Deutschland / Finnland 2011, Buch: Hendrik Handloegten, Lit. Vorlage: Hannelore Valencak, Kamera: Peter Przybylski, Schnitt: Elena Bromund, Musik: Timo Hietala, Production Design: Yesim Zolan, mit Nina Hoss (Juliane Kreisler), Mark Waschke (August Schelling), Lars Eidinger (Philipp Hobrecht), Fritzi Haberlandt (Emily Blatt), Lasse Stadelmann (Otto), Susanne Wolff (Rebecca), Barbara Philipp (Sabine Wirth), Barbara Schnitzler (Dr. Mesmer), Ernst Stötzner (Makler Kupferschmidt), Mike Adler (Taxifahrer), Christoph Bach (Fred / Matthias), 96 Min., Kinostart: 3. November 2011
Die Prämisse des Science-Fiction-Genres ist ja quasi die Zeitreise. Der Leser wird eingeladen, die Zukunft zu besuchen. In dem Klassiker der Zeitreise-Geschichte, Herbert George Wells’ The Time Machine (1895) benutzt der Zeitreisende seine Erfindung noch im Sinne eines Fahrzeugs, die Zukunft wird wie ein fernes unbekanntes Land bereist. Da war Wells’ US-amerikanischer Zeitgenosse Samuel Clemens (bekannt unter dem Namen Mark Twain) dem Potential der Zeitreisegeschichte mit seinem A Connecticut Yankee in King Arthur’s Court (1888) schon näher gekommen, und in der Folge zeigte sich, dass Reisen in die Vergangenheit (und alternative Zeitlinien) die Möglichkeiten des sich entwickelnden Subgenres weitaus befriedigender - für Leser und Autoren - ausschöpfen konnten. Nach diversen Jahrzehnten Star Trek, der Back to the Future-Trilogie und den Terminator-Filmen ist auch das breite Publikum mit den Regeln der Zeitreise mittlerweile so vertraut, dass sich die Zeitreise immer mehr aus dem Sci-Fi-Umfeld verabschiedet, und in den Filmproduktionen des letzten Jahrzehnts kann man feststellen, dass die Zeitreise momentan eher das Instrument einer dramatisch überhöhten Liebesgeschichte ist. Die technologischen Hintergründe der Zeitreise und ihr Erfinder sind längst in den Hintergrund gerutscht, oft genug wird das Phänomen überhaupt nicht erklärt, und in den richtigen Händen kann aus diesem Genremix ein Erfolgsfilm erwachsen, der sowohl das Weibliche als auch das männliche Publikum fesselt. In The Lake House, Kate & Leopold und The Time Traveller’s Wife aufgrund des Knutschi-und-Schmusi-Schwerpunkts etwas stärker die Frauen, in The Butterfly Effect oder Anno Sauls Die Tür aufgrund der Splatter-Effekte eher die Männer. Auch Jaco Van Dormaels Mr. Nobody könnte man in diese Tradition einordnen, Terminator 3 erzählt fast eine Romeo & Julia-Geschichte, Tom Tykwers Lola rennt könnte ein früher Prototyp sein, auf dem dann unzählige Variationen wie Amores Possíveis aufbauen.
Am ehesten gelang es seit Tykwer vielleicht noch David Finchers The Curious Case of Benjamin Button, die Geschlechterkluft zu überbrücken. Und dabei wurde gleichzeitig der Sci-Fi-Aspekt (mit einer »ernstzunehmenden« Vorlage von F. Scott Fitzgerald) heruntergespielt, aber im selben Moment mit »unauffälligen« Spezialeffekten nur so um sich geworfen. Also genrepolitische Schönheitschirurgie, um das ungleiche Paar aneinader zu binden.
Hendrik Handloegten hat mit seinen ersten zwei Filmen Paul is dead und Liegen lernen bewiesen, dass er sich sowohl auf Zeitreisen als auch auf Liebesgeschichten versteht. Und durch das Casting von Nina Hoss und Lars Eidinger gelingt ihm vielleicht sogar noch die Zusammenführung zweier anderer eigentlich unvereinbarer Filmgattungen: Das künstlerisch wertvolle deutsche Kino eines Christian Petzolds oder einer Maren Ade, wie es (zumindest einige) Kritiker wollen, mit dem offenbar vom Publikum gewünschten Unterhaltungskino, bei dem es mir widerstrebt, Titel oder Regisseure zu nennen - denn das würde Hendrik Handloegten in gewisser Form beleidigen.
Juliane (Nina Hoss) fährt durch ein sonnendurchflutetes Finnland, um die Eltern des neben ihr sitzenden August (Mark Waschke) kennenzulernen. Die beiden sind frisch verliebt, sie scheinen aber eine lange gemeinsame Zukunft vor sich zu haben. Die Inszenierung schwelgt in ihrem Liebesglück. Da wacht Juliane auf und scheint sich im falschen Film zu befinden: Ein winterliches Berlin voller Schneematsch, eine längst brachliegende Beziehung mit Philipp (Lars Eidinger), und zu allem Verdruss scheint es auch noch so, als kenne sie das Drehbuch dieses Films bereits. Ein Déjà vu der zermürbenden Art. Aus Gründen, die der Film nie erklärt (und das ist auch gut so), scheint Juliane eine Zeitreise gemacht zu haben, jetzt sucht sie das »Fenster zum Sommer«, doch jenes Zeitfenster bietet neben einer Wiederherstellung des glücklichen Status Quo, wie der Film ihn zu Beginn präsentierte, auch eine zweite Chance. Nicht zur Rettung ihrer Beziehung mit Philipp (wer Lars Eidinger in Alle anderen oder Hell gesehen hat, würde dies auch nicht vorschlagen), sondern, was das Kennenlernen Augusts angeht. Denn ihr größtes Glück geht Hand in Hand mit einem großen Pech, durch den Unfalltod ihrer besten Freundin (Fritzi Haberlandt) wurden sie und August überhaupt erst zusammengeschweißt.
Es gibt noch diverse Komplikationen, aber ich will ja Julianes Déjà vu nicht auf den Zuschauer ausweiten. Ein cleverer und spannender Film. Nicht unbedingt perfekt, aber wer sich nur ein klitzekleines bisschen mit Zeitreisen auskennt, weiß, dass Perfektion unmöglich ist. Und für den Zuschauer auch nicht unbedingt wünschenswert.
Ich persönlich hätte den Film aber eher im März als im November gestartet ...