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8. April 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


Spuren (John Curran)
Spuren (John Curran)
Spuren (John Curran)
Bild- und Soundmaterial © 2014 Ascot Elite Filmverleih GmbH
Spuren (John Curran)
Spuren (John Curran)
Spuren (John Curran)


Spuren
(John Curran)

Originaltitel: Tracks, Australien 2013, Buch: Marion Nelson, Vorlage: Robyn Davidson, Kamera: Mandy Walker, Schnitt: Alexandre de Franceschi, Musik: Garth Stevenson, Kostüme: Marriott Kerr, Special Make-Up: Megan Tiltman, mit Mia Wasikowska (Robyn Davidson), Adam Driver (Rick Smolan), Roly Mintuma (Eddie), Emma Booth (Marg), Jessica Tovey (Jenny), Rainer Bock (Kurt), Kinostart: 10. April 2014

Tracks ist die Verfilmung des Buches der echten Robyn Davidson, die 1975, im Alter von 27 Jahren, den australischen Outback (zu großen Teilen Wüste) durchquerte, von Alice Springs bis hin zum indischen Ozean. Pläne für eine Verfilmung des Bestsellers gab es schon, als Mia Wasikowska, die Darstellerin der Robyn, noch gar nicht lebte. Zu den bekanntesten Schauspielerinnen, die für die Rolle im Gespräch waren, zählen etwa Julia Roberts oder Nicole Kidman, letztere wie Mia tatsächlich auch Australierin. Den Glücksfall der Besetzung kommentiert Regisseur John Curran mit folgenden Worten:

Der perfekte Look und die perfekte Schauspielerin – alles in einem.

Die Hauptfigur des Films ist in ihren Wünschen wie in ihrer Eigenartigkeit schon eine Herausforderung, aber Robyn Davidson schrieb nicht nur die Buchvorlage, sondern war auch bei den Dreharbeiten involviert, und konnte somit vermutlich Einblicke in ihre Psyche vermitteln, die das Kernstück des Films – die Darstellung dieser jungen Frau – unterstützten. Mia Wasikowska, die neben ihren Titelrollen in Alice in Wonderland, Jane Eyre und Stoker auch durch kraftvolle Nebenrollen auffiel (The Kids are all right, Albert Nobbs, Only Lovers Left Alive), warf sich mit vollem Einsatz in diese Rolle, und ihr Regisseur ist entsprechend begeistert.

Ich mag es, wenn eine Darstellerin die Figur sozusagen verinnerlicht, sie verteidigt, und artikulieren kann, warum eine meiner Herangehensweisen für sie nicht funktioniert – oder vom eigenen Standpunkt aus eine bessere Interpretation liefern kann. Und das ergab für mich eine großartige Reibung, weil ich denke, dass die Figur der Robyn – zumindest, so wie ich sie verstehe – diesen Widerstand braucht, um die Zuschauer dahin zu bringen, diesen Wunsch, alleine loszuziehen zu wollen, nachzuvollziehen.


Audioclip: John Curran (Regisseur)

Das Verständnis der Motivation der »Naturalistin« Davidson mag manche Zuschauer wirklich herausfordern, für die Vermarktung des Films ist es aber ein großes Plus, dass diese Reise – ungeachtet der Gründe – ein großes romantisches Abenteuer ist, das natürlich danach schreit, Robyns Kampf mit der Natur mit beeindruckenden Landschaften und exotischen Nebendarstellern (den Kamelen) auf die Leinwand zu zaubern.

Noch bevor die Filmfigur Robyn ihre Sehnsucht offenbart (»I’ve always been drawn to the purity of the desert«) oder eine familiäre »Tradition« anbietet (»My father crossed the Kalahari in 1935«), gelingt der Einstieg über eine zunächst rätselhafte Szene, die erst sehr spät im Film konkrete Einblicke in die Figur gibt. Man sieht eigentlich nicht viel mehr als Mädchenbeine in einem luftigen gelben Sommerkleid, doch der Film kehrt immer wieder zu dieser Szene zurück, und nach und nach erklärt sie das psychische Trauma, den Grund, warum Robyn sich offensichtlich mit Tieren wohler fühlt als mit Menschen (und keine Angst, es geht nicht um Kindesmisshandlung).

Bevor die eigentliche Reise losgeht, lernt man Robyn erst mal im gesellschaftlichen Kontext kennen. Sowohl mit ihrer Familie als auch mit gleichaltrigen wirkt sie angespannt, gerade auch der Umgang mit Rick Smolan (Adam Driver, das Knautschgesicht aus Inside Llewyn Davis), der später als Fotograf ihre Reise sozusagen begleitet, ist von Anfang an problematisch. Verglichen damit geht sie mit den Kamelen ziemlich schnell ziemlich sicher (und weitaus liebevoller als manche »Kamel-Experten«) um. Und die Beziehung zu ihrem Hund Diggity ist ohnehin sehr intensiv, und erinnert an ein ähnliches Filmpaar, Wendy and Lucy.

Hier beschreibt die Schauspielerin die Vorbereitungsphase des Films:

Spuren (John Curran)



Audioclip: Mia Wasikowska (Darstellerin)

Vor dem Film, bevor die Dreharbeiten begannen, ging es nach Südaustralien, zu einer Kamelfarm, mit Robyn und mit Andrew Hopper, der unser Haupt-Kameltrainer während des Shoots war – einfach ein wunderbarer Mensch.

Und ich verbrachte zwei Tage mit ihnen, mit Robyn und Andrew, nur um die Kamele kennenzulernen, mich daran zu gewöhnen mit ihnen umzugehen, und um die Grundlagen der »Kamelsprache« zu lernen, die aus etwa sieben Worten besteht, die man hauptsächlich benutzt, wenn man mit ihnen spricht.

Und ja, das war ziemlich wunderbar, das ist immer noch sowas wie der Höhepunkt des Shoots für mich – die ersten paar Tage, als wir nur zu dritt waren.

Und die Kamele.

Im Film stehen der Figur leider keine perfekten Assistenten zur Seite, und so steht vor der eigentlichen Reise eine Ausbildung, die nicht unbedingt perfekt läuft. Der deutschstämmige Kamelzüchter Kurt (Rainer Bock) hält wenig von Robyn und ihrer Idee, lässt sich aber auf einen Deal ein, bei dem vor allem er Nutznießer ist – und Robyn muss einige Zeit mitansehen, wie Kurt seine Tiere schlägt (»Let them know who's the boss«), während sie unter anderem dazu degradiert wird, Kamelkacke aufzuklauben.

Schon die Vorbereitungsphase beginnt sehr beschwerlich, aber Robyn beißt sich durch. Nicht nur Fehlen ihr eigene Kamele, auch ist die Reise ohne eine durchdachte Finanzierung nicht umsetzbar, und hier kommt Fotograf Smolan wieder ins Spiel, der seinerzeit am Lagerfeuer wohl nicht nur aufschneiden wollte, sondern tatsächlich einen Sponsoringdeal mit dem »National Geographic« ausgemacht hat, eine Publikation, für die solch eine Reise – umgesetzt in eine lange Bildstrecke – natürlich ein gefundenes Fressen ist.

Die seltsame Zweckbeziehung zwischen Robyn und Rick würde in manchem Film vermutlich zu einer melodramatischen Liebesgeschichte geraten, doch hier berührt es gerade, dass nicht alles nach den Regeln einer RomCom verläuft. Rick ist offensichtlich interessiert an Robyn und sucht ihre Nähe, sie ist eigentlich vor allem genervt von ihm – und seiner dauernden Knipserei. Aber im Grunde handelt der Film auch davon, dass sie entdecken, dass jeder von ihnen – trotz der Macken, Kanten und Ecken – mehr als nur einen pragmatischen »Nutzen« hat. Die große Liebesgeschichte wird das nicht, aber wenn man am Ende der Reise beobachtet, wie Rick sich verhält, so sagt das auch vieles über den tatsächlichen Verlauf von Beziehungen aus.

Aber die Möglichkeit zu unterschiedlichsten Interpretationen und Erkenntnissen zeichnet die Geschichte aus, wie auch der »echte« Rick Smolan bestätigen kann:

Was ich an ihrer Geschichte liebe, ist, dass sie keine einfachen Antworten liefert, es ist wie bei der Mona Lisa, sie macht sozusagen Andeutungen, aber jede Person für sich, die Tracks liest [...], projiziert eigene Fantasien dessen, was man tun würde, weshalb man solch eine Reise unternehmen würde und wie man auf verschiedene Dinge, die sich auf dem Weg ereignen, reagieren würde – und somit wird daraus eine Art Rorschach-Test, bei dem sich jeder in der Geschichte wiedererkennt.


Audioclip: Rick Smolan (Fotograf)

Die wenigsten von uns werden jemals den größeren Teil eines Jahres damit zubringen, 1677 Meilen durch Wüsten zu schreiten, nur mit einem Hund und vier Kamelen (Dookie, Bub, Zally und der kleine Goliath), aber im Kino kann man sich für zwei Stunden auf so ein Abenteuer einlassen – und in diesem Fall auch viel dabei lernen. Und selbst, wenn man durch diesen Text und die Begleitumstände vermutlich den Eindruck bekommt, dass ja »alles gut ausgeht«, ist Tracks auch ein verdammt spannender Film, wobei die zahlreichen Komplikationen und schwierigen Entscheidungen der Reise hier komplett ausgespart wurden. Wer durch die Kritik schon Lust auf den Film hat, wird durch diese Handlungsdetails dann noch mal zusätzlich beschenkt.