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10. Februar 2009 | Dorothée Basel, Thomas Vorwerk und Daniel Walther für satt.org | ||||
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Berlinale-Vorführung: Sonntag, 15. Februar, 20 Uhr im Berlinale-Palast |
Hans-Christian Schmids Storm bettelt geradezu darum, mit Tom Tykwers The International verglichen zu werden. Beide Regisseure hatten in Deutschland Erfolgsfilme (auch wenn Crazy und 23 nicht annähernd soviel einspielten wie Lola rennt), und haben sich inzwischen international orientiert. Allerdings ist das bei Schmid alles vier Nummern kleiner als bei Tykwer. Schon Schmids vorletzter Spielfilm Lichter (damals wie auch später Requiem auch im Wettbewerb der Berlinale) orientierte sich von Deutschland in Richtung Osteuropa, diesmal bleibt dieser Focus, nur spielen neben Berlin auch Den Haag und Brüssel eine Rolle. Abgesehen von einigen Autos, auf deren Marken ich nicht geachtet habe, dürfte in Storm eine (wahrscheinlich fiktive) Lutschbonbon-Marke namens “Mentona” das auffälligste Product Placement haben, und die internationalen “Stars” des Films sind Kerry Fox (Shallow Grave, Intimacy) und Stephen Dillane (The Hours). Es gibt auch wieder deutsche (und dänische) Schauspieler in kleinen Rolle, aber kein weltweit bekanntes Schwergewicht wie Armin Müller-Stahl, sondern den eher unbekannten Alexander Fehling (Am Ende kommen Touristen). Und statt Ulrich Thomsen diesmal “nur” Jesper Christensen, was die momentan oft verwendeten dänischen Co-Stars angeht.
In beiden Filmen geht es um Ermittlungen gegen internationale Verschwörungen, um bedrohte Zeugen und reiche Kriminelle, die sich mit viel Macht über das Gesetz hinwegsetzen, doch wo es in The International um Action und nacheinander ausgeschaltete Kämpfer gegen das System geht, verlässt sich Storm auf eine tatsächliche (und ziemlich gute) Story, auf nachvollziehbare Figuren mit komplexen Motivationen, und dabei ist ein geworfener Stein oder ein beschmiertes Auto oft bedrohlicher als ein Killerkommando und komplizierte Blausäureattacken.
Tykwer stellt seine Regiekunst in den Vordergrund, Schmid verschwindet ganz hinter seiner Geschichte, er “dient” seiner Geschichte, statt sich diese unterzuordnen. Und auch, wenn das bei Schmid noch mehr Einstellungen von “talking heads” gibt, sind diese um so eindringlicher, weil es hier nicht nur um riesige Waffenlieferungen vom Typ “MacGuffin” geht, sondern um echte Konsequenzen für fast alle Figuren, um Verbrechen, die auch ohne Spezialeffekte, manchmal sogar ohne konkrete Beschreibung, ebenso unfassbar wirken, wie sie in manchen Situationen fast schon zur Tagesordnung gehören. (Thomas Vorwerk)
Originaltitel: Wallace & Gromit in “A Matter of Loaf and Death”, UK 2008, Buch: Bob Baker, Nick Park, Kamera: Dave Alex Riddett, Schnitt: David McCormick, Musik: Julian Nott, mit den Originalstimmen von Peters Sallis (Wallace), Sally Lindsay (Piella), Melissa Collier (Fluffles / Flauschi), Sarah Laborde (Bake-O-Lite Singer), 30 Min.
Zufällig stieß ich beim Zappen auf einen Trailer zum neuen Wallace & Gromit-Film und somit lief für mich der beste Grund, der Berlinale fern zu bleiben, ausgerechnet auf Super-RTL.
Zurück beim traditionellen halbstündigen Format (auch wenn man bei Super-RTL den Prime-Time-Sendeplatz damit zu rechtfertigen schien, dass man im Anschluss einfach noch The Wrong Trousers und A Close Shave - ohne die Vorspänne und Filmtitel - dran hing), entspricht der neue Film zunächst mal ganz den etablierten Regeln der Serie. Eine neue Geschäftsidee (eine Bäckerei namens Top Bun, übrigens abgesehen von der innovativen Zustelltechnik mit erstaunlich wenigen neuen Erfindungen), eine neue Dame, in die Wallace sich auf den ersten Blick verliebt, neue Probleme für Gromit, eine neue Bedrohung (diesmal wird tatsächlich gestorben, wenn auch mit eher witziger Visualisierung) und - neu - zur Abwechslung auch mal ein love interest für Gromit, eine Pudeldame namens Fluffles (in der dt. Version “Flauschi”). Die Story ist ziemlich vorhersehbar und nicht annähernd so geschickt konstruiert wie etwa in The Wrong Trousers, die Dame namens “Piella” ist recht durchschaubar, immerhin wird die immer weiter aufgebauschte “Erfindungen, um Wallace den Weg vom Bett zum Frühstückstisch zu erleichtern” diesmal schnell abgearbeitet, aber was das Herz dieses Fans schneller schlagen ließ, waren die Filmanspielungen, die diesmal teilweise so subtil sind (oder der Rest der Welt ist zu ignorant), dass bisher nur die offensichtlichste, die auf den Showdown von Aliens, auf www.imdb.com erklärt wird (mal abgesehen von den diversen Titeln von Gromits DVD-Sammlung etc.). Dass die Stelle mit dem Gabelstapler bereits die zweite Aliens-Anspielung war (die Entfernung der Gitter), muss der Welt entgangen sein, und dass heute keiner mehr Hitchcock-Klassiker kennt, ist wirklich traurig. In den 1980ern gab es mal die textlich recht anspruchsvolle Popband “Latin Quarter”, die in einem ihrer Songs die Zeile “just like Arbogast on the top two stairs” einbrachte, und exakt diese berühmte Treppen-Szene aus Psycho mit Martin Balsam als Detektiv, der es nicht mehr lange machen wird, gibt es hier ebenso wie die spätere, noch bekanntere mit der Glühbirne in der geringfügig variierten Knetgummi-Version, gefolgt von (Herausfallen aus Türmen nicht mitgezählt) zwei Vertigo-Hommagen, wobei der Zoom natürlich schon mehr an die geklaute Version in Jaws erinnert, das Heraustreten aus dem Schatten (mit einer ähnlich aufwendigen Frisur und den unumgänglichen jenseitigen Grüntönen) aber offenbar zu feinfühlig für die Filmnerds ist.
Aber nebenbei gibt es - wie üblich - noch viele andere kleine Scherze, diesmal ohne zuviele Anzüglichkeiten (zumindest in der deutschen Synchro), nennenswert wären etwa die Vorzüge von Pumpernickel gegenüber Vollkornbrot als Bremsbelag, ein Diddl-ähnliches Poster in Gromits Zimmer und eine schöne Traumsequenz.
Die aus meiner Sicht wahrscheinlich auffälligste Filmanspielung an die Töpferszene aus Ghost, die laut imdb sogar die selbe Musikeinspielung haben soll (couldn’t care less), und - ebenfalls laut imdb - angeblich irgendwas mit Kuchenteig zeigen soll, ist natürlich auch hier eine Töpferszene (die Leute sind zu dumm, und merken die genialsten Sachen nicht), die zwar nicht ganz so erotisch wirkt wie die feucht-schmutzige Demi Moore, aber - zuzüglich zum Thema Tod - in W&G- Universum nun auch den Sex in seiner ursprünglichsten Form einbringt. Denn wie anders sollen sich Knetgummifiguren wohl fortpflanzen als einfach mal zusammen etwas Kleines kneten (oder töpfern)?
Dem ursprünglichen Enthusiasmus (in der ersten Werbepause war ich noch völlig aufgedreht, auch, weil ich dachte, auf diesem Niveau wird es jetzt anderthalb Stunden weitergehen) folgte aufgrund der nicht ganz so gelungenen Partien eine gewisse Resignation, aber auch, wenn viele der am Freitag, den 6. Februar, zwischen 20 Uhr 15 und 21 Uhr im Rahmen der Berlinale gezeigten Filme empfehlenswert waren (z. B. The Reader, The International, The Exploding Girl oder La journée de la jupe), bin ich mir sicher, dass man bei einer halbstündigen Vorführung von A Matter of Loaf and Death (natürlich im Original, und zu einem vernünftigen Preis) ohne Probleme den Friedrichstadtpalast (in dem am Freitag noch kein Kino lief) hätte füllen können. Wenn ich Dieter Kosslick wäre, hätte ich daraus vielleicht sogar den Eröffnungsfilm gemacht ...
Laut der ersten Werbepause soll es das Werk aber immerhin inzwischen auf DVD geben. (Thomas Vorwerk)
Österreich 2009, Buch: Josef Hader, Wolfgang Murnberger, Wolf Haas, Lit. Vorlage: Wolfgang Haas, Kamera:Peter von Haller, Schnitt: Evi Romen, Musik: Sofa Surfers, Production Design: Andreas Donhauser, Renate Martin, Kostüme: Martina List, mit Josef Hader (Brenner), Josef Bierbichler (Löschenkohl), Birgit Minichmayr (Birgit), Christoph Luser (Pauli), Simon Schwarz (Berti), Dorka Gryllus (Valeria), Pia Hierzegger (Alexandra Horvath), Stipe Erceg (Ivgeniew), Ivan Shvedoff (Igor), Edita Malovcic (Anna), 121 Min.
Berlinale-Vorführung: Sonntag, 15. Februar, 21 Uhr 30 im Zoo-Palast 1 |
Eigentlich begibt sich Privatdetektiv Brenner auf die Suche nach Horvarth bzw. nach dessen Auto, aber finden wird er Knochen, Backhendl und ein wenig Liebe.
Bereits in der Titelsequenz zu Beginn des Films sehen wir in einer schon poetischen Weise, wie Hühnchen auseinander genommen und bearbeitet werden. Die tiefschwarze Komödie von Wolfgang Murnberger basiert auf einem Roman von Wolfgang Haas und ist bereits die dritte Verfilmung eines seiner Bücher durch Murnberger.
Von seinem guten Kumpel Berti (Simon Schwarz) beauftragt, die ausstehenden Raten zu kassieren oder den Leasingwagen zurückzuholen, begibt sich Brenner in die österreichische Provinz und nimmt die Spur Horvarths am Gasthof Löschenkohl auf, die letzte bekannte Adresse. Der Gasthof ist eine bekannte Backhendlstaion, in der Massen von Hühnern wöchentlich zerlegt und verarbeitet werden. Außer dem Auto findet er dort nichts, aber auch das ist unmittelbar nach seiner Entdeckung schon wieder verschwunden. Obwohl der Fall damit schon wieder beendet sein könnte, bekommt Brenner vor Ort einen weiteren Job angeboten. Der Juniorchef Pauli (Christoph Luser) beauftragt ihn nämlich, Nachforschungen anzustellen um herauszufinden, warum sein Vater Löschenkohl Senior (Josef Bierbichler) wöchentlich Geld aus dem Familienbetrieb abzweigt. Leider hat der Papa ein paar Probleme, da er in einem Bordell an der Grenze Österreichs in einen unglücklichen Unfall verwickelt wurde. Der Bordell Chef Ivgeniew (Stipe Erceg) erpresst Löschenkohl mit belastendem Videomaterial. Allerdings entwickelt sich von hierab eine Gewaltspirale, im Zuge derer ein Autounfall, ungewollter Kannibalismus, ein bewaffneter Rollstuhlfahrer und der eine oder andere Mord eine Rolle spielen. Und Brenner, der sich zu Beginn des Films mürrisch und lustlos durch den Film schleppt, aber von der Bergluft und der Köchin Birgit (Birgit Minichmayer) zunehmend aufgelockert wird. Doch die Ereignisse spitzen sich zunehmend zu und just zu dem Zeitpunkt, als Brenners Kumpel Berti auch noch am Löschenkohl auftaucht, überschlagen sich die Ereignisse. Der alljährliche Maskenball bietet hierfür den passenden Rahmen, und wo oben die Menschen ausgelassen feiern und den Klängen einer stilechten Coverband lauschen, wird im Keller um Leben und Tod gekämpft.
Der morbide Charme des Films und die irrwitzigen Verstrickungen des Plots sind absolut unterhaltsam und der Spagat zwischen Komödie und Thriller ist meisterhaft gelungen. Der Blick unter die Oberfläche ist ein zentrales Thema des Films und so, wie die Hühner zerfleddert werden, werden auch die jeweiligen Geheimnisse und Missetaten der Protagonisten offen gelegt. Der Film spielt mit Klischees und mit Kontrasten, die diesen entgegengesetzt werden. Besonders deutlich wird das beim Showdown, wenn oben im Gasthaus die Coverband der Menge einheizt. Die Stimmung und vor allem die Band selbst entsprechen den Vorstellungen, die man von solchen Dorffesten hat, gleichzeitig wird unten im Keller die Knochenmehlmaschine angeschmissen und ein Schlachtfest vorbereitet. Unten im Keller hängt jemand nackt an einem Haken der eigentlich für Schweine vorgesehen ist, während oben die Band “Life is Live” zum Besten gibt und die Leute die Sau rauslassen. Einerseits fallen die Masken der Figuren, während alle anderen sich ihre aufsetzen. Absolut zu empfehlen ist der Film auch Hobbyköchen, denn vom Händl bis zum Gulasch gibt’s ein paar Kochtipps. Wobei letzteres den meisten von uns Probleme bereiten würde, denn als Löschenkohl den immer unverschämteren Forderungen von Ivgeniew nicht mehr nachgeben will, weiß er sich nicht anders zu helfen als ihn den Schädel einzuschlagen und dann ein feuriges ungarisches Gulasch aus ihm zu kochen, das Brenner im Anflug eines nächtlichen Fressflashs genussvoll in sich hinein schaufelt. Die Figuren sind keineswegs platt, sonst könnte das Ganze auch einfach nur eklig sein. Somit ist es ein Vergnügen, Josef Hader zuzuschauen, wie er anfänglich in ein kompliziertes Gewirr von Problemen eindringt und sich mit den Geflogenheiten der Provinzbevölkerung anfreunden muss, um dann schlussendlich kriminalistisches Geschick anzuwenden, um in dieser schwarzen Komödie bestehen zu können. (Daniel Walther)
Deutschland 2008, Buch: Sebastian Schipper, Lit. Vorlage: Johann Wolfgang Goethe, Kamera: Frank Blau, Schnitt: Horst Reiter, mit Marie Bäumer (Hanna), Milan Peschel (Thomas), André Hennicke (Friedrich), Anna Brüggemann (Augustine), 92 Min.
Berlinale-Vorführung: Freitag, 13. Februar, 22 Uhr 15 im Cubix 9 |
Filme zum Thema “Sommer” haben in den letzten Jahren in Deutschland Konjunktur. Dabei wird das gesamte Spektrum zwischen Kunst und Kommerz abgegriffen, vom eher sperrigen Sommer ‘04 bis zum letztjährigen zielgruppenspezifischen Sommer mit Gonzo Hendrix Oxenschwanzsuppe. Die Titel sind oft erstaunlich nah am Thema, etwa Deutschland. Ein Sommermärchen oder Ferien, über leichte Variationen wie Der schöne Tag oder Nachmittag bis hin zu eher abstrakten Versionen wie Prinzessinenbad, Montag kommen die Fenster oder Ping Pong.
Mitte Ende August gehört hier zu dem literarisch angehauchten Subgenre, zu dem man vielleicht auch Peer Gynt zählen könnte, vor allem aber Angela Schanelecs Nachmittag, eine freie Adaption von Tschechows Die Möwe, die vielleicht die Inspiration zu Sebastian Schippers mindestens genau so freien Bearbeitung von Goethes Wahlverwandtschaften gewesen sein könnte. Wo gerade die auffällig versammelten Vertreter der “Berliner Schule” ihre Sommerfilme mit minimalistischer Handlung und bevorzugt unbekannten Darstellern versehen, da wirkt Schippers Film vielleicht nicht eben actionlastig, aber zumindest in Richtung Komödie driftend, und mit Milan Peschel, Marie Bäumer und Andre Hennicke hat man immerhin für Freunde des deutschen Films eine veritable Starbesetzung (wenn auch nicht ganz so aufmerksamkeitsheischend wie in Schippers letztem Film Ein Freund von mir).
Goethe-Experten und offenbar hochintellektuelle Kritikerkollegen stöhnten schon auf, als Schippers Goethe-Bearbeitung mit dem elektrischen Summen eines Weckers begann, als was für eine “Nestbeschmutzung” sie den gleich darauffolgenden Soundtrackeinsatz von Kylie Minogue (“Come into my World”) betrachten, will ich gar nicht erst wissen, denn abgesehen von der Übernahme des eher klinischen Experiments um eine vom Temperament der Versuchstiere geleitete Swinger-Konstellation ist Schippers Sommer-Romanze eher um halbwegs nachvollziehbare moderne Motivationen als um das Nachspielen klassischer Dialoge bemüht, doch wer das schwer vorbelastete Filmpaar Bäumer / Hennicke von seinem bitteren Nachgeschmack nach Der alte Affe Angst befreien kann, hat in meinen Augen immerhin schon Bemerkenswertes geleistet. Auch Milan Peschel und die den bekannteren Kollegen durchaus ebenbürtige Anna Brüggemann lassen einen die Versuchsaufstellung beinahe vergessen (auch, wenn sie durch Details wie die Vorliebe für McDonald’s oder veganes Essen oder die Aufteilung der Menschheit in Gruppen wie “Teetrinker” und “Nichtschwimmer” immer wieder ins Scheinwerferlicht gerückt wird), und wichtiger als Goethe sind für den Film beispielsweise die für eine Ehe existentiellen Einrichtungsfragen (vgl. auch Montag kommen die Fenster) wie die Farbe des Sofas, die Notwendigkeit eines Zimmerdurchbruchs oder die Entscheidung, ob der Baum vor dem Fenster das Licht stiehlt oder die Verbindung zur Natur unterstreicht (immerhin eine Fragestellung, der auch Goethe etwas abgewinnen hätte können).
Inszenatorisch interessant ist beispielsweise das nahezu komplette Ausblenden aller Nebenfiguren. Schon in einer frühen Einstellung, die an Ozons 5x2 erinnert, aber keine Scheidung, sondern eine Immobilienübergabe illustriert, sieht man die unwichtige Person nur von hinten, später wird dieses Prinzip bei Angestellten einer tankstelle oder eines Baumarkt weitergeführt. Und was das zuschauerträchtige Gute-Laune-Gefühl sehr unterstützt, ist der Soundtrack von Vic Chesnutt (incl. ein erstaunliches Kylie-Minogue-Cover im Abspann). Mitte Ende August gelingt es somit, die Brücke zu schlagen zwischen den Extremen der Sommerfilme. Dass dabei weder germanistikstudierte Kritiker noch popcormmümmelnde Spaßgucker hundertprozentig zufriedengestellt werden können, ist unumgänglich, aber in meinen Augen kein wirkliches Problem. (Thomas Vorwerk)
Deutschland 2009, Buch: Thomas Sieben, Kamera: René Dame, Schnitt: Charlie Lézin, Musik: Eckart Gadow, Dramaturgische Beratung: Christian Lyra, mit Ken Duken (Daniel Bauer), Franziska Weisz (Jana Wallat), Josef Heynert (Christian), Jan Uplegger (Komissar), Karsten Mielke (Frank), Lars Jokubeit, Stefan Puntigam (Polizisten), 84 Min.
[Thomas Vorwerk:] Eines der größten Probleme auf einem Festival wie der Berlinale ist das Zeitmanagement. So wenig Zeit, so viele Filme, und wenn man zwischen den Filmen nur wenig Zeit fürs “Kino-Hopping” hat, so wird einem m anchmal nicht nur die Freude an einem ungetrübten Nachspann ausgetrieben, sondern man muss sich sogar mal, wie hier passiert, vor dem Film vorsichtig erkunden, ob jemand weiß, wie lange der Nachspann ist, weil man nur 8 Minuten hat, um vom CinemaxX zum CineStar zu kommen. Hier hatte ich sogar einen gut informierten Perspektive-Betreuer zur Hand, der zwar nicht wusste, wie lang der Abspann ist, der mich aber vorsorglich darauf hinwies, dass das letzte Bild des Films für die Interpretation sehr wichtig sei. Ich muss sagen, so vorbereitet sah ich den Film vielleicht sogar mit anderen Augen.
Daniel (Ken Duken) arbeitet als Gärtner im Botanischen Garten von Berlin. So, wie ihn sein Vorgesetzter (Josef Heynert in einer für ihn typischen Rolle als Vollarsch) zu Beginn trietzt, fand ich es nicht einmal abwegig, für einige Zeit mit dem Gedanken zu spielen, dass es sich bei Daniel um einen Ex-Häftling handeln könnte, aber diese These konnte sich nicht halten. So liebevoll, wie sich Daniel um die Pflanzen kümmert, so abgründig scheint seine Beziehung zu anderen Menschen zu sein. Er ist schweigsam, lebt allein, hat keinen Kontakt zu anderen, und zeigt schon recht früh besorgniserregende Tendenzen, wenn er des Nachts auf einer Brücke über einer Schnellstraße steht, und zunächst nur mit kleinen Steinchen spielt [an dieser Stelle mal eine ausgeprägte Spoiler-Warnung, die sich auf den Rest der Kritik ausdehnt], aber die Harmlosigkeit zu Beginn bald einem Drei-Kilo-Stein Platz macht, der, wie wir den Radionachrichten entnehmen, einem 33-jährigen Mann und seiner 28-jährigen Frau das Leben kostet. Während dieser Meldung bleibt Daniel so unbeteiligt und emotionslos, dass es schon gespenstisch ist.
Nebenbei bringt der Film aber auch Jana (Franziska Weisz) ins Spiel, eine Arbeitskollegin aus dem Büro, die offensichtlich sehr interessiert an Daniel ist. Und so beginnt eine zaghafte Kette von Verabredungen, die trotz eindeutiger Zeichen Janas zunächst an Daniels Zurückhaltung, Schüchternheit, Schweigsamkeit und an nur schwer nachvollziehbaren Gefühlsschwankungen zu scheitern droht.
Währenddessen beobachtet man, wie Daniels ungesunde Faszination mit der Gewalt ihn immer mehr zu beherrschen droht. Zufällig betrachtet er, wie eine kleine Jagdgesellschaft einen Fuchs erschießt, später liebkost er den Kadaver und popelt mit dem Finger in der Schußwunde herum, um in der nächsten Szene ein womöglich von den Jägern stammendes (eine von der Logik her wenig überzeugende Szene) Gewehr aus einem Kofferraum zu stehlen.
Da die Vorführung mit ca. 7 Minuten Verspätung begann (einführende Worte zum Eröffnungsfilm der Reihe in zwei Sprachen), stand für mich schon schnell fest, dass ich das letzte Bild des Films wohl nicht während dieser Vorführung sehen würde. Als ich als aufmerksamer Beobachter mal auf einem Buchrücken eines von Jana gelesenen Buches die Worte “Schiff” und “Spock” sah, entschied ich aus Solidarität unter Trekkies, den Film nicht zum letztmöglichen Moment zu verlassen, sondern zu einem Zeitpunkt, an dem Jana noch lebt, und nicht etwa wie die Freundin in Muxmäuschenstill (Perspektive-Klassiker) entsorgt wird. Nach ziemlich genau 60 gesehenen von 84 Minuten kann ich attestieren, dass Regisseur Thomas Sieben zwar durchaus inspiriert schien von der elliptischen Erzählweise der Berliner Schule oder der Kameraführung der Brüder Dardenne, der Film für mich aber nicht die Sogwirkung erzeugen konnte, für die ich vielleicht auch einfach auf den Folgefilm verzichtet hätte. Die darstellerischen Leistungen sind solide, aber hier fehlt das letzte Quentchen. Angesichts des Hinweises auf die “Interpretation” anhand des letzten Bildes dachte ich schon früh an womöglich “eingebildete” Morde à la American Psycho, und aufgrund der Personenkonstellation bat sich auch ein Vergleich zu Henry: Portrait of a Serial Killer an, aber in mir wollte einfach nicht das Vertrauen reifen, dass das Ende des Films die positiven Eindrücke verstärken würde, weil beispielsweise vieles, was interessant schien (Ellipsen, Restaurantbesuch mit Jana dort, wo das Gewehr gestohlen wurde), ähnlich wie die mal wieder sehr seltsame filmische Konstruktion einer Topographie, die mit dem Drehort Berlin kaum in Übereinstimmung zu bringen ist, eher auf den Produktionsbegebenheiten zu basieren scheint als auf vielversprechenden Regie-Ideen. Und deshalb überlasse ich das Schlusswort an dieser Stelle meiner Kollegin.
[Dorothée Basel:] Die letzten 24 Minuten Film.... diese sind in dem bereits Gesagten sehr richtig angedeutet. Der Zuschauer, der den Film bei Minute 60 verlässt kann sich das Folgende auch durchaus selbst zusammen reimen...
Die Distanz des Filmtitels macht der Film sich zum Programm und versucht, dies in jeder einzelnen Einstellung auszudrücken, was gelingt, aber auch das Risiko birgt, überkonstruiert zu wirken. Genau das passiert in der letzen halben Stunde und macht den Film so sehr vorhersehbar. Daniels Wohnung ist karg, farbentleert, ungemütlich, von Fluren dominiert; sein Umgang beschränkt sich auf Pflanzen, er ist extrem wortkarg, unterhält kaum menschliche Beziehungen; Aktionen werden im Ausschnitt halbnah gezeigt, die Kamera folgt Daniel sehr dicht, so wird Unruhe, eine gewisse Bedrohung suggeriert. Form und Inhalt des Films sind durchweg im Einklang, irgendwann ist damit aber auch das letzte Bilddetail überkonnotiert. Der Zuschauer wartet auf die Gefahr, auf den nächsten “Aussetzer” Daniels.
Die nun mehrfach angedeutete letzte Einstellung des Films trägt nicht in sich allein die Gesamtinterpretation, sondern knüpft direkt an die Eröffnungssequenz des Films, die hier ihre Wiederholung und logischen Abschluss erfährt. Nichts anderes hat der Zuschauer erwartet.
Der Film verfolgt den künstlerisch interessanten Ansatz, Figuren und Geschichten erzählen zu wollen, ohne viel zu erzählen, und findet dafür immer wieder gelungene Symbole und Bilder, die diese Leere umkreisen, doch letztlich steht der Glaubwürdigkeit der Geschichte und der Figuren genau diese Überkonstruiertheit im Wege.
Dies führte in der anschließenden Diskussion zu der durchaus berechtigten Frage aus dem Zuschauerraum, was denn der Regisseur mit dem Film erzählen wolle, wenn er eine Figur zeigen, ohne sie erzählen zu wollen ...
Als eine “Demontage des Mythos des Serienkillers” wurde der Film spontan interpretiert, doch wenn wir schon Mythen erwähnen, weshalb war es denn dann wieder einmal der Gärtner ...? (Thomas Vorwerk und Dorothée Basel)
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