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Man hat ja immer eine Melodie, bevor man anfängt zu schreiben. Was Erich Arendt so selbstverständlich im Interview äußert, fällt doch beim Hören seiner Gedichte sogleich als außergewöhnlich auf. Hier ist ein Sänger am Werk, der mit seiner Tenorstimme klar und tönend und zugleich märkisch geerdet den Worten Leben einhaucht. Arendt versteht es, melodische Linien zu entwickeln, große Bögen zu spannen und den Gedichten dadurch Geschlossenheit zu verleihen. Im Mittelpunkt des Hörbuchs stehen Aufnahmen der Ägäis-Gedichte, die Arendt nach einem Aufenthalt in Griechenland Anfang der sechziger Jahre, kurz vor dem Mauerbau, schrieb: Gedichte mythisch-magischen Ursprungs, gesättigt vom Licht des Mittelmeers. Arendts Griechenland-Begeisterung ist kein Zufall. Für ihn besitzen die in der Antike ausgebildeten odischen Strophenformen noch einige Verbindlichkeit. Neben Ludwig Greve war er der einzige deutsche Dichter in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der sich in dieser Tradition derart exponierte. Und darum heißt es auch zwangsläufig Der mir der Liebste ist: Hölderlin. Arendt äußert dieses Bekenntnis zum größten deutschen Oden-Dichter in einem Interview, das für einen nicht verwirklichten Porträtfilm geführt wurde und hier erstmals zu hören ist. Im Gespräch mit Gerhard Wolf berichtet er von der Entstehung der Ägäis-Gedichte, von seinen ersten Veröffentlichungen in Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm Anfang der zwanziger Jahre. Er erzählt von seiner abenteuerlichen Biographie, den Jahren des spanischen Bürgerkriegs, als er einer katalanischen Division angehörte, und der Flucht nach Kolumbien, wo er sein Brot mit der Herstellung von Pralinen verdiente. Zudem findet sich auf der schön verpackten Doppel-CD ein in den fünfziger Jahren auf Hiddensee geführtes Interview mit Arendt und seiner Frau. Was in den Gedichten ganz unprätentiös daherkommt, klingt hier zuweilen gespreizt und priesterlich, bei Katja Hayek-Arendt sogar unangenehm affektiert. Die Rede von der Unabdingbarkeit der Kunst hinterlässt meist einen schalen Nachgeschmack. In den Gedichten dagegen behauptet sie sich von selbst. F.K. Waechter: Die letzten Dinge
Zwei Überraschungen hält dieses Hörbuch parat. Erstens: Man kann Cartoons vorlesen. Zweitens: Man kann Cartoons ganz fabelhaft vorlesen. Zumindest F.K. Waechter kann das, auch wenn es anfangs gar nicht danach aussieht, denn die Stimme des Zeichners erweckt erstmal einen recht schwächlichen Eindruck. Doch genau das, merkt man bald, macht den Vortrag stark. Waechter arbeitet in einer Stimmlage, die professionelle Vorleser gemeinhin scheuen oder höchstens sehr sparsam verwenden. Er spricht nicht voll, rund und elegant, sondern krächzend, keuchend und heiser flüsternd. Darin liegt eine große Zärtlichkeit den Geschichten und Figuren gegenüber. Hier wird nichts überrannt oder plattgewalzt von einem allmächtig tönenden Sprecher, hier ist sich - ganz im Gegenteil - jemand äußerst bewusst, wie fragil und vergänglich alles Schöne ist, so es denn überhaupt bis zur Blüte reift. Leichter Hand gelingt es Waechter, jeder seiner Figuren einen Hauch des Besonderen zu verleihen. Mal ist er kieksig, mal brummig, das aber sind schon die Extreme expressiver Stimmführung, derer er sich bedient; in der Regel braucht er nur in sein erstaunliches Reservoire gedämpft-verrauchter, zittrig-matter Zungen zu greifen, um die kleinen Cartoons als lebendige Szenen vor des Hörers Auge zu führen. Etwa jenen Greisenumtrunk, bei dem kräftig auf den Altersschwachsinn angestoßen und hernach gestorben wird. Oder das Zapping-Duell, das sich eine unerschrockene hessische Couch-Potato mit dem Tod liefert. Keine der klingenden Bildergeschichte will schallendes Gelächter erzeugen, vielen fehlt sogar das, was man gemeinhin Pointe nennt. Doch ein Lächeln oder eine erregende Irritation vermag jede hervorzurufen. Und einmal dürfen auch die Lachmuskeln beben. Nur soviel sei verraten: Es geht um Scheiße und Kacke, Pisse und Kotze. Selten hat jemand diese Wörter so dezent artikuliert wie F.K. Waechter. Scanner: warhol’s surfaces
Warhol wissen wollen, betrachten Sie allein die Oberfläche: meiner Bilder, Filme, meine eigene. Da bin ich. Nichts ist dahinter. Diese Interpretationsanleitung, die Warhol seinen Exegeten einst an die Hand gab, wurde bisher von kaum jemandem so konsequent umgesetzt wie von Robin Rimbaud alias Scanner. Der Londoner Soundkünstler hat sich einige Warhol-Interviews aus den siebziger Jahren vorgenommen und daraus für den Bayrischen Rundfunk ein Hörspiel komponiert, das zeitgleich zu seiner Uraufführung erfreulicherweise auf CD erschienen ist. Scanner hat aus den Tonbandaufzeichnungen der Interviews einzelne Sätze, Wörter und Wortfetzen isoliert und mit elektronischem Klangmaterial verquickt. Aus minimalen Sequenzen, die verzerrt, verlangsamt, übereinandergeschnitten, gestückelt und wiederholt werden, entstehen Bilder und Stimmungen, deren Intensität angesichts der Unaufdringlichkeit der Töne und Geräusche unerklärlich scheint. Mal flirrt und flimmert es, mal wummert es derart untergründig, dass man in den Lautsprecher kriechen möchte. Aus einem behutsamen Klopfen entwickelt sich ein insistierendes, schließlich penetrierendes Pochen. Häufig fordern die Stücke eine körperliche Reaktion heraus, es reißt und zerrt an einem, man will tanzen, aber spürt zugleich, dass das nicht geht. Die rhythmische Bewegung, die man verdoppeln möchte, verändert unmerklich ihre Struktur und hält den Hörenden in ständiger Spannung gebannt. Das gilt selbst für eine fünfminütige Sequenz, in der lediglich Straßengeräusche, brummende Autos und fern hallende Hupen zu hören sind. Wie aus einer anderen Welt scheint diese Geräuschkulisse, die sich an Warhols Statement It’s like looking out of the window anschließt. Etwas ist schief und verschoben, und man könnte meinen, dass es an der Stille liegt, die hier und an anderen Stellen immer wieder Leerstellen schafft. Aber es ist keine wirkliche Stille, sondern eher weißes Rauschen, ein Moment, in dem alles Auseinanderdriftende das Vorzeichen wechselt und umschlägt in Fülle. Warhols Worte erscheinen dabei zunehmend wie letzte Meldungen, kaum noch vernehmbare Rufe eines Astronauten, verloren in der Weite des Alls. Immer wieder heißt es I’m just a person, bis sich der Sinn auflöst und man sich alles vorstellt, nur nicht, dass es ein Mensch ist, der da spricht. Scanner versucht keineswegs, die Oberfläche der Äußerungen Warhols aufzubrechen, um dadurch zu einer vermuteten Tiefe zu gelangen. Warhols Sätze sind genauso banal wie die Sujets seiner Bilder. Es gibt kein dahinter, und so geht Scanner in die Breite, zer- und verteilt das Gesagte, multipliziert es, streut und walzt es aus. Irgendwann, und ohne dass man sich dessen gewahr wird, kippen die mäandernden Sprach- und Klangpartikel über einen nicht lokalisierbaren Rand, purzeln und fließen in eine neue Form. So erzählt Scanner die Geschichte der Transformation, des Flusses, in den man nicht zweimal steigt. Charles Bukowski: Fuck Machine. Gedichte vom südlichen Ende der Couch. Gelesen von Martin Semmelrogge.
Man kann zu Charles Bukowski stehen wie man will. Wer an Gewaltfantasien, Alkoholanbetungen und Frauenbeschimpfungen Geschmack findet: Bitteschön. Wer dies auch noch in einem Stil serviert bekommen möchte, der sich nicht um Stil schert: Kein Problem. Und wer dies als Literatur oder gar als Lyrik bezeichnen will: Soll er. Wir leben, wie man weiß, in einem freien Land, jeder kann seine Meinung äußern. Handelt es sich allerdings um Fragen der Kunst und nicht bloß der Politik, ist es immer noch eine Ehrensache, diese Meinung auch begründen zu können. Und da sich der wenig geneigte Hörbuchrezensent außerstande sieht, eine Rechtfertigung für den Kunstanspruch des hier anzuzeigenden Produkts zu liefern, muss er sich wohl oder übel auf die Seite all jener reaktionären Schöngeister stellen, die Bukowski für gequirlte Sch – für Quark halten. Hier sollen jetzt nicht die alten Schlachten um ästhetische Mindestanforderungen erneut geschlagen werden. Deutlich gemacht sei nur, dass der Rezensent zwischen dem so genannten Dichter und Erzähler Charles Bukowski und dem so genannten Vorleser Martin Semmelrogge sehr wohl zu unterscheiden weiß. Martin Semmelrogge ist Schauspieler, und Schauspieler werden gerne als Vorleser engagiert, da sie sich häufig einer Sprecherziehung unterzogen haben. Das ist wahrscheinlich auch bei Semmelrogge der Fall, denn jedes Wort ist klar zu verstehen. Darüber hinaus wurde Semmelrogge wahrscheinlich ausgewählt, weil er als Schauspieler auf harte Kerle abonniert ist, nicht auf intellektuelle Weicheier, die bei Bukowski ja eher selten vorkommen. Dass Bukowskis harte Kerle allerdings ziemlich gescheiterte Charaktere sind, hat Semmelrogge leider nicht mitbekommen. Er scheint die ganze Bukowski-Welt für obercool zu halten und legt deswegen triumphierend seine tiefste Stimme auf, was sich anhört, als spräche er durch ein Loch im Kehlkopf. Gerade Kettenrauchern dürften sich dabei die Nackenhaare hochstellen. Doch zum Glück hat Semmelrogge keine basso continuo-Qualitäten. Nachdem er also an jede neue Nummer mit Feuer und brüllend wie ein ausgehungerter Löwe rangeht, dauert es nur ein paar Dutzend Sekunden, bis seine Stimmbändern ins Straucheln und Schlingern geraten und schließlich, nach einer Minute oder so, wie Betrunkene im ersten Dialog aufschlagen. Dort rappeln sie sich dann wieder auf, immer noch derart blau, dass sie nicht wissen, wer wer ist, erstaunt mal den einen, mal den andern Part übernehmen, sich gegenseitig anrempeln und wieder zu Boden gehen. Dort nimmt sich dann die Erzählerstimme ihrer an und ersäuft sie bis zur nächsten Nummer in Pathos oder einem Meer aus Abgeklärtheit.
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