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12. November 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)
Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)
Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)
Bilder © 2008 Constantin
Film Verleih GmbH
Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)
Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)
Im Winter ein Jahr (R: Caroline Link)


Im Winter ein Jahr
(R: Caroline Link)

Deutschland 2008, Buch: Caroline Link, Lit. Vorlage: Scott Campbell, Kamera: Bella Halben, Schnitt: Patricia Rommel, Musik: Niki Reiser, mit Karoline Herfurth (Lilli Richter), Josef Bierbichler (Max Hollander), Corinna Harfouch (Eliane Richter), Hanns Zischler (Dr. Thomas Richter), Misel Maticevic (Aldo), Cyril Sjöström (Alexander Richter), Daniel Berini (Tom), Franz Dinda (Johannes), Jacob Matschenz (Tobias Hollander), Inka Friedrich (Andrea), Hansa Czypionka (Stephan), Paula Kalenberg (Stella), Eva Gosciejewicz (Max’ Exfrau), 129 Min., Kinostart: 13. November 2008

Aufgrund einer ganz persönlichen Abneigung gegen Filme, die ein pittoreskes Landschaftsbild exotischer Kontinente malen (Die weisse Massai, Memoirs of a Geisha, Jenseits von Afrika und ähnliches), habe ich Caroline Links Oscar-Gewinner nie gesehen, dafür ihre ersten zwei Kinofilme Jenseits der Stille und Pünktchen und Anton jeweils bei der Kinoerstauswertung. Nach einer ausgedehnten Babypause meldet sich die Regisseurin nun zurück, mit einem Stoff, der ursprünglich ihr Hollywood-Debüt werden sollte. Doch statt Scott Campbells Roman Aftermath mit einem zugkräftigen Hollywoodstar an der Ostküste umzusetzen, besetzte sie die Rolle des 40jährigen homosexuellen Malers mit dem 60-jährigen Josef Bierbichler, dessen sexuelle Ausprägung im Drehbuch von Frau Link auch weitaus ambivalenter gerät. In der weiblichen Hauptrolle Karoline Herfurth (Mädchen, Mädchen 1 & 2, Das Parfum, Pornorama), die erstmals eine derart große Produktion nahezu allein stemmen muss - und dabei leider etwas überfordert ist, wobei man sich aber darüber streiten kann, wessen Verschulden dies ist. Ich tippe da doch eher auf die Caroline mit C, also die Regisseurin und Drehbuchautorin.

Der Film beginnt mit einer Winter- / Familienszene, symptomatisch für die Regisseurin. Die Mutter (Corinna Harfouch) filmt heimlich ihren Sohn, wie er selbstvergessen durch die ersten Schneeflocken tanzt. Die Tochter Lilli (Karoline Herfurth) beobachtet die herzliche Mutter-Sohn-Beziehung durch eine Fensterscheibe, schon früh scheint etwas Neid durchzuscheinen. Doch der Vorspann ist noch nicht ganz vorbei, als ein Schuss durch den Wald schallt - aufgrund des Filmtitels ist es wenig überraschend, dass sich hier jemand erschossen hat, und zwar der Sohn, der eben noch so glücklich schien. Der erste Jahrestag des mitunter als “Jagdunfall” deklarierten Freitodes nähert sich, als die Mutter die Tochter nötigt, einen Maler zu besuchen, der ein gemeinsames Portrait der Geschwister erstellen soll. Hierbei zeigt sich Lilli uninteressiert bis abweisend, findet sie doch die ganze Idee eher “gruselig”. Naja, wenig überraschend geht es in dem Film um die Verarbeitung von Trauer und Schuld, wobei auch der Maler Max (Josef Bierbichler) ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Exfrau und dem Sohn hat, und in seinem Atelier ein mysteriöses unfertiges Porträt einer toten Person herumsteht, das ihn ebenso verfolgt, wie die Umstände des Todes von Bruder Alexander Lilli und ihre Mutter. Die “Parallelsymbolik” von Gartenpforten, Geldgeschenken an Kinder, die am liebsten überwiesen werden sollen, und einem ebenfalls verstorbenen Nachbarjungen von Max ist sehr schnell ziemlich aufdringlich, doch zunächst gibt es durchaus interessante Ansätze. So findet Max, dass Alexander aussieht wie ein “netter Kerl”, nur grinst der zum Dauerobjekt der Photographier- und Filmsucht der Mutter gewordene laut Ansicht des Malers, als sei er ein “Dentalvertreter”. Offenbar kann Max auch hinter die Fassaden blicken. Lilli hingegen wird wie ein durchtriebenes Luder präsentiert, das als “Beatrice Marlowe” einen aufdringlichen Vertreter nach allen Regeln der Kunst verarscht (ohne, dass dieser dies merkt), sich dann aber dem von vornherein unsympathisch herüberkommenden Aldo (Misel Maticevic ist ein Darsteller, an dem offenbar schon Dominik Graf einen Narren gefressen hatte) unterordnet, dass es nur noch peinlich ist. Diese Widersprüche in der Figur Lilli kann man zwar im Nachhinein psychologisch nachvollziehen, doch in der Darstellung oder dem Buch ist irgendwo der Wurm drin.

Der Film konzentriert sich statt der interessanten Konstellation Max / Lilli lieber auf ausgefeilte Ausleuchtung oder Küchenphilosophie (“Eine Familie ist wie ein Tretboot”), die dann auch noch 1:1 bebildert wird. Dieses Problem des Films kulminiert dann in der Schlüsselszene (natürlich wieder mit Parallelmontage), in der Lilli zu Klängen von Peter Gabriel (ihre Affinität zum Musiker wurde natürlich vorher schon mal brav etabliert) plötzlich “wie um ihr Leben” tanzt. Die künstlerische Darbietung der Darstellerin ist hier durchaus bemerkenswert, doch nicht nur ist die Aussage dieses Tanzes ziemlich platt und allzu sehr wie ein “filmischer Moment” aufbereitet, die Choreographie ist auch viel zu ausgefeilt und unterstützt nicht unbedingt die Aussage, die “Freiheit” oder “Lebensfreude”, die die Figur plötzlich erfasst. So wurde der vermeintliche Höhepunkt des Films beinahe zum Tiefpunkt (na gut, die gesammelten Aldo-Szenen sind noch zigmal schlimmer).

Zum Abschluss würde ich gern noch eine ganz persönliche Frage an Frau Link stellen, bei der Kenner meiner Person wissen, dass ich sie mir nicht verkneifen kann: Hinter einem Regal voller Pokale in Alex’ altem Zimmer (das natürlich wie ein Schrein im damaligen Zustand bewahrt wird) hängt ein Banner, auf dem steht: “Second best is the first looser”. Da stelle ich mir (oder eben Frau Link) die Frage: soll der Rechtschreibfehler etwas über die Figuren aussagen, oder waren die Ausstatter nur doof und man hatte dann keine Zeit oder Lust, den Fehler noch zu korrigieren?