Der Titel dieses Cinemanias ist vielleicht eine klitzekleine Spur zu gemein, aber die sechs Filme ließen bei mir jeweils den Wunsch aufkeimen, vielleicht doch lieber nicht ins Kino gegangen zu sein.
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Green Lantern
(Martin Campbell)
USA 2011, Buch: Greg Berlanti, Michael Green, Marc Guggenheim, Michael Goldenberg, Kamera: Dion Beebe, Schnitt: Stuard Baird, Musik: James Newton Howard, Kostüme: Ngila Dickson, Production Design: Grant Mayor, mit Ryan Reynolds (Hal Jordan / Green Lantern), Blake Lively (Carol Ferris), Peter Sarsgaard (Hector Hammond), Mark Strong (Sinestro), Tim Robbins (Hammond), Temuera Morrison (Abin Sur), Taika Waititi (Tom Kalmaku), Angela Bassett (Doctor Waller), Jay O. Sanders (Carl Ferris), Mike Doyle (Jack Jordan), Nick Jandl (Jim Jordan), Gattlin Griffith (Young Hal), und den Originalstimmen von Geoffrey Rush (Tomar-Re), Michael Clarke Duncan (Kilowog), Warren Burton (First Guardian), Salome Jens (Female Guardian), Clancy Brown (Parallax), Kinostart: 28. Juli 2011
Ein wenig muss ich den Drehbuchautoren von Green Lantern Respekt zollen, dass sie es tatsächlich gewagt haben, die ausufernde Backstory der Figur nebst des universum-umspannenden Green Lantern Corps einem vorwiegend uneingeweihten Kinopublikum vorzustellen, und dann auch noch in der Wahl des Superschurken die offensichtliche Wahl für ein potentielles Sequel aufzusparen und sich vollends in die Obhut einer gigantischen dunklen Macht zu geben. Im Presseheft fasst Michael Goldenberg (Peter Pan, Harry Potter and the Order of the Phoenix), einer der Autoren, seine Faszination zusammen:
»Das Besondere an Green Lantern ist, dass er letztlich von der Kraft seiner eigenen Fantasie abhängig ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich Autor bin - jedenfalls finde ich gerade diesen Umstand unglaublich faszinierend.«
Zu dumm, dass der Film Green Lantern weniger von der ausbordenden Fantasie der zu vielen Köche abhängt, sondern von deren Unfähigkeit, die gewaltigen Dimensionen der Geschichte zu bändigen.
Ich bin kein intimer Kenner der Figur. In meiner aktiven Superhelden-Comic-Zeit kannte ich Green Lantern vor allem aus Team-Serien. Die Witzfigur Guy Gardner aus Justice League Europe und den legendären Vorvater Alan Scott aus Justice Society of America. Natürlich kenne ich den ersten Auftritt im Silver Age in Showcase #22, den seinerzeit visionären 70er-Jahre-Klassiker Green Lantern / Green Arrow von Denny O’Neill & Neal Adams und Alan Moores Backup-Stories um den Green Lantern Corps, doch mein beständigster Eindruck von Hal Jordan ist der aus der Feder von Darwyn Cooke in Justice League: New Frontier, einem Instant Classic des letzten Jahrzehnts.
Anhand dieses Hintergrunds war ich angesichts der Figurenzeichnung durch Ryan Reynolds erstmal verblüfft. Der für mich vor allem furchtlose Hal Jordan ist hier an erster Stelle rücksichts- und verantwortungslos. Der Film beginnt damit, dass Jordan verschläft, irgendeinen One-Night-Stand im Bett hinterlässt, und dann mit halsbrecherischer Geschwindigkeit versucht, rechtzeitig zu einem Testflug zu kommen. Der Rausch der Geschwindigkeit war auch bei Darwyn Cookes Interpretation ein zentrales Element, doch dort wurde Jordan eher mit Flug- und Weltraumpionieren wie Chuck Yeager in einen Sack geworfen. In der ersten Realverfilmung des Comics, bei seinem ersten Auftritt (you never get a second chance to make a first impression) sehen wir Schönling Ryan Reynolds zunächst dabei, wie er während einer rasanten Autofahrt gleichzeitig ein Geschenk für seinen Neffen (eine Figur, die in ihrer Funktion sehr durchschaubar ist und exakt einen Auftritt im Film hat) einpackt. Und dabei fast auf den Vordermann auffährt, weswegen Jordan auf die Gegenfahrbahn ausweicht, die allerdings gerade in entgegengesetzter Richtung benutzt wird. Natürlich hat Jordan exzellente Reflexe und verhindert einen Unfall, doch dass er den brav seines Weges fahrenden anderen Verkehrsteilnehmer dann lautstark als »Arschloch« tituliert, beschreibt doch eher seine eigene Person.
Während des Testflugs werden diese Charaktereigenschaften weiter ausgeführt, denn was zunächst wie eine innovative Kobayashi-Maru-Lösung angesichts eines übermächtigen bis unbesiegbaren (quasi-virtuellen) Feindes aussieht und sich viel später im Film auch als versteckter Segen herausstellt, ist zunächst einmal eine Demonstration der selben Rücksichtslosigkeit (Jordan »opfert« seine Kollegin ohne erkennbaren Gewinn) und kulminiert dann in der überflüssigen Zerstörung eines teuren Düsenjets. Während der Szene setzt ein traumatischer Flashback ein, der zeigt, wie Hal als Kind seinen Vater (natürlich auch ein Pilot) verliert. Ähnlich wie die uneingestandene Liebe zu seiner bereits erwähnten Kollegin (und Sandkastenliebe) Carol Ferris (Blake »Gossip Girl« Lively) scheint auch die Beziehung zu seinem »furchtlosen« Vater (die dann eins zu eins in der Szene mit dem Neffen eine überdeutliche Parallele findet) eine zentrale Rolle im Film zu spielen - wird aber im weiteren Verlauf des Films kaum mal wieder erwähnt. Sprach ich schon von den zu vielen Köchen aka den vier Drehbuchautoren?
Dann folgt die Origin-Szene, ziemlich ähnlich wie im Showcase von 1956 - mit dem kleinen Unterschied, dass die alte Schwäche des Kraftrings gegen die Farbe Gelb hier weggelassen wird, wir aber später erfahren, dass der Weltenzerstörer Parallax, ein früherer Guardian (eine kleine Gruppe von Unsterblichen, die das Green Lantern Corps führen - wird alles in den ersten fünf bis zehn unglaublich pathetischen Minuten des Films im Schnelldurchlauf erklärt) sich gegen die Farbe Grün entschied. Wie es in der deutschen Synchronfassung heißt (leider sind sich manche Verleihfirmen in ihrer Pressearbeit nicht des Details bewusst, dass die Synchro schlechte Filme meist noch schlechter macht), gibt es zum einen »die smaragdgrüne Energie der Willenskraft«, aber eben auch die gleichsam mächtige Kraft der Furcht, versinnbildlicht durch die Farbe Gelb. Parallax, der wie eine tentakelbewehrte riesige dunkle Wolke aussieht, die sich von der Furcht anderer Lebewesen ernährt, ist in Sachen blödsinniger Filmschurken (bzw. böser Mächte) schon eine Klasse für sich, und damit man sich als Zuschauer nicht gleich gelangweilt abwendet, gibt es dann noch einen standardmäßigen Mad Scientist namens Hector Hammond (dessen Erscheinungsbild vom ansonsten durchaus schmucken Peter Sarsgaard weit entfernt ist). Hector hat eine übermächtige Vaterfigur (Tim Robbins zwischen Hommage an Martin Sheen und unreflektiertem Abspulen eines Klischees) und war natürlich Zeit seines Lebens auch in Carol Ferris verliebt, und bei der Untersuchung der Leiche des außerirdischen Green Lantern, dessen Rolle Hal Jordan übernehmen durfte, piekst sich Hector an einem gelben Fremdkörper und entwickelt u. a. die Gabe, Gedanken zu lesen. Was sich einzig und allein durch unfreundliche Gedanken von ihm eigentlich geneigten Personen (wie seinem Vater) äußert, an denen er sich dann, zerfressen von negativen Emotionen rächen will. Hector wird also sozusagen die Vorhut des Weltenfressers Parallax, der unsere Erde zerstören will, was die Guardians und das Corps als vertretbares Opfer verbuchen, weshalb Hal Jordan ganz allein seine Furchtlosigkeit (oder etwas besseres) gegen eine Macht, vor der sich das gesamte Corps heimlich einnässt, demonstrieren muss. Barbara Schweizerhof hat im epd-Film (Heft 8/2011, aus anderen Gründen ein Muss für jeden, der sich für Comicverfilmungen interessiert) die Besetzungstaktik von Filmen wie Green Lantern sehr schön auf den Punkt gebracht: »Ken und Barbie umgeben von ein paar Charakterdarstellern«. Leider liefern die - mit Ausnahme von Sarsgaard - aber auch nur Standardleistungen, und das einzige, was Green Lantern auszeichnet, ist jene Szene, mit der sich der Film in die Filmgeschichte einschreibt: Mission Impossible und Charlie’s Angels: Full Throttle sind nurmehr nur noch auf Platz 2 und 3 in der Rangliste der idiotischsten Szenen mit Helikoptern, die je gedreht (oder am Rechner fabriziert) wurden.
Regisseur Martin Campbell wird immer mit seinen (überdurchschnittlichen) James-Bond-Filmen Golden Eye und Casino Royale umworben. Hier demonstriert er leider eher, dass er auch The Legend of Zorro und Beyond Borders gedreht hat.
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Mein bester Feind
(Wolfgang Murnberger)
Österreich / Luxemburg 2011, Buch: Paul Hengge, Kamera: Peter von Haller, Schnitt: Evi Romen, Musik: Matthias Weber, mit Moritz Bleibtreu (Victor Kaufmann), Georg Friedrich (Rudi Smekal), Ursula Strauss (Lena), Udo Samel (Jakob Kaufmann), Marthe Keller (Hannah Kaufmann), Uwe Bohm (Standartenführer Widriczek), Rainer Bock (SS-Hauptsturmführer Rauter), Christoph Luser (SS-Scharführer Weber), Serge Falck (Standartenführer Noldner), 105 Min., Kinostart: 1. September
Trotz Chaplins The Great Dictator oder Lubitschs To Be Or Not To Be: Der uralte Streit über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Darstellung des Dritten Reichs oder des Holocaust in Actionfilmen, Biopics oder Komödien wird von einigen erzkonservativen Medien immer wieder gerne angerührt, wenn Dani Levy, Tom Cruise, Oskar Roehler, Quentin Tarantino oder Uwe Boll auch mal ihren Senf dazugeben wollen.
Mein Meinung dazu: Über und zu jedem Themen darf man Filme jeder Art drehen - solange die Filme gut sind. Wenn ein Film misslungen ist, macht es für mich persönlich auch keinen großen Unterschied, ob es eine Komödie über die Hungersnot in Afrika ist, ein Zombiefilm, der in einem KZ spielt, oder eine Romantic Comedy über zwei Hundehalter. Wem es hingegen gelingt, aus einem Sujet und einem Genre, die nicht unbedingt füreinander geschaffen scheinen, einen überzeugenden Film zu machen, bei dem sehe ich auch gerne über einige vermeintliche Tabubrüche hinweg.
Wenn Mein bester Feind eine gelungene Nazi-Komödie wäre, wäre ich zufrieden. Doch irgendwie funktioniert der Film nicht, und ich weiß auch nicht genau, inwiefern das am Thema liegt.
Der Film beginnt mit dem Abschuss eines Flugzeugs über Russland. Eine russische Flak zu Kriegsbeginn muss man sich so vorstellen: Sechs Russen liegen mit dem Bauch nach oben im Dreck. Ein Siebter befiehlt, wann sie zu schießen haben, und mit ein bisschen Glück trifft man das Flugzeug. So auch in diesem Fall. Aus dem abgestürzten Flieger kommt Moritz Bleibtreu hervor, der in der Nähe der Absturzstelle schnell zwei Tote entdeckt. Dann schaut er ins Wrack und kommentiert das, was er sieht, wie folgt: »Oh Gott! Warum hast Du ihn nicht verrecken lassen? Warum tust Du mir das an?«
Nach diesem Teaser beginnt die Geschichte 1938: Der Jude Victor Kaufmann (Bleibtreu) und seine Freundin Lena (Ursula Strauss) kommen wieder mit Rudi (Georg Friedrich) zusammen. Die drei sind zusammen aufgewachsen und feiern als beste Freunde ihr Wiedersehen. Rudi wird von der Familie Kaufmann wie ein Sohn behandelt, obwohl er nur der Sohn der früher im Anwesen tätigen Putzfrau ist. Insgeheim hat Rudi aber sowohl mehr als nur freundschaftliche Gefühle für Lena und hat der Familie Kaufmann, die Kunstgalerien in Wien und Nürnberg führen, schon immer ihren Reichtum geneidet. Doch jetzt bekommt Rudi seine Chance und kann mit seinem Insiderwissen über eine Michelangelo-Zeichnung quasi über Nacht ganz groß bei der SS rauskommen. Dass er dafür die Kaufmanns ins KZ schickt, behandelt der Film wie keine große Sache. Victor und Rudi entwickeln fortan eine seltsame Dynamik. Nicht wie in naheliegenden Vergleichsfilmen wie Enemy Mine oder Hell in the Pacific, sondern irgendwie viel harmloser aber gleichzeitig auch kranker. Irgendwo zwischen Tom & Jerry und Itchy & Scratchy.
Denn Rudi war zwar über den Verbleib der Michelangelo-Zeichnung im Hause Kaufmann informiert, nicht aber über die Existenz von gleich zwei recht überzeugenden Fälschungen, und so konfisziert man eine Fälschung, und bis zur freundschaftlichen Übergabe an den Duce muss das Versehen rückgängig gemacht werden, damit es nicht zu einem Skandal kommt. Und durch immer neue Kapriolen (der Flugzeugabsturz ist nur der Anfang) tauschen die ehemaligen Freunde mehrfach die Rollen und Kleidungen, wobei sie sich immer wieder gegenseitig reinlegen, um entweder an den schnöden Mammon bzw. die Original-Zeichnung zu kommen oder aber Mutter Kaufmann (Marthe Keller) aus dem KZ freizubekommen.
Die Grundsituation ist To Be Or Not To Be ja nicht unähnlich: Juden spielen Nazis, Nazis Juden und man versucht sich gegenseitig zu überführen oder zu hintergehen. Doch in Mein bester Feind ist das keine Verwechslungskomödie mit lebensgefährlichem Hintergrund, sondern eher eine sado-masochistische Liebesgeschichte auf Kinderzimmer-Niveau. Dass Rudi sich kurzerhand mit Lena verlobt hat oder für Geld und Karriere die Kaufmanns über die Klinge springen lassen würde, behandelt der Film wie ein Kavaliersdelikt, denn der Film selbst ist viel zu verliebt in den sich immer wieder wandelnden Versuchsaufbau, der ebenso wie die drei Michelangelo-Zeichnungen alle Merkmale eine Komödie in sich trägt - nur: es ist nicht zum Lachen. Nicht, weil das Thema des Holocaust keinen Humor verträgt, sondern weil die Witze einfach nicht zünden, die Balance zwischen schelmischem Spielchen und drohenden fatalen Konsequenzen nicht funktioniert. Die beiden Hauptfiguren beschimpfen sich fortwährend, schlagen sich und treten sich in die Eier, und der Zuschauer soll darüber lachen.
Das Drehbuch kümmert sich nicht um die Stimmung, die Psyche der Figuren, sondern nur darum, wie man halbwegs glaubhaft erneut den Spieß umdrehen kann. Immer wieder geht es darum, woran man Juden oder Nazis erkennen kann. Rudi hatte dummerweise als Kind eine Vorhautverengung, wieder gibt es Tritte für den vermeintlichen Juden. Dadurch, dass es zwischenzeitig jetzt den Nazi trifft, wird es aber mittlerweile längst nicht mehr witziger. Und so geht es immer weiter, wird immer unglaubwürdiger (»Ein Deutscher würde nie stehen, wenn ein Jude sitzt« - drei Szenen später: der Jude sitzt und drei Deutsche stehen) und vor allem uninteressanter. Und wenn es am Ende dann nicht mehr um Leben und Tod geht, nicht einmal um Rache oder Gerechtigkeit, sondern nur noch um den MacGuffin von Michelangelo und die allerletzte Nasführung, dann ist der Film nach all dem galligen Sadismus viel zu harmlos, und die Auflösung auch noch umständlich und überdeutlich inszeniert: Der ohnehin abgeschmackte Scherz zieht sich wie ein Kaugummi. Von Wolfgang Murnberger hatte man nach den durchweg gelungenen Brenner-Filmen (zuletzt: Der Knochenmann) eindeutig mehr erwartet.
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Yume
(Annkatrin Hausmann
& Shirin Saghaie)
Deutschland 2010, Buch: Annkatrin Hausmann, Shirin Saghaie, Kamera: Shirn Saghaie, Schnitt: Annkatrin Hausmann, mit Tonko Kanako Ito, Analía Amaya Garcia, Ayin Bahar, 65 Min., Kinostart: 28. Juli 2011
Ich halte es nicht ganz so extrem wie meine Kollegin Käte, aber am liebsten weiß ich über Filme im Vorfeld auch lieber weniger. Der Regisseur, eine Buchvorlage oder zwei vielversprechende Darsteller reichen oft, um mich ins Kino zu locken. In diesem Fall reichte bereits der Titel, denn »Yume« ist eines der wenigen japanischen Worte, dessen Bedeutung mir bekannt ist (=> Traum), und als wiederholter Führer eines Traumtagebuchs, Freud-Leser und Verfasser von akademischen Texten über präkognitive Träume bei Chaucer respektive Neil Gaimans The Sandman interessiert mich dieses Thema natürlich immens.
Yume ist aber weder ein japanischer Film (wovon ich irgendwie ausgegangen war), noch geht es um Träume, die man des Nachts im Schlafzustand erlebt. Es geht um die Träume (d. h. Lebenswünsche) dreier junger Frauen, die in Tokio, Teheran bzw. Havanna wohnen. Als Kamerafrau bzw. Cutterin sowie als gemeinsame Autorinnen und Regisseurinnen schufen zwei Studentinnen der Kunsthochschule für Medien in Köln diesen eigentümlichen Dokumentar-Triptychon, und wenn eine der Filmemacherinnen nicht in Teheran geboren wäre, würde mein Respekt vor dem Film womöglich eine Spur größer ausfallen.
Dass man angesichts von Dreharbeiten in drei so unterschiedlichen Hauptstädten nicht über eine Lauflänge von 65 Minuten hinauskam, wirkt schon mal eigentümlich. Die Frauen (und ihre ebenfalls interviewten Eltern) hatten doch sicher einiges zu erzählen. Oder waren die Drehtage zu knapp bemessen?
Tonko versucht über den Umweg als Straßensängerin in Tokio groß rauszukommen. Man sieht sie mit Kolleginnen um die Gunst der Passanten zu konkurrieren, wobei die Tonabmischung ihrer Kunst aufgrund der schwierigen Situation wohl nicht gerecht wird. Tonko setzt auch ganz gezielt ihr Aussehen ein, versucht über die Kleinmädchenschiene ihr Publikum zu erreichen, ist aber mittlerweile Ende Zwanzig und man fragt sich (als Zuschauer, im Film selbst wagt niemand diese Frage), ob sich da nicht ein Imagewechsel anbieten würde. Die einzige Frage, die ihre Eltern (die sie offensichtlich finanziell unterstützen) ihr stellen wollen, ist: »Wie lang willst du das machen?«, doch Tonko weicht der Frage aus, sie geht davon aus, dass sie selbst irgendwie »fühlen« wird, wenn es vorbei ist und sie sich dem Ernst des Lebens zuwenden muss. Bei einem Probesingen in einem halbwegs professionell erscheinenden Studio erfährt sie »Nach dem Prüfungsniveau von heute haben sie nicht bestanden«. Was durch die Blume auch nur heißt, sie soll es weiterprobieren - als Zuschauer bekommt man den Eindruck, dass dieses Probesingen womöglich von den Möchtegern-Stars bezahlt wird und somit für das Studio eine lukrative Angelegenheit ist, aber auch diese Frage bleibt unbeantwortet. Immerhin schippert der Film nicht wie DSDS auf der Emotionswelle, sondern Tonko bleibt nach dem Erlebnis ganz mysteriös-asiatische Fassade.
Analía in Havanna ist Videokünstlerin (leider sieht man nie auch nur annähernd etwas von ihren Arbeiten), sie lebt mit ihrem Vater zusammen, wäre aber lieber bei dem Europäer Christian. Ihre Familie ist nicht gegen Christian, aber gegen diese extreme Fernbeziehung. Auf Kuba gäbe es ja ausreichend gutaussehende nette Männer, und wegziehen sollte ihre Tochter ganz sicher nicht. Am Muttertag drückt Analías Mutter vor laufender Kamera sehr auf die Tränendrüse und drangsaliert die Tochter auf sanfte Weise. Als wäre die schleichende Unterdrückung durch den Staat (nach Studium 3 Jahre Sozialarbeit, zugewiesene Wohnungen) nicht schon schlimm genug.
Das interessanteste der drei alternierenden Drittel des Films befasst sich mit der in Teheran lebenden Ayin, die nicht nur die Repressalien im ganz normalen Leben beschreibt, sondern sich auch noch in den Kopf gesetzt hat, Kickboxerin zu werden. Einerseits der abwegigste der drei Träume, andererseits aber eine Entscheidung, die man als Betrachter am ehesten respektiert, zeugt sie doch indirekt von einem Willen zur gesellschaftlichen Verbesserung. Der Teheran-Teil gibt einem auch die interessantesten Einblicke in den iranischen Alltag. Auf welche abstruse Art sich junge Leute dort kennen lernen, wie viel Make-Up man erstaunlicherweise doch benutzt, was einem schwant, wenn man sich als belästigte Frau an die Behörden wendet und dergleichen. Ich muss zugeben, mir war nicht einmal bewusst, dass es dort U-Bahnen »for women only« gibt.
Trotz der interessanten Herangehensweise und dem Teheran-Drittel bleibt Yume allerdings ein Film, den ich nur ganz dezidiert an den Themen interessierten Personen - und dann auch nur unter Vorbehalt - empfehlen würde.
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Shanghai
(Mikael Håfström)
USA 2010, Buch: Hossein Amini, Kamera: Benoit Delhomme, Schnitt: Peter Boyle, Kevin Tent, Musik: Klaus Badelt, mit John Cusack (Paul Soames), Gong Li (Anna Lan-Ting), Chow Yun-Fat (Anthony Lan-Ting), Franka Potente (Leni Müller), Jeffrey Dean Morgan (Connor), Rinko Kikuchi (Sumiko), Benedict Wong (Juso Kita), Hugh Bonneville (Ben Sanger), David Morse (Richard Astor), Ken Watanabe (Colonel Tanaka), 105 Min., Kinostart: 15. September 2011
Die Karriere des schwedischen Regisseurs Mikael Håfström verfolge ich schon seit geraumer Zeit. Schon 2002 sah ich in der schwedischen Filmwoche im Arsenal die Komödie Leva livet (Days like this, mit Fares Fares), dann natürlich seinen für den Auslands-Oscar nominiertes Schuldrama Ondskan (lief in deutschen Kinos unter dem Titel Evil), und mit einiger Verspätung auf DVD seinen Gruselfilm Strandvaskaren (Drowning Ghost - Der Fluch von Hellestad).
Auch sein Hollywood-Debüt Derailed sprach mich sehr an, während die darauffolgende Stephen-King-Adaption 1408 eher missglückt war. Und dass sein multinationales Großprojekt Shanghai erst mit auffälliger Verspätung in die Kinos kommt, nimmt den endgültigen Qualitätsabstieg bereits voraus.
John Cusack als Paul Soames taucht im Shanghai des Jahres 1941 auf. »Every spy needs a good cover. Be a journalist, they said. You’ll be safe.« Das Voice-Over deutet schon ein bißchen die Film-Noir-Avancen des Films voraus. Wenn man dann noch erfährt, dass Shanghai in Sektoren aufgeteilt war, und Soames einem Komplott auf der Spur ist, stellt sich ein Dejá-vù-Gefühl ein, das sich bei der Feststellung, wie schwierig es für Vertreter verschiedenster Nationen ist, aus Shanghai wegzukommen, verstärkt sich das Gefühl. Mit einer beeindruckenden Besetzung versucht man offensichtlich, The Third Man und Casablanca nachzueifern. Es gibt dabei sogar einen chinesischen Peter Lorre. Doch jetzt mal abgesehen davon, dass John Cusack nicht Humphrey Bogart ist (in diesem Film kommt er nicht einmal an Joseph Cotten heran), der Film wirkt trotz protziger Bilder antiseptisch und trotz vieler Actionsequenzen blutleer. John Cusacks gefährliche Affäre mit Gong Li und das verwirrende Spiel von Spionen und Doppelspionen zünden nicht, und um dem großen Geheimnis des Films frühzeitig auf die Schliche zu kommen, muss man kein Historiker sein.
Verglichen mit den Epstein-Brüdern oder Graham Greene wirken die Dialoge oft erstaunlich stumpf (»I’ve lived in Germany far too long not to realize what kind of people they are.«), verkantete Kameraeinstellungen, Jalousieschatten oder ein Pokerspiel à la James Bond (ein drittes Vorbild, dem man nicht das Wasser reichen kann) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Film immer nur Oberfläche bleibt, vermeintlich hochemotionale Szenen (»She won’t suffer anymore«) plätschern so wirkungslos daher wie das ganze Brimborium drumherum. TV-Film-Niveau, aber leider wurde wohl weitaus mehr dafür ausgegeben.
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Resturlaub
(Gregor Schnitzler)
Deutschland 2011, Buch: Tommy Jaud, Lit. Vorlage: Tommy Jaud, Kamera: Andreas Berger, Schnitt: Alexander Dittner, Musik: Marco Meister, mit Maximilian Brückner (Pitschi »Mausbär« Greulich), Mira Bartuschek (Biene), Stephan Luca (Arne), Melanie Winiger (Luna), Antoine Monot Jr. (Checko), Jeff Burrell (Jason), Dave Davis (Pfarrer Bouba), Martina Hill (Biggy / Ente), Matthias Matschke (Stefano), Manuela Wisbeck (Adelheid), 101 Min., Kinostart: 11. August 2011
Nach diesem Film braucht man Urlaub.
Resturlaub ist genau wie die letzte Verfilmung eines Tommy-Jaud-Buches, Vollidiot. Selber Diktus, selbe Erzählerstimme, selbe Handlungsstruktur, größtenteils sogar die selben Witze - nur diesmal wahlweise mit fränkischem Dialekt oder spanischem Akzent und angereichert mit diversen Einlagen, über die man mal vor vier bis zehn Jahren in US-Komödien gelacht hat: Man setzt sich auf das Schoßhündchen, das dann nicht wiederbelebt werden kann, man hat Sex mit einem exotischen Model, das das Bett mit einem Trimm-Dich- oder Foltergerät verwechselt oder wacht im Vollrausch während oder nach dem Schäferstündchen mit einer weniger gutaussehenden Partnerin auf. Die volle Palette von den Farrellys über Beerfest bis zu Austin Powers, nur wieder aufgewärmt und mit Defiziten im Timing. Als komödiantische Innovationen lässt man die Heidi-Klum-Darstellerin aus Switch Reloaded mit Entenstimme reden (auch nichts neues, aber erstmals auf der großen Leinwand) und als Ersatz-Pfarrer bei der Hochzeit muss ein vermeintlich komischer Farbiger mit vermeintlich komischem Akzent und vermeintlich komischen Fußball-Analogien ran. Ein Deutschland, das über Mario Barth, Ingolf Lück und Eckhardt von Hirschhausen wieder und wieder lachen kann, wird auch hieraus einen Kassenschlager machen.
Die einzige erkennenswerte Verbesserung: Oliver Pocher spielt nicht mit. Und zwischenzeitig ist man sich nicht einmal mehr sicher, ob dies wirklich eine Verbesserung ist.
Ich muss zugeben, ich habe auch einige Male gelacht. Aber mehr aus reiner Verzweiflung.
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Kein Mittel gegen Liebe
(Nicole Kassell)
Dt. Titel: A Little Bit of Heaven, Buch: Gren Wells, Kamera: Russell Carpenter, Schnitt: Stephen A. Rotter, Musik: Heitor Pereira, mit Kate Hudson (Marley Corbett), Gael Garcia Bernal (Dr. Julian Goldstein), Lucy Punch (Sarah Walker), Romany Malco (Peter Cooper), Kathy Bates (Beverly Corbett), Whoopi Goldberg (God), Rosemary DeWitt (Renee Blair), Peter Dinklage (Vinnie), Treat Williams (Jack Corbett), Steven Weber (Rob Randolph), 107 Min., Kinostart: 6. Oktober 2011
Ich weiß nichts über die Regisseurin Nicole Kassell. Aber ich gehe davon aus, dass sie (und / oder ihr Drehbuchautor Gren Wells) ein großer Fan von Morgan Freeman sein muss. Ungeachtet seines Auftritts als Nelson Mandela in Invictus dürfte Freemans »größte« Rolle die in zweien seiner überflüssigsten Filme gewesen sein. In Bruce Almighty und dem Quasi-Sequel Evan Almighty tauschte man zwar den Titelhelden und seinen Darsteller aus, aber Morgan Freeman als Gott durfte bleiben. In A Little Bit of Heaven spielt nun Whoopi Goldberg Gott. Streng genommen wird das mit der Vorliebe der Person erklärt, der Gott hier als einziger erscheint, aber das ist natürlich Erbsenzählerei.
Abgesehen von diesem Geschlechtertausch entspricht A Little Bit of Heaven zu großen Teilen einem anderen, ebenfalls überflüssigen Film mit Morgan Freeman: The Bucket List. So wie dort Freeman gemeinsam mit Jack Nicholson in einem vermeintlichen Casting Coup als zwei Todkranke noch einmal einige Dinge abhaken, die sie zu Lebzeiten mitnehmen wollten, so bekommt auch Marley (Kate Hudson) in dem Film ohne Morgan Freeman einen Feelgood-Abschied, der sich gewaschen hat.
Doch bis zu dieser Stelle des Films muss der Zuschauer noch einiges durchleiden, und ich befürchte, Leser dieser Kritik werden trotz der viel kürzeren Lektürezeit ähnliches ertragen müssen. Ich versuche es, kurz zu machen, aber dabei doch eindrücklich genug vor dem Film zu warnen.
Marley führt ein glückliches, vitales Leben. Sie fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit, und zieht dort selbst unvorbereitet den großen Werbeauftrag einer Kondomfirma an Land, weil ihr aus heiterem Himmel einfällt, dass eigentlich Frauen die Zielgruppe sein, denn diese entscheiden, wann und mit wem sie Sex haben. Marleys Sexleben findet übrigens auch jenseits von Treuebelobigungen und Kinderwünschen statt. Sie nimmt sich, was sie will.
Bis hierhin hat man dies in jeder vierten RomCom so oder ähnlich gesehen, und der Film wird auch nicht mehr spannender. Das erste Anzeichen darauf, dass sich der Film in ein Taschentuch-Spektakel verwandeln wird, ist der Auftritt von Gott (Whoopi), die Marley über ihr bevorstehendes Ableben informiert, ihr aber drei Wünsche zugesteht, von denen sie zunächst nur zwei ausspricht: sie will fliegen (vgl. The Bucket List) und eine größere Menge Geld. Wenn ich das so nacherzähle, ist es fast so langweilig wie der Film.
Als Marley dann eine Krebsdiagnose erhält, ändert das vorerst nichts an ihrem Leben. Eine Dauersexbekanntschaft informiert sie über ihren Zustand mit einer selbstgebastelten Glückwunschkarte: »Roses are red, violets are blue - I’ve got ass cancer, now you know, too!« Blumig wie ein Eintrag in ein Poesiealbum.
Nebenbei wirft sie ein Auge auf den sie behandelnden Arzt (unterbeschäftigt: Gael Garcia Bernal), und ihre beste Freundin (verschenkt: Lucy Punch) bittet sie, die Prioritäten zu überdenken: »Shouldn’t you be more focussed on getting cured than getting laid?«
Nebenbei gibt es noch Komplikationen mit ihren Eltern (vor allem Kathy Bates) und einer Nachbarin (Rosemarie DeWitt), die aber vor allem die Lauflänge des Films in die Länge ziehen und somit die Leidenszeit vergrößern, weshalb ich darauf nicht länger eingehe.
Etwa das letzte Drittel des Films ist Marley damit beschäftigt (durchhalten!), die Lebensqualität als solche zu erkennen, die Liebe und Familie als größte Ziele zu akzeptieren, und sich mit Freunden und Familie zu versöhnen, um dann in einer Szene zu sterben, auf die sozusagen der ganze Film draufhin inszeniert wurde (es ist wi-der-lich!): Sie findet Frieden (okay), ihr letzter Satz ist eine Liebeserklärung (börks!), wie bereits zu erwarten, wird durch die Parallelmontage mit der Kindsgeburt der Nachbarin eine Art Wiedergeburt symbolisiert (mir fehlen langsam die Worte), und dann darf sie auch noch zusammen mit Gott die eigene Beerdigung beobachten, was natürlich (wie von Marley gewünscht) eine »celebration of life« ist, ein farbenfrohes Spektakel mit Dixieland und einem paradisischen Setting.
Dieses Feelgood-Ende nach dem ganzen auf weibliche Zuschauer zugeschnittenen Geheule ist natürlich sowas wie eine Katharsis, aber die perverse Verlogenheit, wie der Film sein Thema auf den Punkt bringt, sucht ihresgleichen in der Filmgeschichte.
Auch ich verließ das Kino nach diesem Film mit einer optimistischeren Lebenseinstellung: Viele Drecksfilme (z. B. Satte Farben vor Schwarz oder The Bucket List) erschienen mir im direkten Vergleich zu Kein Mittel gegen Liebe (der deutsche Titel führt die Perversität des Genre-Crossovers übrigens kongenial weiter) plötzlich wie veritable Meisterwerke.
Nachtrag: Ich darf es nicht verschweigen, der Film hat immerhin ein oder zwei kurze Einstellungen, die ich als Existenzberechtigung dieser cineastischen Darmspiegelung durchgehen lasse. Um Marley aufzuheitern, bestellt ihr schwuler Nachbar (noch so eine überflüssige Figur, die den Unfilm aufbläht) einen Callboy. Und wie Peter Dinklage, der solche Rollen nicht soo häufig angeboten bekommt, voller Selbstbewusstsein Marleys Wohnung betritt und dann mit einer unnachahmlich nonchalanten Bewegung seine Jacke fallen lässt, das ist innerhalb dieser Hölle von Film genau das, was auch der Künstlername der von Dinklage gespielten Figur ist: A Little Bit of Heaven.
Nachtrag 2: Innerhalb von 24 Stunden nach Veröffentlichung dieses Textes wurde ich darauf hingewiesen, dass nicht die Nachbarin ein Kind bekommt, sondern die zweitbeste Freundin. Das könnte ich jetzt ja korrigieren, aber dieses Detail ist aus meiner Sicht fast so uninteressant wie der Film. Trotzdem Danke für's Aufpassen, liebe Nachbarin.