Das neue Jahr ist noch jung und schon gibt es erste Unkenrufe auf das vergangene: 2008 sei ein ziemlich belangloses Popjahr gewesen, konnte man in mehr als einer Musikgazette lesen. Ach ja? Mein/unser Eindruck ist gänzlich anders, begann das Jahr doch schon verheißungsvoll und großartig: neue Platten vyon „Oldies“ wie den B-52's, FSK, Robert Forster und Nick Cave oder Youngstern wie Get Well Soon und Vampire Weekend sorgten allenthalben für Begeisterung. Und es ging stark weiter: Newcomer wie The Ting Tings, Fleet Foxes, MGMT konkurrierten mit altgedienten Stars wie Madonna und Grace Jones, die sich nach „nur“ zwanzig Jahren Veröffentlichungspause mit dem Album „Hurricane“ eindrucksvoll zurückmeldete. Fazit: Gute Musik gibt es immer – auch wenn sie manchmal Steine in den Weg gelegt bekommt, wie die aktuelle Entscheidung des Hessischen Rundfunks zeigt: nach knapp 25 Jahren wurde Klaus Walters legendäre Sendung „Der Ball ist rund“ aus dem Programm genommen. Begründung: der HR3 wünscht sich mehr „Durchhörbarkeit“ und fürchtet, dass eine einzige Stunde am späten Sonntagabend (Klaus Walters Sendeplatz bis zum 28.12.2008: Sonntags von 23 – 24 Uhr) diesem Wunsch entgegensteht. Eine breit angelegte Protestaktion konnte das Ende der Sendung nicht verhindern, künftig ist Bärbel Schäfer (!) anstelle Klaus Walters zu hören.... Die Lösung für HörerInnen mit Gewissen und Geschmack ist byte.fm, das Hamburger Internetradio macht zurzeit alles richtig – satt.org drückt die Daumen für 2009!
Nun zu den beliebten satt.org-Jahrescharts: dieses Mal sollte es ein wenig anders ablaufen, keine langen Listen waren gefragt, sondern jede/r durfte nur ein einziges Album und einen einzigen Song angeben – einige der Angefragten waren erfreut-erleichtert, mußte man doch nicht überlegen, ob Okkervil River und Conor Oberst es noch in die Top-20 schaffen; einer (guess who!!) hingegen wollte erst nicht mitmachen, wenn er keine Sonderposten für The Fall bekäme...
Kristof Schreuf
* Peinlich: Deichkind rutschte bei satt.org im vergangenen Jahr ohne ersichtlichen Grund einfach durch. Wir wollen diesen Lapsus wieder gutmachen, indem wir die Platte (dank Kristofs blitzschneller Rückmeldung als aller-allererster) quasi zum Album des Jahres machen und empfehlen wärmstens die liebevoll ausgestattete Vinyl-Ausgabe!
Deichkind: Arbeit nervt LP, Buback » buback.de » deichkind.de » myspace
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- Das Album "Arbeit nervt" von Deichkind* hat mir dieses Jahr verschönert, viel gegeben und bedeutet.
- Nina Simones Version von Bob Dylans "Just like Tom Thumb`s Blues" hat mir die Welt noch weiter gemacht.
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Ralf Pfeifer (satt.org)
Unbedingt: The Dirtbombs
Letztes Album ("We have you surrounded") ist klasse! Schön schmutzig und erdig und mit ordentlich Bumms! Bluesig und trotzdem höllenrhythmisch...
Hit: „Ever Lovin Man“
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Sonja Eismann (Missy Magazine)
Für mich ist das musikalische Ereignis des Jahres auf jeden Fall die Platte von Yo Majesty. Weil es verdammt noch mal Zeit wurde, dass offen lesbischer, afroamerikanischer HipHop auf die Pauke haut und zeigt, dass da noch eine Menge geht abseits von eingefahrenen, langweiligen Geschlechter-Stereotypen aus sexy Bitch und toughem Macker. Und natürlich vor allem, weil die innovative Verbindung von Booty Bass, Neosoul, Punk und Gospel einfach extrem mitreißend und fresh ist.
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Elektroboys
In diesem Jahr haben wir für uns die schöne Platte "Kill" der Musikgruppe Cannibal Corpse entdeckt. Diese CD, die wir im Veröffentlichungsjahr 2006 bestellt hatten, doch leider erst 2008 an unser kleines Postfach geliefert bekamen, umfasst 13 mitreißende Stücke. Eindrucksvoll wird belegt, daß der aktuelle Sänger Georg Corpsegrinder Fisher einen dickeren Hals als Kopf hat, wodurch sich die Musik schön frisch und druckvoll anhört. Smash-Hit der Platte ist für uns das zeitlose und dennoch politisch aktuelle Lied "The Time To Kill Is Now".
Mit sehr freundlichen Grüßen
Leo Dülfer, Paulo de Janeiro, Ralf Dülfer
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Maria Sonnek (hurricanebar.de, satt.org)
- Platte des Jahres:
Gisbert zu Knyphausen – begleitete mich in der Prüfungszeit, auf Joggingtouren, ermutigte mich immer wieder weiterzumachen, brachte mich zum Schmunzeln, wenn's nix zu Lachen gab, ließ mich im Bus zur Unibibliothek regelmäßig vor mich hinsummen – das verbindet!
- Song des Jahres:
Bernd Begemann: Deutsche Hymne ohne Refrain
Hat er für seine Heimatstadt Bad Salzuflen geschrieben, doch könnte dieser Song für jede Kleinstadt gelten, so auch für Marburg, das ich jetzt verlassen werde. Aber oft bin ich mit diesem Song durch die Straßen gegangen und hatte für jede Zeile nur ein bejahendes Nicken. Großartiger Song, der einen die Heimat noch ein Stück näher bringt: All das, was man daran hasst, liebt man ebenso. Oh, wie poetisch!
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Marc Herbert (Woog Riots)
Platte des Jahres: MGMT - Oracular Spectacular
Der große Sony-Hippie-Sell out-Hype 2008. Aber warum trifft mich das mitten ins Herz?
Am 19. August 2008 spielen MGMT in Norwich UK. Als Vorband sind die 80er Indiepop-Mod-Legenden "Television Personalities" mit dabei. Da lassen es sich MGMT nicht nehmen, ihre eigene Zugabe den Television Personalities zu überlassen. Sänger Dan Treacy krächzt eine schlechte Version seines Kultsongs "I know where Syd Barret lives" ins Mikro und wird vom zumeist jugendlichen Publikum ausgebuht.
Zu sehen hier.
Dies nehmen dann MGMT wiederum zum Anlass, anschließend eine fucked-up-Version ihres Hits "Kids" zu spielen. Das Publikum in Norwich bewirft sie mit Bierbechern.
Zu sehen hier.
MGMT waren 2008 nah dran an den schönsten Songs aus der Psychedelic-Pop-Phase der Television Personalities.
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Ronald Klein (satt.org)
Platte des Jahres: Nico – The Frozen Borderline
Bereits 2007 erschien das Doppelalbum, das die beiden LPs „The Marble Index“ (1969) und „Desertshore“ der Künstlerin enthält, die im Oktober 2008 ihren 70. Geburtstag gefeiert hätte. Ihre Kompositionen, oftmals nur von den sakralen Harmoniumklängen und dezenten Streicherarrangements begleitet, knüpften an keine Poptradition an, sondern klingen nach mittelalterlichen Moritaten mit enigmatischen Texten. Erst 19 Jahre nach Nicos Tod erscheinen erstmalig Demoversionen und Outtakes auf CD. Songs wie „Sagen die Gelehrten“ verleihen dem Hörer einen lyrischen Schlüssel zu etlichen Texten: Denn im Zentrum steht die Verarbeitung von Ohnmacht und Kriegstraumata.
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Tina Karolina Stauner (skug.at, satt.org)
Die eine Platte:
- T-BONE BURNETT, »TOOTH OF CRIME« : Kurz Geschichte: 1975 Bob Dylans »Rolling Thunder Revue«, dann Alpha Band, Soloalben. Danach etwa 15 Jahre Rückzug. Produzententätigkeit und Filmmusik. Nun, nach dem exzellenten »The True False Identity« (2006), das neue, aus Musik für Sam Shepards Bühnenstück »Tooth Of Crime« (1972/96) hervorgegangene, geichnamige Album. Burnett, mit einer Art Psycho-Blues, der Tradition schrägen Rock'n'Rolls nahe, etwas countryesk, ist und bleibt einer der erstklassigen Songwriter und Produzenten. Mit dem schon 1988 zusammen mit Roy Orbison und Bob Neuwirth geschriebenen »Kill Zone« scheint er dann sogar perfekt Macht über einen geradezu übersinnlich funkelnden Kosmos auszuspielen. In einer sonst eine harte, düstere Welt widerspiegelnden CD-Atmosphäre. Hochkarätig immer die Lyrics von speziellen Beziehungsdingen bis zu politischen Überlegungen. (veröffentlicht: skug 76, print, 10-12/08)
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Thomas Backs (satt.org)
“Go back to those gold soundz...”: 2008 war ein Musik-Jahr, in dem sich viele alte Bekannte aus den frühen 1990er Jahren mit neuen Platten zurückgemeldet haben. Mein Lieblingsalbum ist seit März „Real Emotional Trash“ von Stephen Malkmus & The Jicks. Pavement gehören zu den Bands, deren Musik mich bis heute begeistert und die einmal den Soundtrack für eine aufregende Zeit lieferten. Auch für Renée und Rob Sheffield. In Robs Roman „Love is a mixtape“ spielen Pavement eine zentrale Rolle. Zusammen mit „Real Emotional Trash“, auf dem Stephen und die Jicks mit Songs wie „Cold Son“ und „Gardenia“ traumhafte Melodien und Erinnerungen einfangen, war das Buch eines meiner Highlights für 2008. Genau wie mein Gute-Laune-Lieblings-Song „Pork and Beans“ von Weezer. Und das Konzert von Ian Brown im Amsterdamer Paradiso. Während der Anreise aus dem Ruhrgebiet liefen zwar keine Mixtapes. Dafür aber Mix-CDs. Mit „Brownie“, den Charlatans, den Roses und den Mondays. Go back to those gold soundz.....
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Robert Mießner (junge welt, satt.org)
Album
Diamanda Galás - Guilty Guilty Guilty
Weil über Liebe nicht nur lyrisch, sondern auch sperrig gesungen werden kann. Und weil auf »Guilty Guilty Guilty« beides atemberaubend geschieht.
Song
Johnny Dowd - Infidelity/Gargon Vs. The Unicorn
Weil »groovt wie Hölle« hier getrost wörtlich genommen werden darf. Und weil Dowd bei seinen Kaputtniks deren Kontostand nicht vergisst.
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Marcel Tilger (mymercury.de, satt.org)
Wer sich ein wirklich abenteuerliches Wochenende bereiten will, sollte sich die schwierige Aufgabe stellen, aus der mächtigen Flut nur die eine Veröffentlichung herauszupicken, die ihn durchs Musikjahr getragen hat. Zwischen CD- und DVD-Stapeln sitzend, ist der Weg von den minimalistischen Skizzen einer Eleni Karaindrou zu den neuen Prog-Göttern Opeth gar nicht mehr weit. Hatte Juli Zeh nicht über deren stilles „Damnation“-Album einst geschrieben, diese Band verfüge über mehr Power, als sie manchmal zeige? Die Autorin wird schon von „Watershed“ gewusst haben, das trotz aller Virtuosität nie prahlerisch wirkt und Death-Metal-Reminiszenzen und Melodisches in perfekter Balance hält. Trinacria, einem Projekt der Herren von Enslaved mit den klangforschenden Damen von Fe-Mail, würden diese beiden Pole als einzige musikalische Pfeiler als Einschränkung empfinden: „Travel Now Journey Infinitely“lotet zwischen wüsten Noise-Kaskaden und psychedelischen Ambient-Flächen nicht weniger als ein Universum aus. Auch Portishead haben ihren Kosmos neu vermessen und damit Guns N' Roses vorgemacht, dass eine kreative Klausur sich lohnen kann. Und Ulver? Hat sie ihre kolossale „Shadows of the Sun“-Platte aus dem letzten Jahr in ein ähnliches Schweigen gestürzt wie weiland „Themes From William Blake's the Marriage of Heaven and Hell“? Die schöne Interpretation von Princes' „Thieves in the Temple“, die die Norweger bei MySpace veröffentlichten, lässt vermuten, dass ihr kreatives Herz schlägt! Zu MySpace sind inzwischen auch Manes abgewandert, die jetzt kkoagulaa heißen und ihr Heil in Work in Progress entdeckt haben: Wie ein gigantischer Magnet ziehen sie Klangfetzen, Philosophisches, Graphisches und Profanes an und integrieren es in ihre Kunst, die auf einen Tonträger vielleicht nie mehr gepresst werden wird. Von Anathema hatte das auch mancher befürchtet. Dass dort hinten aber ihr stimmungsvoller musikalischer Rückblick „Hindsight“ liegt, der Bandklassiker auf ihr emotionales Rückgrat herunterbricht, macht Lust auf die Zukunft der britischen Band. Ist sie das, die Veröffentlichung des Jahres? Nein, denn die kommt von Paradise Lost und war in ihrer Form vorhersehbar. Barney Greenway, Sänger der britischen Grind-Legende Napalm Death, sagt in einer 2007 in Cannes angelaufenen Dokumentation über Paradise Lost, dass es den einstigen Erfindern des Gothic Metal stets darum gegangen sei, Songs zu schreiben. Er apostrophiert das Wort „Songs“ in der Luft. Und in der Tat: Wen Paradise Lost in den letzten 20 Jahren eigentlich immer in irgendeiner Form begleitet haben, der muss sich über „Anatomy of Melancholy“ freuen. Nicht weil die DVD eine ästhetische Revolution verkündet oder darstellt. Sondern weil sie dokumentiert, wie treu sich diese Briten im Kern geblieben sind und wie sehr der Grindcore-Papst in diesen Kern geschaut hat. Egal ob sie im Londoner Koko hymnischen Metal (vor allem aus „Draconian Times“) oder düster-eleganten Pop darbieten (vor allem aus „One Second“ und „Host“) - sie spielen große Songs!
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Thomas Meinecke (FSK)
- Der 2. song des Scott Matthew-Albums. Unter Tränen fragend.
(Ich glaube, er meint “Abandoned” / Anm. CM)
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Linus Volkmann (Intro, Bum Kun Cha Youth)
Mein Song des Jahres:
"Ist mir Christian Klar"
Dieser neue Hit sollte meine Band Bum Khun Cha Youth 2008 an die Spitze der Anti-Imp-Charts bringen. Das Stück bestand aus dem abgewandeltem Text einer älteren Nummer ("Ist mir nicht ganz klar") und eröffnete mit Zeilen "es ist Frühling und du schreibst aus dem Verlies". Leider wurde die Musik bis zum Winter nicht fertig. Und Klar gerade entlassen. Also wird es den Song nie geben. Dennoch freuen wir uns über die Entwicklung.
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Tina Manske (titel-magazin.de, satt.org)
Es gab mal wieder so viele gute Platten dieses Jahr; eigentlich müsste ich Of Montreals "Skeletal Lamping" nennen, zumal bei dem grandiosen Konzert, das die Band in Berlin ablieferte, oder MGMT oder Fleet Foxes... ABER, mal was anderes! Meine Platte 2008 ist zeitkratzers "Electronics", weil sie mein ganz persönliches Erweckungserlebnis des Jahres war und ein Grund für den Vorsatz, sich in Zukunft viel mehr mit (neuer und alter) Neuer Musik zu beschäftigen. Nebenbei enthält sie das beeindruckendste Geigenglissando, das ich in diesem Jahr zu hören bekam.
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Christina Mohr (satt.org)
Album des Jahres:
Leila, Blood, Looms and Blooms
Song:
Hercules & Love Affair feat. Antony: Blind
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Wolfgang Buchholz (No Colour Twins):
Still a country for „old men“ – young at heart
Fünf Platten „älterer Herren“ mit fünfzig Liedern fand ich dieses Jahr besonders gelungen:
Joe Jackson: Rain
Das Jahr fängt gut an, die neue Joe Jackson-Platte hält was sie verspricht. Klassisch, im Stile der großen Alben aus den 80ern „Night and day“ und „Big world“ und das alles ohne Gitarren. Zehn Songs von beachtlicher Qualität. Wenige Wochen später noch ein tolles Konzert in der Fabrik in Hamburg.
Nils Frevert: Du kannst mich an der Ecke rauslassen
Für mich die beste deutsche Platte in 2008. Beschwingte Melodien, luftige Arrangements und pfiffige Texte. Ganz abgesehen von dem grandiosen Kiss-Zitat. Live, alleine mit Telecaster, ebenfalls groß.
Nick Cave & the Bad Seeds: Dig!!! Lazarus Dig!!!
Nick Cave macht eigentlich immer mehr oder weniger gute Platten. Diese gefällt mir wieder ausgesprochen gut. Klasse Songs gespielt von großartigen Musikern.
Robert Forster: The Evangelist
In freudiger Erwartung des neuen Robert Forster-Albums: The Evangelist... Die Platte hätte besser kaum sein können. Der Spagat zwischen würdigem Umgang mit dem Go-Betweens-Erbe und dem Aufbruch zu neuen Ufern gelingt grandios. Zehn Lieder zwischen Melancholie und Freude. Und auch hier wenige Wochen später eine beeindruckende Live-Performance.
Meet Glen Campbell
Eine Überraschung gegen Jahresende. Der über siebzig jährige „Rhinestone Cowboy“ mit einem Cover-Album. Nicht innovativ, aber sehr schöne Pop-Musik.
Weitere Lieblingsplatten in 2008 waren:
I am Kloot play Moolah Rouge, Lambchop: Oh (Ohio), The Autumn Defense, Silver Jews: Lookout mountain, lookout sea
Und zum Jahresende gab es zwei tolle Frauen-Platten:
Marianne Faithful: Easy come, easy go, Anna Ternheim: Leaving on a Mayday
Wenn ich nur eine Platte nennen sollte, müsste ich wohl Robert Forster auswählen.
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