The Wailing
Die Besessenen
(Na Hong-jin)
Originaltitel: Goksung, Südkorea / USA 2016, Buch: Na Hong-jin, Kamera: Hong Kyung-pyo, Schnitt: Kim Sun-min, Musik: Dalpalan, Jang Young-gyu, Kostüme: Chae Kyung-hwa, Production Design: Lee Hwo-Kyoung, mit Kwak Do-won (Jong-goo), Hwang Jung-min (Il-gwang), Jun Kunimura (Japanese Man), Chun Woo-hee (Mysterious Woman), Kim Hwan-hee (Hyo-jin), Jin Heo (Mother-in-Law), Jang So-yeon (Wife), Kim Do-yoon (Yang Yi-sam), Son Kang-gook (Oh Sung-bok), Park Seong-yeon (Kwon Myung-joo), Kil Chang-gyu (Park Choon-bae), Jeon Bae-soo (Deok-gi), Jeong Mi-nam (Heung-gook), Choi Gwi-hwa (Byeong-gyoo), Baek Seung-chul, Kwon Hyeok-Joon, Park Chae-ik (Friends), Kim Gi-Cheon (Dispatch Captain), Yoo Soon-woong (Chief of Police), 156 Min., Kinostart: 12. Oktober 2017
Wenn man schon etliche Jahrzehnte lang Horrorfilme gesehen hat, wird es für die Filmemacher immer schwieriger, einen noch zu beeindrucken. Zum Teil ähnelt das Genre da dem der Highschool-Sexkomödie, die sich auch für jede Folgegeneration neu erfindet (ebenfalls an bestimmten, zunehmend weicher gewordenen Tabus entlang), dabei aber eigentlich nichts neues liefert.
Im Horrorgenre wurde dies überdeutlich, als abgesehen von wenigen, nicht unbedingt erfreulichen, neuen Richtungen (torture porn etc.) oder neu ausgeloteten Genre-Regeln (beim backwoods slasher zum Beispiel Tucker & Dale vs. Evil oder The Cabin in the Woods) vorwiegend so ziemlich zum Remake (oder Reboot!) verhackstückt wurde, was in den 1970ern (oder vereinzelt -80ern) halbwegs erfolgreich war und mittlerweile quasi zum filmischen Establishment aufgewertet wurde. Das bezieht sich nicht nur auf die bekannten Franchises (Jason, Michael, Freddy etc.), sondern auch auf bestimmte Ideen. Paranormal Activity ist ja im Grunde dasselbe wie The Blair Witch Project (insbesondere auch der fake found footage Aspekt), nur eben mit hübschen (aber komplett identitätslosen) Schlafzimmern statt Schlafsäcken.
© 2017 Alamode Film
Vor ca. zwei Jahrzehnten kamen vor allem aus Asien (insbesondere Japan, später Korea) neue Ideen, die dann auch Dutzende mal leicht umarrangiert wurden. Besonders erfolgreich, weil nah am jungen Publikum war hier der Aspekt, den ich nach einem Police-Album mal Ghost in the Machine nennen will (vermutlich gibt es längst einen besseren Fachbegriff). Warum sollen übernatürliche Geister und Dämonen immer in einem alten Gemäuer lauern, das nahe eines indianischen Friedhofs liegt etc.? Der Horror holt die Menschen zunehmend dort ab, wo sie ihr Leben verbringen: ein gefährliches Videotape in Ringu / The Ring, ein gruseliges Handy in Chakushin Ari / One Missed Call, eigentlich ein Wunder, dass aus Tamagotchis und Furbys keine Gruselpuppen wurden. Die US-Remakes wurden ruckzuck nachgeschossen.
Goksung oder The Wailing entspricht gleichzeitig einer back to the roots-Bewegung, wirkt aber auch dramaturgisch wie eine sehr lange Folge der X-Files (von der Kategorie, wo man selbst am Ende der Folge nicht ganz sicher ist, ob Scullys, Mulders oder eine dritte Theorie zuständig für die Todesfälle war), nur dass der Ermittler hier von Physiognomie und Intellekt eher an Zachi Noy mit Mitte Dreißig erinnert.
© 2017 Alamode Film
Goksung erinnert ein wenig an die ersten zwei Filme von Bong Joon-ho: wie in Memories of Murder (ich kann mir auch nicht jeden koreanischen Originaltitel merken) spielt hier ein Polizeifall in einer kleinen Ortschaft (liebevoll eingefangen), die zentrale Figur ist aber nicht nur der Dorfpolizist Jong-gu (Kwak Do-won), sondern seine gesamte Familie - wie im Monsterfilm Gwoemul. Und die Geschichte beginnt auch mit einem deutlichen Komödienanteil.
Zwar wird Jong-gu nachts aus dem Bett geklingelt, weil ein Mord geschah, aber als er in den frühen Morgenstunden zurückkehrt, ist er vor allem damit beschäftigt, sich aufpäppeln zu lassen und nahezu jedem Familienmitglied einzeln den Stand der Ermittlungen preiszugeben, inklusive seiner kleinen Tochter. Was dann dazu führt, dass er zu spät zum Dienst erscheint und sich eine Standpauke einfährt (die nächtlichen Überstunden qualifizieren ihn nicht für eine Sonderbehandlung).
© 2017 Alamode Film
Ich will diesmal gar nicht allzusehr in die eigentliche Story vordringen, sondern vor allem betonen (und loben), dass es dem Regisseur Na Hong-jin (seine früheren Werke The Chaser und The Yellow Sea kenne ich nicht) mit einem eher bedächtigen Erzähltempo und einer Menge Schlenkern gelingt, dass einem über zweieinhalb Stunden Filmlänge (gerade für Horrorfilme außergewöhnlich) nie so lang vorkommen - weil der Film, seine Subgenre und die Bedrohung bis zum Schluss nur selten »festgenagelt« werden können. Und nebenbei erkundet er einige Themenbereiche, von denen gerade die Behandlung eines verdächtigen, womöglich Untoten oder von einem Dämon besessenen Japaners (Jun Kunimura) für Zuschauer, die nicht immer nur auf den nächsten Spezialeffekt lauern (der Kampf mit dem »Geist« ist schon ziemlich spektakulär und wirklich zum Fürchten), beispielsweise auch über einen unterschwelligen Fremdenhass nachdenken lassen, der hier so ganz nebenbei mit in die Suppe hineingerührt wird wie ein Hexengift mit einem bitteren Nachgeschmack).
© 2017 Alamode Film
Die Art von Horrorfilmen, die mich generell am wenigsten anspricht, ist die der Teufels- oder Dämonenaustreibung. Ich finde Hans-Christian Schmids Requiem viel spannender als irgendwelche Streifen, in denen das Wort »Exorzismus« schon im Titel vorkommt. Der deutsche Zusatztitel »Die Besessenen« legt es ja nahe, dass so etwas im Film vorkommt (obwohl man auch eine zombie-ähnliche Virusinfektion oder eine Pilzvergiftung nie ganz aus den Augen lassen sollte), und der ausgedehnte, aber nie langweilige Showdown des Films macht aus dem Versuch des Vaters, seine sich seltsam gebärende Tochter (Kim Hwan-hee stellt Linda Blair spielend in den Schatten) zu retten, einen Handlungsfaden, der mich außerordentlich an den Stuhl fesselte. Vor allem auch, weil man ja weiß, dass der gerade zu beginn etwas tölpelhaft agierende Dörfler weit entfernt davon ist, ein Held zu sein (Fehlentscheidungen prägen seinen Alltag - einer davon ist in seiner Grenzwertigkeit fast schon dämlich -, aber ich mag ja auch Homer Simpson und Donald Duck), und man zusammen mit ihm zunehmend zweifelt, ob die Austreibung durch einen (alle Register ziehenden) Schamanen (Hwang Jung-min) nicht vielleicht das ist, was er auf keinen Fall mit seiner Tochter machen sollte. Gerade diese Ungewissheit mit einer nahenden fatalen Konsequenz trägt den Film gefühlt eine Stunde lang (die Sache mit dem Schamanen entwickelt sich aus und in andere Teilbereiche(n)), und auch, wenn ich mir am Ende des Films nicht ganz sicher war, ob ich wirklich alles verstanden habe (gab es jetzt nur eine Quelle des Bösen oder eine unglückliche Verstrickung?), war Goksung (der Ortsname, auch mal als Gokseong angegeben) ein Horrorfilm, der für mich so gut funktionierte wie nichts vergleichbares in diesem Jahr.