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April 2005 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
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Die Dolmetscherin
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Ähnlich wie im letzten Jahr The Manchurian Candidate, so ist auch The Interpreter ein durchaus packender Film, der das in den Siebzigern so erfolgreiche Genre des Politthrillers mit Hang zur Paranoia und Verschwörung wiederbelebt. Hierbei bleibt festzustellen, daß es heutzutage natürlich nicht "nur" um Attentäter geht, die damals Filme wie The Parallax View heimsuchten, sondern um die derzeit angesagteren Selbstmordattentäter, die in der wohl besten Szene des Films die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auch für Passagiere mit Fahrschein wieder spannend machen.
Nicole Kidman spielt die Dolmetscherin Silvia Broome, die nachts im UN-Gebäude zufällig Zeuge eines Attentatplans wird, dabei aber zunächst selbst in Gefahr gerät, bevor der betreuende FBI-Personenschützer Tobin Keller (Sean Penn) auch noch feststellen muß, daß die aus Afrika stammende Silvia selbst genügend Gründe hätte, das mutmaßliche Opfer, einen Diktator und Massenmörder, über die Klinge springen zu lassen. Dieses Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers funktioniert für manchen Zuschauer (wie mich Siebziger-Nostalgiker) recht gut, für andere wiederum nicht so sehr.
In einem Interview berichtet Pollack von der Prozedur mehrerer Test Screenings, die ihn sonst immer nur als Produzenten interessierten, die aber bei seinem neuen Film wohl erstmals auch für den Regisseur Pollack eine Rolle spielten. Zwischen den Screenings wurde immer wieder an dem Film gefeilt, der nebenbei auch noch die UN in bestmöglichem Licht erscheinen lassen sollte (sonst hätte er wohl von Kofi Anan keine Drehgenehmigung bekommen, die seinerzeit sogar Hitchcock versagt wurde). Die Meinung des Testpublikums, womöglich irgendwelcher namenloser McDonald’s-Kunden aus Oregon, scheint offenbar wichtiger als die des seit vier Jahrzehnten tätigen Regisseurs, der sich laut eigenen Angaben oft gegen seinen Instinkt entscheiden musste und schließlich selbst nicht mehr genau wusste, was gut oder schlecht für den Film ist.
Teile des Interviews erscheinen unfreiwillig komisch, weil Pollack gar nicht zu bemerken scheint, wie er sich selbst entmündigt, um einem möglichen Publikumsgeschmack hinterherzueifern.
Q: Have you found the demands on a thriller have changed since you made Three Days of the Condor in 1975?
A: Yes, I think so. I think they are less patient with talk. You’ve got to get the gun out real fast or the clothes off real quick. You know, they are interested in sensation, pure sensation.
"Words are slower than weapons" ist auch eine der Ansichten der Dolmetscherin, die ihren Weg ins Drehbuch gefunden hat. Und so ist es doppelt klar, daß Pollack die Knarre extrem schnell draußen hat, während glücklicherweise bei der angedeuteten Liebesgeschichte zwischen dem frisch verwitweten Tobin und der in Lebensgefahr schwebenden Silvia die Klamotten doch bis zuletzt anbleiben.
Man fragt sich, wieviel bei einem Film wie The Interpreter "verschlimmbessert" wurde, weil man dem Publikum entgegen kommen wollte. Ob es Absicht ist, daß Catherine Keener und Sean Penn ein wenig wie die X-Files-Agenten Scully und Mulder wirken. Ob die Verpflichtung internationaler Schauspieler wie des Dänen Jesper Christensen (Små Ulykker, Okay, Arven) oder des Franzosen Yvan Attal (Un monde sans pitié, With or Without You, Il est plus facile pour un chameau) ein Zugeständnis an die UN war.
Und vor allem fragt man sich, wie The Interpreter geworden wäre, wenn der Film in den Siebzigern entstanden wäre, als Sydney Pollacks Instinkt noch etwas wert war. Ich glaube, er wäre (noch) viel besser geworden.
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