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6. März 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Captain Marvel (Ryan Fleck & Anna Boden)


Captain Marvel
(Ryan Fleck & Anna Boden)

USA 2019, Buch: Anna Boden, Ryan Fleck, Geneva Robertson-Dworet, Kamera: Ben Davis, Schnitt: Debbie Berman, Elliot Graham, Musik: Pinar Toprak, Kostüme: Sanja Milkovic Hays, Production Design: Andy Nicholson, Supervising Art Director: Andrew Max Cahn, mit Brie Larson (Carol Danvers / Vers / Captain Marvel), Samuel L. Jackson (Nick Fury), Ben Mendelsohn (Talos / Keller), Jude Law (Yon-Rogg), Annette Bening (Supreme Intelligence / Wendy Lawson), Lashana Lynch (Maria Rambeau), Clark Gregg (Agent Coulson), Gemma Chan (Minn-Erva), Djimon Hounsou (Korath), Lee Pace (Ronan), Chuku Modu (Soh-Larr), Rune Temte (Bron-Char), Algenis Perez Soto (Att-Lass), Matthew Maher (Norex), Akira Akbar (Monica Rambeau, 11 Years Old), Mark Daugherty (Skrull Main Tech), Mckenna Grace (Carol, 13 Years Old), London Fuller (Carol, 6 Years Old), Stan Lee (Stan Lee), Vik Sahay (Hero Torfan), Marilyn Brett (Older Lady on Train), Richard Zeringue (Tom the Neighbor), Chris Evans (Steve Rogers), Scarlett Johansson (Natasha Romanoff), Mark Ruffalo (Bruce Banner), Paul Rudd (Scott Lang), Anthony Mackie (Sam Wilson), 124 Min., Kinostart: 7. März 2019

Am Tag vor dem internationalen Frauentag (zumindest in Berlin weiß man diesen Tag sehr zu schätzen) bringt Marvel seinen ersten MCU-Film mit weiblicher Titelfigur heraus. Vorweg: so einen (übertriebenen) Hype wie die DC-Kollegen mit Wonder Woman wird diese verspätete Gleichberechtigung nicht entfachen. Selbst, wenn Captain Marvel (gespielt von der für Room oscarprämierten Brie Larson) gegen Ende des Films in Sachen Superkräfte, Überlegenheit und schierer Strahlkraft alle Kerle (u.a. Jude Law, Ben Mendelsohn, Samuel L. Jackson) erblassen lässt und selbst so kleine Momente, wenn sie sich etwa ihre Haare aus dem Gesicht bläst, fast ikonisch wirken, muss dieser Film eher durch seine Geschichte glänzen, in Sachen Hollywood-Frauenrechte ist man einfach etwas spät gekommen (insbesondere, wenn man bedenkt, wie oft immer mal wieder ein Black-Widow-Film zum Gesprächsthema wurde, man aber stattdessen lieber auf Doctor Strange, Black Panther und etliche Fortsetzungen rund um Iron Man, Thor und Captain America setzte.

Zur Story will ich diesmal gar nicht so viel sagen, weil es viel um Gehirnwäsche und Gestaltwanderer geht und die »friend or foe«-Verteilung hier und da mal umverteilt wird. Was durchgehend ganz unterhaltsam ist, aber im Nachhinein betrachtet nicht immer konsistent wirkt. Wenn Figuren sich eher an der Gesamtdramaturgie orientieren als an eigenen Motiven, ist das zwar durchaus comictypisch (die ersten zwölf Seiten kloppen wir uns, ehe wir merken, dass wir für die selbe Sache kämpfen), aber für ein solches, teilweise durchaus anspruchsvolles Drehbuch schon etwas enttäuschend.

Captain Marvel (Ryan Fleck & Anna Boden)

© Marvel Studios 2019

Mit mal wieder galaxienumspannender Story (es geht unter anderem um den Krieg zwischen zwei außerirdischen Kräften, den Kree und den Skrull) hat man sich durchaus am einstigen Überraschungshit Guardians of the Galaxy orientiert. Musik spielt eine wichtige Rolle (der Großteil des Films spielt im Jahr 1995, entsprechend setzt man Nirvana, Hole, Garbage und Elastica ein - mal ganz abgesehen vom schmucken Nine-Inch-Nails-Tieschört - , aber auch R.E.M. und die Waterfalls von TLC), aber weil man die Nostalgie-Kiste mit dem Mixtape schon ausgereizt hat, kann man sich diesmal nicht recht zwischen diegetischer und nicht-diegetischer Herangehensweise entscheiden. Hin und wieder hört man eine Jukebox in der Filmwelt und nur wenige Sekunden später bläst man den selben Song zur typischen Filmmusik auf, was auch wieder die Konsistenz vermissen lässt.

Ich persönlich habe mich auch ziemlich darüber gewundert, warum auf einer Hauswand Plakate zu Mellon Collie and the Infinity Sadness (Smashing Pumpkins, 1995) direkt neben Rid of Me (PJ Harvey, 1993) klebten, aber das ist eben der Nachteil, wenn man die nostalgisch verklärte Zeitphase selbst durchlebt hat und sich etwas auskennt (1993 war für mich prägend, und da musste ich nicht nachschauen, um zu wissen, dass Siamese Dream und Rid of Me etwa im Zeitraum von drei Monaten veröffentlicht wurden... die 1995er-Phase der beiden Acts mit Mellon Collie und To Bring you my Love war dann schon viel breitentauglicher - aber eben nicht mehr so umwälzend). Ich weiß zwar, dass ein Plakat auch mal zwei Jahre an der selben Wand kleben kann, aber danach sah es eben nicht aus, da hätte man sich auch auf ein Jahr fokussieren können.

Für einen hauptberuflichen Erbsenzähler wie mich wirkt in diesem Film einiges seltsam. Dass Nick Fury offenbar nicht weiß, dass der Begriff »Logo« streng genommen involvierte Schriftzeichen impliziert, wird leider mittlerweile fast überall akzeptiert. Aber dass er bei seinem tollen Trick mit einem Stück Klebeband so von sich selbst und seinen Fähigkeiten eingenommen ist, dass er seinen S.H.I.E.L.D.-Ausweis einfach achtlos auf einem Tisch liegen lässt (achtet mal drauf, mit elliptischer Montage kann man sich da nur schwer herausreden), spricht nicht für seine herausragende Intelligenz (oder die der Filmemacher).

Captain Marvel (Ryan Fleck & Anna Boden)

© Marvel Studios 2019

Die eigentliche Story-Mischung überzeugt eigentlich, es gibt auch wieder einige tolle Lacher, aber beim Showdown (generell ein Problembereich bei Marvelfilmen, weil sich die Effekte in den Vordergrund schieben) ist es diesmal so, dass Captain Marvel irgendwann ihre nicht geringen Kräfte so unter Kontrolle hat, dass die Spannung irgendwie raus ist. Zu Beginn wirkt alles sehr gefährlich, man blutet in unterschiedlichsten Farben, doch irgendwann geht es nur noch um kurzweilige Gags, völlig unabhängig, wie verlogen, intrigant oder bösartig die Figuren sind - man ist offenbar zwischendurch übereingekommen, dass die steig anwachsende Schar von Nebenfiguren in späteren Filmen noch gebraucht wird.

Aus der Mischung von modernen SciFi-Klassikern wie Source Code, The Thing und Alien (die Katze auf dem Raumschiff!) wird nach der starken ersten Hälfte plötzlich eine harmlose Familienunterhaltung, bei der konventionelle Wertvorstellungen die Diversitäts-Botschaft wie eine Sonnenfinsternis ausblocken. Und gerade auch der feministische Subtext zeigt sich eher bei einer Superheldin »in the making« wie der elfjährigen Monica (ich bin im Marvel-Universum nicht firm genug, um sie sofort einzuordnen zu können, aber ich hätte ohne weiteres 50 Euro gewettet, dass ich zu der Figur was auf wikipedia finden würde - was dann auch stimmte) als bei der zu problemlosen Instant-Freundschaft zwischen Captain Marvel und Nick Fury. Und so ein Gag wie der, wo der außerirdische Scanner verkündet: »Species: human male; Threat: low to none« - das ist zwar ganz putzig, wirkt aber aufgesetzt und halbherzig. Mal ganz abgesehen davon, dass das Geschlecht kein Bestandteil der Spezies ist und man auch nie erfährt, ob die menschlichen Frauen jetzt gefährlicher sind als so ein CGI-gebügelter Sam Jackson.

Captain Marvel (Ryan Fleck & Anna Boden)

© Marvel Studios 2019

Solche Filme sind ja für ein junges Publikum konzipiert und nicht für Ü50-Leute wie mich, aber ich fand es irgendwie auch ein wenig traurig, dass die Repräsentation der 1990er sich hier mehr oder weniger in einem bei »Radio Shack« zusammengekauften Kommunikationsgerät à la »E.T. phone home!«, überholten Trägermedien (Blockbuster Video) und langen Computer-Ladezeiten erschöpft, wo einem Peter Quill noch weismachen wollte, dass in den 1970ern alles superdufte war.

Captain Marvel war innerhalb der MCU-Filme akzeptables Mittelfeld mit ein wenig verschwendetem Potential, an meiner Entscheidung, das Endgame ganz gezielt auszulassen, weil man inzwischen längst ziemlich genau weiß, was da passieren wird und ich im Kino Filme sehen will und nicht vier zusammengeschnittene Episoden einer Fernsehserie, ändert Carol Danvers nichts.