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29. Mai 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Ma (Tate Taylor)


Ma
(Tate Taylor)

USA 2019, Buch: Scotty Landes, Kamera: Christina Voros, Schnitt: Lucy Donaldson, Jin Lee, Musik: Grogory Tripi, Kostüme: Megan Coates, Production Design: Marc Fisichella, Set Decoration: Carmen Navis mit Octavia Spencer (Sue Ann Ellington), Diana Silvers (Maggie Thompson), Juliette Lewis (Erica Thompson), McKaley Miller (Haley), Corey Fogelmanis (Andy Hawkins), Gianni Paolo (Chaz), Dante Brown (Darrell), Dominic Burgess (Stu), Luke Evans (Ben Hawkins), Tanyell Waivers (Genie Ellington), Tate Taylor (Officer Grainger), Heather Marie Pate (Ashley), Margaret Fegan (Stephanie), Missi Pyle (Mercedes), Allison Janney (Doctor Brooks), Kyanna Simone Simpson (Young Sue Ann), Matthew Welch (Young Ben), Skyler Joy (Young Erica), Nicole Carpenter (Young Mercedes), 99 Min., Kinostart: 30. Mai 2019

Regisseur Tate Taylor hat mich bisher nicht mit Ehrfurcht erfüllt. Bei The Help machte er aus einer dubiosen Buchvorlage einen nicht unbedingt besseren Film, Girl on the Train schlug trotz eines anderen Genres exakt in die selbe Kerbe (auch, wenn ich zugeben muss, dass ich in diesem Fall das Buch nicht gelesen hatte).

Octavia Spencers Meinung zu The Help könnte unter Umständen euphorischer ausfallen als meine. Nicht, weil sie wegen ihrer Hautfarbe ein profunderes Statement über das Thema abgeben kann, sondern weil sie für ihre Nebenrolle mit dem Oscar ausgezeichnet wurde und seitdem noch zwei weitere Nominierungen auf sich vereinigen konnte (für Hidden Figures und The Shape of Water).

Ma (Tate Taylor)

© 2019 Universal Pictures

Im Presseheft erfährt man, dass Taylor und Spencer sich einst als Produktionsassistenten bei der Grisham-Verfilmung The Jury kennenlernten und eine Zeitlang sogar eine WG teilten. Nun haben sich die guten Freunde wieder zusammengetan und Octavia Spencer durfte erstmals eine Kinohauptrolle spielen. Zu den Produzenten zählten nicht nur Spencer und Taylor, sondern auch Jason Blum, Gründer von Blumhouse Productions und die treibende Kraft hinter Horrorfilmen wie Paranormal Activity, The Purge, Get Out und der aktuell jüngsten Variation von Halloween (2018).

Diese Eckdaten prägen den Film. Die Story dreht sich um fünf Teenager, die sich zum Party-Machen mit der gut doppelt so alten, etwas pummligen schwarzen Sue Ann (Spencer) einlassen, die ihnen nicht nur Alkohol besorgt, sondern sogar ihren partytauglichen Keller zur Verfügung stellt. Zunächst nennen die Youngster sie liebevoll »Ma«, doch seltsame Ereignisse lassen einige von ihnen skeptisch werden. Diese Skepsis reizt der Film bis zum Gehtnichtmehr aus, wenn man einfach vom Horrorgenre ausgeht, dauert es volle 70 Minuten, bis die gruselige Ambivalenz sich mit einer nicht mehr misszuverstehenden Endgültigkeit in den Showdown schwingt.

Ma (Tate Taylor))

© 2019 Universal Pictures

Der Film bedient dabei zwei unterschiedliche Zielgruppen, neben den horroraffinen Teens und Twens auch die Freunde von Octavia Spencers schauspielerischer Darbietung. Aus der Sicht von Sue Ann, die viele psychologische Beweggründe aus dem Drehbuch bezieht, irgendwann aber so durchgedreht ist wie eine Scheißhausratte, wirkt die Geschichte wie eine generationenübergreifende Kombination zweier der bekanntesten (verfilmten) Stephen-King-Romane, wobei Sue Ann gleich beide weiblichen Hauptrollen aus Carrie und Misery repräsentiert.

Hier und da spielt man auch mit race issues (quasi-obligatorisch für den Produzenten von BlacKKKlansman und den zwei Jordan-Peele-Filmen), verschenkt hierbei aber vieles an Potential und wirkt etwas plakativ.

Ma (Tate Taylor)

© 2019 Universal Pictures

Ma ist vor allem Spaß-Horror mit einer großartigen Besetzung. Die Jungspunde geben sich redlich Mühe (Diana Silvers und Kyanna Simone Simpson stechen positiv heraus), aber in den gealterten Rollen, die einst bei De Palma von Amy Irving, Nancy Allen und John Travolta gespielt wurden, findet man hier Juliette Lewis, Missi Pyle und Luke Evans, die sich mit der selben Spielfreude ins Getümmel stürzen wie Octavia Spencer. Und aus ihrem TV-Ausflug bei Mom bringt Octavia auch noch ihre Kollegin (und ebenfalls Oscar-Gewinnerin) Alison Janney für eine kleine Rolle mit - und Regisseur Tate Taylor, der hin und wieder auch mal schauspielt, übernimmt einen Horrorfilm-Standard.

Mit welcher Inbrunst Drehbuchautor Scotty Landes (Pokémon: Detective Pikachu) fast jeder kleinen Nebenfigur einen kleinen scheinenden Moment zuschanzt (Die Pfarrerstochter! Der schwule Co-Worker!), das macht irgendwie Spaß, und bei den vielen hübschen Ideen fällt es nicht so schwer, die vermurksten Einfälle wohlwollender durchzuwinken. Wer nicht generell etwas gegen Horrorfilme hat, wird hier größtenteils ganz gut unterhalten, die anderen beiden Filme, die ich vom Regisseur kenne, waren um ein Vielfaches ärgerlicher!

Ma (Tate Taylor)

© 2019 Universal Pictures

Und wie einst Kathy Bates gönnt man Octavia Spencer die Zeit, die sie hier nutzen darf, um ausnahmsweise mal eine Figur auszubuchstabieren. Wäre natürlich noch toller, wenn es nicht so eine durchgedrehte Psychotante wäre...

Übrigens: die tagline auf dem deutschen Plakat (»Sie sieht alles«) kann nicht im Ansatz mit der schleichenden Perfidität des Originals mithalten, wo Sue Ann nur ihre besten Wünsche ausdrückt, dabei aber genaus so suspekt wirkt (»Get home safe«).