Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




9. Dezember 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Oldboy (Spike Lee)
Oldboy (Spike Lee)
Bildmaterial: UPI Media
Oldboy (Spike Lee)
Oldboy (Spike Lee)
Oldboy (Spike Lee)
Oldboy (Spike Lee)


Oldboy
(Spike Lee)

USA 2013, Buch: Mark Protosevich, Manga-Vorlage: Garon Tsuchiya, Nobuaki Minegishi, Kamera: Sean Bobbitt, Schnitt: Barry Alexander Brown, Musik: Roque Baños, Production Design: Sharon Seymour, Art Direction: Peter Borck, Set Decoration: Maggie Martin, mit Josh Brolin (Joseph »Joe« Doucett), Elizabeth Olsen (Marie), Sharlto Copley (Adrian Pryce), Samuel L. Jackson (Chaney), Michael Imperioli (Chucky), Pom Klementieff (Haeng-Bok, Adrian's Bodyguard), Hannah Ware (Donna Hawthorne), James Ransone (Dr. Tom Melby), Lance Reddick (Daniel Newcombe), Max Casella (Jake Preston), Grey Damon (Young Joe Doucett), Elvy Yost (Mia), Erik Gersovitz (Young Adrian Pryce), Victoria Geil (Young Donna), Brett Lapeyrouse (Young Chucky), Lizzy DeClement (Amanda Pryce), Steven Hauck (Arthur Pryce), Caitlin Dulany (Emma Pryce), Linda Emond (Edwina Burke), Ilfenesh Hadera (Judy), Richard Portnow (Bernie Sharkey), Joe Chrest (Johnny), Cinqué Lee (Bellhop), Elvis Nolasco (Cortez), Hannah Simone (News Reporter), Taryn Terrell u.v.a., 104 Min., Kinostart: 5. Dezember 2013

Say it like it is: Meine Erwartungen an das westliche Remake von Park Chan-wooks umstrittenem Meisterwerk Oldboy waren gering. Die Pläne dafür sind fast so alt wie der Originalfilm von 2003 (die zwölf genannten Produzenten-Credits zeugen vom langen Planungsstadium), anfänglich war sogar Will Smith im Gespräch. Nun ist Regisseur Spike Lee weit über den Zenit seiner Karriere hinaus, und man fragt sich, was er mit seiner mitunter sehr politischen Herangehensweise am Film ändern würde. Die Antwort ist für manche Zuschauer enttäuschend, für Remake-Analytiker hingegen prickelnd: Er nimmt das Original und versucht zu verbessern!

Verbessern?!? Jaja! Der sperrige Charme Park Chan-wooks hat für westliche Zuschauer natürlich auch immer etwas damit zu tun, dass uns nicht alle kulturellen Besonderheiten Koreas so vertraut sind wie seinem »Heimatpublikum«. Wenn sich da bestimmte Details nicht zusammenreimen, zweifelt man eher an der eigenen Sensibilität als am Werk. Die Spike-Lee-Verfilmung gibt sich nun Mühe, einige unklare Momente zu verdeutlichen. Man versteht einige Zusammenhänge hier schneller – während von den Zusammenhängen, die man gezielt nicht sofort verstehen soll, hier noch geschickter abgelenkt wird (»Was? Ihr glaubt, der Gärtner sei der Mörder? Wie absurd!«).

Der Teil der Handlung, der in beiden Filmen deckungsgleich, ist folgender: Ein Geschäftsmann findet sich in einer wie ein schäbiges Hotelzimmer ausgestatten Zelle wieder, wo er für 15 (Park) bzw. 20 (Lee) Jahre eingesperrt bleibt. In einem Fernseher, seinem »Fenster zur Welt«, erfährt er vom Mord an seiner Frau, der ihm per DNA-Proben und Fingerabdrücken, die im bewusstlosen Zustand entnommen wurden, in die Schuhe geschoben wird. Nach seiner Entlassung versucht er herauszubekommen, weshalb er eingesperrt wurde, wobei ihm ein alter Schulfreund und eine junge Frau helfen. Auch sein Peiniger, ein Millionär, scheint interessiert daran, dass der von Rachegelüsten zerfressene endlich erkennt, worin seine ursprüngliche Schuld bestand.

Nun einige Beispiele für die »Verbesserung« beim Remake: Bei Lee wirkt die Beziehung der beiden Hauptfiguren nachvollziehbarer, statt Hypnose als Schlussgag benutzt man andere Mittel, Menschen zu manipulieren, und insbesondere das Ende des Films (nicht nur das für westliche Verhältnisse undenkbare Happy-End in Neuseeland, sondern etwa das letzte Drittel des Films) schrieb der durch seine Arbeit an The Cell, Poseidon und I am Legend nicht eben mit Ruhm bekleckerte Drehbuchautor des Films, Mark Protosevich, nahezu komplett um. Einerseits schien hier ein Motto zu sein: »make the punishment fit the crime«. Andererseits schien man zu jedem Zeitpunkt des Films genau abzuwägen, auf welchen Kniff bei Park man verzichten kann und welche Entwicklung im Nachhinein noch eine Spur stimmiger wirken könnte.

Dabei fiel auch eine der genialsten Szenen bei Park, das Foto-Freezeframe auf dem Staudamm, der Schere zum Opfer, und die Entsprechung, eine Art Amoklauf mit den mit Abstand schlechtesten Effekten des Films, kann inszenatorisch nicht im geringsten mithalten. Im Gegenzug bricht man gegen Ende aber mit dem Vorbild und kreiert ein Schlussbild, das von einer Konsequenz geprägt ist, die Park an dieser Stelle fehlt. Newcomerin und Hauptdarstellerin Elizabeth Olsen (einst die »kleine« Schwester der Olsen-Zwillinge) durfte dieses Ende bei der New Yorker Premiere des Films ungespoilert erleben und meinte danach: »I've never been more shocked and surprised by an ending since maybe like The Sixth Sense.« Man kann nur davon ausgehen, dass sie damit jenen Teil des Endes meint, der auch Kenner des Originals verblüffen könnte.

Die cleveren Techniken der Adaption setzen aber schon zu Beginn an. Wo es da bei Park diese seltsame lange Szene in einem Polizeirevier gibt, lässt sich Lee stattdessen etwas Zeit für eine Backstory: Man erfährt von der gescheiterten Ehe, dem Alkoholproblem und dem widerlichen Geschäftsgebaren unseres Anti-Helden, was bei Park durch Oh Dae-soos Verhalten allenfalls angedeutet wird (oder erst viel später mal am Rande erwähnt wird: »Denkst du, ich kenne alle 260 Namen der Typen, deren Frauen du flachgelegt hast?«). Dadurch ist Josh Brolin als Joe Doucett schon zu Beginn jenes »Monster«, das sich bei Park erst noch entwickeln muss. Was dann im Endeffekt den Vorteil hat, dass man sich nach seinem Leidensweg (und der Kehrtwende in manchen Punkten) stärker für ihn interessiert.

Der Vorzeige-Bösewicht Sharlto Copley (zuletzt Elysium) legt seine Figur zwar komplett anders an (interessant auch, wie man den »Bodyguard« umfunktioniert hat), brilliert aber auf ähnlich genial-diabolische Weise und kann zudem sein Martyrium nachvollziehbar machen (der freudige Griff an die Gürtelschnalle ist ein großer Kinomoment, auch wenn er vermutlich nicht einmal eine Sekunde lang währt).

Die Besetzung von Samuel L. Jackson jedoch, noch dazu in einer blödsinnigen Aufmachung (blonder Irokesenschnitt!), die noch seine Auftritte in The Spirit, Jackie Brown und als Nick Fury ausstechen soll, ist eine ziemliche Witznummer. Gerade von Spike Lee hätte da man mehr Finesse erwartet. Der einstige afroamerikanische Vorzeige-Regisseur, der u.a. als »schwarzer Woody Allen« gehandelt wurde, und der in Filmen wie Do the Right Thing oder Malcolm X auch immer als großer Kämpfer auftrat, versucht hier nur ganz am Rande, ein paar Statements einzubringen. Am auffälligsten ist hiervon ein rassistisches Plakat, das immerhin einen guten Gag bringt. In der Geschichtsstunde aus der Glotze darf jetzt natürlich auch die Wiederwahl Barack Obamas nicht fehlen, und bei einem der Modernisierungsaspekte des Films (2003 gab es noch keine Smartphones oder Apps, die Musikstücke erkennen) bekommt der Drahtzieher ein selbstgewähltes Konterfei, dem klassischen Universal-Horrorfilm The Invisible Man entlehnt. Im afroamerikanischen Kontext kann man da einen Bezug zu Ralph Ellisons Literaturklassiker selben Titels ziehen, man muss es aber nicht. Ich bin mir sicher, man hätte das Drehbuch auch so verändern können, um aus dem Film das zu machen, was als »A Spike Lee Joint« durchgeht, aber vermutlich stand das Drehbuch schon viel früher fest als der Regisseur, der hier eher eine größtenteils gut durchdachte Auftragsarbeit abliefert.

Was den Film und seinen Regisseur dennoch auszeichnet, ist der vom Original beibehaltene, skurrile unebene Tonfall. Nur, dass dies in einem amerikanischen Film (mit einem ausgedehnten Budget, für das der Film eindeutig ein zu kleines Zielpublikum anspricht) noch seltsamer wirkt als bei den verrückten Koreanern (das ist liebevoll gemeint). Und so geht es auch in diesem Film abwechselnd um psychologische Abgründe, absurden Humor, tiefe Emotionen und ultrabrutale Gewalt. Ein Date-Movie ist das definitiv nicht. Und obwohl man dem Original oft Ehrerweisungen bezeugt oder dem Zuschauer mit Hintergrundwissen zusätzliche Happen hinwirft (die Engelsflügel, der gelbe Regenschirm!), überzeugt der neue Oldboy vor allem dadurch, dass er sowohl ein neues als auch ein »informiertes« Publikum in den Bann schlagen wird.

Das größte Problem, das beide Filme mit Titel Oldboy haben, teilen sie übrigens mit anderen Klassikern der Filmgeschichte wie Citizen Kane oder Vertigo: Ungeachtet der meisterhaften Inszenierung und Erzählung ist die eigentliche Geschichte streng genommen – ich sag's wie es ist – ein ziemlicher Schmarrn. Und an dieser Stelle liegt es an jedem Betrachter selbst, ob man über den Inhalt (oder Teilaspekte davon) hinwegsehen kann und sich an der großartigen Form erfreuen mag.