Anzeige:
     Anzeige:
Marc Degens: Fuckin Sushi




21. April 2016
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 148:
Mittelprächtiger Flachköpper



◊ ◊ ◊

  Ein Hologramm für den König (Tom Tykwer)


Ein Hologramm für den König
(Tom Tykwer)

Deutschland / USA / UK / Frankreich 2016, Originaltitel: A Hologram for the King, Buch: Tom Tykwer, Lit. Vorlage: Dave Eggers, Kamera: Frank Griebe, Schnitt: Alexander Berner, Musik: Johnny Klimek, Tom Tykwer, Production Design: Uli Hanisch, mit Tom Hanks (Alan Clay), Alexander Black (Yousef), Sarita Choudhury (Dr. Zahra Hakem), Sidse Babett Knudsen (Hanne), Khalid Laith (Karim Al-Ahmad), Abdullah Al Muslemani (Salem), Ben Whishaw (Dave), Tom Skerritt (Ron Clay), Imtiaz Hauqe (Edward), Cristy Meyer (Cayley), Megan Maczko (Rachel), David Menkin (Brad), Jane Perry (Ruby), Kinostart: 28. April 2016

Ich lege darauf Wert, Filme im Original zu schauen, aber in diesem Fall gibt es zumindest eine Szene, bei der ich das Gefühl hatte, dass Tom Tykwer, Regisseur und Drehbuchautor, bereits die Synchro mit im Blick hatte. Weshalb man eigentlich mal die Synchro zusätzlich schauen müsste. Es kann aber auch sein, dass einfach nur die Untertitelungsfirma eine Art Sechser im Lotto hatte, als man diese Szene übersetzte.

Alan Clay (Tom Hanks), ein ehemaliger Erfolgsmensch, dessen Karriere kurz vorm Absturz zu stehen scheint, erzählt besonders in der Romanvorlage von Dave Eggers (The Circle) gerne Witze, deren Pointen aber oft eher verpuffen. Ein Witz, der im Film auftaucht, lautet wie folgt: »What do you call a fish with no eye?« (an dieser Stelle der Hinweis, dass dies ein Witz ist, den man eigentlich nicht aufschreiben kann, weil es um eine Gleichklang-Pointe geht). Die Antwort lautet: »Fsh« (beim Wort »fish« hat man den Buchstaben I - ausgesprochen »eye« - weggestrichen ... es bleibt nur ein seltsames Lautwort). Abgesehen davon, dass Alan halt kein Meister im Witze erzählen ist, scheint mir dieser Scherz in der Originalfassung keinerlei zusätzliche Bedeutung zu haben. In jeder Hinsicht eher ein Antiwitz.

Nun aber die Fassung aus den Untertiteln: »Wie nennt man ein Schwein ohne Ei?« Der aufmerksame Leser wird sich die Lösung zusammenreimen können, im Film liest sich der lautmalerische Untertitel »Schwnnn.« Und an dieser Stelle werden sich 99 von 100 meiner Leser fragen, warum zum Teufel der Witz jetzt in dieser Fassung besser sein soll? Ist doch genauso blöd ...

Eben nicht, denn Alan Clay begann seine Yuppie-Karriere beim US-amerikanischen Fahrrad-Fabrikant »Schwinn«. Und wenn man es sich irgendwie zusammenreimt, dass man in den Staaten lebt und trotzdem mit jedermann Deutsch spricht (was eigentlich nur in deutschen Synchronfassungen von US-Filmen passiert und reichlich seltsam ist), dann könnte es ja sein, dass dieser Scherz die kongeniale Methode eines Fahrradvertreters demonstriert, wie er seinen Markennamen, der ja tatsächlich irgendwie deutsch klingt (wie die zweite Silbe von »Geschwindigkeit«), ins Gedächtnis seiner potentiellen Kunden hineintreibt. Dass das supertoll funktionieren würde, habe ich nicht behauptet, aber manchmal zählt ja schon der Versuch.

Diese ellenlange Anekdote ohne besonders gelungene Pointe demonstriert eigentlich schon, dass mich der Film nicht unbedingt vom Hocker riss. Der Roman von Dave Eggers ist zwar kurzweilig, aber sicherlich kein literarisches Meisterwerk, und Tom Tykwer hat sich Mühe gegeben, daraus ein Starvehikel für seinen Namensvetter Hanks zu basteln, der wohl schon im Alleingang eine Filmfinanzierung ermöglicht. Mit teilweise sehr bescheidenen Mitteln (ich fand es immer wieder interessant, bei den unzähligen Autoszenen genau drauf zu achten, ob auch nur in einigen wenigen tatsächlich Tom Hanks hinter der Windschutzscheibe zu erkennen war) hat Tykwer aus einem Buch, das vor allem über Rückblenden viel über die Hauptfigur erzählt, einen etwas surrealen, teilweise witzigen und reichlich harmlosen Film gebastelt. Da gibt es keinen Nachbarn, der sich ertränkt, keinen Jungen, der beinahe von Clay erschossen wird, und auch keine weitreichende sexuelle Unzulänglichkeit. Sondern stattdessen eine Männerfreundschaft, eine Romanze, und eine Menge Versuche, mit er Tochter Kontakt aufzunehmen. Nicht zuletzt ist das Ende des Romans allenfalls verhalten positiv, während man Herrn Hanks im Film ein mittelprächtiges Happy End gönnt. Nach dem Motto »der Tom Hanks ist doch so knuffig, den würde doch jeder sofort adoptieren«.

Die positivsten Ergänzungen der Filmfassung sind - schließlich ist Tykwer im Herzen einer der Guten - visueller Art. Wenn man eine entstehende Wüstenmetropole nicht mit CGI-Effekten aus dem Boden stampfen will, muss man sich eben was einfallen lassen, und nicht erst seit The International wissen wir um Tykwers Faible für Architektur, wobei ihm sein langjähriger Wegbegleiter Uli Hanisch auch hier wieder clever unter die Arme gegriffen hat. Wo man im Roman mit ein paar Sätzen Welten entstehen lassen kann, wird im Film das Brachliegen hochtrabender Pläne des saudi-arabischen Königs etwa über ihre Zeit absitzende Bauarbeiter in herumstehenden Baggern oder Wüstenstraßen fegende Hilfsarbeiter umgesetzt, ehe man durch die Verbindung hübscher architektonischer Motive auch so langsam ein Gefühl für den megalomanischen Spielort vermittelt. Aber ein bisschen mehr Nährwert hatte ich mir schon erhofft...


◊ ◊ ◊

  Rico, Oskar und der Diebstahlstein (Neele Leana Vollmar)


Rico, Oskar und der Diebstahlstein
(Neele Leana Vollmar)

Deutschland 2016, Buch: Martin Gypkens, Lit. Vorlage: Andreas Steinhöfel, Kamera: Felix Novo de Oliveira, Schnitt: Benjamin Kaubisch, Musik: Oliver Thiede, Titelsong: Roger & Schu, Entwürfe Animation: Peter Schössow, mit Anton Petzold (Rico Doretti), Juri Winkler (Oskar), Detlev Buck (Lars), Tristan Göbel (Sven), Friederike Kempter (Julia Bonhöfer), Fahri Yardim (Justin), Karoline Herfurth (Tanja Doretti), Roland Zehrfeld (Simon Westbühl), Milan Peschel (Herr Fitzke), Ursula Monn (Frau Dahling), Henry Hübchen (Luca von Scherten), David Kross (Rainer Kiesling), Jacob Metschenz (Tom), Genija Rikova (Irina), Heike Makatsch (Kellnerin), Trystan Pütter (Svens Vater), Katharina Schüttler (Svens Mutter), Charlotte & Emma Pasewald (Kessler-Zwillinge), Anna Böttcher, 94 Min., Kinostart: 28. April 2016

Nachdem sich Neele Leana Vollmar (Maria, ihm schmeckt's nicht), die Regisseurin des ersten Films der jetzt abgeschlossenen Trilogie von Kinderbuchverfilmungen um Rico & Oskar, eine Pause nahm (um nicht zu verpassen, wie ihr eigener Sohn die ersten Schritte nahm und Worte sprach), setzt sie nun bei Teil 3 wieder an und bringt die Geschichte zu Ende. Von Ricos »Tieferbegabung« merkt man fast nichts mehr, der letzte Film widmet sich etwas mehr der Beziehung zwischen Oskar und seinem Vater Lars (Detlev Buck), und ansonsten läuft eigentlich wie zuvor.

Das Haus in der Dieffenbachstraße 93 und seine Bewohner bieten erneut den Hintergrund für eine Kinder-Krimistory, die sich diesmal um einen (nein, eigentlich eher zwei oder drei) vermeintlich wertvolle Steine aus der Sammlung des etwas durchgedreht wirkenden Herrn Fitzke (Milan Peschel), die nach dessen Tod plötzlich aus der Wohnung des Verstorbenen verschwinden. Und weil Ricos Mutter gerade mit ihrem neuen Lover zum »Knutschurlaub« nach Sri Lanka ist und Oskar sich noch nicht so recht mit seinem Vater zusammengerauft hat, brechen die beiden einfach mal gemeinsam Richtung Ostsee auf, um einer deutlichen Spur zu folgen. Ähnlich wie Moritz Bleibtreu im letzten Film ist auch Fahri Yardim als Bösewicht eher humorvoll als gruselig. Wer stolz auf einem T-Shirt seinen schon einige Jahre zurückliegenden Hauptschulabschluss propagiert, den kann man ja nur schwer für voll nehmen. Spannend wird es dennoch, und der Charme der Serie ist noch nicht ausgelutscht.

Rein dramaturgisch leidet der Film ein wenig unter dem Trilogie-Abschluss: alle Nebenfiguren bekommen ihre zweieinhalb kleinen Szenen, aber nicht mehr (selbst Karoline Herrfurth als Ricos Mutter hat eine noch kleinere Rolle als in Fack ju Göthe 2 - es wirkt fast so, als werbe man gern mit ihrem Namen auf Filmplakaten, aber ihre Leinwandpräsenz schrumpft immer mehr zusammen). Wobei die diversen Schlussszenen, die als Happy End herhalten müssen (inzwischen haben sich die seit Teil 1 offensichtlichen Pärchen allesamt gefunden), das Ende etwas in die Länge ziehen, was potenziert durch deutlich versöhnliche »andere Enden« das anfängliche Tempo nimmt.

Ich persönlich hatte auch ein Problem mit der Bahnfahrt nach Prerow, die auf einem restlos überfüllten unüberdachten (!) Bahnsteg am Berliner Hauptbahnhof beginnt, dann aber nur gemächlich volle Innenansichten des Zuges zeigt, der auch nur drei Waggons zu haben scheint, ehe man an einem reichlich unrealistischen Zielbahnhof landet. Diese Sequenz steht im argen Missverhältnis zu der doch recht gut eingefangenen Atmosphäre rund um die Dieffe 93 (auch, wenn man dafür auch auf Ausweichmotive zugegriffen hat, nur irgendwie weitaus überzeugender).

Und mein größtes Ärgernis ist eine in meinen Augen komplett misslungene Schnittkante. In der Dieffe wohnt auch ein junges offensichtlich schwules Pärchen. Rainer Kiesling (David Kross) und sein Freund Tom (Jacob Metschenz) stellen für Rico und Oskar offenbar nicht das geringste Problem dar. Sie dürfen ebenso wie Mutti und der Polizist in den »Knutschurlaub« fahren, spielen in der dramatischen Schlussphase des »Falles« sogar eine große Rolle, und abgesehen vom eher linkisch wirkenden Nahkampfverhalten des Kiesling könnte man zwei schwule Figuren in einem Kinderfilm kaum vorurteilsfreier bis positiver darstellen. Doch dann gibt es da diese suggestive Szenenzusammenstellung an der Ostsee: Die Kids kommen am Strand an und finden den Anblick »imposant«. In einer dieser Animationssequenzen, die komplizierte Worte wie »Klaustrophobie« oder »Palindrom« kindgerecht erklären, wird vor allem betont, das »imposant« am Schluss kein d hat, denn sonst würde es ja »im Po Sand« heißen. Mit einer im Film mehrfach auftauchenden Affinität zu Witzen über »Durchfall«, »Codeworte« und ähnlichem folgt jetzt eine animierte Einstellung, wo eine kneifende Badehose genau jenes Sandproblem beim Strandbad visualisiert. Und aus irgendwelchen Gründen darf da wohl auch ein Pupsgeräusch nicht fehlen. Und dann folgt eine direkte Schnittkante zu schwulen Pärchen, die meines Erachtens irgendwelche Zusammenhänge suggeriert, die hier einfach nicht passen und die ansonsten zu positive Darstellung fast wieder zerstört - und gerade diese unauffällige Nebenbei-Masche fiel mir dabei besonders negativ auf. Es gibt Kritikerkollegen, die gerade die Szene am FKK-Strand als besonders gelungen, locker und befreiend empfinden, für mich ist aber die Art und Weise, wie etwa Nebenfigur Julia (Friederike Kempter) erst superlocker über ihre FKK-Zeit spricht, dann am Strand aber superkorrekt versucht, auch ja nicht zu viel zu zeigen, irgendwie schrecklich verkniffen. Ich weiß nicht, ob man wegen einer unscharfen Brust im Hintergrund gleich eine das Geschäft einschränkende Jugendfreigabe erhält, aber die ganze FKK-Szene hätte man sich lieber sparen sollen. Den Po zeigende Knaben, ausgerüstet mit einem Feldstecher (nur zum Lippenlesen durch den stummen Hilfsdetektiv!) und ein vermeintlich peinliches Zusammentreffen mit den Kesslerzwillingen (»Die sind nackig! Iiih!«) haben den Film weder vom Humorniveau noch vorm Erwachsenwerden der Figuren vorangebracht.

Im Großen und Ganzen vorbildliche Kinderunterhaltung, die man auch als Erwachsener durchhält - aber für einen Film, dessen Titelsong »Wir woll'n nicht viel, wir woll'n alles!« verheißt, war das dann doch deutlich zu wenig.


◊ ◊ ◊

  Triple 9 (John Hillcoat)


Triple 9
(John Hillcoat)

USA 2015, Buch: Matt Cook, Kamera: Nicolas Karakatsanis, Schnitt: Dylan Tichenor, Musik: Bobby Krlic, Atticus Ross, Leopold Ross, Claudia Sarne, mit Casey Affleck (Chris Allen), Kate Winslet (Irina Vlaslov), Anthony Mackie (Marcus Belmont), Woody Harrelson (Sgt. Det. Jeffrey Allen), Chiwetel Ejiofor (Michael Atwood), Norman Reedus (Russel Welch), Aaron Paul (Gabe Welch), Clifton Collins jr. (Jorge Rodriguez), Teresa Palmer (Michelle Allen), Gale Gadot (Elena), 109 Min., Kinostart: 5. Mai 2015

Nick Cave ist schuld, dass ich seinen australischen Landsmann John Hillcoat schon seit 1988 und den bescheidenen Anfängen seiner Regiekarriere (der Low-Budget-Knastfilm Ghosts of the Civil Dead mit Drehbuchautor (!) Nick Cave in einer frühen Kinorolle) im Visier habe. Und Hillcoats spätere Arbeiten The Proposition (ein knallharter australischer Western mit Guy Pearce) und The Road (die kongeniale Verfilmung des Endzeitromans von Cormac McCarthy) sind nicht nur wichtige Schritte Hillcoats, sich erst in seinem Heimatland und später in den USA / international zu bewähren, sie sind nicht weniger als kleine Meisterwerke. Und selbst der hier nur auf DVD erschienene Lawless, ein nicht durchgehend gelungener Streifen, zeugte von Hillcoats Stilwillen, der Bewältigung eines komplexen Drehbuchs und der guten Führung eines Ensembles mit großen Stars (u.a. Tom Hardy, Jessica Chastain, Shia LeBeouf und Mia Wasikowska) wie auch weniger bekannter Charakterdarsteller. Triple 9, ein harter Copfilm über korrupte Beamte, einen Bankraub und die Russenmafia, klingt wie maßgeschneidert für Hillcoat - und die Besetzung (Casey Affleck in der Hauptrolle, aber Woody Harrelson, Kate Winslet oder Chiwetel Ejiofor an seiner Seite) verspricht einen gelungenen Kinoabend.

Doch leider ist hier die Härte (nur wenige der Hauptfiguren erleben das Ende des Films) neben einer Menge oberflächlichen Reizen (Schießereien und herumrasende Autos) weitaus wichtiger als interessante Figuren. Gerade im direkten Vergleich mit Lawless (The Road und The Proposition wirken wie Champions-League-Vertreter, die nur selten gegen die Kreisklasse antreten) wird klar, was diesmal alles fehlt. Liebesbeziehungen und starke Familienbande waren in Lawless die Motivationen, die die teilweise schwer zu schluckende Handlung vorantrieben (auch dort war die Sterberate nicht gering). In Triple 9 wirkt vieles nur behauptet.

Der eine korrupte Cop (Chiwetel Ejiofor) hat ein Kind mit der Schwester der Mafiabossin (kaum wiederzuerkennen unter dem wie Spachtelmasse aufgetragenen Make-Up: Kate Winslet), der gute Rookie-Cop (Casey Affleck), der in die Schusslinie gerät, hat einen älteren Onkel (Woody Harrelson) im Polizeibetrieb, der den großangelegten Bankraub als Fall betreut, und der charakterlich mieseste (und professionell schwächste) unter den Bankräubern (Aaron Paul) hat noch einen Bruder (Norman Reedus) in der Bande, der ihn schützt. Aber all diese Verbindungen innerhalb des relativ komplexen (aka verwirrenden) Drehbuchs wirken nur wie halbgare Versuche, für den Zuschauer überhaupt einen Bezug zu den sich gegenseitig austricksenden und killenden Figuren aufzubauen. Das Kern der Filmhandlung ist eigentlich der Polizeicode »999«, der - über den Polizeifunk ausgesendet - angeblich sofort sämtliche Polizeiwagen zum Tatort jagen lässt, denn ein Kollege wurde erschossen (eine Rolle, die die Korrupto-Cops Casey Affleck zugedacht haben). Und währenddessen kann man dann einen zweiten, noch schwierigeren Überfall durchziehen, weil Tante Mafia mit dem ersten Raubzug unzufrieden war und die Polizisten-Bankräuber erpresst. Doch wenn schon die dem Film zugrundeliegende Prämisse so unglaubwürdig ist, kann man darauf nur schwer eine Story aufbauen. Insbesondere, wenn einem quasi jedes Schicksal der beteiligten Figuren reichlich egal ist. Die meisten sind miese Cops, Woody Harrelson wirkt wie type-castet als Kanonenfutter (auch, weil er so viel älter wirkt als alle anderen Protagonisten), und auch wenn Casey Affleck in seiner linkischen Art hier und da auch mal als Hauptfigur taugt (vor allem natürlich in The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford), hat man sicher keine schlaflosen Nächte darüber, ob er in diesem shoot-to-kill-Spektakel am Schluss liegen bleibt oder auf eigenen Füßen die Leinwand verlässt. Und bei allem Respekt vor Chiwetel Ejiofor, einem nach wie vor unterschätzten Klasse-Schauspieler (ich bin Fan seit Stephen Frears' Dirty Pretty Things 2002, dann folgten u.a. Melinda and Melinda, Serenity oder Children of Menen - und zwar im Jahrestakt!) - seine mehr am Rande mäandernde Ehe-Geschichte nebst Sorgerecht-Frage ist trotz des süßen Kindes einigermaßen lachhaft innerhalb dieser dog-eat-dog-Welt des bandenverseuchten Atlanta. Und wenn man sich nicht für die Figuren interessiert, ist es auch einerlei, wer wen wann warum über den Haufen schießt.

Nicht zuletzt erscheint es mir auch nicht besonders clever, dass das Publikum so viel mehr über die eigentliche Story weiß als das zum Tode bestimmte Greenhorn Casey Affleck. Von weitem betrachtet könnte der so eine Figur sein wie Philip Marlowe in einem Chandler-Roman, der hier und da ins Wespennest piekst und nach und nach herauskriegt, was vorgeht, während sich die Bösen gegenseitig umbringen und er nur ein paar Blessuren abbekommt. Aber im Falle der Affleck-Figur in Triple 9 erinnert er mich eher an Gustav Gans, der durch ein Minenfeld steptanzt. Und abendfüllend oder auch nur atemberaubend ist das nicht wirklich.


◊ ◊ ◊

  Chevalier (Athina Rachel Tsangari)


Chevalier
(Athina Rachel Tsangari)

Griechenland 2015, Buch: Efthymis Filippou, Athina Rachel Tsangari, Kamera: Christos Karamanis, Schnitt: Matthew Johnson, Yorgos Mavropsaridis, mit Giannis Drakopoulos, Kostas Filippoglou, Yiorgos Kendros, Panos Koronis, Vangelis Mourikis, Nikos Orphanos, Efthymis Papadimitriou, Giorgos Pyrpassopoulos, 95 Min., Kinostart: 21. April 2016

Athina Rachel Tsangari, die Galleonsfigur des neuen griechischen Kinos (Attenberg), kehrt nach einem Gastspiel bei Richard Linklater und ein paar Produktions-Credits (z.B. bei Petting Zoo) mit einer neuen Regiearbeit zurück, und zum einen entspricht Chevalier voll und ganz den Erwartungen, zum anderen ist der Film aber auch eine riesige Enttäuschung.

Chevalier ist offensichtlich eine Zustandsbeschreibung eines Griechenlands vergangener Zeiten (bzw. eines nur noch schwer zu findenden kleinen Reichtumsbiotops): Sechs Männer ohne erkennbare finanzielle Sorgen vertreiben sich auf einer kleinen Yacht nach einer Urlaubsfahrt die Zeit mit Machospielchen. Was ja für sich genommen durchaus ausbaufähig klingt: wirtschaftspolitischer Kommentar, Kritik an überholten patriarchalen Strukturen - und ein riesiges Spielfeld für satirische Möglichkeiten.

Diese Grundidee reichte offenbar aus, damit die Geldgeber der mittlerweile etablierten Regisseurin zu Füßen liegen, das Vertrauen an eine weltweit renommierte Filmemacherin, die zu den wenigen Akteuren des letzten Jahrzehnts gehört, die dem Land auch mal positive Schlagzeilen verschaffte, scheint grenzenlos - doch trotz gediegener production values (ich bin kein Experte für Yachten, aber der Drehort macht schon was her) und einer offenbar akribischen Umsetzung ihrer Ideen fehlt der vermeintlichen Komödie einfach die Präzision eines satirischen Skalpells - man geht eher mit Brachialgewalt vor und buchstabiert alles überdeutlich aus - verliert dabei aber das dramaturgische Timing komplett aus den Augen. Dass man sich als Zuschauer nicht dafür interessiert, wer sich bei diesem Hahnenkampf in der Midlife-Crisis durchsetzen wird, ist durchaus gewollt. Dass der Humor nur ein Humor der Verzweiflung (wenn man nichts zu lachen hat, lacht man irgendwann aus reiner Traumatisierung) ist, indes wohl eher nicht.

Das Problem des Films ist der auf sämtliche Disziplinen ausgeweitete Wettkampf. Schon früh notierte ich mir dabei auf meinem Block »Schwanzvergleich« - und der Regisseurin war es wohl wichtig, dass es nach einer gefühlt sehr langen Stunde dann auch zum tatsächlichen Schwanzvergleich kommt. Das ist dann keine Pointe mehr, sondern eher Sheldon Cooper, der eine Pointe erklärt, die er als einziger nicht richtig verstanden hat. Blutdruck, Schlafgewohnheiten, dentale Rundumversorgung, »mein Auto, meine Frau, meine Yacht!«. Zunächst wirkt es noch so, als wären der Schiffskoch und ein Steward als Vertreter einer »normaleren« Klasse immerhin Sympathieträger, doch die die eifern den in Psychospielchen und Anwanz-Versuchen verstrickten Unsympathen auch noch nach.

Dass sich das Schiff, angeblich auf der Fahrt nach Athen, selten einmal bewegt, kann man natürlich wieder als Analogie auf die griechische Wirtschaft deuten, doch viel deutlicher stehen solche Details für den Film selbst, in dem sich auch so gar nichts zu bewegen scheint, und wo die unabdingbar irgendwann kulminierenden Konflikte auch keine Befreiung liefern. Auf dem Filmplakat steht der Satz »a buddy movie without the buddies«, und eigentlich fasst das alles perfekt zusammen. Nur nicht, was für eine größtenteils unwitzige Tortur das ganze ist. Wenn nach den ausgewalzten Erektionsproblemen dann auch noch einer daran scheitert, ein Ikea-Regal aufzustellen, sagt das viel über die Symbolüberfrachtung, aber wenn man die immergleichen Aussagen noch auf zwei bis vier unterschiedliche Arten umsetzt, werden sie dadurch weder unterhaltsamer noch profunder. Impotenz als Nationalproblem - vielleicht muss man Frau und Griechin sein, um dabei zumindest leise in sich hineinlachen zu können.


◊ ◊ ◊

  A Bigger Splash (Luca Guadagnino)


A Bigger Splash
(Luca Guadagnino)

Italien 2015, Buch: David Kajganich, Kamera: Yorick Le Saux, Schnitt: Walter Fasano, Musik: Robin Urdang, mit Tilda Swinton (Marianne Lane), Ralph Fiennes (Harry Hawkes), Matthias Schoenaerts (Paul De Smedt), Dakota Johnson (Penelope Lanier), Aurore Clement (Mireille), Elena Bucci (Clara), Corrado Guzzanti (Carabinieri), 124 Min., Kinostart: 5. Mai 2016

Im Presseheft zu A Bigger Splash dreht sich alles um Begriffe wie »Leidenschaft«, »Eifersucht« und »Obsession«. Wie schön wäre es doch, wenn man davon auch etwas im Kino gemerkt hätte. Das Remake von Jacques Derays La piscine spielt auf der Insel Pantelleria, die zwischen Sizilien und Tunesien liegt. Dort will sich Sängerin und Superstar Marianne Lane (Tilda Swinton), die ihre Stimmbänder schon soll, zusammen mit ihrem Lover Paul (Matthias Schoenaerts) ein wenig entspannen, doch da stürzt ihr redseliger und komplett rücksichtsloser Exfreund Harry Hawks (Ralph Fiennes) mit einer erwachsenen Tochter (Dakota Johnson), von der bis vor kurzem niemand etwas gewusst hatte, hinzu - und angeblich stellen sich jetzt die oben aufgezählten Begriffe ein.

Was wirklich abläuft, ist gepflegte Langeweile mit durchgehend unsympathischen Figuren. Und wenig subtiles Anbaggern, dem man dann aus schwer nachvollziehbaren Gründen irgendwann nachgibt, bis sich aus dem Ganzen reichlich spät und etwas unerwartet (ich kenne den Deray-Film nicht, und habe jetzt erst recht keine Lust darauf) ein Krimi herausschält, der einen aber auch nicht mehr interessiert als das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel zuvor.

Regisseur Luca Guadagnino, abgefeiert für I am Love (kenne ich auch nicht), kaspert zwischendurch eine Menge mit seltsamen Kamerabewegungen, unerwarteten Einstellungen, Zooms und Schärfeverlagerungen herum (teilweise extrem angeberisch über reflektierende Sonnenbrillen), aber ich konnte darin keine inszenatorisches Zielsetzung erkennen. Neben dem Dreh- und Spielort (sogar der Bürgermeister kommt im Presseheft zu Wort) waren wohl die Rolling Stones sehr wichtig für das Konzept des Films (Ex-Rockproduzent Harry schwelgt in Erinnerungen, später liegt dann das ach so aussagekräftig klingende Album Emotional Rescue auf dem Grund des Swimming Pools), aber so richtig viel merkt man davon auch nicht. Ralph Fiennes geht einem reichlich auf die Nerven, bei Tilda Swinton hat man stark das Gefühl, dass die stimmliche Einschränkung ihrer Figur sie darstellerisch fordern soll, und ansonsten plätschert alles so an einem vorbei.

Die größte Frechheit des Films ist es, dass man, als der Todesfall aufgedeckt werden soll, einfach einige Flüchtlinge zu den Hauptverdächtigen erklärt, und um dem noch einen draufzusetzen, gibt es dann eine Szene, bei der der örtliche Ermittler dann jenes Pärchen, das Dreck am Stecken hat, rechts ranfahren lässt - er aber nur ein Autogramm will. Vielleicht klappt das mit Romy Schneider und Alain Delon sogar, A Bigger Splash wirkt von Anfang an fahrig und unfokussiert, mehrere Flashbacks wirken unmotiviert und eine Szene mit Tilda Swinton und ihrem vermeintlichen Riesenpublikum bei einem Rockkonzert wird nie zuende gebracht und offenbart sich schlussendlich nur als Alibi, um einen abermals überflüssigen, aber für eine Storyverbindung unerlässlichen Flashback vorzubereiten. Im Presseheft erzählt der Regisseur, dass die Produktionsfirma Studiocanal an ihn herantrat und man ja die Rechte zum Deray-Film habe, und daraus wurde dann wohl das Ganze mit heißer Nadel zusammengeflickt. Immerhin ein Paradebeispiel dafür, wie überflüssig ein Remake sein kann.



Mitte Mai in Cinemania 149:
Mängelexemplar (Laura Lackmann), Die Poesie des Unendlichen (Matthew Brown) Tomorrow - Die Welt ist voller Lösungen (Cyril Dion & Mélanie Laurent) und Victor Frankenstein - Genie und Wahnsinn (Paul McGuigan).