Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




22. Februar 2024
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Lisa Frankenstein (Zelda Williams)


Lisa Frankenstein
(Zelda Williams)

Originaltitel: Lisa Frankenstein, USA 2024, Buch: Diablo Cody, Kamera: Paula Huidobro, Schnitt: Brad Turner, Musik: Isabella Summers, Kostüme: Meagan MacLaughlin Luster, Szenenbild: Mark Worthington, mit Kathryn Newton (Lisa), Cole Sprouse (The Creature), Liza Soberano (Taffy), Henry Eikenberry (Michael Trent), Carla Gugino (Janet), Joe Chrest (Dale), Bryce Romero (Doug), Joey Bree Harris (Tamara), Paola Andino (Misty), Jenna Davis (Lori), Trina Lafargue (Tricia), 102 Min., Kinostart: 22. Februar 2024

Bei diesem Film habe ich mich köstlich amüsiert, habe dann aber nach der Vorstellung herausbekommen, dass ich mit meiner Meinung ziemlich allein stand. Einzig ein Kritikerkollege, der als Filmschaffender besser bekannt ist, war zumindest halbwegs auf meiner Wellenlänge, aber dessen Filmographie dreht sich um zum Teil ziemlich ähnliche Werke, und somit repräsentiert er auch nicht gerade ein Massenpublikum.

Das ist vielleicht auch der größte Makel an Lisa Frankenstein (außer für mich, der auch einen Film abfeiern würde, der einzig mich überzeugen kann, und niemanden sonst auf der Welt): Sowas wie ein Zielpublikum kann man hier sehr schwer umschreiben, und offensichtlich hat man deshalb auch ein umfassendes Problem in der Marketing-Abteilung: Der Trailer etwa (den ich erst nach dem Film sah) ist ziemlich grausig. Das wenige, was Lisa Frankenstein an Handlungsbögen zu bieten hat, wird hier noch für eine gewisse Stromlinienförmigkeit rücksichtslos aus dem Fenster geschmissen. Meine Empfehlung: lest meine Kritik, und wenn ihr das Gefühl habt, meine Begeisterung nachvollziehen zu können, gebt dem Film eine Chance. Aber schaut bloß nicht den Trailer als Entscheidungshilfe!

Um es halbwegs zu Beginn loszuwerden: Lisa Frankenstein ist der beste Burton-Depp-Film, den Tim und Johnny nie gedreht haben oder drehen werden. Wer wie ich vergleichsweise früh in der Film-Sozialisierung auf Filme wie Edward Scissorhands stieß (okay, da war ich 22, aber reichlich schockverliebt in Winona Ryder), der findet vielleicht in der Mördergrube, die manche Herz nennen, einen Ort für Liebesfilme mit teilweise »düsteren« Außenseitern als Hauptfiguren. Nirgendwo gibt es davon so viele wie in der Filmographie von Tim Burton (die auch nicht durchgehend überzeugt, aber egal). Denkt nur an A Nightmare before Christmas (Regie: Henry Selick, aber deutlich von Burton geprägt), Sweeney Todd: The Demon Barber of Fleet Street, aber natürlich auch Corpse Bride und Frankenweenie (beide Versionen)...

Lisa Frankenstein (Zelda Williams)

© 2023 Focus Features LLC. All rights reserved.

Lisa Frankenstein beginnt sogar mit einer Animation (an alte Scherenschnitten orientiert), in der ohne Worte vom Leben eines jungen Melancholikers erzählt wird (er spielt Klavier und mag Gedichte), der in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts in jung verstirbt. Hier spielt bereits Humor eine gro√üe Rolle, um die Figur, die im Laufe des Films nie einen Namen erhält, zu charakterisieren. Eine Frau, die er begehrt, lässt ihn für einen Typen mit Gitarre links liegen und er landet auf einem Friedhof, der speziell Junggesellen vorbehalten ist. Ich habe jetzt keine verstaubten Folianten durchforstet, ob es sowas seinerzeit wirklich gab, aber solche kleinen satirischen Überspitzungen gehören einfach zum Tonfall dieses Films.

Der ausschlaggebende Punkt, warum ich mir den Film ansah, ohne über die ersten zwei Sätze der Kurz-Inhaltsangabe hinwegzukommen, war der Umstand, dass das Drehbuch von Diablo Cody stammt. Das ist jetzt keine Filmautorin, deren Werk ich gewissenhaft verfolge, aber für ihr erstes Drehbuch zu Juno sahnte sie gleich einen Oscar ab, und auch Young Adult steht in meinem DVD-Regal. Cody hat ein goldenes Händchen, wenn es um quirlige Dialoge geht.

Juno ist übrigens ein vortreffliches Beispiel dafür, wie schnell sich Dinge in Hollywood verändern. Damit meine ich nicht nur die Titelrolle und wie sie besetzt war, sondern möchte gern an einen Film erinnern, den ich vor kurzem sah, die Musicalversion von Mean Girls, wo Gretchen gefragt wird, woher sie denn jenes Wort »fetch« her habe, das sie so vehement im allgemeinen Sprachgebrauch verankern will...

»I think it's from an old movie ... like Juno.« [zitiert aus dem Gedächtnis]

Lisa Frankenstein (Zelda Williams)

© 2024 Focus Features LLC. All rights reserved.

Zurück zu Lisa, die in einer Zeit lebt, in der man Vorgärten statt mit Gartenzwergen auch mal mit knallpinken Flamingos (»am Metallstab«, den man dann in den Rasen drückt) verzierte. Wir haben 1989, das Jahr von Pet Semetary und Weekend at Bernie's. Lisa geht zur Highschool, ist in einer seltsamen Patchwork-Familie gestrandet und arbeitet nebenbei als Näherin. Sie gehört nirgendwo richtig dazu, und über ihre persönlichen Vorlieben macht man sich höchstens lustig. Auch ein tragischer Todesfall in ihrer Familie verkommt allenfalls zu einer Anekdote und ihre Nachbarn nennen sie »odd« und beachten sie nicht. Selbst in Extremsituationen.

Abgesehen von ihrer Stiefschwester Taffy, die sich Mühe gibt, Lisa in ihr Weltbild mit einzufügen, wird sie kaum beachtet. Sie passt einfacht nicht in diese Welt.

An jeder Abbiegung in Lisa Frnakenstein ist es für einen schlecht gelaunten Filmkritiker ein Kinderspiel, den Film in der Luft zu zerfetzen. Aber wenn man wie ich in den letzten paar Jahren nur noch zirka einmal im Monat ins Kino geschafft hat, ist man einfach dankbarer für etwas Unterhaltung und nimmt auch mal Chancen wahr, sich zu amüsieren. Wenn man Lisas besondere kulturelle Vorlieben analysiert, könnte man schnell behaupten, dass sie eher vom gewünschten Look des Films und bestimmten Wendungen und Gags geprägt ist als von einem nachvollziehbaren Charakter, der auch in irgendeinem Kausalzusammenhang zu ihrem Umfeld steht.

Logo zum Film

Sie liest Gedichte von Shelley, mag George Melies und Georg F.W. Pabst, hat Poster vom Creature from the Black Lagoon und Bauhaus (die Band, nicht der Kunststil) und hört wohl The Cure und Violent Femmes. Das meiste davon passt super in den Film, überzeugt aber nicht als Charakterbild einer jungen Frau, die zum Beispiel keine Alkoholerfahrungen gemacht hat und offenbar keinerlei Freunde hat, die sie vielleicht bei ihrem eklektischen Geschmack mitgeprägt haben könnten.

Das kann man wie gesagt mit Furor kritisieren, aber ich habe mal den anderen Weg eingeschlagen. Was spricht denn dagegen, dass Lisa als Kunstfigur eben ganz gezielt von ihren Schöpferinnen »zusammengesucht« wurden? Peter Bogdanovich wurde nach Filmen wie Targets und What's up Doc? mal als »flinker Leichenfledderer« bezeichnet, warum soll man das für Diablo Cody und ihre Regisseurin Zelda Williams nicht mal ins Positive münzen? Dass Lisas Patchwork-Familie nie im Film thematisiert oder so benannt wird, zeugt ja auch davon, dass die Filmemacherinnen nicht alles Clevere in ihrem Film immer eitel hervorgehoben haben...

Lisa Frankenstein (Zelda Williams)

© 2023 Focus Features LLC. All rights reserved.

Ungeachtet der mich nicht überzeugenden Make-Up-Bemühungen bei den Veränderungen der beiden Hauptfiguren des Films (ich habe danach mal darüber sinniert, in welchem Film eine optische Veränderung einer Hauptfigur mich - als Gegenbeispiel - wirklich überzeugt hat, und mir fielen nur weitere Negativbeispiele ein) und gewisser character flaws ist Lisa durchaus irgendwie charmant. Und wenn man sich mit ihr ein wenig angefreundet hat, schaut man auch gern über seltsame Entscheidungen in der Filmhandlung hinweg.

An dieser Stelle einige Worte zu einer weiteren Schwäche des Films, die ich nicht kritisiert habem, sondern einfach als gegeben hinnahm (und quasi umarmte). Wenig überraschend bei solch einem Filmtitel gibt es mal eine übernatürliche Begebenheit. Die Figur von »Frankensteins Monster« kommt ja durch Elektrizität zum Leben, und sowohl im Original-Roman als auch im klassischen Universal-Film von James Whale wirkt der ... ahem ... wissenschaftliche background nur bedingt überzeugend. Das wird hier noch etwas auf die Spitze getrieben, denn Lisa ist kein mad scientist, sondern höchstens ein hormone-crazed teenager. Die Reanimation der (wie es so schön im Presseheft heißt) »viktorianischen Leiche« (das Todesjahr des jungen Mannes ist exakt das Jahr, in dem Victoria gekrönt wurde, somit funktionieren die beiden Worte in der Kombination) wird zwar durch einen Blitzschlag vorangetrieben, aber sie wirkt eher wie ein kleines Wunder aus einem Disney-Film als ein durch Naturwissenschaften begründetes Experiment. Ich will ja nicht zu viel ausplappern, aber die Wendungen, die den Namen »Lisa Frankenstein« halbwegs angemessen erscheinen lassen, entwickeln ihren Charme dadurch, wie absurd sie im Kern sind.

Lisa Frankenstein (Zelda Williams)

© 2023 Focus Features LLC. All rights reserved.

Laut Presseheft wollte Diablo Cody tatsächlich eine moderne, etwas feministische Fassung der Frankenstein-Geschichte ersinnen, und fühlte sich zudem durch einen Film aus ihrer Jugend inspiriert, das John-Hughes-Frühwerk Weird Science, eine andere Frankenstein-Modernisierung, deren deutscher Titel »L.I.S.A. - der helle Wahnsinn« besser verdeutlicht, welche Rolle er für Codys Drehbuch spielte. Je mehr man über solche Hintergründe weiß, umso eher kann man den Film verstehen.

Nein... zu schätzen wissen!

Dummerweise wird ein junges Publikum wenig über John Hughes, Stummfilme und viktorianische Zeiten wissen, ein reiferes Publikum indes nicht unbedingt auf die leicht verhuschte »Backfischhaftigkeit« des Films eingehen. Vielleicht kann Hauptdarsteller Cole Sprouse (bekannt aus der Fernsehserie Riverdale, also auch einem Revamp einer altmodischen Vorlage) etwas retten, der mit überdrehten Koteletten, perfekt getimeten Geräuschen und einer gewissen manly fashion wohl der liebenswerteste Untote seit »R« in Warm Bodies ist. Aber auch der Kinostart mitten in der Berlinale wirkt auf mich wie eine geplante Steuerabschreibung, die kaum eine Chance erhalten wird, zu glänzen.

Aber wer wie ich den ganzen Film lang an andere unterschätzte Filme erinnert wird (Little Shop of Horrors, Serial Mom, Monkeybone oder Slither), Kostüme und Ausstattung abfeiert, beim besten Einsatz eines Pixies-Song ever fast Freudentränen in den Augen hat, und nach dem Film unzählige Kritikerkollegen fragt, was denn der flapsige (nicht zu sehende) Teppichreinigungs-Vertreter wohl für einen frechen Spruch abgelassen hat, der kann solch einen Film lieben. Trotz all seiner stolz getragenen Narben.