der Binnenerzählung. Und in dieser beweist Gnehm dann das ganze Potential, das in seinen verwaschenen Bleistiftzeichnungen liegt. Während Comics über Jugendliche und Heranwachsende doch schnell zur reinen Nabelschau verkommen, erzählt der Zeichner in Bekehrung vor dem Hintergrund seiner jugendlichen Figuren eine Geschichte über religiöse Engstirnigkeit, ausbeutende Machtausübung und die Enge der Kleinstadt. Und natürlich von der Liebe; oder eher dem Verliebtsein, sonst wäre es ja keine Erzählung von Jugend. Als vierzehnjähriger verliebt sich Kurt in die ältere Patrizia. Nur um ihr nahe zu sein, schließt er sich dem Bibelkreis des neuen Pfarrers an und gerät in ein Gefüge von Dogmatismus und absolutem Gehorsam. Die resultierenden Konflikte, mit dem Umfeld und der eigenen Familie, sind so eindringlich erzählt, dass es einen regelrecht erstaunt. Schade ist nur, dass der Rahmen mit einer doch schon sehr alten Figur die Lektüre des Buches für Jugendliche eher unattraktiv machen dürfte. Denn das Dunkle und Rurale der dörflichen Landschaft bricht der Architekt Gnehm in seinen strengen Comicseiten auf und zwingt es in eine anschauliche und flotte Bildsprache. In der verzwickten und für den Jungen irgendwann sehr belastenden Situation ist es die Schilderung der Beziehung zur Mutter, die während des Lesens beeindruckt. Kurts Mutter tritt gleichwohl als Hüterin der Familie ebenso wie als (wissenschaftlich) gebildete moderne Frau auf, welche die Scharlatanerie des Pfarrers mit entwaffnender Klarheit bloßstellt. Dabei bedrängt sie den Jungen nie, sondern ist durch ihre monolithische Prinzipientreue Fels in der Brandung und Wegweiser für Kurt. Dass solche Momente nicht kitschig erscheinen ist die große Stärke des Bandes. Zur skizzierten Entwicklung immer mehr thematischer Comics passt, dass soeben im Zwerchfell Verlag, gleichzeitig sein Opus Magnum Fahrradmod ankündigend, Tobi Dahmens Sammlung autobiographischer Comic Strips Sperrbezirk in einer erweiterten Neuauflage (und diesmal auch mit ISBN-Nummer!) erschien; und auch das sich in der aktuellen Nummer von Spring unter dem Titel „Familiensilber“ eine Vielzahl auto- bzw. familienbiographischer Geschichten finden. Unter diesen ist es etwa Larissa Bertonascos „Frida“, in der die Zeichnerin, in strenger Ich-Perspektive wohlgemerkt, ihrer Großmutter ein erzählerisches und zeichnerisches Denkmal setzt. Ähnlich verfährt Barbara Yelin, deren Geschichte über ihre Recherchen um die eigene Oma wohl als Vorstudie für ein Buchprojekt zu verstehen ist. Gerade diese beiden knappen Einblicke sind es, welche die eigene Biographie mit der der Ahnen gleichschalten und so, in der Weiterentwicklung etwa von Line Hovens Familienbiographie Liebe schaut weg, Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Blick des 21. Jahrhunderts versuchen nachvollziehbar zu machen. Das lässt auf noch einige spannende und optisch reizvolle Erzählungen hoffen.
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