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30. Dezember 2015 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||
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Veraltetes Speichermedium MenschEigentlich zwei komplett verschiedene Filme, aber man findet doch Anknüpfungspunkte und Verbindungen. In beiden Filmen haben sehr alte Männer Gedächtnisprobleme und treffen dabei auf Kinder, die sich bemühen, ihnen zu helfen. Dann schleicht sich ein wenig das Krimi-Genre in ganz andere Geschichten, und man erzählt nebenbei auch noch von »anderen Fällen«, die der Zuschauer gemeinsam mit den vergesslichen Protagonisten zutage befördern muss. Ferner strapazieren beide Filme ein wenig den zeitlichen Rahmen, den sie benutzen. Aber man geht ja auch nicht ins Kino, um Kopfrechnen zu üben.
Mr. Holmes
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Bildmaterial © 2014 Remember Productions Inc. Sophie Giraud / Tiberius Film GmbH |
Originaltitel: Remember, Kanada / Deutschland 2015, Buch: Benjamin August, Kamera: Paul Sarossy, Schnitt: Christopher Donaldson, Musik: Mychael Danna, mit Christopher Plummer (Zev Guttman), Martin Landau (Max Zucker), Dean Norris (John Kurlander), Bruno Ganz (Rudy Kurlander #1), Jürgen Prochnow (Rudy Kurlander #4), Heinz Lieven (Rudy Kurlander #2), Henry Szerny (Charles Guttman), Peter DaCunha (Tyler), Sophia Wells (Molly), Stefani Kimber (Inge), Amanda Smith (Cele), 95 Min., Kinostart: 31. Dezember 2015
Das Beste am Dasein als Redaktionschef ist, dass ich auf satt.org bei jedem Film über das Zeug schreiben kann, was mich interessiert. Kein sklavisches Beharren auf eine Inhaltsagabe, keine Zeichenvorgaben, völlige Willkürherrschaft. (Demokratie wird eh überschätzt.)
Als ich erstmals das Originalplakat zum Film auf imdb sah, verwunderte es mich sehr, wie schrecklich hässlich und doof die deutsche Fassung ist. Vielleicht kann man den Film ja so besser in Deutschland verkaufen: Bruno Ganz auf dem Plakat (Prochnows Gesicht ist nicht mehr vertraut genug, sonst hätten einen vier verwitterte Greise entgegen gestarrt), darunter ein Paar Eisenbahnschienen und seltsame Geistererscheinungen, die wie Facebook-User aussehen, aber natürlich für die unzähligen Opfer des Holocaust stehen soll (wie auch die Eisenbahnschienen). Auf dem US-Plakat sieht man ein Bild von Christopher Plummer, der auf einem Fensterbrett sitzt und in der Hand (zwischen den Beinen) eine Schusswaffe hält... Offensichtlich denkt er über etwas nach. Der Clou des Plakatmotivs ist, dass die untere Hälfte des Bildmotivs (die Wumme) am oberen Rand des Plakats »hängt« und der Oberkürper Plummers darunter angeordnet ist. Außerdem hat das beinahe auf schwarzweiß abgeschwächte Bild einen leichten, aber deutlichen Rotstich. Zusammen mit dem Filmtitel »Remember« evoziert das für mich das Dilemma von Chris Nolans Memento: Der Mann unter weiß evtl. schon nicht mehr, was seine Hände oben getan haben. Und der Rotstich visualisiert ebenfalls das Vergessen.
Zev Guttman (Christopher Plummer) wacht auf und ruft nach seiner Frau Ruth. Wie man als geübter Kinogänger ahnt, ist die verstorben, allerdings erst vor zwei Wochen, die Vergesslichkeit steht noch zurück hinter dem unschönen Erwachen und die jahrzehntelange Vertrautheit.
Ebenfalls im Seniorenheim wohnt Zevs guter Freund Max (Martin Landau). Dieser hat einen Plan ausgearbeitet, den Zev ausführen soll. Denn er ist zwar zunehmend dement, aber noch gut zu Fuß. Es geht um den KZ-Aufseher, der vor 70 Jahren beider Familien ausgelöscht hat. Max hat inzwischen herausbekommen, dass beider Todfeind Rudy Kurlander heißt - und vier Personen dieses Namens sind wie Max und Zev nach Amerika ausgewandert. Und einer davon soll der Killer sein, an dem man sich nun rüchen will.
Wer jemals Memento gesehen hat, wird Max vielleicht nicht uneingeschränkt vertrauen. Man weiß als Zuschauer zwar ein wenig mehr als Zev, aber im Grunde ist man über viele Vorgänge doch eher im Unklaren und ahnt irgendeinen Knalleffekt.
Aber unabhängig davon ist es erstmal sehr hübsch anzusehen, wie Zev auf seiner »Mission« unterwegs ist und dabei ganz wie einst Guy Pearce ziemlich abhängig ist von seinen Notizen (oder denen von Max: »It's okay, I wrote it all down so you wouldn't forget it.«) Ob Max wirklich ein guter Freund ist oder irgendeinen geheimen Plan verfolgt, ist eigentlich sekundär, denn es gibt genügend, was so oder so schief gehen kann. Ich musste während des Films absurderweise an einen bekannten Geheimagenten denken, den Christopher Plummer sicher auch verkörpern könnte: »My name is Bond.« (kramt einen Zettel vor) »James Bond.«
Selbst ein mittelmäßer Film von Atom Egoyan (The Sweet Hereafter, Ararat, Chloe) ist qualitativ weit über dem Durchschnitt. Bei Remember gibt es zwar ein paar Stellen, die nicht so gelungen sind, aber es ist kaum auszudenken, was das unter einem weniger begabten Regisseur für eine Bruchlandung hätte werden können.
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