Life
(Daniel Espinosa)
USA 2017, Buch: Paul Wernick, Rhett Reese, Kamera: Seamus McGarvey, Schnitt: Frances Parker, Mary Jo Markey, Musik: Jon Ekstrand, Kostüme: Jenny Beavan, Production Design: Nigel Phelps, mit Jake Gyllenhaal (Dr. David Jordan), Rebecca Ferguson (Dr. Miranda North), Ryan Reynolds (Rory Adams), Olga Dihovichnaya (Ekaterina Golovkina), Ariyon Bakare (Hugh Derry), Hiroyuki Sanada (Cho Murakami), 103 Min., Kinostart: 23. März 2017
Selten kommt ein Film daher, der sich so einfach anhand von Vergleichsfilmen kategorisieren lässt, aber dennoch von höherer Qualität ist als das pure Epigonentum erahnen lässt. Life ist eine neue Variation der Handlung von Ridley Scotts Alien, gegen Ende mit verstärkter Brisanz dadurch, dass das Geschehen nicht irgendwo in den Weiten des Weltalls vonstatten geht, sondern direkt im Orbit der Erde, auf der internationalen Raumstation ISS (die übliche Handlungsverlegung in die Zukunft spart man sich auch).
Diese beiden Veränderungen führen geringfügig von Ridley Scott und beziehen sich stattdessen auf den anderen Klassiker des SciFi-Horror-Genres um außerirdische Monstren (bzw. jeweils nur ein einzelnes), The Thing. Ob in der Fassung von John Carpenter oder von Christian Nyby / Howard Hawks (aka The Thing from another World) ist eigentlich nur Makulatur, abgesehen davon, dass man hier gegen kein Boris-Karloff-mäßiges »Karottenmonster« kämpft, sondern gegen einen wandlungsfähigen Gegner.
© 2017 Sony Pictures Releasing GmbH
Insbesondere in der ersten halben Stunde des Films wird aber noch ein weitere, deutlich aktuellere Inspiration klar, nämlich Gravity. Da man auf menschlichen Raumstationen noch weit davon entfernt ist, künstliche Schwerkraft einzusetzen ... und weil es ein heutzutage umsetzbares visuelles Schmankerl ist, spielt der Film durchgehend (die zweieinhalb auf der Erde spielenden Außenszenen klammern wir mal aus) in der Schwerelosigkeit, was zu Zeiten von Alien und The Thing vielleicht für kurze Sequenzen denkbar war, wo man hier aber in der mittlerweile wohl erwarteten visuellen Opulenz mit langen Einstellungen und einer im wahrsten Sinne »entfesselten« Kamera die klaustrophobischen Umstände auf der ISS so ins rechte Licht rückt wie in Petersens Das Boot - nur eben schwerelos und mit hin und her schwebenden Astronauten und Wissenschaftlern.
Von den langen Einstellungen rückt man später wieder ab, weil man über die Montage weitaus einfacher (und eindrücklicher) eine Spannungsdramaturgie entwickeln kann.
Ich könnte anhand einer Handlungsanalyse ziemlich genau die zahlreichen Parallelen zwischen Alien und Life herausarbeiten (ähnlich, wie es mal zwischen The Birds und Jaws gemacht wurde - Korte / Faulstich in ihrem Spielberg-Buch, glaube ich), aber das wäre dann doch deutlich zu spoilerintensiv.
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Netterweise gibt es aber mehrere Punkte, wo die Filmemacher selbst auf hübsche Art die Nähe zum Scott-Film zur Schau stellen. Es gibt beispielsweise eine Version des Trailers, in der man sich überdeutlich auf ein im Film vorkommendes Kinderbuch namens Goodnight Moon bezieht und die meines Wissens letzten Sätze des Buches auch zu den Abschlussworten des Trailers macht:
Goodnight stars,
goodnight air,
goodnight noises everywhere.
Und der mit chilenischem Migrationshintergrund in Schweden geborene Regisseur Daniel Espinosa wird im Presseheft wie folgt zitiert:
I think the reason so many great directors have walked into science fiction is to work with the unknown - the fear or fascination with the unknown. We live in a world that is quite mundane, but in space you enter an adventure - you don't know how it looks, how it feels, what it can do to you where it is. It doesn't make a sound. That's terrifying.
Wenn das nicht beides sehr stark an die damalige Alien-Tagline »In space no one can hear you scream« erinnert, dann weiß ich auch nicht...
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Was mich ein wenig verdutzt hat, ist, dass im Zusammenhang mit dem Film das außerirdische Wesen, das man von Grundschülern »Calvin« nennen ließ, häufig als »fies« oder »böse« beschrieben wird, obwohl sowohl im Film als auch bei Interviews mit den Filmemachern der Überlebensinstinkt betont wird. Und der Umstand, dass ein wenig durchdachter first contact mit dem Außerirdischen schnell zu weitreichenden Konsequenzen führen kann. Ich befürchte zwar, dass ein Großteil der Kinozuschauer bestimmte Fakten schlichtweg ignoriert, aber wenn man die Sache mal aus Calvins Sicht sieht, ist er keineswegs der Aggressor. Erst fängt man die Lebensform im wahrsten Sinne des Wortes ein und er (das Personalpronomen entspricht der Namensgebung, Geschlechtsmerkmale gibt es ohne H.R.Giger-Design aber eher wenige) wird in eine Petrischale innerhalb eines größeren Gefängnisses gesteckt, wo man ihn immerhin zum Leben erweckt und mit Glucoselösung ernährt. Dabei behandelt man ihn aber herablassend und vergleicht ihn mit einem Säugling (»There's gonna be a custody battle«).
Und wenn das vermeintliche Baby dann ein Nickerchen machen will (Verdauungsschlaf, Winterschlaf? - who knows), will man Calvin mit (leichten) Elektroschocks wecken. Da wäre ich auch angepisst und würde mir zugespielte Waffen für meine Zwecke missbrauchen. Beim zweiten direkten Kontakt mit einem »Erdling« wird Calvin gebissen, beim dritten will man ihn verbrennen. Ich finde, man sollte die Kausalzusammenhänge hier nicht komplett aus den Augen verlieren.
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Paul Wernick und Rhett Reese, die Drehbuchautoren von Zombieland und Deadpool, erwecken hier ein wenig den Anschein, als wüssten sie mittlerweile ganz gut, wie weit sie auf dem gewonnenen Ruhm aufbauen können. Die erwähnten Ambivalenzen und die durchaus gut übernommene Dramaturgie funktionieren eigentlich prima, was man dem Film aber zum Vorwurf machen kann, ist die nicht immer logische Story. Vermutlich wird es irgendwo mal erklärt und ich habe gerade nicht aufgepasst, aber warum hat Calvin mit dem Vakuum im All weitaus geringere Probleme als mit der in der Raumstation abgelassenen Atmosphäre? Und ganz ähnlich wie in Alien oder unzähligen Star-Trek-Folgen gibt es auch hier diese aus wissenschaftlicher Sicht komplett idiotische Diskussion, ob man die Quarantäne-Vorschriften mal kurz außer Acht lassen sollte. Zugegeben, der Feld-, Wald- und Wiesen-Zuschauer ist vielleicht nicht mit dem SciFi-Genre so vertraut, aber ein bisschen mehr Intelligenz hier oder da (nicht nur demonstriert, sondern auch vom Publikum gefordert) hätte aus einem durchweg gelungenen Unterhaltungs-Film einen echten Genre-Klassiker machen können. Dazu fehlt aber noch etwas.
Meine liebste Referenz an Alien ist dann im Endeffekt gar keine: Zu Beginn sieht man mal im dunklen All den hellblauen Rand einer Planetenkrümmung und ich dacht schon, man blende die ja ähnlich wenigen Buchstaben des Titels ähnlich ein wie damals bei Ridley Scott. War aber eine hübsche Finte.
Ich könnte die Schauspieler zwar auch komplett unerwähnt lassen, aber zumindest Jake Gyllenhaal muss man für sein Filmgespür loben, Rebecca Ferguson ist hier so toll, dass man ihr The Girl on the Train fast verzeiht, und Ariyon Bakare (der Stephen Black aus Jonathan Strange & Mr Norrell) hat hier wohl die zumindest physisch anspruchvollste Rolle, die er meistert. Aber die anderen Darsteller sind auch in Ordnung. Immerhin wirkt es recht wissenschaftlich, wenn mal wieder ausdiskutiert wird, wer als nächstes am geeignetsten sei, Calvin irgendwie auszutricksen.
Nach dem enttäuschenden Passengers ein Wiederanschluss an die größtenteils gelungenen SciFi-Filme der letzten Jahre (mit The Martian war ja sogar der beste Ridley-Scott-Film seit einiger Zeit dabei). Und vermutlich auch interessanter als Alien: Covenant.