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21. September 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Wall·E (Andrew Stanton)

WALL·E
(R: Andrew Stanton)

USA 2008, Buch: Andrew Stanton, Jim Reardon, Kamera: Jeremy Lasky, Beleuchtung: Danielle Feinberg, Visueller Berater: Roger Deakins, Schnitt: Stephen Schaffer, Musik: Thomas Newman, Song: Peter Gabriel, Production Design: Ralph Eggleston, Voice- & Sounddesign: Ben Burtt, Lead Design Abspann: Scott Morse, mit Fred Willard (Shelby Forthright) und den Original- / deutschen Stimmen von Ben Burtt / Timmo Niesner (Wall·E, “Waste Allocation Load Lifter Earth-Class”), Elissa Knight / Luise Helm (Eve, “Extra-Terrestrial Vegetation Evaluator”), Jeff Garlin / Markus Maria Profitlich (Captain), MacIn Talk / Joachim Kerzel (AUTO / Autopilot Otto), Ben Burtt / Bernhard Völger (M-O, “Microbe Obliterator”), John Ratzenberger / Marco Kröger (John), Kathy Najimy / Almut Zydra (Mary), Sigourney Weaver / Ulrike Stürzbecher (Bordcomputer), Fred Willard / Hans-Jürgen Dittberner (Shelby Forthright), 98 Min., Kinostart: 25. September 2008

Der mittlerweile neunte Langfilm aus dem Hause Pixar wurde wieder von Andrew Stanton (Finding Nemo) inszeniert, und er zeichnet sich dadurch aus, dass er etwa so ambitioniert wie George Millers Happy Feet ist, er das herkömmliche Zielpublikum (ich meine Achtjährige) manchmal ziemlich überfordert, dabei aber, im Gegensatz zu eben Happy Feet oder auch Cars aus dem Hause Pixar, zu jedem Zeitpunkt überzeugt, oft überrascht, und schlichtweg begeistert.

Wall·E (Andrew Stanton)
Bilder © Disney/Pixar

Was man so im Vorfeld (aus Trailern etc.) über den Film erfahren hatte, erinnerte vielleicht an kindgerechte SF-Komödien wie Short Circuit (dt.: Nummer 5 lebt), doch auch, wenn es während des Films viele kleine putzige Momente um die ziemlich anthropomorphisierten Roboter gibt, so ist doch die eigentliche Story des Films eine Art Silent Running (dt.: Lautlos im Welraum) für das neue Jahrtausend. Heutzutage kennen wahrscheinlich nur noch Old-School-Science-Fiction-Fans jenen mit Musik von Joan Baez unterlegte Ökologie-Thriller vom 2001-Spezialeffekte-Künstler Douglas Trumbull, der zu seiner Zeit (1972) state-of-the-art war. Dort waren vier Astronauten in einem Raumschiff unterwegs, um unter riesigen Kuppeln angelegte Gewächshäuser mit vielfältigen Pflanzenarten zu hegen und pflegen. Als dann jedoch der vernichtende Funkspruch von der verseuchten Erde kommt und die Kuppeln gesprengt werden sollen, stellt sich einer der Astronauten (Bruce Dern) seinen vergnügungssüchtigen Rabauken-Kollegen entgegen, muss sie schließlich gar töten, um die Pflanzen zu retten, und der Film endet damit, dass er die letzte Kuppel der Obhut des letzten von anfänglich drei Robotern (namens Huey, Dewey & Louie) anvertraut, was zu einem eher zweideutigen Ende führt, das längst nicht jeder optimistisch auslegt (ein Detail, das sich Wall·E trotz aller Ambitioniertheit leider nicht leisten kann, aber zumindest andeutet).

Wall·E (Andrew Stanton)

Der kleine Roboter Wall·E erinnert sowohl von seinem ziemlich verdreckten, technologisch überholten Aussehen, als auch von seiner Aufgabe her an jene Roboter aus Silent Running. Seinen Alltag verbringt er damit, Müllreste zusammenzupressen und sie wie Zwillinge der Wolkenkratzer aufeinanderzustapeln. In 700 Jahren Dauerfunktion hat er sich nicht nur einen Vorrat an Ersatzteilen zusammengesucht, in seiner Behausung, in der er des Nachts die Ketten abstreift und auf die Aufladung seiner Solarzelle durch die Morgensonne wartet (morgens stolpert er ein wenig herum, als sei er noch nicht richtig “wach”), hat er in hydraulischen Regalen außerdem allerlei Fundstücke zusammengetragen (darunter auch eine Dinosaurierpuppe, die man aus Toy Story kennt), die für ihn größtenteils so geheimnisvoll sind wie die Schätze der Meerjungfrau Arielle in The Little Mermaid.

Wall·E (Andrew Stanton)

Im übertragenen Sinne kommt nun auch ein Vertreter des im weitesten Sinne “anderen Geschlechts” in sein kleines Reich, ein schon durch den Namen Eve (und die Stimme) weiblich wirkender und sich zur symbolischen Paarung im vermeintlichen Paradies aufdrängender Roboter, der im Gegensatz zu Wall·E nicht wie ein Überbleibsel aus den Siebzigern wirkt, sondern wie ein stromlinenfömiges Design à la iPod und Wii, in glänzendem Weiß, schwebend und mit erstaunlicher Feuerkraft ausgerüstet. Hier beginnt nun die kindgerecht harmlose Liebesgeschichte, die ihren Höhepunkt im Händchenhalten und einem energieübertragenden angedeuteten Kuss finden wird, sich aber dennoch dadurch auszeichnet, dass der komplette Film (und insbesondere die Passagen zwischen den sich näher kommenden Robotern) mit einem Minimum an Dialog auskommt, weshalb man diese Konzessionen an das Zielpublikum verzeiht, denn nun kommen wir auch zum ökologischen (und zivilisationskritischen) Teil des Films, über den ich aber an dieser Stelle nicht zuviel verraten will, denn gerade der Überraschungsmoment der Story hat mich verzaubert, und ich hoffe, dass dies auch gelingt, wenn man nicht über die Ästhetik und Hintergrundmusik alle Nase lang an SF-Klassiker der späten 1960er bis 70er (2001 - A Space Odyssey, Soylent Green, Logan’s Run, Alien) erinnert wird (weil man durch den Fluch der späten Geburt die Vorbilder gar nicht mehr kennt). Trotz einiger Schwachpunkte (ohne die der Film aber niemals sein Millionenpublikum erreicht hätte) reiht sich Wall·E in diese illustre Riege ein, und nicht nur über den im Pressematerial überbetonten Sound-Spezialist Ben Burtt (Star Wars, E.T.) spannt der Film einen Jahrzehnte überbrückenden Bogen zur vielleicht interessantesten Zeit des SF-Films, von der man heutzutage sonst nur Sequels, Prequels, Prequels von Sequels, Sequels von Prequels (The Clone Wars, Star Trek XI, Alien vs. Predator) oder seltsame Remakes (The Stepford Wives, Planet of the Apes, I am Legend) zu sehen bekommt, bei denen der damalige oft zeitlose Biss (okay, einiges wirkt aus heutiger Sicht auch lachhaft) kaum mehr wahrzunehmen ist. Dass ausgerechnet ein Animationsfilm, in den haufenweise Drittklässler reinrennen werden, diesen Biss jetzt wieder besitzt, gibt einem ein bisschen Hoffnung für die Zukunft des Genres. Sogar beider Genres, auch des Animationsfilms, der mehr kann als nur Kinder belustigen.

Wall·E (Andrew Stanton)

Als Vorfilm amüsiert Presto, eine Art Chuck-Jones-Paradestück mit der physikalischen Sensibilität eines Don Rosa, der bekanntlich den Tricks der Gundel Gaukeley ähnlich wissenschaftlich fundiert auf den Grund geht, wie der Film zweien Utensilien eines Magiers, der sich auf der Bühne mit einem hungrigen Kaninchen duellieren muss.

Zum Nachspann noch zwei Dinge: Wie schon bei Ratatouille stammt hier das Design wieder vom Comic-Zeichner Scott Morse, der diesmal u. a. eine blitzschnelle Tour durch die Kunstgeschichte liefert. Ein guter Grund, bis zum wirklichen Schluss sitzen zu bleiben. Und wie als Ehrerweisung an den Joan-Baez-Soundtrack von Silent Running gibt es ebenfalls zum Schluss einen neuen Song von Peter Gabriel, dem ehemaligen Genesis-Frontmann und später für seine World Music bekannten Musiker. Viel hippiemäßiger als “Down to Earth” (so der Songtitel) geht es wohl kaum, aber das ist hier auch nicht als Kritik misszuverstehen.

Wall·E (Andrew Stanton)