Neue Kopien
Zeitschriften und Fanzines
Meine derzeitige Lieblingsliteraturzeitschrift ist die EJACULATA aus Leipzig - und das nicht nur wegen dem Zeitungsformat und dem knorke Layout. In der Nr. 5 berichtet Redakteur Clemens R. Sökefeld warum es in Hannover gefährlich werden kann und kann hier aus Braunschweig damit nur Applaus ernten. Kommissar Igor Pavlowitsch hat wie immer seine ganz eigene, wenn auch äußerst rabiate Weise seine Fälle zu lösen und Herr Klingenberg berichtet ein weiteres Mal gekonnt aus der Lüneburger Heide. Nach Redaktionsschluß schneite hier noch die Nummer Fünf der EJACULATA rein und sie scheint seiner Vorgängerin in nichts nachzustehen.
LIBUS stammt aus Berlin und ist ein äußerst ambitioniertes Kunst- und Literaturmagazin. So schafft es die Nr. 8 neben einem Gespräch mit Gisela Mey über Weil, Brecht, Lenya und nicht zuletzt über die heutige Spaßgesellschaft auf der einen Seite und einen Artikel über die Berlin Death Metal Union auf der anderen Seite unter einen Hut zu bekommen. Die Death Metal Union will Metalleraktivitäten des Berliner Undergrounds vereinen und wehrt sich gegen rechte Strömungen der Blackmetaller. LIBUS ist ein tolles Magazin für alle Kulturinteressierten (außer Zahnarztgattinnen).
Der HOLUNDERGROUND wird von Hadayatullah Hübsch herausgegeben und erscheint nur äußerst selten. Das vorliegende aktuelle Heft Nr. 4 erinnert stark an die Literaturundergroundmagazine der frühen neunziger Jahre, als Computer noch keine Rolle bei der Erstellung spielten, wie Kopfzerschmettern oder Bulettentango. Auf Hintergründen aus Werbeanzeigen wird ausschließlich Lyrik feilgeboten. Diese stammt von bekannten Szenenasen und weiß meist zu gefallen. Nicht mehr und nicht weniger ist dazu zu sagen.
Beim ENPUNKT sind keine inhaltlichen Veränderungen zu verzeichnen. Doch ich hatte auch nichts anderes erwartet. In der #35 dreht sich alles um die neue „bürgerliche Front gegen Rechts", Reiseberichte, Punkrockplatten und letztendlich (fast) nicht stattgefundenen Chaostagen 2000. Ja - ich lese das Egozine von Klaus N. Frick (Untertitel: Das Fanzine für Spät-Pubertierende) sehr gerne!
Natürlich habe ich mich gleich auf das Peter Hein (Fehlfarben, Family 5) Interview gestürzt, der dem OX Team genauso Rede und Antwort stehen musste wie Glen Matlock, der erste Bassist der Sex Pistols. Ja die Jungs aus Haan wissen schon, wie man mehrere Generationen von PunkrockanhängerInnen (?) befriedigen kann. Über 150 Seiten - Lesestoff für garantiert 12 Wochen. Und dann erscheint auch schon das nächste Heft.
Gleich im Doppelpack erreichte mich der TENTAKEL, welches die Hausschrift des Hildesheimer Wohn- und Kulturprojekt Trillkegut ist. Neben Geschichten und Gedichten vom WG-Küchentisch erzählen die BewohnerInnen von krassen Computergames, appen Fingern und nicht weniger als dreitausend Mönchen. Das Heft scheint auch immer fetter zu werden und Fremdbeiträge werden nun auch angenommen. Das Heft wirkt irgendwie „familiär“ auf mich.
Ups, da hat der Herr Bröker aber den Langhefter ordentlich beansprucht. Schließlich musste das arme Gerät gut 100 Seiten zusammenklammern. Herausgekommen ist dabei die Nummer 7 der HÄRTER. In dieser Sonderausgabe dreht sich alles um das Sissi-Syndrom. Das Sissi-Syndrom ist der Drang möglichst viel und gleichzeitig zu tut. Solange mensch dies tut, kann er nicht in die vorprogrammierte Depression fallen. Herausgeber Bröker meint sich und andere Kulturschaffende darin wiederzufinden - vielleicht hat er damit nicht unrecht. Ursprünglich sollte das Heft ein literarischer Kettenbrief werden, das klappte dann wohl aber doch nicht ganz. Was die vielenvielen Autoren (ausschließlich Männer) über Depressionen, Elisabeth von Österreich und ungestümen Tatendrang zu berichten haben ist derartig vielfältig, dass ich mir beim Lesen nicht immer sicher war, ob es sich tatsächlich um ein gemeinsames Schwerpunktthema handelte. Was die Qualität der Texte übrigens nicht schmälert. Eine solch gute Auswahl hätte ich mir bei den anderen Härter-Ausgaben auch schon gewünscht!
Ebenso fett wie die HÄRTER ist auch das Fanzine FATAL UNDERGROUND, aber dieses beschäftigt sich ausschließlich mit Undergroundmetall. Das Heft #9 ist vollgestopft mit Standards, also Plattenrezensionen und Interviews, wobei mir die interviewten Band erst mal nichts sagten. Und leider macht mit das Lesen von Interviews mit Menschen deren Musik ich nicht kenne, nicht besonders viel Spaß wenn zudem die Fragen nicht besonders originell sind. Meist geht es darum warum dies und jenes Stück geschrieben wurde oder warum man eine Band gegründet hat. Ok, das Heft ist für Undergroundmetaller aber sehr zu empfehlen, da von äußersten Infogehalt.
Sehr gefreut hat mich die Huldigung der grandiosen zweiten Razzia-Scheibe Ausflug mit Franziska im TRUST #85. Aber nicht nur olle Kamellen werden dargeboten, nein es gibt auch in dieser Ausgabe des „konservativen“ Musikfanzines aus Bremen Interviews (eine der Stärken des Trust) u.a. mit Snapcase und Enfold, viele Infos, Rezensionen usw.
Magazin für kulturellen Eigensinn ist die 50. Ausgabe des MY WAY untertitelt. Erstmal möchten wir recht herzlich gratulieren und ein Glas Erdbeersekt auf die nächsten 50 Ausgaben trinken. Innendrin ist es wirklich eigensinnig. Da berichtet die Journalistin Elisabeth Nagy über neue Filme und interviewt Volker Schlöndorff zu „Die Stille nach dem Schuss“ oder ein Museumsdirektor berichtet über eine interessante Arbeitsschutzausstellung. Nein der Underground wird nicht vergessen, aber eine Trennung zwischen den vorgestellten Kulturen will Herausgeber Ulrich Gernand genz bestimmt nicht!
Die zwanzigste Ausgabe von DAS DOSIERTE LEBEN befasst sich ausschließlich mit Sex. Passend dazu zeigt das Coverbild eine glückliche Spießerfamilie beim Abendessen in der schönen Ortschaft Sexau (wo man genießen kann). Nun ja, sexueller Genuss kann sehr unterschiedlich sein! Sehr lustig auch die Geschichten aus Bödigheim, dort stammen die beiden Herausgeber her und erinnern sich an ihre Jugendstreiche. Sehr gut gefallen haben mir auch die Besprechungen der Erwachsenenfanzines SEXY und SCHLÜSSELLOCH … Empfehlenswert auch die #19, dort dreht sich alles um Bipolarität!
„Eigentlich kacke“ findet Jerk Götterwind sein MY CHOICE und ich werde einen Teufel tun und ihm beipflichten! Natürlich hat das Heft Schwächen, aber den Artikel/Interview über englische Non-Leder-Schuhe fand ich sehr wichtig, ebenso das Eintreten für Aufklärung statt Hetze über sog. Kampfhunde. Nicht ohne Mängel wie gesagt, aber bestimmt nicht kacke!
Den schönsten Untertitel hat unbestritten die Nr. 3 der ZYPRESSE - Magazin für Leit- und Plankenkultur. Merz & Co finden das Kulturmagazin aus Neubrandenburg aber bestimmt nicht genauso klasse wie ich. Thema dieser Ausgabe lautet Jung & Schön - Schöne Zeit. Gleich eins auf den Deckel derjenigen Werbestrategen, die uns einreden wollen nur wer jung ist, ist auch glücklich gibt es von Christan Kube:
Drum reih Dich ein, sei kein Verlierer, / Falte die Hände und knie nieder! / Verneige Dich vor dem Hugo Boss / Und Calvin Klein lässt Dich nie mehr allein. / Gib nur Dein Gehirn am Eingang ab, / Komm nur rein und wir ziehen Dich ab.
Der Rest im Schnelldurchlauf: Die Entdeckung der Jugend durch die Politik, Kolumnen und Comics zum Thema, Vorstellung von Platten, Büchern und Jugendkulturen. Dieses Heft machen viele Dinge wichtig.
Natürlich musste es im KULT #12 ebenfalls eine Anspielung auf die leidige LeitKULTur-Diskussion geben. Ebenso wie auf Haarproben und Leute, die gar keine Haare haben. Ich konnte nicht alles lesen und beschränkte mich diesmal auf den sekundärliterarischen Teil des fetten Heftes von Ali Schreiber. So musste beispielsweise Franz Staab bei einer Lesung von Peter Rühmkorf feststellen, dass große Namen oft auch viel literarische Scheiße produzieren können. Sehr lobenswert die Beilage „Project-Check", in der zahlreiche Literaturmagazine vorstellt werden - auch wenn nicht mehr alle Daten aktuell sein dürften, eine Fundgrube für veröffentlichungswütige AutorInnen.
Literatur pur gibt es auf über 110 S. im WANDLER zu lesen. Geschichten und Gedichte von Menschen, die sehr sehr viel Spaß am Erzählen haben, zudem stilsicher sind. Der Haken an der Sache? Eigentlich gibt es keinen, außer dass mir persönlich viele Storys von der Handlung her nicht viel sagen.
Theo Breuer war mir bislang nur durch seine vielfältigen Mailartaktionen und durch seine markante Lyrik bekannt. Aber er gibt auch die Zeitschrift FALTBLATT heraus, die sich als lyrisches Blatt versteht und Arbeiten von Heike Smets (Ihre Gedichte bestehen oft nur aus einer handvoll Wörter), Andreas Noga und Frank Milautzcki vorstellt. Allen drei wird sehr viel Raum für Ihre Arbeiten eingeräumt. So unterscheidet sich das FALTBLATT massiv von solchen Heften, die möglichst viele AutorInnen zwischen die Coverpappe drucken will. Des weiteren werden Lyrikbände vorgestellt, über Lyrik und Lyriker doziert und die feine Eremiten-Presse vorgestellt. Für Lyrik-Fans sehr empfehlenswert!
BILDSTÖRUNG nennt sich das grafische Egozine von Roman Castenholz. Castenholz präsentiert hier auf schmetterlingsgelben Papier und auf wenigen Seiten seine Onepager und Comics, deren Handlung von politisch bis persönlich reicht. Den Stil kann ich schlecht einordnen, kann nur sagen, dass mir die meisten Sachen gefielen und habe mir einfach mal die Freiheit genommen auf diesen Seiten zwei Beispiele aus dem Heft nachzudrucken.
Sei konsequent - iss dich bitte schön selbst auf - Diese Zeilen begrüßen den Leser auf der siebten Ausgabe des BETONBRUCH. Innendrin findet sich nicht nur eine CD mit dem hübschen Titel Post onanierende Population Pop, kurz P.o.P.P., sondern auch wieder viele Texte aus dem Betonbruch-Kollektiv. Das Layout ist immer noch wild, aber die Texte gefielen mir diesmal besser als in den Ausgaben davor.