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18. Februar 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Whiplash (Damien Chazelle)
Whiplash (Damien Chazelle)
Whiplash (Damien Chazelle)
Bildmaterial © 2014 Sony Pictures Releasing GmbH
Whiplash (Damien Chazelle)
Whiplash (Damien Chazelle)
Whiplash (Damien Chazelle)


Titelshriftzug zu »Whiplash« (Regie: Damien Chazelle)
(Damien Chazelle)

USA 2014, Buch: Damien Chazelle, Kamera: Sharone Meir, Schnitt: Tom Cross, Musik: Justin Hurwitz, mit Miles Teller (Andrew Neyman), J.K. Simmons (Terence Fletcher), Paul Reiser (Jim Neyman), Melissa Benoist (Nicole), Austin Stowell (Ryan Connelly), Nate Lang (Carl), Chris Mulkey (Uncle Frank), Damon Gupton (Mr. Kramer) Suanne Spoke (Aunt Emma), Max Kasch (Dorm Neighbor), Charlie Ian (Dustin), Jayson Blair (Travis), Kavita Patil (Sophie), C.J. Vana (Metz), 107 Min., Kinostart: 19. Februar 2015

In den letzten fünf oder sechs Filmen von Jason Reitman (u.a. Juno und Up in the Air) bekam jeweils J.K. Simmons eine kleine Rolle, ein Charakterdarsteller, den man auch als J. Jonah Jameson aus den Sam Raimi-Spider-Man-Filmen oder aus The Music Never Stopped kennen dürfte. Simmons' Rolle in Whiplash ist nominell auch nur eine Nebenrolle, aber zum einen trägt er den Film und zum anderen gab es dafür bereits den Golden Globe, gegen Mitnominierte wie Mark Ruffalo in Foxcatcher oder Edward Norton in Birdman. Dabei entspricht seine Rolle zu großen Teilen der von Louis Gossett jr. in An Officer and A Gentleman oder der von R. Lee Ermey in Full Metal Jacket: Wie ein erbarmungsloser Spieß staucht er die jungen Männer zusammen, spielt Psychospielchen mit ihnen, wirft bösartige Spitznamen (»Elmer Fudd«) oder homophobe Beleidigungen (»that is not your boyfriend's dick!«) um sich und schmeißt auch mal Gegenstände oder bedrängt seine Untergebenenen physisch – aber der große Unterschied besteht darin, dass der Film nicht in einem Ausbildungscamp der Marines spielt, wo jeder, der dem Druck nicht standhalten kann, bei der späteren Kriegsführung eine »liability« darstellen könnte, sondern auf einem prestigereichen Musikkonservatorium, in dem Simmons als Terence Fletcher aber andere Ausbildungspraktiken anwendet, als man normalhin annehmen würde, denn er verlangt nicht weniger als Perfektion und vollkommene Hingabe von seinen Schülern, was er gerne mit einer Anekdote um Charlie Parker illustriert. Denn er will das nächste Jazz-Genie »kreieren« (ein bisschen wie ein »mad scientist«), nicht einfach ein paar »gute« Musiker. Gegen Ende des Films fasst er seine »Philosophie« mal zusammen: »I […] push people beyond what's expected of them. That's absolutely essential. There are no two words in the English language more harmful than 'good job'. I never had a Charlie Parker, but I tried. And I will never apologize for having tried.«

Fletcher gegenüber steht als Hauptfigur der 19jährige Andrew Neyman (Miles Teller), ein aufstrebender Drummer, den man auch mal mit seinem liebevollen Vater (Paul Reiser) erlebt oder bei einer schüchternen Romanze mit einer Popcornverkäuferin (Melissa Benoist). Er ist sozusagen der neue in der Kaserne, mit dessen Augen man Fletcher kennenlernt. Zunächst bringen selbst noch folterähnliche Methoden dem Publikum Amüsement, weil Simmons seinen Job einfach so verdammt gut macht. Doch irgendwann gibt es einen Umschwung, wenn Neyman schlichtweg vor der Entscheidung steht, aufzugeben oder alles andere seiner Musikerkarriere unterzuordnen. Eine Freundin lenkt nur ab, Blut, Schweiß und Tränen fließen, und schließlich wird aus der Konstellation Schüler / Lehrer wie bei Full Metal Jacket ein Duell, wobei Fletcher nicht nur als Bösewicht dargestellt wird, sondern man trotz seiner wahnwitzigen Ideale auch die Fortschritte erkennt, die nur durch ihn möglich wurden. Doch zu welchem Preis?

Bei den Oscars ist Whiplash (ein großartig passender Titel, der aber auch ein oft im Film gespieltes Musikstück benennt) nicht nur für Schauspiel und Drehbuch nominiert, sondern auch für Schnitt und Tonmischung. Denn was den Film auszeichnet, ist seine immens cinematographische Erzählart. Das Training eines Jazztrommlers wird hier umgesetzt wie in einem Boxerfilm: ein Beckenschlag ist wie eine Gerade. Neben dem Militärambiente ein weiteres männlichen Terrain. Wie klar dies Teil der gesamten Prämisse des Films ist, sieht man auch daran, dass man im kompletten Film nur eine einzige Musikerin sieht, und die hat auch nur eine bessere Alibifunktion.

Whiplash funktioniert zwar nach gängigen Erzählkonventionen, aber bezieht seine Inspirationen aus diversen Genres. Mal gibt es beispielsweise eine Kameraeinstellung aus einem Wandschrank am Drumset vorbei, wie in einem Thriller oder Horrorfilm. Und bei alledem, trotz der teilweise vorhersehbar komponierten emotionalen Tonleiter, ist das Ganze eine so fein abgestimmte Handwerksarbeit (Kamera, Schnitt etc.), dass das Ergebnis noch interessanter ist als die – durchaus spannende – Geschichte, die erzählt wird. Wer Jazz hasst, wird nach dem Film nicht beginnen, Trompete zu studieren, aber es ist schon ein Erlebnis, wie kraftvoll hier auf die Klaviatur eingedroschen wird.

Und Filme, in denen idiotische Autofahrer unbedingt am Steuer telefonieren müssen und dafür einen Unfall erleiden, kann es sowieso nicht genug geben. In dieser Hinsicht für meinen Geschmack übrigens noch ein viel zu glimpflicher Ausgang.