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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




24. Oktober 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 192:
Abscheulichkeiten


Die räumliche Nähe impliziert einen Bezug des CM-Titels zum obersten Film, was aber keinesfalls beabsichtigt ist. Für die Benennung sind eher Michael Myers, Austrofaschisten und rein persönliche Erfahrungen verantwortlich.


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  Touch me not (Adina Pintilie)

Touch me not
(Adina Pintilie)

Rumänien / Deutschland / Tschechische Republik / Bulgarien / Frankreich 2018, Rumänischer Titel: Nu ma atinge-ma, Buch, Schnitt: Adina Pintilie, Kamera: George Chiper-Lillemark, Musik: Ivo Paunov, musikalische Unterstützung: Einstürzende Neubauten, Kostüme: Maria Pitea, Production Design: Adrian Cristea, mit Laura Benson, Tómas Lemarquis, Christian Bayerlein, Grit Uhlemann, Adina Pintilie, Hanna Hoffmann, Seani Love, Irmena Chichikova, Rainer Steffen, Georgi Naldzhiev, Dirk Lange, Annett Sawallisch, 125 Min., Kinostart: 1. November 2018

Die »bildende Künstlerin« Adina Pintilie schert sich offenbar wenig um die üblichen Schubladen bei Filmemachen. Ihr bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären ausgezeichneter Film durchbricht viele Grenzen, denn auch wenn vieles wirkt wie ein Dokumentarfilm über unterschiedlichste Menschen in einem »Touch-Workshop«, so gibt es nebenbei auch Spielszenen, und die Protagonisten sind nicht alles Laien, die sich selbst darstellen wie der an spinaler Muskelatrophie leidende Christian oder die Transfrau Hanna, sondern auch halbwegs bekannte Schauspieler wie Laura Benson (Dangerous Liaisons, Prêt-à-porter) als Frau mit Angstzuständen oder der Isländer Tómas Lemarquis (Noi albinoi, Snowpiercer).

Das »philosophische Film-Essay« ist gleichzeitig eine emotionale Entdeckungsreise dieser Protagonisten, die ganz unterschiedlich zögerlich die Intimität erkunden, unter dem Auge der Kamera, die selbst auch teilweise wie ein Protagonist inszeniert wird.

Der Film polarisiert dabei stark, weil nicht jeder Zuschauer gleich offen auf die Bilder reagiert. Etwa die offen ausgelebte Sexualität Christians mit seiner nicht-behinderten Freundin Grit oder die Beklemmungen von Laura, die sich statt Berührungen eher über einen engagierten Callboy, den sie beim Onanieren beobachtet, »erfährt«.

Rein filmisch arbeitet Pintilie besonders auffällig mit einem geringen Schärfenbereich (eine Entsprechung des Themas Intimität?) und ihren komplett für den Film geschaffenen, auf den uneingeweihten Betrachter klinisch wirkenden Räumen und Kostümen à la THX-1138.

Manche Szenen sind deutlich ästhetisiert in ihrer demonstrativen Erotik, andere konfrontieren den Betrachter mit Dingen, die man vielleicht so eher nicht sehen will, etwa wenn man Christian näherkommt, als man sich das im öffentlichen Raum vermutlich jemals auch nur erdacht hat.

Mal wirkt die Erfahrung dokumentarisch, dann wieder nachsynchronisiert und bis ins Detail durchgeplant. Und man wird als Zuschauer immer wieder gefordert, wenn man sich nicht (durchaus berechtigt) selbst »zurückzieht« wie Laura.

Auch was Nationalitäten und Sprachen angeht, macht es einem der offenbar ganz auf seine Produktionsländer hin zusammengecastete Film nicht leicht. Man hat ja die Untertitel, an denen man sich orientieren kann (auch, wenn die mehrfach ziemlich suboptimal ausfallen, wenn aus Tómas zwischenzeitig »Tudor« wird, was ich komplett nicht begriffen habe), aber hier und da wirkt es so, als sprechen die Protagonisten in unterschiedlichen Sprachen irgendwie aneinander vorbei. Jeder nutzt eine Sprache, in der man sich entspannt fühlt, aber die »Regeln« werden anders verlautet.

Mir fiel es besonders schwer, mit den oftmals aufgesetzt wirkenden Spielszenen warm zu werden. Ich will der Regisseurin keineswegs unterstellen, dass sie beispielsweise Christian für ihren Film ausnutzt - auf mich wirkte es eher wie in einem Versuchslabor, wo Affen, Kaninchen und Mäuse miteinander geskriptete Dialoge führen. Nur selten konnten sich die alles beherrschende Künstlichkeit und die aktiv gesuchte Authentizität wirklich so treffen, dass daraus mehr als eine Konfrontation dieser Extreme entstand.

Touch me not ist durchaus interessant, man kann in diesem Film durchaus etwas über Intimität und Sexualität erfahren, aber für mich war vieles einfach zu arty-farty, mehr echte Menschen, auch, wenn ich nicht unbedingt immer mit ihnen im Fahrstuhl steckenbleiben will, wären mir einfach lieber gewesen.


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  Halloween (David Gordon Green)

Halloween
(David Gordon Green)

USA 2018, Buch: Jeff Fradley, Danny McBride, David Gordon Green, basierend auf Figuren von John Carpenter & Debra Hill, Kamera: Michael Simmonds, Schnitt: Tim Alverson, Musik: John Carpenter, Cody Carpenter, Daniel Davis, mit Jamie Lee Curtis (Laurie Strode), Andi Matichak (Allyson), Judy Greer (Karen), Will Patton (Officer Hawkins), Haluk Bilginer (Dr. Sartain), Julia Gardner (Vicky), Jim Courtney (Michael Myers / »The Shape«),Jefferson Hall (Aaron Korey), Rhian Rhees (Dana Haines), Jibrail Nantambu (Julian), Nick Castle (»The Shape«), 109 Min., Kinostart: 25. Oktober 2018

Regisseur David Gordon Green ist ein Komödienspezialist, probiert sich aber immer wieder gerne (und durchaus mit Erfolg) in anderen Genres aus, wovon so unterschiedliche Filme wie Snow Angels, George Washington oder jüngst Stronger. Zusammen mit Schauspieler Danny McBride, mit dem Gordon u.a. in Pineapple Express und der Fernsehserie Eastbound & Down zusammenarbeitete, und dem noch etwas unbekannteren Drehbuchautoren Jeff Fradley (Your Highness) verstieg sich das Freunde-Triumvirat in eine Idee, wie man zum 40jährigen Jubiläum die Halloween-Filmserie, nach unzähligen Anläufen à la »jetzt aber wirklich der letzte Teil« und dem Rob-Zombie-Reboot nicht unbedingt das heißeste Franchise des Genres, wieder interessant gestalten könnte. So zumindest die publizierte Legende.

Man besann sich auf John Carpenters ersten Film, änderte zwei vergleichsweise kleine Details der Geschichte und kümmerte sich abgesehen von kleinen Hinweisen für die langjährigen Fans kaum um die diversen Filme seitdem.

Michael Myers sitzt jetzt seit Jahrzehnten in einer psychiatrischen Klinik, die Designelemente von The Silence of the Lambs und Das Cabinet des Dr. Caligari auf recht kongeniale Weise miteinander kombiniert (»Do not cross the line under any circumstance!«). Die Rolle von Donald Pleasance / Dr. Loomis übernimmt quasi sein in die Historie eingefügter Nachfolger, der Arzt Dr. Sartain (Haluk Bilginer), außerdem gibt es noch ein Paar »investigativer Internetreporter«, die Myers befragen wollen. Damit hat man bereits genug Personal, um gut die erste halbe Stunde mit (Überraschung!) Myers' Ausbruch und den ersten Opfern über die Runden zu bekommen.

Mit einer gewissen Behäbigkeit (während in Zwischenschnitten Myers Terror verbreitet und sich eine Tankwartuniform »ausleiht«) wird dann von Laurie Strode (Jamie Leigh Curtis), dem damaligen final girl erzählt, die sich in einer gewissen Verbohrtheit jahrzehntelang auf Myers' Rückkehr vorbereitet hat und darüber den Bezug zu ihrer Tochter Karen (Judy Greer) verlor. Die Enkelin Allyson (Andi Matichek) gibt sich indessen Mühe, die beiden wieder zusammenzubringen.

Dadurch hat man schon eine gewisse Vorstellung, wie sich der Showdown des Films vermutlich entwickeln wird, aber vorher gibt es noch eine Halloweenparty ausgelassener Teenager, die dem mal wieder bevorzugt hinter dunklen Hecken lauernden Myers viele Möglichkeiten bietet, unbarmherzig und nahezu unaufhaltsam in entspanntem Schritttempo mordend durch Haddonfield zu ziehen. Auffälligste Unterscheidung: er benutzt nicht mehr bevorzugt ein großes Messer, sondern ist sich auch nicht zu schade durch bloße übermenschliche Gewalt oder simple Werkzeuge wie einen Hammer Anatomie und Knochenbau seiner Opfer neu zu arrangieren. Das erinnert mitunter durchaus an die Effekte eines Rob Bottin aus Carpenters The Thing, nur irgendwie viel statischer und eher mit einem »Schaut mal her!«-Effekt statt mit wirklichem Grusel.

Gordon und seine Mannen haben aber andere Mittel, um innovativen Terror zu verbreiten. Aus dem Trailer kennt mancher vielleicht die Szene, wo eine verängstigte Insassin einer Tankstellen-Toilettenkabine (»Excuse me, someone in here!«) Myers über den Gang stapfen hört, ehe der gewisse »Souvenirs« seines letzten Mordes über die Kabinentür fallen lässt. Und ziemlich großartig und ganz dem Original nachstrebend ist auch eine längere Plansequenz am frühen Abend, wenn Myers inmitten lauter umherziehender verkleideter Kinder mal einige Vorort-Häuser aufsucht und wie nebenbei seinem tödlichen Geschäft nachgeht.

Die vermutlich beste Idee des Films scheint die angestammten Regeln des Franchise komplett neuzusortieren, wird aber leider nur für etwa 6-7 Minuten durchgespielt, ehe man wieder zum Standard zurückkehrt.

Nebenbei spielt die Story des ersten Films hier eine große Rolle (teilweise verwendet man sogar altes Material), und auch John Carpenter steht hinter dem Film und hat u.a. zusammen mit seinem Sohn das alte Synthesizer-Thema wieder aufgefrischt. Und man behauptet sogar, dass einer der Deputys von damals immer noch seinen Dienst verrichtet.

Aber die Entscheidungen des letzten Drittels des Films wirken dann doch nicht so innovativ, sondern eher etwas altbüchen und vorhersehbar. Letztlich kann man als Zuschauer recht einfach zwischen den überlebenstauglichen Figuren und den zum Opfer prädestinierten unterscheiden. Da wäre ein kleiner Schock wohl die bessere Idee gewesen, als aus dem Film im Ansatz eine Familienzusammenführung zu machen.

Außerdem nervt es mich tierisch, dass ausgerechnet die arschigste Figur des Films (auch ohne detaillierte Beschreibung gut auszumachen) offenbar überlebt. Da fehlt mir die Moral der alten EC-Comics, die auch im Teen-Slasher-Genre immer eine große Rolle spielt. Durch das Rühren der Werbetrommel und der durchaus begabten und interessanten Filmemacher habe ich einfach zu viel erwartet. Außerdem hat es dem Film auch nicht wirklich geholfen, dass man zur Pressevorführung vermeintliches Zielpublikum eingeladen hat. Die fünf angetrunkenen Gestalten in der Sitzreihe vor mir, die der Meinung waren, sie können Michael Myers' gutturales Raunen perfekt nachahmen (viele Sechsjährige hätten das besser hinbekommen), kamen sich dem Film gegenüber derart überlegen vor, dass sie ihn auch mir kaputt gemacht haben. Deshalb mein Tip: Vielleicht nicht unbedingt im direkten Halloween-Umfeld ins Kino gehen. Am 3. oder 4. November müsste der Film auch noch in den meisten Kinos der Vorwoche laufen.


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  Wuff (Detlef Buck)

Wuff
(Detlef Buck)

Wie man anhand des dezidiert anderen Schreibstils gut erkennen kann, war diese Rezension ursprünglich nicht für satt.org konzipiert, sondern fiel anderswo durch die Qualitätskontrolle. Während die andere Publikationsstätte in Zukunft auf meine Mitarbeit verzichtet, kann ich ohne Probleme hinter dem aussortierten Text stehen und ihn hier veröffentlichen. Ansprüche unterscheiden sich halt auch mal.

Regisseur, Schauspieler und Tierfreund Detlev Buck (Karniggels, Hände weg von Mississippi, Bibi & Tina) ist auf den Hund gekommen. In seiner neuen Beziehungskomödie Wuff, die nur acht Wochen nach dem Start seines letzten Regiestreichs Asphaltgorillas in die deutschen Kinos kommt, spielen neben einer publikumswirksamen Schauspielerriege haarige Vierbeiner eine große Rolle. Hunde sind hier nicht nur »die besseren Menschen«, sie bringen auch mehrfach ihre Frauchen, Herrchen und Aufpasser zusammen.

Im heutigen Berlin sucht eine illustre Riege junger Erwachsener nach einem Lebensziel und oft auch -Partner. Die aufstrebende Journalistin Ella (Emily Cox, Jerks) wird von ihrem Freund Oscar (Holger Stockhausen) in der gemeinsamen Beziehung wie im Beruf ausgebootet. Für das hippe Magazin, bei dem er jetzt ihr Vorgesetzter ist, soll sie einen Aufmacher über »den Wald« schreiben, was sie als unfaires Nachtreten des längst wieder liierten Exfreundes einstuft. Ella besorgt sich im Tierheim - wie zur Spiegelung der eigenen Stimmung - Mischling Bozer, den vermeintlich »traurigsten Hund der Welt« - und trifft, auf die Kartenlegebotschaft »Folge dem Hund« vertrauend, auf den sympathisch-attraktiven Förster Daniel (Kostja Ullmann, Mein Blind Date mit dem Leben). Ex-Fußballprofi Oli (Frederick Lau, Victoria) droht nach einer Knieverletzung in Spielschulden zu versinken, und übernimmt widerwillig die vorübergehende Verantwortung für den kleinen Mops Elfriede seiner im Krankenhaus landenden älteren Bekannten Frau Klein (Katharina Thalbach). Am liebsten würde er den verwöhnten Pinscher in einer Hundepension abgeben, doch bei der Hundeexpertin Silke (Marie Burchard, Sankt Maik) sind ihm die Preise zu gesalzen. Stattdessen entdeckt er auf wundersame Weise sein eigenes Talent für die Hundebetreuung und eröffnet einen Konkurrenzbetrieb. Die zweifache Mutter Cécile (Johanna Wokalek, Die Päpstin) sieht im Berner Sennenhund Simpson eine hoffnungsvolle Therapiemöglichkeit für ihren behinderten Sohn Nico (Thibaud Kurtz), doch Vater Max (Urs Jucker), ein berühmter, häufig umherreisender Pianist fühlt sich durch den Hund bedroht, was schwelende Probleme in der Ehe aufbrechen lässt.

Zusammen verwoben sind die drei Hauptstränge der Handlung durch eine kleine Frauengruppe, zu der neben Ella, Silke und Cécile auch noch Lulu gehört. Der schauspielerisch noch unbeschlagenen Musikerin Maite Kelly (Let's dance) wird die deutlich kleinere Rolle als Katzenfreundin (!) beschert, die sich fast schon in ihren Beziehungsbemühungen mit dem Arzt Prof. Dr. Seligmann (Bastian Reiber) erschöpft, der mit allen vier Frauen im Verlauf des Films interagiert und so eine zweite lockere Klammer liefert. Drehbuchautorin Andrea Willson (SMS für Dich) bewegt sich hier kaum aus ihren vertrauten Gefilden heraus, Wuff ist zwar keine glasklare romantische Komödie, aber die Wohlfühlaspekt und die größtenteils heile Welt bestimmen die Atmosphäre des Films schon deutlich. Während des Vorspanns sieht man neben zusätzlichen Hunden auch einen Durchschnitt durch die Berliner Gesellschaft, zu dem auch ein Obdachloser und eine Pfandflaschensammlerin gehören, doch in der eigentlichen Filmhandlung zeichnen sich die Protagonisten inklusive des verschuldeten Oli dadurch aus, dass sie lange Zeit die Existenz von Geldscheinen unterhalb einer Notation von 100 Euro zu leugnen scheinen. Das ist zwar nur eine winzige Beobachtung, die sich nicht durch den gesamten Film zieht, ist aber für die sich schnell in Wohlgefallen auflösenden »Probleme« der Figur[en] prägend.

Die ambitioniertesten Elemente von Wuff sind abgesehen vom gewöhnungsbedürftigen Titel etwa die folgenden zwei: eine der Episoden kommt (wenn auch in überschaubar wenigen Winz-Szenen) komplett ohne Zweibeiner und Dialoge aus: ein Streuner läuft weg und erlebt kleine angerissene Hundeabenteuer; außerdem hat nahezu jede der menschlichen Hauptfiguren zwischendurch mal eine die Handlung durchbrechende und belebende Zukunftsvision. Beispielsweise zieht Oli bei einem ungünstig verlaufenden Pokerspiel einfach mal eine Schusswaffe, Ella träumt vom Nacktschwimmen mit dem Förster oder Cécile greift beim anstrengenden Familiengespräch kurzerhand zur entspannenden Haschpfeife. Hier spürt man, dass es dem einst als »D.W. Buck« (nach den Initialen von Filmpionier David Wark Griffith) auftretenden Filmemacher nicht reicht, nur eine »Lebenskomödie« (Pressetext) mit Hunden abzuliefern. So sind auch der emotionale Ehezwist um das einmal von einem Passanten als »Mongo« bezeichnete Sorgenkind Céciles, des Försters Ausführungen über die faszinierende Welt des Waldes oder Olis Sehnsucht nach den reichen oberflächlichen »Spielerfrauen« Ansätze, über die bloße Komödie nach Til-Schweiger-Schema hinauszugehen - doch letztlich wirken diese Realitätssplitter nur wie bunte Zuckerstreusel auf einem ansonsten hausbackenen Marmorkuchen.

Doch der Hund als des Deutschen liebstes Tier wird zusammen mit der prominenten Besetzung und dem gut durchdachten Plakat, das voll auf diese Stärken setzt, auch diesen Buck zu einem Selbstläufer machen. Das Overacting von Katharina Thalbach als wunderlicher Alte, die allzu melancholische Stimmung von Emily Cox als Frisch-Verlassene und die tierpsychologisch komplett unglaubwürdige Inszenierung / Montage von Olis »Hunde-Fußballspielen« werden dem Erfolg des Films nicht im Wege stehen. Als kleinen Bonus gibt es noch mehrere kleine Rollen und Winzigstauftritte einer breit gefächerten Promi-Klientel: von Milan Peschel über Kida Khodr Ramadan und Judy Winter bis hin zu Guido Maria Kretschmer (Promi Shopping Queen).

Ohne große Ansprüche (aber auch ohne wirkliche Ärgernisse) eine weitere routinierte Buck-Komödie für das breite Publikum, das sich an Kostja Ullmann oder Maite Kelly nicht satt sehen kann.

Nachtrag: In einer perfekten Welt hätte ich mehrere der Darsteller (und -innen) von Wuff bei den »Vergleichsfilmen« (und insbesondere -serien) direkt mit bestimmten erfolgreichen Privatsendern in Bezug gebracht (die vermutlich jeweils zum Kinostart tüchtig die Werbetrommel mitrühren werden) - doch mit Rücksicht auf den Auftraggeber habe ich mir das verkniffen. Bei satt.org ist meine Rücksichtsquote deutlich geringer (denn ich bin weitestgehend mein eigener Chef) - aber ich wollte den Text im Nachhinein (bis auf den einen korrigierten Flüchtigkeitsfehler und eine kleine Klammer, bei der ich ohnehin davon ausging, dass sie gestrichen werden würde) nicht mehr verändern.

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  Der Trafikant (Nikolaus Leytner)

Der Trafikant
(Nikolaus Leytner)

Österreich / Deutschland 2018, Buch: Klaus Richter, Nikolaus Leytner, Lit. Vorlage: Robert Seethaler, Kamera: Hermann Dunzendorfer, Schnitt: Bettina Mazakarini, Musik: Matthias Weber, Kostüme: Caterina Czepek, Ausstattung: Bertram Reiter, mit Simon Morzé (Franz Huchel), Johannes Krisch (Otto Trznjek), Anezka (Emma Drogunova), Bruno Ganz (Sigmund Freud), Michael Fitz (Roter Egon), Regina Fritsch (Margarete Huchel), Karoline Eichhorn (Anna Freud), Rainer Wöss (Rosshuber), Sabine Herget (Frau Rosshuber), Gerti Drassel (Frau Doktor), 113 Min., Kinostart: 1. November 2018

Österreich 1937, im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs, zunehmend im festen Griff der Nazis. Ein junger Mann vom Lande, der in Wien seine ersten Erfahrungen mit der Liebe macht. Ihm zur Seite stehen ein einbeiniger Kioskbetreiber und der bereits betagte und gesundheitlich angeschlagene Sigmund Freud - gespielt von Bruno Ganz.

Leicht nachzuvollziehen, dass Regisseur Nicolaus Leytner, als ihm im 2012, kurz nach Erscheinen von Robert Seethalers Roman Der Trafikant, bei der Lektüre »ein außergewöhnlicher, ein wunderbarer Filmstoff« vorschwebte. Nur schade, was daraus gemacht wurde.

Die Figuren sind teilweise durchaus interessant angelegt. Der junge Franz (Simon Morzé) wirkt etwas naiv, aber lädt zur Identifikation ein, seine Mutter Margarete (Regina Fritsch) hat, allein in der Provinz zurückgeblieben, ihre eigenen Probleme (und Lösungen) zum Machtwechsel entwickelt, und insbesondere der Trafikant (ösideutsch für Kioskbetreiber, nach dem italienischen Wort für Handel und Verkehr) Otto Trsnjek (Johannes Krisch), der einst »einen Sommer bei Margarete verplanschte« und jetzt ihren Sohn zum Tabakverkäufer ausbildet, zeigt trotz seines körperlichen Gebrechens (»ich habe 1917 meinen Fuß für das Land gelassen«), überdurchschnittlich viel Rückgrat und tut das seinige, um Franz zu einem eigenverantwortlichen Bürger zu erziehen.

Die zunächst schleichende braune Bedrohung bahnt sich ihren Weg ins Alltagsleben, Nachbarn drangsalieren Otto, der »rote Egon«, ein im Kiez bekannter Linker, droht auch am Wandel zu zerbrechen - doch die Konflikte werden im eher biederen als bildungsbürgerlichen Degeto-Format allzu hübsch verpackt, während manche Dialoge und visuelle Lösungen eher unfreiwillig erheitern als zum Ernst der Situation zu passen.

Die vermutlich dem Roman entlehnte Bildmetaphorik um tote Ratten und andere Tierkadaver wird zur possierlichen Vorführung pelziger Präparate. Die auf die Freudsche Traumdeutung zugeschnittenen Nachtmahre Franzens werden bevorzugt mit antiseptischen Studio- und CGI-Bildern illustriert und selbst die liebevoll ausgestatteten Straßenkulissen werden spätestens dann zur Lachnummer, wenn Franz und seine vermeintliche Traumfrau Anezka (Emma Drogunova) des Nachts splitterfasernackt durch den gänzlich unglaubwürdigen Kunstschnee hopsen (beinahe hätten sie noch »Schneeengel« in die artifiziellen Flocken getrieben).

Über die Romanvorlage schrieb einst Die Presse »Da ist kein Wort zu viel. Und ganz sicher keines zu wenig.« Nach der Sichtung des Films klang das schon nicht mehr so schmeichelhaft für mich, wie es wohl gemeint war. Insbesondere der »ganz sicher«-Teil.

Es ist müßig, anhand einer Verfilmung Prognosen über den Roman zu wagen (insbesondere, was die literarische Qualität angeht). Aber es scheint unumstritten, dass Regisseur Leytner und sein jüngst verstorbener Co-Autor Klaus Richter (schrieb fünf Drehbücher für Joseph Vilsmaier, auch so ein Degeto-Epigone) dem Roman einen Bärendienst erwiesen haben. Ich lese gern einmal die Buchvorlagen zu diversen Filmen, selbst, wenn mich die Leinwandergüsse nicht so überzeugten. Aber beim Trafikanten hat der Film jedwedes Interesse am Buch im Keim erstickt.

Allgemeinplätze und Sprüche fürs Poesiealbum wechseln sich hier als Dialoge ab. So stammt die etwas durchtriebene Anezka »aus einem Dorf, das an einen Hügel geschmiegt ist wie an einen dunklen Liebhaber«, kubanische Zigarren werden »von schönen Frauen in zarter Handarbeit auf dem Oberschenkel gerollt« (hier schwingt immerhin noch Ironie mit) und »eine schlechte Zigarre, die schmeckt nach Pferdemist, eine gute nach Tabak und eine sehr gute nach der Welt« (quasi die erste Lektion, wenn man sich mit dem Tabakhandel befassen will).

Apropos Frauen und Zigarren: »Mit den Frauen ist es wie mit den Zigarren - wenn man zu sehr an ihnen zieht, verweigern sie den Genuss«. Das lässt mich an die Mutter von Forrest Gump und ihre Pralinen denken. Franz zitiert sogar auf die selbe Art: »Heimat ist Heimat und Zuhaus ist Zuhaus, sagt meine Mutter.« Viel Geschwafel, wenig Aussage. Und Gevatter Hitler ist mal wieder heißhungrig auf sein Schnitzel, wie bei Tex Averys Blitz Wolf.

So werden die guten Ansätze der Geschichte fast allesamt verspielt. Franzls sehr persönlicher Kampf gegen die umtriebige austrofaschistische Regierung ist geprägt von seiner Naivität, die auch reichlich von der filmischen Umsetzung gespiegelt wird. Ein Meisterstück an Idiotie, das einem dezidierten Erbsenzähler wie mir natürlich auffallen muss, soll diesen Text beenden: Die Verkaufsfront von Ottos Laden wird durch eine Schmiererei verunziert: »Hier kauft der Jud!« - Franz gibt sich Mühe, die Botschaft zu entfernen ... und beginnt dabei ausgerechnet mit dem vergleichsweise wenig anklagenden Wort »der«, an dem er ausgiebig herumschrubbt. Ich kann nachvollziehen, dass man dem überforderten Fernsehzuschauer die Möglichkeit geben will, den Schmähspruch noch in der dritten Einstellung rekonstruieren zu können, doch hier leidet die Authentizität der Filmwelt leider zu sehr unter der simpel gestrickten filmischen Präsentation.


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  Career Day mit Hindernissen (Judy Greer)

Career Day mit Hindernissen
(Judy Greer)

Originaltitel: A Happening of Monumental Proportions, Buch: Gary Lundy, Kamera: Alison Kelly, Schnitt: Suzanne Spangler, Musik: Alec Puro, Kostüme: Molly Grundman-Gerbosi, Production Design: Michael Fitzgerald, mit Common (Daniel Crawford), Bradley Whitford (Arthur Schneedy), Storm Reid (Patricia Crawford), Marcus Eckert (Darius), Jennifer Garner (Nadine), Allison Janney (Principal Nichols), Rob Riggle (Vice Prioncipal Ned Pendlehorn), Anders Holm (Christian McRow, Musiklehrer), John Cho (Mr. Ramirez, Lehrer für Werken), Mary Birdsong (Melissa »Brick« Brickman, Head of Security), Katie Holmes, Nat Faxon (Paramedics), Kumail Nanjani (Perry, Human Ressources), Marla Sokoloff (Mindy), Poco Zocko (Kevin, der tote Gärtner), Keanu Reeves (Bob), 81 Min., Kinostart: 25. Oktober 2018

Ich bin ein Fan von Judy Greer seit ihren (in meiner Erinnerung relativ parallelen) Auftritten in 13 going on 30 und Adaptation. Ich habe auch ihr Buch I don't know where you know me from gelesen, und wenn sie mal wieder in irgendeinem Film eine kleine Rolle spielt, reicht das oft schon für mich, mir den Film anzuschauen.

Auf ihr Regiedebüt war ich einigermaßen gespannt, fragte mich dann aber während des Films mehrfach, warum man wohl auf die Idee kommt, sich ausgerechnet dieses Drehbuch für die erste Regiearbeit auszusuchen. Im Verlauf des Films ergründet man dies nur im Ansatz, ein Vergleich der Stabangaben mit früheren Filmen Greers als Darstellerin liefert da deutlich prägnantere Einblicke.

Judy Greer ist, wie sie in ihrem Buch über mehrere Kapitel ausführt, vor allem als »Co-Star« beliebt und wird gerade in den letzten Jahren für zunehmend erfolgreiche Filme engagiert, um meistens dabei im Hintergrund zu belieben. Die Bezeichnung »supporting actress« passt bei ihr auch ziemlich perfekt. Ob als Tochter von Jamie Lee Curtis in Halloween, als Affendarstellerin in der aktuellen Planet-of-the-Apes-Trilogie, als Exfrau von »Ant-Man« Paul Rudd oder als Bryce Dallas Howards Schwester bei Jurassic World: Judy unterstützt mit oft wenigen Szenen die eigentlichen Stars und gibt denen etwas notwendigen Background / Verankerung in einem fiktiven sozialen Gefüge, das realistisch wirken soll.

Man bekommt den Eindruck, dass sie als reale Person ähnliche Unterstützung liefern kann und eine tolle beste Freundin wäre. Und dies spielt sowohl bei der Besetzung von A Happening of Monumental Proportions eine Rolle (mehr dazu im nächsten Absatz) als auch irgendwie in der episodischen Struktur des Films, die im Grunde alle Darsteller zu solchen Co-Stars macht, die in vager Beziehung zueinander gemeinsam eine Art Handlungsnetz spinnen. Ein alleinerziehender, weil verwitweter Vater (Common) hat einen Boss mit ähnlichem Familienhintergrund (Bradley Whitford aus Get Out), die Kinder der beiden (sie könnten - ähnlich wie ihre Väter - kaum unterschiedlicher sein) lernen sich auf der gemeinsamen Schule kennen, in der der Hauptteil des Films spielt. Dort gibt es zwei Co-Direktoren (Allison Janney und Rob Riggle), die zum Career Day nicht unbedingt durch die Morgens gefundene Leiche eines Gärtners Negativschlagzeilen entfachen wollen, zwei Paramedics (Katie Holmes und Nat Faxon), die ihren Job machen sollen, und zwei Lehrer (Anders Holm und John Cho), die auch irgendwie in die Geschichte hineingezogen werden, wobei der Musiklehrer auch gerade von der Freundin verlassen wurde und perfekt auf den etwas hilflosen Sohn des erwähnten Bosses zugeschnitten ist. Gegen Ende sitzen diese beiden sogar zusammen auf dem Schuldach und werden für Selbstmordgefährdete gehalten (was zumindest bei einem von ihnen nicht gänzlich falsch ist). Weitere Stars in oft kleinen Rollen unterstützen dieses Ensemble-Fresko, das oft in den Einzelpaarungen zweier Darsteller weitaus stärker überzeugt als als großes Ganzes.

Judy Greer erklärt im Presseheft, wie sie das Drehbuch las und sich nebenbei passende Darsteller für die Figuren aufschrieb, die sie dann auch größtenteils bekommen konnte, weil es sich häufig um Freunde und Freundesfreunde aus der Hollywood-Mischpoke handelt. So etwa Jennifer Garner (spielte mit Greer in 13 going on 30), Allison Janney (Mom-Folge mit Judy), Bradley Whitford und Rob Riggle (je eine Folge Glenn Martin DDS), Mary Birdsong und Nat Faxon (beide wie Judy in The Descendants), John Cho (mit ihm spielte sie schon in zwei Filmen des hier als Produzenten fungierenden Paul Weitz, Grandma und American Dreamz) oder Keanu Reeves (Henry's Crime). Ihren Kolleginnen Katie Holmes und Marla Sokoloff stand Judy inzwischen jeweils in deren Regiedebüts als Darstellerin zur Seite - eine Hand wäscht die andere. Wenn noch Ashton Kutsher, Nicolas Cage und George Clooney durchs Bild gesprungen wären, hätte mich das auch nicht verwundert.

Leider ist es aber so, dass ausgerechnet der inoffizielle Hauptdarsteller Common (»first choice - the only cast member I didn't already know« - aber er macht ja tolle Musik...) mit seiner Rolle hoffnungslos überfordert war. Selbst Storm Reid (12 Years a Slave, A Wrinkle in Time) als seine kleine Tochter überzeugt deutlich mehr. Für ihre langjährige Sitcom-Erfahrung (in Two and a Half Men spielte sie über die Jahre drei oder vier verschiedene Rollen, von denen sogar mindestens zwei - Judiths Schwester und Waldens Exfrau - in mehreren Folgen auftauchten) fällt das Comedy Timing eher suboptimal aus, wenn im Film etwas klappt, dann sind das zumeist Einzelleistungen mancher Darsteller, besonders die winzige Szene, wenn Keanu Reeves mit einer unglaublichen Nonchalance und Körpersprache ein Hindernis umgebt und wie nebenbei seinen Hintermann davor warnt (»Watch your head!«).

Während des Films spielte ich mit dem Gedanken, meine Kritik auf ein einziges Filmzitat zusammenschrumpeln zu lassen: »Life's too short for comparing cocks with strangers in coffee shop bathrooms«. Wer sich jetzt durch den gesamten Text quälen musste für dieses versteckte Fazit, der durfte halt mitleiden ohne im Kino gesessen zu haben.

Die eine quasi-spannende Nichtnachricht, die ich noch über den Film zu vermelden habe: ich bin mir einigermaßen sicher, dass die rothaarige Angestellte, die mal drei Einstellungen lang Herrn Common aus einem Bürokomplex herausgeleitet, die Regisseurin selbst war. Leider war sie nur aus einer solchen Distanz zu sehen, dass ich es selbst auf der Kinoleinwand nicht visuell bestätigen konnte. Der Auftritt wäre aber passend uneitel ausgefallen.


Demnächst in Cinemania 193 (Future's Past):
Startaktuelle Rezensionen, vermutlich zu Assassination Nation (Sam Levinson), Cold War - Der Breitengrad der Liebe (Pawel Pawlikowski), Future World (James Franco & Bruce Thierry Cheung, DVD-Release) und Rememory (Mark Palansky).