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11. Oktober 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


   Drecksau (Jon S. Baird)
 Drecksau (Jon S. Baird)
 Drecksau (Jon S. Baird)
Bildmaterial © 2013 Ascot Elite Filmverleih GmbH
 Drecksau (Jon S. Baird)
 Drecksau (Jon S. Baird)
 Drecksau (Jon S. Baird)


Drecksau
(Jon S. Baird)

Originaltitel: Filth, UK 2013, Buch: Jon S. Baird, Lit. Vorlage: Irvine Welsh, Kamera: Matthew Jensen, Schnitt: Mark Eckersley, Musik: Clint Mansell, mit James McAvoy (Bruce Robertson), Jamie Bell (Ray Lennox), Eddie Marsan (Bladesey), Imogen Poots (Amanda Drummond), Shirley Henderson (Bunty), Shauna Macdonald (Carole Robertson), Jim Broadbent (Dr. Rossi), Emun Elliott (Peter Inglis), Martin Compston (Gorman), Kate Dickie (Chrissie), Gary Lewis (Gus Bain), John Sessions (Bob Toal), Joy McAvoy (Estelle), David Soul (Punter), 97 Min., Kinostart: 17. Oktober 2013

Jüngst sah ich den Film Rampart auf DVD und war reichlich verdutzt darüber, dass man im Trailer mit den Worten »Der korrupteste Cop aller Zeiten« wirbt. Offenbar konnte auch Werner Herzogs Remake nicht viel daran ändern, dass Abel Ferraras seinerzeit viel Staub aufwirbelnder Bad Lieutenant mit Harvey Keitel in der Hauptrolle heutzutage in Vergessenheit geraten ist. James McAvoy stellt in Filth auch einen »dirty cop« da, wobei der Tatbestand der Korruption hier nur das Neuntel des Eisbergs darstellt, das aus dem Wasser lugt. Wenn McAvoy als Bruce Robertson zu Beginn des Films seine Polizeikollegen mit denen von ihm verhassten Schwächen vorstellt (übrigens eine Sequenz, die mich sehr an die Figurenvorstellung in Trainspotting, der bekanntesten Irvine-Welsh-Verfilmung, erinnert hat), so stellt man im Verlauf des Films sehr schnell fest, dass Robertson alles, was er den lieben Kollegen ankreidet, selbst mindestens im gleichen Umfang ausübt. Da Filth zur Weihnachtszeit spielt, wirkt das Ganze ein wenig wie eine Kreuzung aus Bad Lieutenant und Bad Santa, insbesondere, weil der übertriebene Humor etwa so subtil ist wie ein Weihnachtsbaum, der mit quietschbunten Dildos geschmückt ist.

Wie einst Harvey Keitel ist aber auch McAvoy neben seinen Drogenexzessen, Affären, rassistischen Tiraden, Intrigen zur Erlangung einer Beförderung und generell hinterhältigen Streichen auf Kosten seiner Kollegen damit beschäftigt, einen Kriminalfall aufzuklären: Der Raubmord an einem japanischen Studenten, der sehr an eine Szene aus A Clockwork Orange erinnert (Jugendbande im Fußgängertunnel, es gibt noch einige Kubrick-Reminiszenzen), und bei dem ausgerechnet Robertsons Gattin als Kronzeugin aussagen könnte. Doch auch wenn beide sich Illusionen eines harmonischen Familienlebens hingeben, findet hier keinerlei Kommunikation statt. Nur eines der unzähligen Details, die nicht eben zur Auflösung des Falls beitragen.

Jon S. Bairds Film besticht durch seine Kompromisslosigkeit. James McAvoy kennt man vor allem aus Rollen als leicht linkischem Naivling, etwa in Wanted oder The Last King of Scotland, in Romantic Comedys wie Penelope oder Starter for Ten hat er zumindest einen gewissen Knuddelfaktor, während er in größeren Produktionen wie Atonement, Becoming Jane oder Robert Redfords The Conspirator einfach das Pech hat, dass man sich hinterher kaum an ihn erinnert. Nachdem er in Danny Boyles reichlich missglücktem Trance in der ersten Hälfte des Jahres eine Art »Ewan McGregor für Arme« abgab, hat sein Auftritt in Filth nicht nur den Vorteil, dass man diesen nicht ohne weiteres vergessen wird, Filth hat es auch innerhalb kurzer Zeit geschafft, Trainspotting im schottischen Einspielergebnis hinter sich zu lassen, und vielleicht startet McAvoy nach einem guten Jahrzehnt, währenddessen er unterhalb des Radars von Filmfreunden blieb, jetzt doch noch durch (mit den Chronicles of Narnia und dem Reboot von X-Men hat er ja immerhin auch zwei Franchises in seinem Resümmé).

Filth ist nicht nur eine clevere Literaturverfilmung (die Rolle, die Jim Broadbent spielt, ist im Roman gänzlich anders angelegt und wirkt dort reichlich »unverfilmbar«), sondern ein Film, der auch für sich stehen kann. Hierbei ist auch die großartige Besetzung bis hin in winzige Rollen (Eddie Marsan, Shirley Henderson und David »Hutchinson« Soul) und die gewagte Mischung aus Humor und einer doch erstaunlich ernsten Geschichte ein Ereignis. Filth ist wie ein rotnasiger Clown, der einen in Lachanfälle versetzt und dann, wenn man sich nicht wehren kann, hinterhältig in den Unterleib tritt. Detaillierter möchte ich nicht auf die Handlung eingehen, man sollte sie selbst erleben. Solche Filme sieht man viel zu selten.