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22. Februar 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  A Cure for Wellness (Gore Verbinski)


A Cure for Wellness
(Gore Verbinski)

USA / Deutschland 2016, Buch: Justin Haythe, Kamera: Bojan Bazelli, Schnitt: Pete Beaudreau, Lance Pereira, Musik: Benjamin Wallfisch, Kostüme: Jenny Beavan, Production Design: Eve Stewart, Supervising Art Director: Grant Armstrong, mit Dane DeHaan (Lockhart), Jason Isaacs (Dr. Volmer), Mia Goth (Hannah), Celia Imrie (Mrs. Watkins), Adrian Schiller (Deputy Director), Harry Groener (Pembroke), Lisa Banes (Hollis), Carl Lumbly (Mr. Wilson), Magnus Krepper (Pieter The Vet), Johannes Krisch (Caretaker), Natalia Bobrich (Nurse), Judith Hoersch (Nurse Greta), Susanne Wuest, Godehard Giese (Volmer Institute Staff), 146 Min., Kinostart: 23. Februar 2017

Die Hipster geben ja immer gern an, dass sie bestimmte Bands schon gehört haben, als sie sich noch nicht an den Mainstream prostituiert haben. Entsprechend könnte ich behaupten, dass ich mir den Namen des Regisseurs Gore Verbinski schon gemerkt habe, als er Mouse Hunt (übrigens nach einem Drehbuch von M. Night Shyamalan) rausbrachte. Dann folgte sein Ring-Remake, aber für die meisten Kinogänger ist sein Name mit Piratenfilmen (3x Pirates of the Caribbean) und seltsamen Western verbunden (The Mexican, Rango und sein zuletzt tüchtig gefloppter The Lone Ranger).

Immerhin hat Verbinski dabei wohl auf schmerzhafte Weise gelernt, dass die Zeiten vorbei sind, als jedes noch so spinnerte Filmprojekt zum Kassenschlager wird, solange nur Johnny Depp damit verbunden ist.

A Cure for Wellness (Gore Verbinski)

© 2017 Twentieth Century Fox

Um seine credibility zurückzugewinnen, hat Verbinski jetzt einen sehr persönlichen Film gedreht, der aber dennoch mit der visuellen Opulenz des Regisseurs arbeitet. Wenn man auf diese Weise an A Cure for Wellness herangeht, wird man zum Schluss kommen, dass seine bisher persönlichsten Filme The Weather Man und The Ring waren, denn der neue Film schließt auf seltsame Weise an die beiden früheren Werke an.

Zunächst wirkt es so, als ginge es abermals um eine Parabel über den Wert echter Werte wie Familie, Glück und Gesundheit (vgl. The Weather Man), wobei die Börsenmakler als personifiziertes Böses des Kapitalismus herhalten müssen, um eine Geschichte in Gang zu bringen. »We wrap ourselves into the illusion of material success.«

Hierbei soll nun ein junger New Yorker Makler, der in einem kurzen Flashback beweisen kann, dass er die Prioritäten komplett falsch setzt (Dane DeHaan, der James Dean aus Anton Corbijns Life), in die Schweiz aufbrechen, um einen in einem Sanatorium befindlichen älteren Kollegen zurückzubringen, weil man dessen Unterschrift dringend für eine Fusion braucht.

A Cure for Wellness (Gore Verbinski)

© 2017 Twentieth Century Fox

Dieser unwirsche Protagonist hört auf den Nachnamen »Lockhart« (der Vorname scheint mit R zu beginnen, wie man mal auf einem Krankenblatt erhaschen kann), und wenn man wie ich mal die fünf Staffeln der Fernsehserie Angel gesehen hat, weiß man sofort, dass »hart« das englische Wort für »Hirsch« ist, was ein wichtiger Teil meiner interpretatorischen Herangehensweise war (und sämtliche Kritikerkollegen, darunter ein Amerikaner, bestritten, dass es diese Vokabel überhaupt gibt - aber der Langenscheidt stand hinter mir).

Wenn Lockhart erstmals das Büro des dubiosen Sanatoriumchefs Dr. Volmer (Jason Isaacs) betritt, sieht man ihn als Reflektion im Auge eines an der Wand hängenden Hirschkopfs (!), wenn er etwas später einen Fluchtversuch unternimmt, hat er einen sehr an The Ring erinnernden Autounfall mit einem Hirsch, später geht eine Vision eines Hirschen im gefliesten Wellnessbereich Hand in Hand mit scheinbar verschwindenden Türen, es gibt eine Szene, wo Lockhart scheinbar (zusammen mit einer Fliege) in einem Wasserglas gefangen wird, ein weiterer Fluchtversuch endet im Gasthaus »Hirschkopf« und einmal sitzt er mit Dr. Volmer beim Essen, während dieser Wildbret verzehrt. Viel deutlicher kann man es kaum über den Namen des Protagonisten machen, dass er als Gefangener dieses Sanatoriums enden wird.

A Cure for Wellness (Gore Verbinski)

© 2017 Twentieth Century Fox

Und dieses überdeutliche Spiel mit Metaphern, Symbolen und Themen zieht sich überall durch den Film, mag auf manchen Betrachter sogar intelligent wirken, versaut aber letztendlich den Eindruck fast so energisch wie die gegen Ende immer absurder und aufgesetzter wirkenden Handlungsentwicklungen, auf die ich wegen Spoilern nicht im Detail eingehen möchte. Nur so viel: A Cure for Wellness war für mich im Februar (Stand: 21.2.) der ärgerlichste und misslungenste Film des Monats - und bei Berlinale und aktuell 27 gesichteten Filmen ist das schon eine Bank.

Im Film läuft das dann etwa so: Lockhart bekommt zu Beginn ein Glas Heilwasser aus den örtlichen Thermen und findet darin einen Fremdkörper, der wie eine schwarze Spermie wirkt (nur mit bloßem Auge als solche zu erkennen). Abgesehen von der Szene mit dem Wasserglas folgen dann Dialogfetzen wie »something in the water«, die besorgte Frage seines behandelnden Arztes »Are you drinking the water?« und Lockharts fast panische Feststellung »There's something in the water! There's something in the fucking water!«. Und das passiert alles in der ersten Hälfte, evtl. sogar im ersten Drittel des Films. Und wie bei einigermaßen vielen der Fährten des Films kommt dann irgendwann die Gewissheit - und im Grunde kann man fast davon ausgehen, dass es hier keine falschen Fährten gibt, sondern alles so schlimm (und schlimmer!) endet, wie es zu Beginn vage angedeutet wird.

A Cure for Wellness (Gore Verbinski)

© 2017 Twentieth Century Fox

Und das ist auf eine gewisse Art sehr anstrengend und nervig! Lockharts betagte Mutter, die bei einer Parallelmontage mit dem Hirschunfall stirbt, bemalte im Altenheim Porzellanfiguren von Ballerinas, sie zeigt ihm eine Spieluhr, bei der die Ballerina sich mit geschlossenen Augen dreht und erklärt ihm »she lives in a dream and dances because she doesn't know she's sleeping«. Das Thema der Spieluhr findet sich im auf Danny-Elfman-Manier aufgemotzten Soundtrack (mit Engels- und Kinderstimmen) wieder, und im Sanatorium findet Lockhart die wie eine Tochter von Dr. Volmer aufgenommene Hannah (Mia Goth), die als Unschuldige (es gibt mal die Feststellung, dass sie ein Kind sei, noch keine Frau) für das Thema »erwachende Sexualität« im Film zuständig ist. Da die Sexualität in diesem Film generell eine eher kranke Angelegenheit ist, führt dies zu den überflüssigsten und ärgerlichsten Szenen des Films, irgendwo zwischen Carrie und einem Frühwerk von David Cronenberg, nur um dann noch unschöner zu enden.

Verbinski, der sich mit seinem Drehbuchautor Justin Haythe (The Lone Ranger) offenbar an Vorbildern wie Stanley Kubrick (Symmetrie im bemerkenswerten Production Design), Thomas Mann (damit es noch der Hinterletzte merkt, liest auch mal ein Aufpasser Der Zauberberg) und Frankenstein orientierte (der Grund für das »bad blood between the villagers and the people on the hill« sind Vorkommnisse vor 200 Jahren, weitere deutliche Parallelen wie das mad scientist-Laboratorium sind unübersehbar), gibt sich viel Mühe, alles superdick aufzubauschen und mit einem gewissen europäischen Flair die Mainstreamzuschauer in Gefilde zu entführen, in denen sie sich womöglich noch nie aufgehalten haben. Aber durch bloße psychologische Abgründe, Nazi-Klischees und ein Horrorsanatorium kann man nicht einfach ein Filmchen (und bei deutlich erfahrbaren 140 Minuten passt das »-chen« nicht wirklich) zusammenköcheln, das sich dann (so hätte es das Presseheft gerne) mit Nicolas Roeg und Roman Polanski zu ihren besten Zeiten messen kann. Davon ist A Cure for Wellness einfach sehr weit entfernt, hier werden Kitsch, Trash und Weirdness so miteinander verwoben, dass es in Ansätzen ganz interessant wirkt - aber der Film als Ganzes funktioniert nicht, sondern ist ein - und das ist jetzt dezidiert nicht als Lob gedacht! - nicht enden wollender cineastischer Alptraum. So was wie letztes Jahr The Neon Dream oder Nocturnal Animals, nur mit noch weniger Nährwert - aber aufgeblasen bis zum Bersten.