Das Belko Experiment
(Greg McLean)
USA / Kolumbien 2016, Originaltitel: The Belko Experiment (nur echt mit Deppen-Leerstelle), Buch: James Gunn, Kamera: Luis David Sansans, Schnitt: Julia Wong, Musik: Tyler Bates, mit John Galagher jr. (Mike Milch), Tony Goldwyn (Barry Norris), Adria Arjona (Leandra Florez), John C. McGinley (Wendell Dukes), Melonie Diaz (Dany Wilkins), Sean Gunn (Marty Espenscheid), Michael Rooker (Bud Melks), Gregg Henry (The Voice), Josh Brener (Keith Mclure), Owain Yeoman (Terry Winter), Brent Sexton (Vince Agostino), David Dastmalchian (Lonny Crane), David Del Rio (Roberto Jerez), Rusty Schwimmer (Peggy Displasia), Gail Bean (Leota Hynek), James Earl (Evan), Abraham Benrubi (Chet Valincourt), Valentine Miele (Ross Reynolds), Stephen Blackehart (Robert Hickland), 89 Min., Kinostart: 15. Juni 2017
In meinem Kritikerumfeld gibt es einige Stimmen, die mit bloßem »Spaß-Horror« eher schwer zufriedenzustellen sind. Wenn ein Zombiefilm keine tiefschürfende gesellschaftliche Aussage hat, wird er eher als Verrat an dem so hehren Subgenre verraten usw.
Evtl. ist das auch ein Grund dafür, warum The Belko Experiment in diesen Kreisen eher durchfiel, weil die Prämisse des Films durchaus das Potential gehabt hätte, etwas über die veränderten Realitäten am Arbeitsplatz auszudrücken, man sich aber größtenteils auf den Unterhaltungsaspekt konzentriert hat. Wer das Plakatmotiv etwas länger betrachtet (oder den Luxus hat, es tatsächlich in Plakatgröße vor sich zu sehen), der sieht etwa, dass hier ein Abroller für Klebeband von der schwereren Ausführung (damit er nicht über den Tisch rutscht, wenn man mit einer Hand schnell etwas Scotch-Tape abtrennen will) als Waffe benutzt wird. Der Alltagsgegenstand als Waffe (gern auch aus dem persönlichen Berufsfeld) ist ja eine ziemlich alte Genrekonvention, die spätestens dann interessant wird, wann der ausgeübte Beruf eben nicht Jäger, Koch oder Holzfäller ist, sondern wie bei Hitchcocks Rear Window etwa ein Fotograf.
© 2017 Kinostar Filmverleih GmbH
The Belko Experiment spielt in einem international besetzten Bürokomplex einer global tätigen US-Firma im kolumbianischen Bogota. Weder macht man mit dem Spielort besonders viel, noch findet man großartige Ideen, wie man, wenn einen die Firmenleitung durch perfide Psychospielchen zum Mord animiert, den Reißwolf oder den Heftklammernentferner zu zweckentfremden.
Wie die mörderischen »Spielregeln« bei der Belko Corporation, dem »business without boundaries«, funktionieren, will ich nicht vorwegnehmen, es ist nur so, dass man sich bei einem stinknormalen Bürotag plötzlich in einer Situation à la Battle Royale oder The Hunger Games wiederfindet und das pure Überleben durch ein Verstecken im Wandschrank nicht mehr gesichert werden kann.
Zugegeben, wer sich für einen wie gut auch immer bezahlten Job eine Sonde in den Kopf setzen lässt, ist nicht unbedingt zum Survivor prädestiniert, aber ich hatte mit dem eigentlich simplen Plot eines Films, der zwangsläufig eine große Zahl von Protagonisten einführen muss, durchaus meinen Spaß.
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Was in der Pressearbeit des Films etwas ignoriert wird, ist für mich eigentlich der unique selling point: Das Drehbuch stammt von James Gunn, dem Regisseur des bisher zweiterfolgreichsten Films dieses Jahres, Guardians of the Galaxy Vol. 2. Und das es wohl schon vor einiger Zeit geschrieben wurde, ändert nicht das Geringste daran, dass man mit Gunn als Quasi-Produzent (seltsamerweise wird er auf imdb nicht aufgelistet) nicht nur seinen Lieblingskomponisten Tyler Bates verpflichtete, sondern mit Michael Rooker, Greg Henry und Sean Gunn (ja, die gleichlautenden Nachnamen sind kein Zufall) auch noch einige Darsteller, die der Ideengeber des Films alle Nase lang in seinen Werken wie Slither oder Super verwendet - und sie sogar mit in die Mega-Millionen-Dollar-Produktion Guardians of the Galaxy rüberretten konnte.
Ob zum Guten oder zum weniger Guten: die Anknüpfungspunkte an die Lieblingsthemen Gunns sind die interessantesten Aspekte des Films. Nach einer frühen Filmlaufbahn unter der Ägide des Troma-Gründers Lloyd Kaufman hatte Gunn seinen ersten großen Kinoerfolg ja mit dem Drehbuch zu Zack Snyders Zombie-Remake Dawn of the Dead (exakt die Art von Filmen, die »ernsthafte« Horror-Fans zur Weißglut treiben kann), und gerade an diesen Streifen wird man hier mehrfach erinnert: man sitzt fest in einem großen Gebäude und muss um sein Überleben fürchten; man geht aufs Dach, um mit dem Rest der Welt in Kontakt zu treten; und auf einem sehr überschaubaren Level geht es auch beide Mal darum, wie sich faschistoide Gruppen bilden, die das eigene Überleben über die sozialen Grundregeln stellt.
Und sogar die Fahrstuhlszene und der hübsche Muzak-Einsatz fehlen nicht!
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Dass daraus nicht viel mehr als ein hübsches Splatter-Funfest wird, sehe ich jetzt nicht als konkretes Problem, denn ein solider trashiger Horrorfilm mit ein paar guten Gags, einer erkennbaren Umsetzung des eher überschaubaren Budgets zu echten production values ist ja schon mal was.
Und dann hat man auch noch das in meinen Augen sehr gelungene Casting. Das James-Gunn-Kumpelnest mal außen vor trifft man hier auf einige bekannte Gesichter, die in Koordination mit Drehbuch und Regie (Greg McLean, größtenteils bekannt durch die beiden Wolf-Creek-Filme) holt man hier selbst bei kleineren Rollen (so mit fünf Dialogsätzen) so einiges heraus.
Die positiv gezeichneten Hauptfiguren sind mir nicht so vertraut, aber besonderes Augenmerk möchte ich auf zwei Aushilfsschurken richten, und zwar John C. McGinley, der in Scrubs den Dr. Perry Cox spielt. Und Tony Goldwyn, den mir vor allem als Regisseur von The Last Kiss bekannten Präsidenten-Darsteller aus einer anderen Fernsehserie, nämlich Scandal. Und weil ich ein feines Auge für sogenannte Schnuckelchen habe, entdeckte ich auch einen Darsteller, den echte Fans von The Big Bang Theory sofort zuordnen können: Josh Brener, der dort Stuarts piepsstimmige Aushilfe Dale in exakt zwei Folgen spielt. Auf mich aber dennoch einen so großen Eindruck hinterlassen hat, dass ich ihn auch mit eher normaler Stimme im Belko-Film wiedererkannt habe.
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Da die Pressevorführungen der beiden aktuellen Filme aus der Feder von James Gunn rein zufällig fast wie ein Double Feature liefen, habe ich mir übrigens in der Folgewoche eine ganz persönliche James-Gunn-DVD-Retrospektive zusammengestellt und auch sein Bruder Sean wächst mir immer mehr ans Herz - und hier hat er die wohl beste Rolle im ganzen geschwisterlichen Œuvre.
Fazit: Wer kein soziopolitisches Meisterwerk oder bahnbrechende Innovationen erwarten, kommt bei The Belko Experiment (leider im deutschen Titel mit Deppen-Leerstelle) durchaus auf seine Kosten. Einzig das im Internet hier und da diskutierte Ende machte auf mich nicht den Eindruck, als sei es so durchdacht, wie es hier und da dargestellt wird.