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14. Juni 2017 |
Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||
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USA / Japan 2016, US-Titel: Paris can wait, Ursprünglicher Festivaltitel: Bonjour Anne, Buch: Eleanor Coppola, Kamera: Chrystel Fournier, Schnitt: Glen Scantlebury, Musik: Laura Karpman, mit Diane Lane (Anne Lockwood), Arnaud Viard (Jacques Clement), Alec Baldwin (Michael Lockwood), Elise Tielrooy (Martine), Élodie Navarre (Carol), 92 Min., Kinostart: 13. Juli 2017
Anne Lockwood (Diane Lane), die sich als mehr sieht als nur als Anhängsel ihres Mannes, des gefragten Hollywood-Produzenten Michael Lockwood (Alec Baldwin), verbringt mal wieder Zeit mit dem Gatten beim Filmfestival von Cannes, wo dieser oft mehr mit seinem Handy beschäftigt ist als mit seiner Frau. Statt des im Anschluss an das Festival geplanten Frankreichurlaubs wird Michael nach Budapest abgeordert und Anne nimmt ein Mitfahrangebot von Michaels französischem Kollegen Jacques (Arnaud Viard) an. Sie ist sich dabei nicht voll bewusst, dass der Genussmensch und Schwerenöter nicht vorhat, sie dort innerhalb weniger Stunden abzusetzen. Und so genießt Anne quasi einen etwas anderen Urlaub, mit einem anderen Mann an ihrer Seite.
Eleanor Coppola, die Ehefrau von Francis, drehte bereits Material für den gelungene Dokumentarfilm Hearts of Darkness: A Filmmaker's Apocalypse, war sogar federführend bei einem Halbstünder über eine Chinareise oder den Making-ofs zu The Rainmaker und Youth without Youth (beide von Francis) sowie zu Marie Antoinette (von Tochter Sofia Coppola). Aber zur Regie eines abendfüllenden Spielfilms kam es erst im beinahe biblischen Alter von 80 Jahren.
Und so munkelt man, dass die Geschichte von Anne reichlich autobiographisch inspiriert war. Dass Michael »nur« Produzent ist und kein Regisseur ist ja keine riesige Veränderung, und wenn Anne mit ihrer Tochter Alex telefoniert (die mal auf einem Foto zu sehende Person sieht Sofia Coppola nicht so unähnlich) oder sie gern die Band Phoenix hört, die ihr von ihrer Tochter empfohlen wurde (Sofia lebt seit gut zehn Jahren mit dem Sänger der Band zusammen), dann ist das schon eine deutliche Parallele, die im Film darin kulminiert, dass Diane Lane in die Kamera zwinkert, weil es wohl Details gibt, die die Regisseurin nicht im Film ausdiskutieren möchte, sondern lieber der Fantasie des Publikums überlässt.
Leider fehlt Eleanor Coppola die Stilsicherheit ihrer Tochter und sie gehört jetzt nicht zu dieser Art von Regieneulingen, bei denen man einfach davon ausgeht, dass sich das mit mehr Erfahrung irgendwann einstellen wird.
Anders ausgedrückt: Paris can wait wirkt wie eine Art »Aufguss«, der nur dadurch veredelt wird, dass die Nachahmerin aus dem Familienkreis stammt und man sich mittlerweile in der ganzen Coppola-Mischpoke halbwegs auskennt.
Insbesondere Arnaud Viard kann dabei Bill Murray nicht annähernd das Wasser reichen und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, ob das seltsam wirkende Casting dieser Figur (Diane Lane und dieser Kerl spielen auf dem Beziehungsmarkt so gar nicht in der selben Liga) vielleicht mit dem »historischen« Vorbild zusammenhängen könnte. Aber so spannend ist das nun auch wieder nicht.
Paris can wait hat einige hübsche subtile Momente, ist aber in anderen Momente (die die konstruiert wirkende Handlung betreffen) oft auch sehr plakativ. Was dadurch nur noch schlimmer wird, dass die anfängliche Subtilität sich in einer wiederholenden Deutlichkeit immer mehr verliert. Wenn Jacques die Augentropfen besorgt, die Michael für seine Frau vergaß, ist das deutlich, aber nicht aufdringlich. Wenn er später ein ganzes Auto voller duftender Blumen packt, ist das ziemlich dick aufgetragen. Und auch die uralte Story vom zerschlissenen Keilriemen, der durch eine Damenstrumpfhose ersetzt wird, wirkt heutzutage so altbacken, wie man es wohl nur einer Debütregisseurin durchgehen lassen kann, die vor Beginn des zweiten Weltkriegs das Licht der Erde erblickte (eine der Produktionsfirmen des Films heißt übrigens »Lifetime Films«, die wurde aber nicht von einem Coppola ins Leben gerufen, wie ich zunächst schmunzelnd annahm).
Die Art und Weise, wie man immer wieder auf vermeintliche nationalen Eigenschaften herumreitet (»Don't forget he's a Frenchman!«) hat mich ebenso genervt wie die komplett unrealistische Darstellung von Annes Hobby, der Fotografie (die ihr Mann natürlich nicht ernst nimmt, wodurch Jacques wieder Pluspunkte sammeln kann).
Auch der Umstand, dass sich der Film einerseits um eine starke Frauenfigur dreht (sie rät auch ihrer Tochter, dass man manchmal einfach die Führung übernehmen muss, weil Männer sich halt wie Babys oder Idioten verhalten), Anne sich aber den kompletten Film lang von Jacques nach einer Süßspeise nennen lässt, die nicht jeder positiv konnotiert, ist ein kleines Makel, das mich dazu verleitet, das Alter der Regisseurin (damals war man halt ganz anders drauf) eher als Hindernis aufzufassen.
In meiner Eigenschaft als Interpret von Filmen hat mir aber die »Coppola-Connection« einen eigentlich ziemlich abgeschmackt-rührseligen Streifen noch aufgewertet. Wer die Filme von Sofia Coppola kennt, kann sich auch diesen mal anschauen und wird dann zumindest erkennen, wie schwer es ist, diesen heruntergefahrenen trivial-lakonischen Tonfall zu treffen...
Deutschland 2017, Buch: Stefan Barth, Lit. Vorlage: Kerstin Gier, Kamera: Daniel Gottschalk, Schnitt: unbekannt, Musik: Max Knoth, mit Jessica Schwarz (Kati), Felix Klare (Felix), Christoph Letkowski (Mathias), Elena Uhlig (Marlene), Pheline Roggan (Linda), Juliane Köhler (Judith), Judy Winter (Frau Baronski), Milan Peschel (Gereon), Susanne Wuest (Lilian), Adnan Maral (Erdal), Oliver Korittke (Uwe), Daniel Schütter (DJ Florian), 101 Min., Kinostart: 13. Juli 2017
Kerstin Gier ist eine deutsche Bestsellerautorin, deren verfilmte Fantasy-Jugend-Trilogie Rubinrot / Saphirblau / Smaragdgrün ich trotz meines Faible für zeitreisegeschichten ich geflissentlich gemieden habe, weil mir das schon im Vorfeld nicht so toll vorkam.
Dass ich jetzt eine andere Romanverfilmung nach ihrer Vorlage gesehen habe, hängt weder mit ihr zusammen noch mit dem Thema Zeitreise (beides war mir nicht bewusst), sondern damit, dass ich Regisseur Pepe Danquart seit seinem oscarprämierten Kurzfilm Schwarzfahrer (1993, der lief mal im Kommunalkino Verden, das zu meinen provinziell-cinephilen Wurzeln dazugehört) sah, danach aber nie wieder einen Film von ihm - und das, obwohl er sogar David Hewsons Semana Santa verfilmte, dessen Epiphany ein Roman ist, der einen Ehrenplatz in meinem Regal hat (ich besitze noch fünf andere Romane von Hewson, habe die aber auch alle noch nicht gelesen - ein Zufall?).
Lange Rede, kaum ein Sinn: also wollte ich Onkel Danquart mal noch eine Chance geben und hatte mal wieder keinen Schimmer, was mich erwartet. Irgendwie so eine deutsche Romantic Comedy mit Jessica Schwarz.
Die Story beginnt mit einem kleinen Auffahrunfall, der zum fast sofortigen Sex der involvierten Personen bei ihm Zuhause führt. Die weitere Geschichte des aufstrebenden Arztes Felix (Felix Klare) mit der Hauptfigur Kati (Jessica Schwarz) wird größtenteils über eine Animation erzählt, die mich vom Zeichenstill übrigens sehr an Volker Reiches Strizz erinnerte. Dann knüpft man nach einigen Jahren an die mittlerweile etwas abgekühlte Beziehungsgeschichte an und Kati trifft Mathias (Christoph Letkowski), es funkt auch ein bisschen, aber sie ist ja in festen Händen und lässt ihn das auch spüren: Er: »Bis nächste Woche« - Sie: »Nein, bis gar nicht.«
Ungefähr an dieser Stelle kommt es jetzt zu einer mirakulösen Zeitreise und Kati und der Zuschauer finden sich wieder an der Stelle, wo sie Felix erstmals trifft - doch nun wird ihr klar, dass auch Mathias schon zu diesem Zeitpunkt in ihrem Umfeld zugange war - und damit beginnt eine klassische »What if«-Situation, bei der Kati in Versuchung geführt wird, ihr Leben vielleicht ganz anders zu leben, wobei man anhand des Filmtitels natürlich weiß: auch mit Mathias wäre nach ein paar Jahren vermutlich das Prickeln raus aus der ehemaligen Leidenschaft.
Der Film erzählt das wie eine Variante von Groundhog Day (Kati schindet zum Beispiel bei einer Kunstausstellung Eindruck, weil sie nachplappert, was Mathias ihr Jahre später in der anderen Zeitlinie erzählte. Der Toast auf den Weltfrieden lässt grüßen!), nur leider auf dem Niveau eines geringfügig besser erzählten Fernsehfilms, der ganz auf weibliche Zuschauer zugeschnitten ist. Kati hat zwei gute Freundinnen / Kolleginnen (Elena Uhlig & Pheline Roggan), eine Chefin (Juliane Köhler), die ihr vernachlässigtes Sexleben an den Angestellten auslässt und eine ältere Bekannte (Judy Winter) - und bei all diesen Personen will sie ihr Wissen über eine spätere Zukunft nutzen, um Unglück von ihrem Umfeld abzuwälzen. Wobei der Hinweis »Geh doch bitte zum Arzt« fast schon pädagogisch wertvoll klingt.
Das Ganze ist (vermutlich im Roman) durchaus clever konstruiert, hat nur das Problem, dass einem bis auf die Zeitreise alles sehr bekannt vorkommt. Milan Peschel, Oliver Korittke und Pheline Roggan (Was hat uns bloß so ruiniert?) spielen Figuren, wie man sie so oder ähnlich von diesen Schauspielerinnen bereits kennt (und bei Peschel ist es so eine Schweighöfer-Figur, nicht etwa etwas vielschichtiges), über Judy Winter bindet man ältere Zuschauer ein - es wirkt alles so schablonenhaft und insbesondere beim Ausgang der Story gibt es kaum Überraschungen.
Auch das Humorniveau ist größtenteils schlimm. Jessica Schwarz hat mal eine hübsche Slapstickeinlage, bei der sie mit einer Hand in einem Briefkasten stecken bleibt, den dummerweise nicht ihr eigener Name ziert, aber selbst dafür muss man umständlich und wenig überzeugend einige Story-Fäden ziehen, damit die Situation halbwegs glaubhaft erscheint. Von versehentlich gegessenen Hasch-Keksen, rachsüchtig zerdepperten Whiskyflaschen, einer Beziehung mit dem auf eigentümliche Kurmethoden stehenden »Urin-Uwe« und ähnliches mag ich gar nicht eingehen. Eben so eine Art von Humor, die man aus Filmen von Schweiger und Schweighöfer kennt. Ich weiß, die sind super-erfolgreich, aber erfolgreich ist eben nicht immer gut.
Meine Gefühle dem Film gegenüber sind also zwiespältig, aber wegen meiner Zeitreise-Affinität hätte ich vielleicht sogar zur Kategorie »erträglich« tendiert. Aber da ist noch eine andere Sache. Mit Jessica Schwarz habe ich nicht das geringste Problem. Ihre Filme von Nichts bereuen bis Die Hände meiner Mutter sind oft wirklich toll, und wenn sie hin und wieder in doofen Komödien verbraten wird, verzeiht man ihr das fast.
Hier ist es nur einfach die von ihr gespielte Figur, die mich reichlich genervt hat. Dass Kati ein Defizit beim Einparken von Autos hat, mag man ihr durchgehen lassen, doch sie ist eine dieser Personen, bei der ich als eigentlich friedfertiger Mensch im Alltag durchaus zum Choleriker werden kann: Sie begeht Fahrerflucht (mehrfach! Es wurde ja nicht nur Felix' Fahrrad beschädigt), führt (impliziert) ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss und fummelt auch noch während der Fahrt an ihrem Handy herum. Solche Leute sind für mich einfach asoziale Arschlöcher (als Beifahrer ist es mir schon mal schwergefallen, diese Ansichten für mich zu behalten, weil man halt 20 km vom Ziel nicht einfach darauf bestehen kann, auszusteigen) und keine Sympathieträger oder Identifikationsfiguren. Und ich freue mich immer wieder, wenn in Filmen (nicht im richtigen Leben, ich sehe das aber als didaktisches Anschauungsmaterial) jemand nach dem von vielen Leuten bagatellisierten »Simsen am Steuer« in einen schweren Unfall verwickelt wird (bei den dann aber gerne auch sonst niemand in Mitleidenschaft gezogen wird). Und deshalb wäre für mich bei dieser Liebeskomödie das beste Ende ein solch tödlicher Ausgang gewesen. Ich kann mich nicht wirklich dafür interessieren, ob sie mit dem einen oder anderen zusammenkommt, pimpert oder was auch immer, solange ich mehrfach darauf aufmerksam gemacht werde, dass diese Person eine Gefahr für die Allgemeinheit ist. Und wenn der Film dann einen aus angegebenen Gründen passierten Unfall auch noch wie superwitzig darstellt, werde ich ein wenig aggro!
USA / China / Hong Kong 2017, Buch: Allan Heinberg, basierend auf Figuren von: William Moulton Marston, Kamera: Matthew Jensen, Schnitt: Martin Walsh, Musik: Ruper Gregson-Williams, Kostüme: Lindy Hemming, Production Design: Aline Bonetto, mit Gal Gadot (Diana), Chris Pine (Steve Trevor), Connie Nielsen (Hippolyta), Robin Wright (Antiope), Danny Huston (Ludendorff), David Thewlis (Sir Patrick), Sa√Ød Taghmaoui (Sameer), Ewen Bremner (Charlie), Eugene Brave Rock (The Chief), Lucy Davis (Etta), Elena Anaya (Dr. Maru), Lilly Aspell (Diana, 8 years old), Lisa Loven Kongsli (Menalippe), Emily Carey (Diana, 12 years old), Ann J. Wolfe (Artemis), Philippe Spall (Belgian Trench Officer), Rachel Pickup (Fausta Grables), Zack Snyder (U.S. Soldier), 141 Min., Kinostart: 15. Juni 2017
Die Resonanz zu Wonder Woman scheint größtenteils positiv, doch ich wurde mit dem Film so gar nicht warm. Ich werde aber dennoch erst mal schildern, was mir daran gefallen hat.
Gal Gadot sieht ziemlich atemberaubend aus und es gelingt ihr und der Regie auch, die Figur der Diana so darzustellen, wie man sie aus den Comics kennt: eine friedfertige Kriegerin, ein echtes role model für beide Geschlechter und eine Frau, die trotz vielfältigem Herausstellen ihres Sex Appeals vor allem für eine Unschuld und Reinheit steht, die nicht auf das Sexuelle zu beschränken ist. Selbst, wenn sie nach Studium eines 12bändigen Fachwerks über Sexualität betont, dass Männer für die Fortpflanzung unabdingbar sind, man aber für körperliche Vergnügungen durchaus auf sie verzichten kann (deutlicher wird es nicht im Film, was die Details einer rein weiblichen Gesellschaft angeht).
Diana ist eine starke Frau, eine wirkliche Heldin, der auch ein ihr an die Seite gestellter »überdurchschnittlicher« Mann wie Chris Pine (als Steve Trevor) kaum das Wasser reichen kann. Die schönste und in meinen Augen feministischste Szene des Films zeigt den unbekleideten Pine, der gerade ein Bad nimmt, als Diana dazukommt. Pine versucht mit beiden Händen seine Blöße zu bedecken und misinterpretiert eine Bemerkung Dianas, die sich nicht auf sein Geschlechtsteil, sondern eine Armbanduhr bezieht. Er erklärt kurz die Funktion der Uhr und Diana kommentiert »So you let this little thing tell you what to do?« - und für mich war es offensichtlich, dass sie wohl doch nicht von der Uhr spricht.
Dass er ihr diese Uhr später schenkt und die Requisite sicherlich in einem späteren Film mal irgendwo zu sehen sein wird, könnte man vielleicht auf interessante Weise deuten, aber in Sachen Feminismus ist der Film jetzt trotz weiblicher Regisseurin nicht so aussagekräftig, wie man annehmen könnte. Eine Heldin, die den Krieg »an sich« bekämpfen will und an die Liebe (implizit zur Menschheit) glaubt, ist sicher interessanter als Captain America, aber dennoch wirkt der gesamte Film wie eine Mischung aus eben diesem Film und den Inszenierungsprinzipien von Zack Snyders 300. Eine Comicverfilmung sollte mehr leisten, als in Zeitlupe Tableaux aus gestählten Körpern vorzuführen - das hat für mich mehr von Leni Riefenstahl.
Ich habe nicht soo viele Wonder-Woman-Comics gelesen (im Grunde vor allem den Run des allgemein eher unterschätzten Autors William Messner-Loebs [Dr. Fate, Flash, Hawkman, Epicurus the Sage], bei dem die Zeichner Brian Bolland und Mike Deodato viel zur Popularität beigetragen haben), und weiß deshalb auch nicht, ob dieses Team aus Sameer, Charlie und The Chief, das Diana und Steve ergänzt, irgendeine Basis in den Tausenden von Comicheften hat, in denen Diana inzwischen auftauchte. Bei wikipedia sind die Rollennamen nicht verlinkt, das ist schon mal ein schlechtes Zeichen. Denn in meinen Augen trägt diese Mischung aus comic relief und Multikulti-Alibifiguren (ein Schotte, ein Marokkaner und ein Native American) nicht wirklich zum Gelingen des Films bei. Die wirken auf mich wie eine Fußnote, die sich in den Haupttext verirrt hat und dem ganzen Helden- und Götterzeugs so was wie eine Bodenhaftung geben soll (wie Agent Phil Coulson nebenan bei Marvel), was aber nicht passiert, weil die Figuren zu sehr am Rand agieren.
Chris »Captain« Pine spielt mal wieder einen selbstverliebt bis arroganten Mustermann, der ganze Film ist mir zu sehr auf sein Rating ab 12/13 hingebogen (Krieg im Nebel, implizit nackte Amazonen auf einem animierten Gemälde) und ungeachtet der unglaublichen Präsenz der Hauptdarstellerin ist Wonder Woman eben einfach nur ein weitere Popcorn-Superhelden-Film, bei dem das Geschlecht von Hauptfigur und Regisseurin nun auch keinen Riesenunterschied macht.
Ach ja, der Presse wurde der Film in 2D gezeigt. Meistens bevorzuge ich das sogar, aber in diesem Fall hat man das Gefühl, dass einem in dieser Version tatsächliche Dinge entgehen, weil bestimmte Passagen offensichtlich ganz auf das dreidimensionale Element hin zugeschnitten sind. Ich kann aber natürlich nicht darauf schwören, dass das dann in 3D besonders toll ist.
Originaltitel: Souvenir, Belgien / Luxemburg / Frankreich 2016, Buch: Bavo Defurne, Yver Verbraeken, Jacques Boon, Kamera: Philippe Guilbert, Schnitt: Sophie Vercruysse, Musik: Pink Martini, Kostüme: Florence Scholtès, Christophe Pidre, Szenenbild: André Fonsny, mit Isabelle Huppert (Liliane), Kèvin Azaïs (Jean), Johan Leysen (Tony Jones), Jan Hammenecker (Eddy), Anne Brione (Martine), Benjamin Boutboul (Kenneth), Carlo Ferrante (Rudi Riva), 90 Min., Kinostart: 6. Juli 2017
Diese Kritik wird mal ein Beispiel dafür, wie seltsam meine Gedankengänge beim Betrachten eines Filmes so verlaufen. Leser, die mich kaum kennen, will ich vorsichtshalber warnen, dass ich englische Literatur studiert habe, Zeit meines Lebens gut bis besser in Mathe war. Und auch mal Abba-Fan (als die noch zusammen waren).
Liliane (Isabelle Huppert) arbeitet in einer Pastetenfabrik und legt jeweils zwei Lorbeerblätter und ein paar Beeren als Deko auf erbarmungslos ausgeleuchtete ziegelsteingroße Wurstpasteten (vermutlich eine flämische Spezialität oder so). Nicht unbedingt das, was man eine künstlerische Tätigkeit nennen würde. Der deutlich jüngere neue Kollege Jean (Kèvin Azaïs), nebenbei auch noch Boxer, erkennt sie aber wieder als »Laura«, die in Vergessenheit geratene Sängerin, die vor 30 Jahren (!) beim Grand Prix Eurovision de la Chanson Platz 2 hinter Abba erreichte. Bedeutet also, dass der Film entweder 2004 spielt oder in einem Paralleluniversum.
Womöglich haben sich die Drehbuchautoren von Souvenir bei der Anzahl der 30 Jahre etwas gedacht. Womöglich wurde 2006 eine national bekannte Wurstpastetenfabrik geschlossen oder was auch immer. Mir persönlich fiel kein Grund ein, warum der Film nicht 40 oder 42 Jahre nach Waterloo 1974 spielt - und somit in der Jetztzeit. Selbst Isabelle Huppert war 1974 schon 21 Jahre alt (sieht natürlich viel jünger aus), also auch nur drei Jahre jünger als Agnetha Fältskog.
Etwas später sieht man Liliane in einem Bus sitzen, wo sie das Buch This Bleeding Heart von Marilyn French liest. Sie ist aber noch sehr weit vorne im Buch, Vielleicht Seite 25 oder so. Beim Sichten des Films, der im flämischen Teil Belgiens spielt (aber durchgehend auf Französisch), fragte ich mich sofort, ob das Cover des Buchs implizieren soll, dass sie Englisch spricht (nicht unbedingt selbstverständlich für Frühgeborene in einem Land, das drei verschiedene Amtssprachen hat - und Flämisch gehört nicht dazu). Ich habe dann recherchiert, dass die französischsprachige Ausgabe des Buches Les bons sentiments heißt, die deutsche Das blutende Herz und die niederländische Het bloedend hart. Ferner ist Marilyn French eine radikale Feministin, in dem Buch geht es um Beziehungsdynamik (in Romanform), wobei beide (erfahrenen) Partner Fehler begehen.
Doch was soll mir das jetzt sagen? Ist einfach nur der Buchtitel so gewählt, dass er mir was über Liliane verraten soll? Oder weiß ich jetzt, dass sie anspruchsvolle Beziehungsromane in einer fremden Sprache liest? Oder beides? Oder nichts davon?
Wenn man im Bus oder der U-Bahn jemanden ein Buch lesen sieht, schafft man sich (bzw. ich tue das) aufgrund der Lektüre ein gewisses Bild über die Person. Obwohl man natürlich keinen Schimmer hat, ob das Buch ein vielfach gelesenes Lieblingsbuch ist, eine verhasste Hausaufgabe oder vielleicht ein Geschenk von jemandem, der ähnlich wenig über die Leser*in weiß wie ich selbst. In Filmen indes ist es so, dass man die Figuren meist etwas lesen lässt, was zum Film beiträgt. Siehe etwa meine Kritik zu Josh Boones Writers. (ja ja, das war nur der Festivaltitel des Films, aber er trifft es soviel besser!). In Souvenir hat mich das Buch nur abgelenkt.
Ebenfalls abgelenkt haben mich einige Motorradfahrten vor schlecht genutzten Green Screens. So oft wie der Regisseur im Pressematerial von Nostalgie spricht, war das vielleicht sogar mit Absicht. Seltsamerweise zeigt eines der zentralen Pressefotos aber die selbe Situation, nur dass Jean und Liliane hier keine Green Screen hinter dem Motorrad haben (sie aber auch nicht fahren müssen).
Eine wie fast immer großartige Isabelle Huppert trägt den Film mit Leichtigkeit, und auch ihr junger Kollege gibt keinen Anlass zu klagen. Der kleine B-Plot (oder eher D ...) um Jeans Vater, der mal auf Laura stand, ist ebenfalls ganz hübsch.
Was hier (gewaltig) hinkt, sind viele Kleinigkeiten. Jean, der keinen Alkohol trinkt, weil er Boxer ist - sich aber scheinbar zu großen Teilen von Kartoffelchips ernährt. Ein wenig euphorischer Boxkomparse mit offensichtlich aufgesprühter Schweißnässe. Ein vermeintlicher Hit, der mit uralten Gesten illustriert wird, die selbst Nana Mouskouri vor vierzig Jahren peinlich gewesen wären. Eine »Morning After«-Szene, die wirkt wie direkt aus dem Werbefernsehen (des Öffnen der Gardine zelebriert Jean den ganzen Film lang - ich haben keinen feuchten Schimmer, warum). der fleischfarbene Bikini, den die Huppert in der Badewanne trägt (kann man das heutzutage nicht wegretuschieren???). Der coitus interruptus, mit Jeans passgerechter Hose ca. 1,8 Sekunden später. Und dann die nationale Vorentscheidung für den aktuellen Grand Prix, die zwar im Fernsehen übertragen wird, bei der das Budget aber nur ca. 1 (in Worten: einen) Scheinwerfer rausrückte. Die irgendwie dazu passenden Sitzreihen, die nur bestätigen, das man am besten eine Geschichte erzählen sollte, die man auch umsetzen kann (und nicht einen Olympia-Film für das Monatseinkommen eines Hartz-IV-Empfängers). Das schlecht vorgetäuschte Klavierspiel. Das aufdringliche Product Placement für Piper Sekt usw. usw.
Der schönste Moment des Films, kurz vor dem »Whisky-Gurgeln für die Stimmbänder« war dann die Fernsehübertragung bei Jeans Eltern, wo die Mutter (Nostalgie??) im Hintergrund an einem Tisch sitzt und an einem Bügeleisen herumhantiert. Da habe ich so schallend gelacht, dass sich die (wenigen) Kollegen und Kolleginnen, die in der glücklichen Lage waren (und sind), all diese Details einfach ausblenden zu können, nach dem Film beschwert haben.
Wie gesagt, Isabelle Huppert ist toll. Nur steht die Inszenierung und das ganze Projekt (trotz guter Absichten) in keinerlei Verhältnis zu ihr.
Ach ja, noch was Abgedrehtes zum Schluss: Im Abba-Song The day before you came wird Marilyn French namentlich erwähnt!
...jetzt ergibt alles Sinn!
Deutschland 2017, Buch: Sönke Wortmann, Lit. Vorlage: Frank Goosen, Kamera: Michael Wiesweg, Schnitt: Dirk Grau, Musik: Martin Todsharow, Szenenbild. Cordula Jedamski, mit Lucas Gregorowicz (Stefan Zöllner), Nicholas Bodeux (Toto), Anna Bederke (Charlie), Peter Jordan (Frank Tenholt), Sandra Borgmann (Karin Tenholt), Markus John (Diggo), André Rohde (Olaf), Jasna Fritzi Bauer (Mandy), Elfriede Fey (Omma), Thomas Loibl (Herr Kunkel), 92 Min., Kinostart: 29. Juni 2017
Weil ich gerne Filme schaue, aber auch gerne Bücher lese, schnappe ich mir öfter mal die Buchvorlagen zu irgendwelchen Filmen zum Vergleich. Am liebsten lese ich dabei erst das halbe Buch, schaue dann den Film und lese dann weiter. Aber ich besorge mir auch mal ein Buch erst nach der Filmsichtung - und ich muss den Film dabei nicht einmal unbedingt gut gefunden haben.
In diesem besonderen Fall war ich zwar neugierig genug, Frank Goosens Roman zu lesen, um zu sehen, was Sönke Wortmann verbockt hat, aber auf einen detaillierten Vergleich habe ich ausnahmsweise keine wirkliche Lust. Und während ich nicht das geringste Problem damit habe, meine Leser mit den Vorlagen zu Filmen wie Serena, Angelica oder Gemma Bovery zuzutexten, obwohl kaum jemand Buch oder Film kennt (geschweige denn beides!), ist es in diesem Fall, wo ein deutscher Bestseller von einem der bekanntesten deutschen Regisseure umgesetzt wurde, einfach so, dass ich einfach davon ausgehe, dass es einfach kein Schwein interessiert, inwiefern der inszenatorisch komplett missratene Rasenunfall im Buch besser umgesetzt wurde oder warum es im Film einen verstorbenen Vater gibt statt des Bruders im Buch.
Es ist einfach, dass für mich beides vertane Zeit war. Und wenn ich mir aus unerfindlichen Gründen das Buch kaufe, wo ich den Film schon reichlich überflüssig fand (vergleiche auch Karen Duves Taxi), bin ich auch selbst schuld.
Nur ein winziges Detail, das mich abgesehen von Jasna Fritzi Bauer und der wirklich authentischen »Omma« Elfriede Fey für den Film einnahm, will ich kurz erwähnen: wenn inmitten der »Atze«-Atmosphäre drei dicke Jugendliche, ein Opa und eine auch reichlich apathisch wirkende junge Frau auf einen Plasma-Bildschirm starren, auf dem Detlef D. Soost irgendein Trainingsprogramm durchzieht. Das hatte etwas von einer tiefempfundenen menschlichen Traurigkeit.
Ansonsten muss man sich auch manchmal einfach kurz fassen, wenn es nichts zu erzählen gibt. Nur, weil ich dieses Cinemania ohnehin schon mit meiner ganz persönlichen Sicht auf Filmdetails vollgestopft habe, gibt's als Bonus noch zwei Beispiele, wie jemand, der Jahrzehnte in der Gastronomie verbrachte, auf so einen Film schaut. Einmal gab es eine Szene, wo für mich das Spannendste (mit Lichtjahren Abstand) war, dass auf einem Flipperautomaten sechs Freispiele zu sehen waren, die offenbar kein Mensch wahrnahm. Da wollte ich regelrecht »in den Film hinein«, um die runterzudaddeln. Und dann war da die andere Szene (früher im Film, aber aus rhetorischen Gründen später in meinem Text), wo man dieselbe Ruhrpott-Kaschemme sieht, sich drei vereinsamte Gäste im Lokal verloren haben und der Wirt vorsorglich sogar vier (!) Biere auf ca. 80% der Füllhöhe vorgeschenkt hat. Mancher mag das sogar Authentizität nennen, für mich war es einfach nur abgestanden.
(Und ich träume von einem Filmplakat, auf dem als einziges Pressezitat das letzte Wort des vorhergehenden Satzes prangt.)
Bald in Cinemania 169 (Titel vakant):
Rezensionen zu Heartbeats (Duane Adler) und noch zu sichtenden Filmen.
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