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Flink und fein. Bernhard liest Bernhard
Thomas Bernhard: Ereignisse. Gelesen vom Autor. Der Hörverlag, München 2003. 2 CDs, 126 Minuten, 19,95 Euro.
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1969 veröffentlichte Thomas Bernhard den Band "Ereignisse", eine Sammlung von Prosaminiaturen, die in ihrer Kürze wie Stilübungen wirken und in denen erprobt wird, wie Themen sich durchführen, wie Szenen und Situationen sich gestalten lassen. Das vorliegende Hörbuch ist nach den "Ereignissen" benannt, wartet neben ihrer halbstündigen Lesung durch den Autor aber mit noch einigem mehr auf: Einem Ausschnitt aus dem Roman "Frost", der Rede zur Verleihung des Büchnerpreises 1970 und drei Erzählungen, darunter eine bisher unveröffentlichte: "Der Hutmacher". Ein Hutmacher berichtet darin, wie er von Sohn und Schwiegertochter im eigenen Haus immer weiter abgedrängt wird, vom Erdgeschoss in den ersten, vom ersten in den zweiten Stock und von dort schließlich ins Dachgeschoss. Am Ende stürzt sich der Hutmacher aus dem obersten Fenster. Auch bei dieser Geschichte steht die Stringenz der Durchführung im Vordergrund, auch "Der Hutmacher" ist vor allem eine Übung in Stil und vorsichtiger Balance des Materials. Nicht diese Erstveröffentlichung, das eigentliche Ereignis auf diesem Hörbuch ist die Stimme Thomas Bernhards. Es lässt sich hören, wie Bernhard selbst die Musikalität seiner Texte im Vortrag umsetzte, und es überrascht nicht, dass er, der seine Gesangsausbildung wegen einer Lungenerkrankung hatte abbrechen müssen, ein geschmeidiger Vorleser war, der in flinkem Singsang seine Geschichten entfaltete. Wirklich verblüffend aber ist, wie fein seine Stimme klingt, als hätte ein feines Häutchen seine Stimmbänder überzogen, das alle Erregung mitschwingen lässt, die Worte aber, so ungeheuerlich sie auch sein mögen, stets vor dem zerfasern bewahrt. Allein bei den "Ereignissen" selbst macht sich hier und da leichte Hektik bemerkbar, sonst aber spricht Bernhard mit absolut "präziser Diktion" und "professioneller Distanz" zu den eigenen Texten, wie Andreas Maier, der mit seinen Romanen "Wäldchestag" und "Klausen" als klügster Bernhardleser und Stimmenimitator hervorgetreten ist und für dieses Hörbuch verantwortlich zeichnet, im Beiheft bemerkt. Von Bernhards Musikalität ist auch in einem kurzen Interview die Rede, das dem "Hutmacher" vorangeht. Der Dichter selbst findet darin den vielleicht treffendsten Begriff für seine Kompositions- und Vortragsmethode: "kontrapunktische Monotonie".
Zar Graf. Mit Verve und Hüterl durch die Sowjetunion
Oskar Maria Graf: Reise in die Sowjetunion. Gelesen von Achim Höppner und Jörg Hube. Ullstein, München 2003, 1 CD, 72 Minuten, 12 Euro. » amazon
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1934 fand in Moskau der erste sowjetische Schriftstellerkongress statt. Zu den achthundert Teilnehmern gehörte neben Maxim Gorki, Boris Pasternak oder André Malraux auch Oskar Maria Graf, der ehemalige Anarchist, Barrikadenkämpfer und bayrische Provinzschriftsteller, wie er sich selbst zu nennen pflegte. Aus seinem Exilort Brünn war er angereist, um mit seiner Lederhose und dem traditionellen Hüterl das Publikum zu entzücken. Aufsehenerregend auch von Statur und ausgestattet mit einer derben Herzlichkeit, die den eher trockenen, der Revolution zugeneigten Dichtern abging, wurde er in Stalins Reich zum Star. Buchverträge machten ihn schnell zum Rubelmillionär und er gab das Geld mit vollen Händen aus, schlemmte, lachte und hieß den Luxus, der den Schriftstellern geboten wurde, "beste zaristische Tradition". Ein Villon und Pantagruel zugleich, wie es Gustav Regler formulierte, der ihn in Moskau bewundernd beobachtete. Nicht nur als glückliche Ergänzung, sondern im geglückten Dialog wechseln Grafs Beschreibung seiner Reise und Berichte anderer Kongressteilnehmer auf dem von Achim Höppner und Jörg Hube gesprochenen Hörbuch einander ab. Neben Regler sind das Balder Olden, Sergej Tretjakow und Klaus Mann. Voll Witz und Ironie beschreibt Graf seinen Aufenthalt in Moskau und die anschließende Tour durch den Kaukasus und auf die Krim, portraitiert seine deutschen Kollegen, Klaus Mann etwa als den Exponenten einer "überzüchteten Generation", philosophiert über sein nicht vorhandenes Heimweh und trauert um seine Mutter. Jörg Hube liest die kurze aber kluge Auswahl aus Grafs Reisebuch kalkuliert dröhnend, in kontrolliertem Überschwang und mit hinreißender Verve. Achim Höppner, der die Berichte der Graf-Beobachter vorträgt, steht ihm in nichts nach. Auch er spricht gut durchdacht, selbstbewusst und mit Freude an seinem Part. Sehr lebendig erscheint dem Hörer auf diese Weise jene seltsam ferne Zeit. Und mit Schwung treten ihm die dazu gehörenden seltsamen Menschen vor Augen.
Mach dir ein Bild. Peter W. Jansen erzählt Filmgeschichte(n)
Peter W. Jansen: Jansens Kino, Nr. 11: Die Spielregel/ Der dritte Mann, Nr. 15: Der dritte Mann/ Boulevard der Dämmerung, Nr. 24: Außer Atem/ Letztes Jahr in Marienbad, Nr. 31: Bonnie und Clyde/ Der eiskalte Engel, Nr. 42: Taxi Driver/ Apocalypse Now, Bertz Verlag, Berlin 2003. Jede CD 60 Minuten, 16,90 Euro. » amazon |
Eine Szene aus "Sunset Boulevard" von Billy Wilder: Auf der Flucht vor seinen Gläubigern trifft Joe Gillis auf die ehemalige Stummfilmdiva Norma Desmond. Als Gillis erkennt, wer sie ist, erklärt er ihr erstaunt und ein wenig taktlos, sie sei ja ein großer Star gewesen. Ihrer Größe entsprechend erwidert sie: "I am big. It’s the pictures that got small.“ In der synchronisierten Fassung heißt es hingegen ziemlich lasch: "War ein Star? Ich bin größer als je zuvor." In "Jansens Kino", einer in den neunziger Jahren ausgestrahlten hundertteiligen Produktion des SWR, wird einem gehöriges Misstrauen gegenüber deutschen Versionen eingeflößt. Jeweils halbstündlich stellt der Filmkritiker Peter W. Jansen in dieser Reihe die wichtigsten Filme seit D.W. Griffith’ "Die Geburt einer Nation" von 1915 vor. Wie bei jeder Auswahl ließe sich auch hier streiten, ob man nicht diesen oder jenen Titel weglassen und durch einen andern hätte ersetzen sollen. Aber der Autor bestreitet schließlich gar nicht, dass sein Kanon subjektiv ist. Jansen, soviel sei gesagt, neigt mehr der Kunst denn der Unterhaltung zu. Das muss nicht unbedingt ein Gegensatz sein, von Billy Wilder statt einer Komödie besagten "Sunset Boulevard" aufzunehmen, macht die Tendenz aber deutlich. Doch gerade für den, der lieber der leichten Muse frönt, ist "Jansens Kino", das jetzt nach und nach im verdienstvollen Bertz Verlag als Hörbuchreihe veröffentlicht wird, gewinnbringend. Wer kein Freund des Nachtprogramms ist und darum nie kennen gelernt hat, was er gleichwohl zu einer robusten Allgemeinbildung zählen würde, hat jetzt die Gelegenheit, auf angenehme Art seinen Horizont zu erweitern. Ob "Der eiskalte Engel" oder "Letztes Jahr in Marienbad", Jansen unterrichtet solide und präsentiert professionell. Viel O-Ton ist zu hören, häufig werden unterschiedliche Fassungen gegeneinander geschnitten. Regisseure kommen zu Wort, es gibt reichlich Hintergrundinformationen. Musik und Geräusche, Stimmen und Klänge werden unweigerlich in den Vordergrund gehoben. Es mag seltsam anmuten, doch diese bildfreie Bilderklärung wird den Filmen mindestens ebenso gerecht wie eine filmische Filmgeschichte. Sie zeigt, dass das, was auf die Leinwand projiziert wird und die Netzhaut in Aufregung versetzt, sich auch mit Worten gut erzeugen lässt.
Christian Morgenstern: Das große Lalula
Christian Morgenstern: Das große Lalula. Vorgetragen von Erwin Grosche und Heiko Grosche. Patmos Verlag, Düsseldorf 2003. 1 CD, 48 Minuten, 14,99 Euro. » amazon |
Man muss sie einfach mögen, Palmström, das Mondschaf, die Fingur und all die anderen zarten Wesen, die Christian Morgenstern erträumt hat. Das Knie, das einsam seinen Weg geht, der schlittschuhlaufende Seufzer, dem seine glühende Liebe zum schmelzenden Verhängnis wird, das Nasobém, auf seinen Nasen schreitend. Recht unschuldig eigentlich und doch etwas spöttisch kommen sie daher, zugleich von leichter Melancholie umfangen. Morgenstern war kein böser Dichter. Seine rein satirischen Texte – auf die Werbeindustrie etwa – wirken heute ziemlich lau und matt. Da hilft weder das erregte Gerufe, mit dem Heiko Grosche für das "Telegraphen-Buereau Fuchs" eintritt, noch die scheinbare Ernsthaftigkeit, mit der Erwin Grosche "Aus dem Anzeigenteil einer Zeitung des Jahres 2407" vorträgt. Morgensterns Fantasien über die Zukunft der Konsumgesellschaft sind leider allzu niedlich. Lachen wird man über diese geradezu optimistischen Szenarien heute kaum mehr. Aber das muss der Freude an den weitaus skurrileren und spielerischeren Gedichten ja keinen Abbruch tun, ist die Auswahl auf dem Hörbuch "Das große Lalula" insgesamt auch ein wenig unglücklich geraten. Zu fragen ist aber nach dem Beweggrund, überhaupt eine solche CD zu produzieren. Dass der schlichte "Wunsch" eines Kabarettisten, sei er auch "lang gehegt", einem Vorbild oder Vorläufer Referenz zu erweisen, noch lange kein gutes Ergebnis garantiert, dürfte klar sein, auch wenn das Beiheft hier anderes suggeriert, indem es von Neigungen anstatt von Notwendigkeiten spricht. Die Brüder Grosche sind professionelle Stimmarbeiter, ihr Vortrag ist virtuos. Sie artikulieren äußerst präzise und schonen sich nicht, was Tempo- und Lautstärkewechsel angeht. Zudem verfügen sie über ein hinreichendes Register an Stimmlagen. Etwas Neues aber gewinnen sie Morgensterns Texten nicht ab, zu sehr verlassen sie sich auf deren ironische Qualitäten. Dieses Potential aber scheint schon lange und nicht zuletzt durch die vielen Vorgängerprojekte ausgeschöpft. Morgenstern ist ein Netter. Bürstet man ihn nicht zuweilen ordentlich gegen den Strich, macht man aus ihm schnell einen Langweiler. Pathos und Peinlichkeit wären probate Mittel, den Hörer ein wenig aufzumischen. So aber witzelt bloß, was witzig sein könnte.
Gedudel und Gestöhne. Bei Anhören Mord: 1001 Nacht als Hörspiel
Tausendundeine Nacht: 8. und 10. Nacht. Hörspielbearbeitung: Helma Sanders-Brahms. Regie: Robert Matejka. Mit Eva Matthes, Jörg Gudzuhn, Christoph Eichhorn, Friedhelm Ptok, u.v.a.. Der Hörverlag, München 2003, 3 CDs, 140 Minuten, 24,95 Euro.
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Tausendundeine Nacht lang erzählt Scheherazade dem König märchenhafte Geschichten. Sie kennt seine schlechte Angewohnheit, seinen Geliebten, nachdem sie einmal das Lager mit ihm geteilt haben, den Kopf abschlagen zu lassen. Ihr gelingt es, indem sie die Spannung beständig aufrecht erhält, diesem Schicksal zu entkommen. Ob den König allerdings auch die Hörspielversion Helma Sanders-Brahms vom Morden abgehalten hätte, ist fraglich. Die Sprecher agieren mal überdreht, mal komatös, ihr Auftritt hört sich an wie mittelmäßiges Laientheater. Die Akustik klingt nach einem Unfall, Musik und Hintergrundgeräusche scheinen zufällig zusammengewürfelt, ein albernes Geklimper und Gedudel, dazu kommen noch peinliches Gestöhne und dämliche Ausrufe (ein fliegender Djin macht hier "Uiii!"). Allein in technischer Hinsicht ist dieses Hörspiel eine Katastrophe, man glaubt kaum, dass die Produktion vom erfahrenen Deutschlandradio stammt und der renommierte Hörverlag sich so tief unter sein Niveau wagt. Darüber kann auch eine luxuriöse Verpackung nicht hinwegtäuschen. Am Schlimmsten aber wiegt der Versuch, aus der Geschichte von Nour-Eddin, Chams-Eddin und ihren Kindern, die Scheherazade von der achten bis zur zehnten Nacht erzählt, eine erotische Geschichte zu machen. Kaum je gelingt es, allein mit Mitteln der Akustik, Erotik zu erzeugen. In diesem Fall scheitert es nicht zuletzt an den flapsigen Dialogen, die wohl nur entfernt etwas mit dem Originaltext zu tun haben. "Ihr wollt Euren Schwanz in meinen Hintern stecken?" "Zum Beispiel." "Ja, das mag ich eben nicht so gern, ehrlich gesagt. Ich nehme auch an, Ihr habt einen großen Schwanz?" "Ja, allerdings. Schließlich bin ich der Älteste eines großen und fruchtbaren Geschlechts." Es ruhe in Frieden.
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