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4. Februar 2019 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||
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USA 2018, Kamera: Robert Chappell, Lauren Greenfield, Shana Hagan, Jerry Risius, Lars Skree, Schnitt: Aaron Wickenden, Michelle Witten, Victor Livingston, Dan Marks, Musik: Jeff Beal, mit Limbo Bob, Chris Hedges, Florian Homm, Tiffany Masters, Kacey Jordan, Jaqueline Siegel, Eden Wood, Mickie Wood, Bobby Strauser, Robert Strauser, Familie Greenfield, 106 Min., Kinostart: 31. Januar 2019
Die Fotografin Lauren Greenfield beschäftigt sich seit einem Vierteljahrhundert mit besonderen Individuen der US-amerikanischen Konsumgesellschaft. Schon zu einem früheren Bildband erstellte sie parallel einen Dokumentarfilm (The Queen of Versailles, das Ehepaar Sieglist auch diesmal mit einem kleinen Auftritt dabei), diesmal wird es aber auch noch persönlich, denn sie erkundet auch ihr eigene Vergangenheit und den daraus resultierenden Umgang mit dem Reichtum.
Sie besucht einige der Protagonisten aus der frühen Phase ihres andauernden Foto-Projekts, denen es nicht unbedingt nicht mehr so gut geht wie zur goldenen Ära des Reichtums rund um L.A. (bei ihren Fotos muss ich an die frühen Bücher von Bret Easton Ellis - insbesondere Less than Zero - denken), als Yuppies und Hedge Fonds noch eine Zukunft statt einer traurigen Vergangenheit hatten.
Die Kinder der 1990er, und hier vollzieht sich der damalige Titel des Fotoprojekts (Fast Forward) sind inzwischen selbst Eltern wie der Hedgefont-Manager Jürgen Homm, der wie eine Mischung aus Dennis Farina und Sylvester Stallone genüsslich seine dicken Zigarren pafft, ehe er dann auch mal reflektiert, warum er die USA verlassen musste.
Der Rundumschlag der Doku wurde gerade durch ein Problem der Vorführung zum größten Problem des Films: Weil die Untertitel fehlten (wohlgemerkt bei einem Film, der schon vor fast einem Jahr bei der Berlinale gelaufen war), was allerspätestens bei russischen Gesprächen unübersehbar wurde, fehlten schmerzhaft die Einblendungen der Namen der Protagonisten, was es mir bei dem andauernden Hin und Her recht schwierig machte, beispielsweise zwischen ehemaligen Kinderstars und Pornodarstellerinnen, deren Namen hin und wieder mal erwähnt wurden, klar zu unterscheiden. Erst gegen Ende des Films, wenn die meisten Protagonisten bei der Ausstellungseröffnung zum Fotoband Generation Wealth fast mal interagieren, hatte ich mir so langsam den Überblick erarbeitet (in meinen Notizen stehen Hinweise wie »Nein, das sind Geschwister!«), der aber den ersten, reichlich verfahrenen Eindruck nicht mehr retten konnte.
Trotz vieler guter Ansätze und dem erkennbaren Talent Greenfields als Fotografin funktioniert weder die eigene Nabelschau (»Was war meine Obsession?«) noch die allzu gefällige Darstellung der Reue mancher Interviewpartner. Zu Beginn inszeniert man sich gerne mit Bündeln von Geldscheinen (bei einem Musikvideo ist ein ganzer Tisch damit vollgestapelt), wie als Reaktion auf den Film erkennt man dann aber die wahren Werte wie die Familie. Hier und da nimmt man das sogar jemandem ab (etwa bei der Erzählung davon, dass die Gattin sich aus vier Luxusyachten eine aussuchen sollte, sie aber lieber etwas Zeit mit ihrem mit dem Reichtum anhäufen schwer beschäftigten Gatten verbringen wollte), aber der Gesamteindruck wirkt oft etwas willkürlich, wenn man erst Gordon Gekko aus Wall Street zitiert (»Greed is good, greed is right«), um später den Niedergang des Systems am damaligen Darsteller Charlie Sheen zu demonstrieren.
Die spannendsten Erkenntnisse bestanden für mich noch darin, dass man Unmengen von Geld für einen Kurs ausgeben kann, in dem man u.a. lernt, wie man eine Banane elegant mit Messer und Gabel verzehrt.
»If they can't be rich they want to feel rich. And if they don't want to feel rich ... they're probably - dead!« - da kann ich mich ganz entspannt mit meinem Zombiedasein einrichten. Immer noch besser als ein chirurgisch perfektionierter magersüchtiger Hamster in einem mit Diamanten ausgeschlagenen Laufrad.
»Dokus zum Bildband« funktionieren für mich eigentlich nur, wenn die Filme einen deutlichen Mehrwert liefern, etwa bei den Filmen über Andy Goldsworthy, weil man dessen Werken mit bloßen Fotos nicht gerecht werden kann. Fotoausstellungen haben gegenüber Filmen auch den Vorteil, dass sie keine dramaturgischen Schwächen haben. Wenn man irgendwann gelangweilt ist, geht man etwas schneller an den Fotos vorbei oder bricht den Besuch ab. Im Film Generation Wealth erkennt man zwar die Absicht, zum Schluss »closure« zu finden 15 Minuten weniger hätten aber einen echten Unterschied gemacht (das mit den Untertiteln ist ja nicht die Schuld der Filmemacherin).
USA 2018, Buch: Michael Moore, mit Michael Moore, Donald Trump, Hillary Clinton, Bernie Sanders, George Clooney, Barack Obama, Rick Snyder, Katie Perry, 128 Min., Start: 17. Januar 2019
Der Übergang von Generation Wealth zu Fahrenheit 11/9 ist ein schleichender, abermals geht es um superreiche Stars des Reality-TVs, insbesondere diesen Ex-Knaben mit der seltsamen blonden Frisur, der als selbstgefälliger Selbstdarsteller allerdings auch nur geringfügig unangenehmer ist als Dokumentarist Michael Moore, der mit dem Erstellen von alternative facts ähnlich umgeht wie Trump.
Moore, der mit einer längeren Detour über seinen Heimatort Flint in Michigan am ehesten überzeugt, baut seine Filme gern wie etwas lange Deutschaufsätze auf, die sich publizistischen »Aufhängern« verpflichten. Hier folgt der Einstieg über die Feststellung, dass ausgerechnet Gwen Stefani verantwortlich für die Regierung Trump sei. Mit solchen polemischen Spitzfindigkeiten diskreditiert Moore leider oft seine guten Ansätze. Moore hat ein genaues Bild, was sein Publikum von ihm erwartet, und das größte Problem ist dabei, dass er ein möglichst großes Publikum ansprechen will (seine letzten paar Streifen haben nicht so richtig eingeschlagen, deshalb auch die deutliche Rückbesinnung über den Zahlendreher auf einen früheren Trump-Film). Für das angestrebte Massenpublikum reicht es dann nicht, den abgewandelten Trump-Wahlslogan »Make America white again« mit einem Hakenkreuz mittendrin zu zeigen (der shock value ist hier viel größer als die eigentliche Aussage), man muss auch Archiv-Filmbilder von Adolf Hitler zeigen, unter die man Reden von Donald Trump legt. Das klingt eher nach Rudis Tagesshow oder youtube als nach einer ernstzunehmenden Polit-Doku (obwohl der Film dieses Ziel passagenweise durchaus erreicht).
Ich muss sagen, am aufmerksamsten wurde ich im Film, wenn es irgendwie um Deutschland ging, und wegen der ach so aussagereichen Nazivergleiche passierte das häufig. Da gibt es dann Filmaufnahmen, in denen ein sehr seltsames Deutsch gesprochen wird oder man sieht deutsche Zeitungen aus alter Zeit, über die englische Texte als overlay gelegt werden - die dann aber trotzdem auch noch vorgelesen werden (man darf vom Zuschauer ja nicht zu viel Eigeninitiative erwarten). Ich war in diesen Szenen damit beschäftigt, das Gehörte irgendwie mit dem deutschsprachigen Text in Übereinstimmung zu bringen - und versagte dabei jämmerlich. Ich habe ja so generell bestimmte Ansprüche an Dokumentarfilme, die nicht jeder teilt... aber was genau ist die Beweiskraft deutscher Zeitungsausschnitte, wenn man davon ausgeht, dass der Zuschauer kein Deutsch spricht - und deshalb die Beweisführung komplett über die Übersetzung läuft, während man das eigentliche »Dokument« nicht wiedererkennt? Ich will Moore nicht vorwerfen, dass er sich hier etwas zusammenlügt, vermutlich findet man die Kernaussagen auch irgendwo im deutschen Text. Aber wenn man irgendjemanden hat, der die Textpassagen übersetzt hat, warum markiert man sie nicht einfach oder sorgt dafür, dass man sie wiedererkennen kann (viele englischsprachige Begriffe kann man auch ohne explizite Deutschkenntnisse in solch einer Weise wiedererkennen)? Wenn Moore hier nicht fake news produziert, so ist sein Umgang mit dem Medium Dokumentarfilm zumindest sehr dumm (ein treffenderer Begriff dafür fällt mir nicht ein) - und eben sehr an Trump erinnernd.
Wer sich so selbst den Wind aus den Segeln nimmt, darf von mir nicht erwarten, nach jahrzehntelangem Provo-Publizismus für die halbwegs pointierte Obama-Schelte im Film abgefeiert zu werden. Moore ereifert sich gegen fast alles außer gegen die politisch informierte und aktive Jugend (und Moore selbst).
Ein Großteil des Films läuft hierbei unter Etikettenschwindel, denn Moore benutzt seinen Trump-Aufhänger (man beachte auch das Plakat, wo Trump nicht gegen irgendeine Frau übergriffig wird, sondern natürlich gegen die Freiheitsstatue), wo es dann im interessantesten und am überzeugendsten recherchierten Teil des Films über die Wasserprobleme von Flint geht - und wie Barack Obama darauf reagiert. Aber weil man damit keine Publikumscharen ins Kino locken kann, baut man halt drumherum ein Trump-Gerüst an polemischen Anfeindungen, die oft nicht sehr zielgerichtet wirken, sondern eher wie ein Zusammenschnitt an allen Irrungen und Wirrungen, für die man Trump so kennt - inklusive eines persönlichen Treffens mit Trump, das sich - nicht neues bei Moore - vor allem dadurch auszeichnet, dass er selbst dabei war und sich Mühe gibt, sich selbst gut aussehen zu lassen - was aber immer seltener gelingt.
Wer Michael Moore und seine Praktiken mag, wird hier unterhalten und lernt hier und da auch etwas dazu. Aber vielleicht sollte Filmemacher sich mal ein eigenes Prädikat für seine Filme ausdenken, so was wie »Mike-umentary« - es fällt mir schwer, so etwas »dokumentarisch« zu nennen, es erinnert mehr an Stefan Raab als an ernstzunehmende Dokumentarfilmer.
USA 2018, Originaltitel: Instant Family, Buch: Sean Anders, John Morris, Kamera: Brett Pawlak, Schnitt: Brad Wilhite, Kostüme: Lisa N. Lovaas, mit Mark Wahlberg (Pete Wagner), Rose Byrne (Ellie Wagner), Isabela Moner (Lizzy), Gustavo Quiroz (Juan), Julianna Gamiz (Lita), Octavia Spencer (Karen), Tig Notaro (Sharon), Margo Martindale (Grandma Sandy), Julie Haggerty (Jan), Michael O'Keefe (Jerry), Joan Cusack (Mrs. Howard), 118 Min., Kinostart: 31. Januar 2019
Ich heirate eine Familie, Parenthood, Familie Dr. Kleist, With six you got eggroll, Cheaper by the Dozen - Familienkomödien (oder Familienstoffe generell, wenn man an The Sound of Music oder The Waltons denkt) scheinen nach dem Prinzip »the more the merrier« zu funktionieren. Wenn es nicht mindestens um drei Kinder geht, möglichst wie Orgelpfeifen über die Altersgruppen verteilt, scheint das »Familiengenre« beinahe nicht »erfüllt«, wie bei einem Western mit Autos oder einem SciFi-Stoff ohne Raumschiff oder mindestens einer künstlichen Lebensform.
Ich habe nicht automatisch etwas gegen Familienstoffe, aber Einzelkinder oder Zweiergruppierungen von Geschwistern finde ich meistens interessanter, auch, weil man sich so mehr auf einzelne Figuren konzentrieren kann und nicht wie einem Superhelden-Team jeder seinen kleinen Subplot bekommen muss. Ein kurzer Blick durch meine Lieblingsfilme des aktuellen Jahrtausends zeigte, dass der Großfamilienaspekt (ab drei Kinder) nur in Captain Fantastic, The Kids are all right, The Incredibles, Nanny McPhee, Hirokazu Kore-eda sowie bei den Simpsons eine große Rolle spielte. Und das war jetzt eine Auswahl aus ca. 1000 Filmen (fast 20 Jahre zu je 50 und mehr Filmen), unter denen es in gefühlt 150-200 um Kleinfamilien ging. Der Gegenentwurf wären noch Zusammenrottungen größerer Kinderscharen, die aber keine Geschwister sind, wie in Sommerhäuser oder Lukas Moodyssons Tilsammans (lang ist's her).
Der Regisseur Sean Anders, ein Experte für Familienkomödien wie Mr. Popper's Penguins (2011, mit Jim Carrey), That's my Boy (2012, mit Adam Sandler), We're the Millers (2013, mit Jennifer Aniston) oder Daddy's Home (2015, mit Mark Wahlberg und Will Ferrell, ein Sequel folgte 2017), hat die Geschichte seines Films Instant Family quasi am eigenen Leib erfahren, nur dass seine drei Adoptivkinder schon dadurch »süßer« und formbarer waren, weil keine rebellische Teenagerin dabei war. Um die drehbuchtechnische Konfliktverstärkung überzeugender zu gestalten, hat man laut Presseheft noch eine Beraterin namens Maraide Green engagiert, die selbst mit 13 adoptiert wurde, nachdem sie fünf Jahre durch die Kinderheime und Pflegefamilien getingelt war. Ähnlich wie Lizzy im Film hat sie eine Mutter mit Drogenhintergrund, die zudem an mehrere gewalttätige Partner geriet.
Instant Family entspricht nicht ganz dem Schema der quirligen Familienkomödien, weil man sich für das Zusammenkommen der Familie ungewöhnlich viel Zeit lässt und die Probleme teilweise die überschaubare Fallhöhe von Vorabendserien übersteigt. Außerdem profitiert man sehr von den prominenten Darstellern in Nebenrollen. Man scheut sich nicht, Joan Cusack in einer Winzrolle als Nachbarin zu verschleißen und selbst Oscar-Preisträgerin Octavia Spencer als Adaptionsberaterin muss sich fast noch von ihrer Filmkollegin Tig Notaro an die Wand spielen lassen. Außerdem immer ein Standbein für jeden Film: Margo Martindale als Großmutter Sandy.
Hier und da hat man tatsächlich ein paar schöne Ideen wie den gemeinsamen Vater-Tochter-Frustabbau mit Vorschlaghammer, aber trotz des sorgsam vorbereiteten großen Konflikts gegen Ende ist der Film dann doch viel zu sehr auf Friede, Freude, Eierkuchen hin konzipiert, um im Nachhinein lange im Kopf zu bleiben. Ein paar gelungene Gags, Wortwitze und Einzelleistungen (Isabela Moner aus Sicario 2 zeigt auch Potential), aber in Relation dazu viel zu viel typisch amerikanische Hollywood-Familiensauce. Aber vermutlich ist es ein ungeschriebenes Gesetz, dass eine Familienkomödie immer mit einer glücklichen Familie enden muss, wo ein Gegen-den-Strich-Bürsten im letzten Viertel so viel interessanter hätte ausfallen können.
Originaltitel: Mary Queen of Scots, UK 2018, Buch: Beau Willimon, Buch-Vorlage: John Guy, Kamera: John Mathiesen, Schnitt: Chris Dickens, Musik. Max Richter, Kostüme: Alexandra Byrne, Production Design: James Merifield, mit Saoirse (Mary Stuart), Margot Robbie (Queen Elizabeth I.), Jack Lowdon (Henry Darnley), Ismael Cruz Cordova (David Rizzio), James McArdle (James, Earl of Morey), Guy Pearce (William Cecil), Ian Hart (Lord Maitland), Adrian Lester (Lord Randolph), David Tennant (John Knox), Martin Compston (Lord Bothwell), Eileen O'Higgins (Mary Beaton), Maria Dragus (Mary Fleming), Isuka Hoyle (Mary Seton), Liah O'Prey (Mary Livingston), Gemma Chan (Bess of Hardwick), Joe Alwyn (Robert Dudley), 125 Min., Start: 17. Januar 2019
Es ist kaum die erste Hälfte des Januars vorbei, da hat sich das neue Jahr 2019 bei mir bereits einen inoffiziellen (und unschönen) Spitznamen erarbeitet: Das Jahr der vermurksten Frauenfilme. Ich führe regelmäßig Buch über die von mir gesichteten Filme, die 2019 einen deutschen Kinostart haben (aktuell immerhin schon 28) und ordne diese Filme nach einer Wertigkeitsliste. Also Green Book, If Beale Street could talk oder Beautiful Boy ganz weit oben ... und die aktuell vier am schlimmsten vermurksten Filme des taufrischen Kinojahres wurden (ich hoffe, die Statistik wird sich noch verändern) sowohl zu drei Vierteln von Frauen gedreht und drehen sich auch zu drei Vierteln als Biopics um die Leben berühmter Frauen (wenn nicht einer der vier Filme eine Sperrfrist hätte, würde ich einfach die Titel nennen, aber aufmerksame Leser werden die anderen Filme auch schnell entdecken).
In einer früheren (Doppel-)Kritik habe ich schon die Suche der Produzenten und Filmemacher nach Filmen mit #MeToo-Thematik behandelt, was ein ehrenwertes und zu begrüßendes Thema ist, dem man aber einen Bärendienst erweist, wenn man jetzt am Fließband eher suboptimale Filme über immer wieder das gleiche Thema heraushaut.
Im Fall von Mary Queen of Scots geht es gleich um zwei historisch wichtige Frauen, nämlich Maria Stuart und Queen Elizabeth I., die sich, wie man mit ein wenig historischem Wissen mitbekommen haben könnten, in einer gewissen Konkurrenzsituation befanden.
Der Film von Josie Rourke, einer künstlerischen Leiterin eines Theaters in London, zeugt von einer visuellen Opulenz, die zum historischen Sujet passt: prächtige Landschaften, mit Kerzen beleuchtete Szenen am Hof, atmosphärisch dichte Nachtszenen, wallende Rösser und Ehrfurcht einbleuende Kostüme.
Leider überzeugt die Handlung nicht so sehr wie das rein pittoreske Element.
In der Drehbuchphase war wohl das größte Problem, dass die beiden Hauptfiguren sich nicht regelmäßig zum Kaffeeklatsch oder Bridge getroffen haben, weswegen man das einzige Treffen der Königinnen so hinbiegt, dass es »geheim« war (und deshalb nicht in den Geschichtsbüchern landete), wobei der vermeintliche dramaturgische Höhepunkt des Films (selbiges Treffen) aber so mir nichts dir nichts verpufft und im Gedächtnis nur ein emotional aufgeladener Briefverkehr und eine Menge Parallelmontagen mit symbolisch überfrachteten Schnittkanten verbleiben.
Das die einprägsame Szene einer oralen Stimulation der jungen Maria Stuart nicht unbedingt historisch verbürgt ist, ist aber nicht das hervorstechende Problem des Films. Dieses besteht darin, dass die FilmemacherInnen die Geschichte dazu verwenden, zum Teil recht platte sexualpolitische Aussagen an die Frau zu bringen.
Hier und da ist das zumindest noch erheiternd, wenn etwa ein Statement Marys über den Vater ihres Kindes lautet »Eine Minute macht noch keinen Mann«, aber vor allem ist diese inhärente und unübersehbare Aussage des Films sehr grobmaschig gestrickt und büßt dadurch viel an Wirkung ein.
Leider habe ich den Film in der Synchronfassung gesehen, wodurch die Zitate eher noch platter wirken, aber wenn das nur durch zwei Speerspitzen durchbrochene Patriarchat sich dadurch gefällt, Frauen immer wieder auf Fleischeslust, Launen und Gefühle zu reduzieren, während die Männer sich vermeintlich durch ihre »Weisheit« auszeichnen (dies wird mehrfach behauptet, aber zu keinem Zeitpunkt demonstriert), ist dies schnell einschläfernd (für sämtliche Geschlechter auf den Kinositzen).
»Schlimmer als Pestilenz und Hunger - ein Weibstück mit einer Krone« - mit solchen Slogans zieht ein wirrer Geistlicher durch die Gegend und macht Stimmung gegen Maria Stuart - und mit reichlich Verspätung führt das dann zu jener Schafott-Szene, die der Film der eigentlichen Handlung noch vorausschickt.
Dass Saoirse Ronan als Titelfigur für Intelligenz, Entschlossenheit und Toleranz steht, ist ja alles toll - doch warum wird sie durchgehend superpositiv dargestellt, während Margot Robbie als Queen Elizabeth I. in gleichem Maße ambivalenzfrei als verbittert, leidenschaftslos und alt und entstellt (durch eine Pockenerkrankung und eine falsche Make-Up-Nase) interpretiert wird? Wo es ja nun historisch vermutlich ein Dutzend Möglichkeiten gäbe, die verfahrene Situation zwischen den royalen Cousinen darzustellen... Stattdessen wird einem hier wie eine Schlusspointe präsentiert, dass Queen Elizabeth durch ihren Job immer mehr »zu einem Mann« geworden sei. Also dumm, hässlich und gefühllos, wenn man vom Gros der auftretenden Herren ausgeht. (An dieser Stelle bitte den Autor mit exzessivem Kopfschütteln und mit flacher Hand auf die Stirn klatschend vorstellen - selbst, wenn dies in der Kombination gar nicht so einfach ist.)
Wirklich schlimm im Film waren auch die Schwulenklischees, die im Gegensatz etwa zum anachronistischen Wissen über die Gebärfähigkeit stimulierende Praktiken wie dar Embyonalstellung der frisch begatteten Frau (während der Umgang mit ansteckenden Krankheiten eher dem dunklen Mittelalter entsprach) etwa in den 1970ern hängengeblieben sind.
Mary Stuarts zweiter Mann Henry, der offenbar mehr Interesse an einem männlichen Vertrauten seiner Frau entwickelt, lässt sich nur zu einer Schwängerung »von hinten« überreden und muss dann später im Film auch seinem (gar nicht so heimlichen) Geliebten den sexuell aufgeladenen »Todesstoß« versetzen. Dies sind nur besonders auffällige Details, die Einarbeitung mehrerer Minderheiten in die historische Filmhandlung ist durchweg eher peinlich (und ich habe mich dabei noch tunlichst darum gedrückt, etwa über das Merkmal »rote Haare« nachzudenken).
In der Synchronfassung habe ich übrigens Guy Pearce nur mit Verspätung erkannt und David Tennant erst nach dem Film seiner Rolle zuordnen können. So eine Stimme (mal abgesehen von der Sprache) ist schon etwas sehr wichtiges für einen Film. Ich konnte auch Saoirse Ronan ansehen, wie sie ihre Rolle mit Vehemenz erfüllte (Stichwort Gesichtsakrobatik), während mich ihre zunächst eher verhalten agierende deutsche Stimme erst nach etwa einer Stunde wirklich »erreichte«.
Zum Abschluss noch eine kleine Beichte, die dem Film gegenüber fast unfair ist, aber für mich das Kinoerlebnis doch prägte: Weil ich ca. einen Tag zuvor zufällig in der Glotze ein paar alte Looney-Tunes-Filmchen sah (bei denen die Synchro auch schlimm war, aber die meisten habe ich schon mal irgendwann im Original gesehen), musste ich beim Gatten Henry dauern an den kleinen Hühnerhabicht »Henery Hawk« aus den Filmen mit Foghorn Leghorn denken. Ähnlich energisch, aber meistens irregeleitet trat auch Jack Lowden (spielte Smiths-Sänger Morrissey in England is Mine) auf.
Das mögliche Potential des Films sieht man noch am ehesten in den Szenen mit den um Mary Stuart gescharten Dienerinnen, den »Marys«, die vage eine frühzeitige Sisterhood andeuten, es aber trotz der bemühten Darstellerinnen (darunter auch Maria Dragus aus Licht) nicht schaffen, ein wirkliches Profil zu entwickeln.
Österreich 2018, Buch: Eva Spreitzhofer, Dramaturgie: Marie Kreutzer, Kamera: Xiaosu Han, Andreas Thalhammer, Schnitt: Alarich Lenz, Musik: Iva Zabkar, Kostüme: Martina List, mit Caroline Peters (Wanda), Simon Schwarz (Harald), Chantal Zitzenbacher (Nina), Emily Cox (Therapeutin), Anna Laimanee (Klara), Hilde Dalik (Sissy), Pia Hierzegger (Elke), Christopher Schärf (Matthias), Marcel Mohab (Tony), Angelo Konzett (Till), Lorenz Strasser (Franzi), Susanne Michel (Helga), Duygu Arslan (Maryam), Alev Irmak (Hanife), Jimmy Angelo (Emre), Hisham Morscher (Can), Kida Khodr Ramadan (Iman), Robert Stachel (Arzt), Doran Rabinovich (Primar), 92 Min., Kinostart: 31. Januar 2019
Der seit ein paar Jahren grassierenden Multi-Kulti-Komödie, die sich selbstbewusst-politisch-unkorrekt auf die Brust tätowiert »Darüber wird man doch wohl noch lachen können!?!«, habe ich per se kein Problem, leider kommt nur auf jedes gelungene Exemplar wie Einsamkeit und Sex und Mitleid gefühlt eine Handvoll von wenig durchdachten und fragwürdigen Beispielen.
Schon die Titelfrage (im Kontext der Filmhandlung) und der Umstand, dass der auf solche Komödien wegen der Wirtschaftlichkeit abonnierte Filmverleih »Neue Visionen« (Monsieur Claude und seine Töchter) hier sogar mitproduziert hat, ließen mich nichts Gutes ahnen...
Doch der Anfang war erstaunlich vielversprechend, die Karikatur dezidiert »fortschrittlicher« Wiener wie des «vietnamesische Eintöpfe» kochenden Tony gelang, die täglichen Streitereien wirkten halbwegs authentisch, vielleicht hatte auch die für »Dramaturgie« zuständige Marie Kreutzer (Was hat uns bloß so ruiniert) ihr glückliches Händchen im Spiel.
Doch dann kam es zum Grundkonflikt des Films, der ähnlich wie beim Originaltitel von Monsieur Claude (Qu'est-ce qu'on a fait au Bon Dieu?) schon in der Titelfrage die »entfremdete« Gesellschaft repräsentiert, die hier über die anstrengenden Probleme des täglichen Zusammenlebens der Kulturen lachen will. Nina (Chantal Zitzenbacher), die Teenagertochter der feministischen Atheistin Wanda (Caroline Peters), ist heimlich zum Islam übergelaufen... »Wie sag ich's den Eltern?«
Und wie wird dies den Alltag verändern, wenn Nina fortan Fatima genannt werden will und sich (Dialogzitat) »anzieht wie eine Fledermaus«?
Mit der Toleranz ist es plötzlich nicht mehr solang her, wenn sich die Tochter für so etwas (Dialogzitat) »Hinterwäldlerisches« wie den Islam entscheidet, wo ihr doch klar sein sollte, dass die Eltern »Religion generell für Schwachsinn« halten. Wo sind die verhältnismäßig überschaubaren Teenagerprobleme wie Schuleschwänzen und Kiffen plötzlich geblieben?
»Letztes Jahr waren es Hasenohren, dieses Jahr ist es Barbapapa!« - die Respektlosigkeit, mit der die offenbar freie Entscheidung der Tochter hier durch den Kakao gezogen wird, hat vielleicht auch etwas speziell Österreichisches, aber da ich in der Provinz aufgewachsen bin, weiß ich, dass manche Menschenschläge für Veränderungen eher mehrere Jahrzehnte als Jahre benötigen...
Gelungen ist im Film die progressive Patchwork-Familienstruktur mit Scheidungseltern oder einer aus Vietnam adaptierten Tochter, die sich als Österreicherin Klara sieht. Was ein bisschen nervt, ist fehlende Auseinandersetzung mit dem Islam, der fast nur als Pointengeber missbraucht wird. Lange Zeit ist die Frage vor allem, was mit Nina (pardon, Fatima!) »nicht stimmt«, immer wieder wird hinterfragt, welches persönliche Problem sie durch ihre Entscheidung kaschieren will. Und weil der Film sie fast noch weniger ernst nimmt als ihre Eltern, wirkt die Verwandlung auch in der Inszenierung nicht überzeugend. Zu einem Zeitpunkt wird erwähnt, dass die Tochter nun schon seit vier Wochen Muslima sei - aber wenn man dann mal ihren Facebook-Account sieht, so heißt sie dort immer noch Nina (wo sie doch selbst in der eigenen Familie auf ihren neuen Namen besteht). Da ist man dann als Zuschauer etwas überfordert zu entscheiden, was jetzt zur eigentlichen Erzählung gehört und was nur nicht durchdacht wurde.
Eine wirkliche Entwicklung gibt es im Film nicht, man arbeitet sich nur an Sparwitzen und Kinkerlitzchen ab (Sind Gummibärchen halal?), karikiert Fatimas Glauben (bzw. stellt ihn schlichtweg in Frage) und sucht angeblich den »Mittelweg zwischen Burkini und oben ohne«. Und wo ich den Film längst innerlich abgelehnt habe (wie gesagt, die ersten zwanzig Minuten war ich durchaus positiv überrascht, nicht zuletzt auch wegen der überdurchschnittlichen Besetzung), bricht dann bei einer idiotischen Doppeldemo, wo etwas Musik und Familiensinn nicht nur die Probleme, sondern den gesamten Film quasi in Wohlgefallen auflösen, eigentlich die ganze Angelegenheit in sich zusammen.
Ich glaube, das Hauptproblem dieses ganzen Komödien-Subgenres ist, dass man sich aufgrund de für mich schwer erklärlichen Erfolgs dieser Filme immer neue hanebüchene Grundideen ausklamüsert, die dann mit ein paar kernigen Sprüchen zum Drehbuch aufplustert, aber eigentlich nichts zu erzählen hat. Keine Botschaft, keine Geschichte, kein nix - allerhöchstens anderthalb Stunden Unterhaltung, mit denen man sich die Taschen füllen will. Und wenn es dabei um unausgegorene Kinderanimationen, Actionkram oder was auch immer handeln würde, könnte ich mich damit fast noch abfinden. Aber wenn es nur um die Unterstützung der (teilweise zunehmenden) Dummheit und »Entfremdung« der Gesellschaft geht (aka Hass schüren, neue Rassistenwitze kreieren), dann stelle ich mich quer.
Nichts ist schlimmer für die Filmwirtschaft (oder den Buchmarkt, die Schallplattenbranche, Comics oder was auch immer) als wenn ein Erfolgstrend bis zum geht nicht mehr gemolken wird. Gerade Filme dürften nur gedreht werden, wenn auch tatsächlich eine Idee vorhanden ist.
Nach einem Testscreening des Films stand übrigens auf einem Fragebogen »So einen Film erwartet man nicht aus Österreich. Er fühlt sich an wie eine französische Komödie.« Was die Regisseurin sehr erfreute, weil (Zitat) »genau das wollte ich«. Viel deutlicher kann man die kommerzielle Trittbrettfahrerei ohne Bezug zur Region nicht euphemisieren. Autsch!
Demnächst in Cinemania 197:
Eine erste Auswahl empfehlenswerter Kinder- und Jugendfilme aus der »Generation«-Sektion der Berlinale 2019, darunter Daniel fait face / Daniel (Marine Atlan, Generation Kplus), Lotte ja kadunud lohed / Lotte and the Lost Dragons / Lotte und die verschwundenen Drachen (Janno Pöldma), The Magic Life of V (Tonislav Hristov, Generation 14plus) und Månelyst i Flåklypa / Louis & Luca - Mission to the Moon / Solan und Ludvig - Auf zum Mond! (Rasmus A. Sivertsen, Generation Kplus)
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